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Rudolf Hilferding
Das Finanzkapital. Eine Studie über die jüngste Entwicklung des Kapitalismus
Nachdruck der Neuausgabe von 1947,
unveränderte Wiedergabe der letzten vom Autor herausgegebenen Ausgabe, Wien 1923.
Berlin: Dietz Verlag; 1955.
Mit einem Vorwort von Fred Oelßner,
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Klaus Hagendorf, Paris.
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DAS FINANZKAPITAL
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RUDOLF HILFERDING . DAS FINANZKAPITAL
RUDOLF HILFERDING
DAS FINANZKAPITAL
EINE STUDIE
ÜBER DIE JÜNGSTE ENTWICKLUNG
DES KAPITALISMUS
Mit einem Vorwort
von Fred. Oelßner
DIETZ VERLAG BERLIN
1955
.
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Dia vorliegende Auflage ist ein Nachdruck der Neuausgabe von 1947,
die das Werk nach der let/.ten vom Autor herausgegebenen Ausgabe,
Wien 1923, unverändert wiedergab. Einige olTensiehtliche Druckfehler
wurden beseitigt..
VORWORT ZUR NEUAUSGABE
2. Auflage • 21.-28. Tausend
Dietz Verlag GmbH, Berlin • 1. Auflage 194T • Printed in Cermany • Alle Rechte
vorbehalten • Typographie: Dietz Entwurf • Einband: Hans Kurzhahn • Papier-
format: 61X86 cm • Autorenbogen: 32 • Druckbogen: 37,5 • Lizenznummer 1
Druck: Kail-Marx-Werk, Pößneck, V 15/30
Um die Wende unseres Jahrhundertstraten in der kapitalistischen
Weltwirtschaft neue Erscheinungen hervor, die auf eine struktu-
relle Wandlung des Kapitalismus hindeuteten. Die für den alten
Kapitalismus typische freie Konkurrenz und der freie Handel wur-
den immer mehr durch monopolistische Gebilde eingedämmt, die
sich aus der rasch fortschreitenden Konzentration der Produktion
entwickelten. Auch die Banken machten diesen Konzentrations -
prozeß durch und unterlagen dadurch einem Funktionswandel. Aus
ursprünglich selbständigen Instituten zur Zahlungsvermittluvng ent-
wickelten sie sich zu Finanzierungsinstituten der Industrie. Schließ-
lich wuchsen Industrie- und Bankkapital zum Finanzkapital zu-
sammen. Der riesige Kapitalüberschuß, den die Konzentration der
Produktion und des Kapitals in den entwickelten kapitalistischen
Ländern hervorbrachte, drängte immer mehr zum Kapitalexport.
Den kapitalistischen Monopolen wurden die nationalen Grenzen zu
eng, es entstanden internationale monopolistische Verbände, die
eine wirtschaftliche Aufteilung der Welt vornahmen. Und daraus
ergab sich der rasende Wettkampf der Großmächte um die terri-
toriale Aufteilung unseres Planeten. Dieser Wettkampf führte
dazu, daß die Erde zu Beginn unseres Jahrhunderts im wesentlichen
ur er die Großmächte aufgeteilt war. Der alte Kapitalismus hatte
sich durch diese Entwicklung in einenneuen, einen monopolistischen
oder imperialistischen Kapitalismus verwandelt.
Karl Marx und Friedrich Engels, die den alten Kapitalismus
erschöpfend analysierten und seine Bewegungsgesetze entdeckten
und überzeugend darstellten, haben diese neue Entwicklung des
Kapitalismus nicht mehr erlebt. Sie konnten diese Entwicklung nur
in genialen Voraussagen andeuten. Die Analyse und Darstellung
des neuen Kapitalismus fiel der nachfolgenden Generation marxisti-
scher Ökonomen zu. Unter ihnen nimmt Rudolf Hilferding mit
seinem „Finanzkapital" einen hervorragenden Platz ein. Bereits
im Jahre 1905 war, wie er im Vorwort vermerkt, seine „Studie
über die jüngste Entwicklung des Kapitalismus" fertig. Hilferding
sah das Charakteristische des modernen Kapitalismus in „jenen
Konzentrationsvorgängen, die einerseits in der , Aufhebung der
freien Konkurrenz' durch die Bildung von Kartellen und Trusts,
anderseits in einer immer innigeren Beziehung zwischen Bank-
kapital und industriellem Kapital erscheinen" (S. 1). Er machte die
zweite Erscheinungsform zum Hauptgegenstand seiner Analyse, wie
schon der Titel seines Werkes verrät. Dies führte ilm — wie später
gezeigt werden soll — zu einer Reihe grundlegender theoretischer
Fehler, die ihn am Verständnis des Gesamtbildes der neuen Epoche
der kapitalistischen Wirtschaft hinderten. Doch dieser Mängel un-
beschadet stellt „Das Finanzkapital" eine bedeutsame Weiterent-
wicklung der marxistischen ökonomischen Theorie dar. Trotz der
vier Jahrzehnte, die seit der Abfassung vergangen sind, hat es seine
aktuelle Bedeutung nicht verloren. Und es übertrifft an wissen-
schaftlicher Tiefe und Schärfe heute noch alles, was die bürgerliche
Volkswirtschaftslehre über das Finanzkapital zu sagen hatte.
Da Hilferding das Finanzkapital zum Thema seiner Unter-
suchung machte, beginnt er seine Darlegung logischerweise mit
der Geldtheorie. Trotz der Irrtümer, denen er gerade auf dem Ge-
biet der Geldtheorie erlegen ist, hat er in der Weiterentwicklung
der marxistischen Kredittheoric einen bedeutenden Schritt vorwärts
getan. Er entwickelte den Unterschied zwischen dem Zirkulations-
kredit, der überwiegend von den produktiven Kapitalisten selbst
gegeben wird und dem Bargeldersatz dient, und dem Kapitalkredit,
der die Funktion hat, brachliegendes Geld in fungierendes Geld-
kapital zu verwandeln. Die vorangehende tiefschürfende Unter-
suchung über die periodische Freisetzung und Brachlegung von
VI
Geldkapital läßt die eminente Bedeutung des Kapitalkredits für die
kapitalistische Entwicklung klar erkennen.
Der hervorragendste Teil des Buches ist der Abschnitt über die
Mobilisierung des Kapitals und über das fiktive Kapital, insonder-
heit die Analyse der Aktiengesellschaft. Hier macht er eine funda-
mentale ökonomische Entdeckung: den Gründergewinn. In An-
lehnung an Marx' Entwicklung des Bodenpreises als kapitalisierte
Grundrente weist Hilferding nach, daß der Gründergewinn aus der
Verwandlung von profittragendem in zinstragendes Kapital ent-
springt und eine Kapitalisierung des Unternehmergewinns darstellt,
deren Ertrag in die Taschen der „Gründer", also meist der Banken
fließt. Damit hat Hilferding den Beweis erbracht, daß der Gründer-
gewinn (oder Gründungsgewinn, wie er ihn zuweilen auch nennt)
„weder ein Schwindel noch eine Vergütung oder Lohn ist, sondern
eine ökonomische Kategorie sui generis" (S. 145). Es ist Rudolf
Hilferdings unvergängliches Verdienst, diese ökonomische Kategorie
entdeckt und entwickelt zu haben. Er stellt auch die Formel dieses
Gründergewinns dar, mit deren Hilfe an konkreten Beispielen leicht
errechnet werden kann, welch ungeheure Summen den Banken
durch ihre Emissionstätigkeit zufließen. Hilferding führt zugleich
den Nachweis, daß dieser ökonomische Gründergewinn nicht nur
bei Neugründungen oder Umwandlungen bestehender Privatunter-
nehmungen in Aktiengesellschaften erzielt wird, sondern auch bei
jeder Kapitalerhöhung bestehender Aktiengesellschaften. Diese
Entdeckung Hilferdings erklärt uns, warum die Konzentration des
Bankkapitals ein so rapides Tempo einschlagen konnte, denn gerade
der Gründergewinn war das Mittel, ungeheure Reichtümer in
den Händen der Großbanken zusammenzuballen. Die Entdeckung
des Gründergewinns stellt eine bedeutsame Weiterentwicklung der
marxistischen ökonomischen Theorie dar und ermöglicht uns das
Verstau; ais für die rasche Ausbreitung des Finanzkapitals.
In seiner Untersuchung der Aktiengesellschaft führt Hilferding
auch mit zwingender Logik das Gerede von der angeblichen Demo-
kratisierung des Kapitalismus durch diese Unternehmungsform ad
absurdum. Er weist nach, daß gerade durch die Aktiengesellschaft
VII
ciiicin kleinen Häuflein von Großkapitalisten die Verfügungsgewalt
üIht liesige fremde Kapitalien in die Hand gegeben wird. Beson-
ders durch das sogenannte Beteiligungssystem, die Gründung von
Tochter-, Enkel- und Urenkel-Gesellschaften, wird diese finanzielle
Macht der Großkapitalisten gewaltig gesteigert. Was Hilferding in
seinem Buch über die Aktiengesellschaften sagt, hat auch heute
noch volle Gültigkeit.
Auch die Probleme der Börse erscheinen bei Hilferding in neuem
Licht. Er untersucht die neue Rolle der Börse als Markt des fiktiven
Kapitals und kommt zu dem Schluß, daß mit der Entwicklung der
Großbanken die Bedeutung der Börse zurückgeht. Diese Tatsache
hatten schon vor Hilferding bürgerliche Volkswirtschaftler fest-
gestellt, wie Schulze-Gävernitz, Riesser und andere. Aber erst im
Lichte der theoretischen Untersuchung Hilferdings wird die Not-
wendigkeit dieser Entwicklung völlig klar.
Einen breiten Raum nimmt die Untersuchung der Entwicklung
des Finanzkapitals und die Einschränkung der freien Konkurrenz
in dem Buche Hilferdings ein. Erst jetzt kommt Hilferding auf die
andere charakteristische Erscheinung des modernen Kapitalismus,
auf die Monopole, zu sprechen. Hilferding macht hierbei manche
scharfsinnige Bemerkung zur Entwicklung der Monopoltheorie, wie
bei der Erklärung der Ursachen für die Entstehung der Kombina-
tion, bei der Unterscheidung zwischen homosphärischen und hetero -
sphärischen Vereinigungen und anderen. Dennoch scheint mir diese
wesentliche Seite des modernen Kapitalismus zu schwach ent-
wickelt. Das ist eine Folge des im Prinzip fehlerhaften Ausgangs-
punktes Hilferdings, von dem später die Rede sein soll. Es mutet
eigenartig an, daß Hilferding in dem Kapitel über die Kartelle und
Trusts die Konzentration der Produktion außer Betracht läßt und
demzufolge keine Erklärung für die Notwendigkeit der Entstehung
kapitalistischer Monopole gibt. Nur gelegentlich weist er auf diesen
Zusammenhang hin, so, wenn er die monopolistischen Vereinigun-
gen als „Verwirklichung der Marxschen Konzentrationslehre" be-
zeichnet. Eine organische Entwicklung der Monopole aus der Kon-
zentration, aus der Entstehung von Großbetrieben läßt er vermissen.
Was Hilferding über den Kartellpreis (Monopolpreis) sagt, steht
turmhoch über allem, was die bürgerliche Wissenschaft über diese
vielleicht komplizierteste Kategorie des monopolistischen Kapitalis-
mus zutage gefördert hat. Mit Recht sagt Hilferding, daß der
Monopolpreis nicht nur aus der Nachfrage erklärt werden kann,
sondern einen ökonomischen Inhalt haben muß. Nach Hilferding
ist auch der Kartellpreis gleich dem Kostpreis plus Durch Schnitts -
Profitrate. (In früheren Ausgaben stand Produktionspreis plus
Durchschnittsprofitrate. Offensichtlich ein Druckfehler, denn der
Produktionspreis ist Kostpreis plus Durchschnittsprofit.) Aber, so
sagt Hilferding, die Durchschnittsprofitrate hat sich geändert. „Sie
ist verschieden für die große kartellierte Industrie und für die
kleinen von ihr in Abhängigkeit geratenen Sphären der Klein-
industrie . . ." Und er kommt zu dem Schluß: „Die Erhöhung des
Kartellpreises findet also ihre Grenze an der Möglichkeit der
Senkung der Profitrate in nicht kartellfähigen Industrien"
(S. 343/544). Diese Grenze scheint mir zu eng gezogen. Denn der
Kartellprofit (Monopolprofit) stammt nicht nur aus dem Mehr-
wert der nichtkartellierten Industrien, sondern ist auch ein Tribut
der Konsumenten an das Monopolkapital. Das gibt Hilferding
zum Teil zu, wenn er sagt: „Ein Teil des Kartellprofits stammt
also von den Konsumenten, womit hier alle nichtkapitalistischen
Kreise, die abgeleitetes Einkommenbeziehen, gemeint sind" (S. 546).
Die Beschränkung auf Konsumenten mit abgeleitetem Einkommen
vermag nicht einzuleuchten. Denn eine rationelle Erklärung des
Monopolprofits im sogenannten reinen Kapitalismus ist nicht mög-
lich. Es ist allgemein bekannt, daß die Quelle eines beträchtlichen
Teiles des Monopolprofits die Ausbeutung des selbständigen Mittel-
standes und besonders der Bauern ist. Die „Schere" zwischen den
Preisen für industrielle und denen für landwirtschaftliche Erzeug-
nisse ist im wesentlichen auf d ie Monopole zurückzuführen Vor allem
aber bildet die Ausbeutung der Kolonien durch die kapitalistischen
„Mutterländer" eine ganz ersprießliche Quelle des Monopol-
profits. Das Vorhandensein des Nicht-Äquivalenten-Austausches
zwic jen imperialistischen Großmächten und kolonialen Ländern
VIII
IX
ISl
{'.einigend bekannt, um mit Tatsachen belegt werden 7,11
Der Beziehung zwischen dem Finanzkapital und den kapita-
lislisdion Krisen ist in dem Buche Hilferdings ein besonderes
Kapitel gewidmet. Auch hier stößt der Leser auf theoretische Irr-
liimer, die in ariderem Zusammenhang behandelt werden sollen.
Ungeachtet dessen hat Hilferding auch die marxistische Krisen-
theorie um neue wesentliche Gesichtspunkte bereichert. So in der
Entwicklung des Zusammenhangs zwischen dem Gesetz des ten-
denziellen Falls der Profitrate und der Krise, in der Rolle des fixen
Kapitals, in der Behandlung der Kreditverhältnissc im Ablauf der
konjunkturellen Entwicklung und besonders in der Darstellung
der Börsenkrise und Geldkrise im Gefolge der industriellen Krise.
Schließlich nimmt Hilferding auch zu der Frage Stellung, die da-
mals die Volkswirtschaftler bewegte, inzwischen aber von der Ge-
schichte mit aller Eindeutigkeit beantwortet worden ist, der Frage
nämlich, ob die Kartelle die Krisen verhindern können. Dies wurde
zu Beginn unseres Jahrhunderts, besonders nach der sogenannten
milden Krise von 1907, allen Ernstes von bürgerlichen Ökonomen
und auch von gewissen „Sozialisten" behauptet. Damals erklärte
Hilferding auf Grund seiner Kenntnis der marxistischen Theorie
kurz und klar: „Ebensowenig wie die Kartelle das Entstehen von
Krisen verhindern können, können sie sich ihren Wirkungen ent-
ziehen" (S. 440/441). Diese klare marxistische Feststellung hat
Hilferding freilich zweieinhalb Jahrzehnte später nicht gehindert,
die Theorie des organisierten Kapitalismus zu erfinden.
Zu den besten Teilen des vorliegenden Buches gehört auch der
fünfte Abschnitt über die Wirtschaftspolitik des Finanzkapitals.
Hier erweist sich Rudolf Hilferding als echter marxistischer Theo-
retiker, dem es nicht allein darauf ankommt, wissenschaftliche Er-
kenntnisse zu erlangen, sondern der zugleich bemüht ist, diese
Erkenntnisse dem Klassenkampf des Proletariats dienstbar zu
machen. Es war daher gewiß kein Zufall, wenn der Vater des
Revisionismus, Eduard Bernstein, seine Kritik an dem Buche
Hilferdings gerade gegen diesen Teil richtete.
In der Untersuchung der Handelspolitik des Finanzkapitals weist
Hilferding nach, daß das Finanzkapital den Freihandel immer
mehr durch den Schutzzoll ersetzt und der Erziehungszoll sich in
den Kartellschutzzoll verwandelt. Bernstein, der sich in seiner
Kritik gegen den Begriff des Finanzkapitals überhaupt wandte,
schrieb damals: „Hilferdings Satz von einem generellen Interesse
des Finanzkapitals am Allerweltsschutzzoll ist nichts als Konstruk-
tion auf der Basis von Einzelerscheinungen, die durchaus unzu-
länglich sind, eine so verallgemeinerte Theorie zu tragen." Und
Bernstein verspottete Hilferding, weil dieser voraussagte, daß in-
folge der Entwicklung des Finanzkapitals auch in England, dem
klassischen Lande des Freihandels, „der Übergang zum Schutzzoll
notwendigerweise erfolgen" muß. Bernstein stellte damals eine
ganz aridere Prognose für England. Und wer behielt recht? Selbst-
verständlich der Marxist Hilferding. Schon unmittelbar nach dem
ersten Weltkriege, am 1. September 1919, wurden in England
Vorzugszölle für die britischen Kolonien eingeführt. Im Dezember
1920 wurde ein Farbstoffeinfuhrgesetz erlassen, durch das die
Einfuhr aller synthetischen Farbstoffe verboten wurde. Am 1. Ok-
tober 1921 trat ein Industrieschutzgesetz in Kraft, das für die Pro-
dukte der Schlüsselindustrien einen Einfuhrzoll von 33 % Prozent
festsetzte und die Einführung weiterer 33 Vn Prozent Zölle auf
Stoffhandschuhe, Haushaltungsglaswaren, Glas für Beleuchtungs-
zwecke und anderes ermöglichte. In der großen Krise von 1929 bis
1932 erlebte der Protektionismus in England einen neuen Auf-
schwung. Durch das Ottawa-Abkommen wurde ein System von
Präferenzzöllen aufgebaut, durch das sich England eine Vorzugs-
stellung auf den Märkten des British Empire sicherte. Der alte
Freihandel war auch in England dahin. Heute weiß jeder, der sich
in volkswirtschaftlichen Dingen auskennt, daß der moderne Kapi-
talismus die allgemeine Tendenz zum Hochschutzzoll erzeugt und
daß der Kampf um die Zölle beim Abschluß von Handels- und
Finanzabkommen zwischen kapitalistischen Staaten eine der
1 Eduard Bernstein, „Das Finanzkapital und die Handelspolitik"; „Sozia-
listische Monatshefte", 1911, II. Bd., S. 951/952.
X
XI
Ipi-riincmlstcn Fragen ist. Das trat besonders deutlich bei den
VcrhancLKuo gen über die 4,4-Milliarden-DoUar-Anleihe der USA
.111 England in Erscheinung, die Anfang Dezember 1946 ab-
geschlossen wurde. Nach diesem Abkommen soll England die
Vorzugszölle innerhalb seines Weltreiches einschränken und ohne
die Einwilligung der Vereinigten Staaten keine Erhöhung dieser
Vorzugszölle vornehmen. Alle diese Tatsachen zeigen anschau-
lich, wie sehr der Marxist Hilferding gegenüber dem Revisionisten
Bernstein recht behalten hat.
Eines der wesentlichsten Merkmale des neuen Kapitalismus ist
der Kapitalexport, der immer mehr an Stelle des einfachen Waren-
exports kennzeichnend wird. Hilferding behandelt diese neue Er-
scheinung in einem besonderen Kapitel, in dem er von der all-
gemeinen Bedeutung des Wirtschaftsgebiets für die kapitalistische
Entwicklung ausgeht. Er definiert den Kapitalexport als „Ausfuhr
von Wert, der bestimmt ist, im Ausland Mehrwert zu hecken",
wobei es wesentlich ist, „daß der Mehrwert zur Verfügung des
inländischen Kapitals bleibt" (S. 468). Diese Definition ist all-
gemein gültig. Auch die beiden grundlegenden Formen des Kapi-
talexports „als zinstragendes oder profittragendes Kapital" hat er
überzeugend entwickelt. Nachdem er die ökonomische Bedeutung
des Kapitalexports als Mittel zum Ausgleich der nationalen Profit-
raten dargestellt hat, kommt er zur Analyse der weltpolitischen
Folgen des Kapitalexports. Diese Analyse bildet ein treffendes
Beispiel dafür, wie es die marxistische ökonomische Theorie er-
möglicht, die kommende Entwicklung vorauszusagen. Hilferding
zeigt auf, wie die Diplomatie jetzt als wichtigste Funktion die Ver-
tretung des Finanzkapitals erhält. Die Geschichte der Diplomatie
des wilhelminischen Kaiserreichs bildet eine überzeugende Illustra-
tion dazu (Marokko-Konflikt, Bagdad-Bahn usw.). Mit Recht weist
Hilferding darauf hin, wie „das Finanzkapital zum Träger der
Idee der Stärkung der Staatsmacht mit allen Mitteln" (S. 497)
wird, wie durch die Entwicklung des Finanzkapitals die Interessen
der Staaten unmittelbar feindlich aufeinanderstoßen. Schließlich
kommt Hilferding auf Grund seiner marxistischen Analyse zu der
Schlußfolgerung: „Es ist eine Situation, die den Gegensatz
zwischen Deutschland und England mit ihren Trabanten außer-
ordentlich verschärfen muß, eine Situation, die zu einer gewalt-
samen Lösung hindrängt" (S. 498).
Der Marxist Rudolf Hilferding gelangte also im Jahre 1909
durch seine ökonomische Analyse des modernen Kapitalismus zu
der Feststellung, daß die Entwicklung zum imperialistischen
Kriege drängt und daß sich der deutsche und der englische Impe-
rialismus als Hauptgegner gegenüberstehen. Es ist nicht verwun-
derlich, daß diese Feststellung den Revisionisten Eduard Bernstein
auf den Plan rief, der sich ja — wie schon bei der Frage der Zoll-
politik gezeigt wurde — in der Rolle eines Apologeten des englischen
Imperialismus gefiel. Bernstein begann seine Kritik damit, daß er
die Bedeutung des Kapitalexports überhaupt leugnete. „. . . ohne
einigermaßen verläßliches Tatsachenmaterial ist jede verall-
gemeinernde wirtschaftspolitische Folgerung, die auf das Vor-
kommen solcher Exporte sich stützt, bloße Hypothese und nicht
mehr", schrieb Bernstein in den „Sozialistischen Monatsheften". 1
Wie sehr gerade in den Jahren, als Bernstein das schrieb, der
Kapitalexport des deutschen Imperialismus zunahm, zeigt die Tat-
sache, daß die deutschen Kapitalinvestierungen im Auslande von
12,5 Milliarden Franc im Jahre 1902 auf 44 Milliarden Franc im
Jahre 1914 stiegen. Bernstein hätte also mit Leichtigkeit „einiger-
maßen verläßliches Tatsachenmaterial" zusammentragen können;
die ökonomische Literatur jener Jahre wimmelt davon. Aber Bern-
stein wollte diese Tatsache einfach nicht anerkennen, weil ihm
die Feststellung der drohenden Kriegsgefahr durch den Marxisten
Hilferding nicht in den Kram paßte. An den Satz Jlilferdings, daß
der Gegensatz zwischen Deutschland und England zu einer gewalt-
samen Lösung dränge, knüpfte Bernstein entrüstete Protestrufe, wie
„das alles soll die Sozialdemokratie als Notwendigkeit begreifen",
„welche Zumutung!", um schließlich zu erklären: „Aber diese
Deduktionen stimmen nicht. Selbst wer die Niederlagen, die die
Schutzzöllnerei und der Hetzimperialismus in England in den
1 Ebenda, S. 953.
XII
XIII
letzten Jahren erfahren haben, als nicht entscheidend betrachtet,
kann sich der Erkenntnis nicht verschließen, daß sie uns gezeigt
haben, wie starke Kräfte sich selbst in der kapitalistischen Gegen-
wart gegen jene Tendenzen auflehnen. In keinem Land ist der
Widerstand gegen sie auf das Proletariat und etliche Ideologen
beschränkt. Überall nehmen große Teile der bürgerlichen Erwerbs -
weit an ihm teil, überall gewinnt die Vertragsidee im Streit mit
den überlieferten Kriegstendenzen an Boden." Das schrieb Eduard
Bernstein 1911 gegen den revolutionären Marxisten Rudolf Hilfer-
ding. Drei Jahre später erwies es sich, daß auch in dieser ent-
scheidenden Frage nicht der revisionistische Apologet des Imperia-
lismus Bernstein recht gehabt hat, sondern der Marxist Hilferding.
Die Kriegstendenzen hatten über die „Vertragsidee" gesiegt. Da-
mit war aber zugleich wieder einmal die Überlegenheit der marxi-
stischen Theorie einwandfrei bewiesen.
Noch klarer tritt diese Überlegenheit bei Hilferding zutage, wo
er die Wandlung im Klassenbewußtsein der Bourgeoisie zeigt, die
das Finanzkapital hervorruft. Als die Bourgeoisie noch im Kampfe
gegen den Feudalstaat stand, war der Liberalismus ihre ideo-
logische Fahne. „Der Liberalismus war wirklich destruktiv, be-
deutete in der Tat den ,Umsturz' der Staatsgewalt und die Lösung
der alten Bindungen", schreibt Hilferding (S. 500). Keinerlei Ein-
mischung des Staates in die Wirtschaft, das war die Grundforde-
rung im Kapitalismus der freien Konkurrenz, „laissez faire,
laissez passer!" war der Grundsatz der Freihandelsschule. Anders
in der Epoche des Finanzkapitals. Die imperialistische Bourgeoisie
brauchte den Staat als den gewaltigsten Hebel ihrer Entwicklung,
ihr handelte es sich darum, den Staat „umzuschaffen aus einem
Hindernis in ein Vehikel ihrer eigenen Entwicklung" (S. 501). Die
alten Freiheitsideale, die Ideologie des Liberalismus wurden über
Bord geworfen, denn „das Finanzkapital will nicht Freiheit, sondern
Herrschaft", konstatiert Hilferding (S. 502). Und mit Hilfe der
marxistischen Theorie sagt er aus dem Wesen des Finanzkapitals
jene Entwicklung voraus, die in Deutschland mit der Errichtung
1 Ebenda, S. 954/955.
XIV
der Hitlerdiktatur einen so furchtbaren Abschluß gefunden hat.
Es mutet uns heute geradezu unheimlich an, wenn wir die folgen-
den Sätze Hilferdings lesen, die er vor nahezu vierzig Jahren
niedergeschrieben hat: „Als Ideal erscheint es jetzt, der eigenen
Nation die Herrschaft über die Welt zu sichern, ein Streben, ebenso
unbegrenzt wie das Profitstreben des Kapitals, dem es entsprang.
Das Kapital wird zum Eroberer der Welt, und mit jedem neuen
Lande erobert es die neue Grenze, die es zu überschreiten gilt. Die-
ses Streben wird zur ökonomischen Notwendigkeit, da jedes Zu-
rückbleiben den Profit des Finanzkapitals senkt, seine Konkurrenz-
fähigkeit verringert und schließlich das kleinere Wirtschaftsgebiet
zum Tributpflichtigen des größeren machen kann. Ökonomisch be-
gründet, wird es ideologisch gerechtfertigt durch jene merkwürdige
Umbiegung des nationalen Gedankens, der nicht mehr das Recht
]cder Nation auf politische Selbstbestimmung und Unabhängig-
keit anerkennt und der nicht mehr Ausdruck ist des demokra-
t IS chen Glaubenssatzes von der Gleichheit alles dessen, was Men-
schenantlitz trägt, auf nationalem Maßstab. Vielmehr spiegelt sich
die ökonomische Bevorzugung des Monopols wider in der bevor-
zugten Stellung, die der eigenen Nation zukommen muß. Diese er-
scheint als auserwählt vor allen anderen. Da die Unterwerfung
fremder Nationen mit Gewalt, also auf sehr natürlichem Wege
vor sich geht, scheint die herrschende Nation diese Herrschaft ihren
besonderen natürlichen Eigenschaften zu verdanken, also ihren
Rasseneigenschaften. In der Rassenideologie ersteht so eine natur-
vvissenschaftlich verkleidete Begründung des Machtstrebens des
lunanzkapitals, das so die naturwissenschaftliche Bedingtheit und
Notwendigkeit seiner Handlungen nachweist. An Stelle des demo-
kratischen Gleichheitsideals ist ein oligarchisches Herrschaftsideal
getreten." (S. 504.) Was der marxistische Theoretiker hier vor
vier Jahrzehnten voraussagte und was in so grauenhafter Weise
eintrat - ist es nicht ein unumstößlicher Beweis für die Richtig-
keit der marxistischen Theorie, die das Mitte, zu solcher Voraus-
sage gibt? Und sollte uns da diese selbe Theorie nicht auch die
Mittel in die Hand geben, die Entwicklung bewußt in solche
XV
Ilih i zu |i nlirii. iln- ein neues Reifen solcher Früchte des Finanz-
Imi|mIi>I'> iiii Im- allemal ausschließen? In dem Werke Rudolf
I lillniliii/'ii linden wir viele wertvolle Hinweise für diese Aufgabe.
Sein Studium ist nicht nur unerläßlich, um den Klassencharakter
clcvi Faschismus zu verstehen; es lehrt uns zugleich, die wirklichen
Erreger der faschistischen Pest zu erkennen und zu bekämpfen.
Dies sind die kapitalistischen Monopole, die Kartelle, Trusts, Kon-
zerne, es sind die Brutstätten des Finanzkapitals, die Großbanken,
und es sind die persönlichen Träger der finanzkapitalistischen Ten-
denzen, die großen Finanzmagnaten, die in einem großen Teil
Deutschlands auch nach dem zweiten Weltkrieg noch nicht zur
Verantwortung gezogen worden sind. Wenn wir heute eine Lehre
aus dem Buche Hilferdings ziehen müssen, so ist es vor allem die,
daß die Macht der Monopole, die Macht des Finanzkapitals ge-
brochen werden muß, wenn sich der Kreislauf der Katastrophen
nicht ein drittes Mal wiederholen, wenn sich eine wahrhafte Demo-
kratie entwickeln soll.
Darüber hinaus gibt das Buch Hilf er dings der Arbeiterklasse eine
weitere wichtige Lehre, die heute von großer praktischer Bedeu-
tung ist: In dem Kapitel über den Kampf um den Arbeitsvertrag
behandelt Hilferding die Veränderungen, die durch die finanz-
kapitalistische Entwicklung in den Gewerkschaftskämpfen hervor-
gerufen werden. Besonders die Entstehung und Stärkung der Unter-
nehmerverbände macht die Einzelangriffe der Gewerkschaften
immer schwieriger. Die Kämpfe gewinnen an Bedeutung. „Die
Entwicklung der Unternehmer- und Arbeiterorganisation gibt
den Lohnkämpfen immer größere, allgemein soziale und politische
Bedeutung. Der Guerillakrieg der Gewerkschaften gegen den ein-
zelnen Unternehmer weicht den Massenkämpfen, die ganze In-
dustriesphären betreffen und, wenn sie die lebenswichtigsten Teile
der durch die Arbeitsteilung aufeinander angewiesenen Produktion
ergreifen, die gesamte gesellschaftliche Produktion mit Stillsetzung
bedrohen." (S. 548.) Die Richtigkeit dieser Feststellung Hilferdings
kann nach dem grandiosen Streik der nordamerikanischen Berg-
arbeiter Ende 1946 nicht mehr bestritten werden. Aber aus dieser
XVI
Wandlung der Gewerkschaftskämpfe ergeben sich für die Arbeiter-
klasse grundlegende Lehren.
Wenn die Arbeiterschaft im Imperialismus an Stelle der frühe-
ren Einzelunternehmer mächtigen Monopolorganisationen oder
Unternehmerverbänden gegenübersteht, so wird sie um so schwä-
cher sein, je mehr ihre Gewerkschaftsbewegung in verschiedene
Richtungen und zahllose Berufsverbände zersplittert ist. Die
Schaffung einer einheitlichen Gewerkschaftsbewegung und die
Umwandlung der Berufsverbände in Industriegewerkschaften sind
daher dringend geboten. Die Gewerkschaftseinheit ist das einzige
Mittel, das die Arbeiterklasse der konzentrierten Macht des Finanz-
kapitals entgegenzusetzen hat. Daher streben alle fortschrittlichen
Elemente in der internationalen Gewerkschaftsbewegung die Ge-
werkschaftseinheit auf der Grundlage von Industrieverbänden an,
während umgekehrt das Finanzkapital ein Interesse daran hat, die
Gewerkschaftseinheit zu verhindern oder rückgängig zu machen,
um so die Arbeiterklasse möglichst zu zersplittern. Anderseits
macht es die große Bedeutung, die heute gewerkschaftliche Kämpfe
für die gesamte gesellschaftliche Produktion haben, dringend er-
forderlich, daß die Arbeiter durch ihre Gewerkschaftsorganisatio-
nen und die Betriebsräte das volle Mitbestimmungsrecht in allen
Fragen der Produktion erlangen. Dies bedingt aber eine Ergänzung
der gewerkschaftlichen Forderungen. Die Gewerkschaften können
sich nun nicht mehr darauf beschränken, die unmittelbaren mate-
riellen und kulturellen Interessen ihrer Mitglieder wahrzunehmen,
sondern sie müssen die Einflußnahme der organisierten Arbeiter-
schaft auf die Produktion erstreben. Hilferdings Buch, das uns diese
Lehren gibt, ist somit auch heute noch für den praktischen wirt-
schaftlichen und politischen Kampf der Arbeiterklasse von aller-
größter Bedeutung.
Das Werk Hilferdings schließt mit einem Ausblick auf die Per-
spektiven der kapitalistischen Entwicklung. Das Finanzkapital, so
schlußfolgert Hilferding, vollendet die Diktatur der Kapital-
magnaten. Es macht diese Diktatur immer unvereinbarer mit den
Interessen der durch das Finanzkapital ausgebeuteten, aber auch
2 Hilferding, Das Finanzkapital
XVII
■/.um Kampfe aufgerufenen Volksmassen. „In dem gewaltigen Zu-
snmmenprall der feindlichen Interessen schlägt schließlich die Dik-
lalur der Kapitalmagnaten um in die Diktatur des Proletariats" —
mit diesen Worten schließt das Werk.
Zu dieser Schlußfolgerung gelangte im Jahre 1909 der Marxist
Rudolf Hilferding infolge seiner grundlegenden theoretischen
Analyse des modernen Kapitalismus. Auch in dieser Hinsicht hat
die Geschichte Hilferding, das heißt dem revolutionären Marxis-
mus, völlig recht gegeben. Denn der „gewaltige Zusammenprall
der feindlichen Interessen" führte 1914 zum ersten imperia-
listischen Weltkrieg. Und dieser Weltkrieg endete damit, daß auf
einem Sechstel der Erde, in Rußland, das durch die Marxsche Lehre
geschulte und von einer marxistischen Partei geführte Proletariat
seine revolutionäre Diktatur errichtete, Monopol- und Finanz-
kapital sowie den Großgrundbesitz mit Hilfe dieser Diktatur ver-
nichtete und den Aufbau einer neuen Gesellschaftsordnung, des
Sozialismus, in Angriff nahm. Damit hat ein neuer Abschnitt in
der Menschheitsgeschichte begonnen. Der siegreiche Aufbau des
Sozialismus in der Sowjetunion ist der welthistorische Beweis für
die Richtigkeit der marxistischen Lehren und damit auch eine Be-
stätigung für die Grundzüge der marxistischen Theorie Rudolf
Hilferdings.
Stellt somit das Werk Rudolf Hilferdings eine bedeutsame
Weiterentwicklung der ökonomischen Theorie des Marxismus dar,
so ist es doch nicht frei von theoretischen Fehlern, die es Hilferding
unmöglich machten, das ganze Wesen des imperialistischen Stadiums
des Kapitalismus zu verstehen. Hilferding hat nur Teilerscheinun-
gen des neuen Kapitalismus erklärt, ohne das Grundlegende und die
Gesamtheit des Imperialismus zu erfassen.
Der Ausgangspunkt der Irrtümer Hilferdings scheint mir in
einer falschen Grundkonzeption zu liegen, die ihrem Wesen nach
nicht materialistisch, sondern idealistisch ist. Marx steht in seiner
Analyse des Kapitalismus konsequent auf dem Boden des Mate-
rialismus. Für ihn bilden die Produktionsverhältnisse die Grund-
XVIII
läge auch für alle anderen wirtschaftlichen Beziehungen der
Menschen, wie zum Beispiel auch für die Tauschbeziehungen. „Eine
bestimmte Produktion bestimmt also bestimmte Konsumtion,
Distribution, Austausch, die bestimmten Verhältnisse dieser ver-
schiednen Momente zueinander" , schreibt Marx. 1 Für Hilferding
sind dagegen die Tauschbeziehungen, ist die Zirkulation das
Wesentliche. Das führt ihn schon in der Darstellung der Marx-
schen Werttheorie zu Ungenauigkeiten, die wir übrigens bei den
meisten marxistischen Ökonomen der Zeit vor dem ersten Weltkrieg
(Karl Kautsky, Rosa Luxemburg u. a.) finden und die auf Ricardo
zurückzuführen sind. David Ricardo hatte bekanntlich vor Marx die
Arbeitswerttheorie zur höchsten Entwicklung gebracht. Aber er
hat den Arbeitswert nur quantitativ, das heißt als Arbeitsmenge,
betrachtet, während Marx die Qualität, die Substanz des Wertes in
der abstrakt menschlichen Arbeit entdeckt hat, die eine gesellschaft-
liche Kategorie ist. Marx schreibt über die Werttheorie Ricardos:
„Was bei Ricardo der Fehler ist, liegt darin, daß er sich bloß mit
der Wertgröße beschäftigt, daher nur sein Augenmerk auf das
relative Quantum Arbeit richtet, das die verschiedenen Waren dar-
stellen, als Werte verkörpert in sich enthalten. Aber die in ihnen
enthaltene Arbeit muß als gesellschaftliche Arbeit dargestellt wer-
den, als entäußerte individuelle Arbeit. Im Preise ist diese Dar-
stellung ideell. Erst im Verkauf wird sie realisiert. Diese Verwand-
lung der in den Waren enthaltenen Arbeiten der Privatindividuen
in gleiche gesellschaftliche Arbeit, daher als in allen Gebrauchs-
werten darstellbare, mit allen austauschbare Arbeit, diese quali-
tative Seite der Sache, die in der Darstellung des Tauschwerts als
Geld enthalten ist, ist bei Ricardo nicht entwickelt. Diesen Um-
stand - die Notwendigkeit, die in ihnen enthaltene Arbeit als
gleiche gesellschaftliche Arbeit darzustellen, das heißt als Geld —
übersieht Ricardo." 2 Und an anderer Stelle: „Die Waren können
1 Karl Marx, „Zur Kritik der politischen Ökonomie", Dietz Verlag, Berlin
1951, S. 255.
2 Karl Marx, „Theorien über den Mehrwert", Bd. III, Verlag J. H. W.
Dietz, Stuttgart 1910, S. 154/155.
XIX
ff
alle aufgelöst werden in Arbeit als ihre Einheit. Was Ricardo nicht
uniersucht, ist die spezifische Form, worin Arbeit als Einheit von
Waren sich darstellt. Daher begreift er das Geld nicht." 1 Dem-
gegenüber hat Marx den qualitativen Charakter des Wertes ent-
deckt durch seine Analyse des Doppelcharakters der in den Waren
dargestellten Arbeit. Sie ist einerseits konkrete nützliche Arbeit
und bildet als solche den Gebrauchswert, anderseits abstrakte
menschliche Arbeit und bildet als solche den Wert. Die gesellschaft-
lich notwendige Arbeitszeit ist für Marx nur das Maß, um die
Größe (Quantität.) der Wertsubstanz (Qualität) zu messen. Dahin-
gegen faßt Ifilfcrding, soweit er im „Finanzkapital" auf die Wert-
theorie zu sprechen kommt, den Wert nur quantitativ. So schreibt
er in einer Fußnote, Seite 14: „Diese Dinge müssen in der waren-
produzierenden Gesellschaft miteinander überhaupt in ein Verhält-
nis treten und dies können sie als Ausdruck gesellschaftlich not-
wendiger Arbeitszeit." Das stimmt nicht, sondern sie beziehen sich
als Ausdruck abstrakter Arbeit aufeinander. Seite 1 8 wirft Hilfer-
ding Werlsubstanz und Wertgröße völlig durcheinander, indem er
schreibt: „Es ist die gemeinsame Aktion der Waren im Austausch,
was die private, individuelle und konkrete Arbeitszeit des einzelnen
in allgemeine, gesellschaftlich notwendige und abstrakte Arbeits-
zeit, die Wert bildet, verwandelt." Hier entdeckt Hilferding sogar
eine neue Kategorie, die abstrakte Arbeitszeit, die wir bei Marx
vergeblich suchen würden. Eine Seite weiter vermerkt Hilferding
in einer Fußnote: „Wert hat jede Ware als Verkörperung gesell-
schaftlich notwendiger Arbeitszeit" (S. 19), was zumindest ungenau
ist. Doch genug der Beispiele!
Nun ist die Werttheorie aber die unmittelbare Voraussetzung
der Marxschen Geldtheorie. Eine Ware (z. B. Gold) wird nur da-
durch zu Geld, daß alle Waren ihren Wert in dieser einen Ware
ausdrücken. Das ist nur möglich, weil sie als Ware selbst Wert
besitzt, das heißt vergegenständlichte abstrakte Arbeit enthält. Die.
erste Funktion des Geldes, aus der alle anderen Funktionen ent-
springen, ist daher seine Funktion als Maß der Werte. Bevor das
1 Ebenda, S. 164.
XX
Geld als Zirkulationsmittel auftreten kann, müssen die Waren, die
es zirkulieren soll, ihren Wert im Gelde gemessen haben. Innerhalb
der Zirkulation kann das Gold durch Münzen oder Papierscheine
ersetzt werden. Diese Scheine sind aber immer nur Vertretung von
wirklichem Gold, und ihr Wert ist stets gleich dem Wert der Gold-
menge, die sie in der Zirkulation vertreten. „Die wertlosen Marken
sind Wertzeichen, nur soweit sie das Gold innerhalb des Zirku-
lationsprozesses vertreten, und sie vertreten es nur, soweit es selbst
als Münze in den Zirkulationsprozeß eingehen würde, eine Quanti-
tät, bestimmt durch seinen eignen Wert, wenn die Tauschwerte
der Waren und die Geschwindigkeit ihrer Metamorphosen gegeben
sind." 1
An diesem Punkt setzt nun Hilferdings Revision der Marxschen
Geldtheorie an, die sich ebenso wie die falsche Geldtheorie Ricardos
aus seinem Irrtum in der Werttheorie ergibt. Für Hilferding ist
das Geld „zunächst Zirkulationsmittel. Erst dann, wenn es all-
gemeines Maß der Werte und allgemeines Äquivalent der Waren
geworden, wird es zum allgemeinen Zahlungsmittel" (S. 24, Fuß-
note). Das heißt die Dinge auf den Kopf stellen. Erst muß der Wert
einer Ware in einer anderen Ware (auch im Geld) ausgedrückt sein,
ehe die Zirkulation vonstatten gehen kann! Weiter nimmt dann
Hilferding eine reine Papierwährung mit staatlichem Zwangskurs
an. Bei einer solchen Währung wird nach seiner Meinung das
Papiergeld „ganz unabhängig vom Wert des Goldes und reflektiert
direkt den Wert der Waren" (S. 29). „Der wirkliche Wertmesser ist
nicht das Geld, sondern der ,Kurs' des Geldes wird bestimmt durch
das, was ich den gesellschaftlich notwendigen Zirkulationswert
nennen möchte . . ." (S. 41). Und an anderer Stelle sagt Hilfer-
ding: „Nur erscheint der Umweg überflüssig, den Marx einschlägt,
indem er zuerst den Wert der Münzmasse bestimmt und durch ihn
erst den des Papiergeldes. Der rein gesellschaftliche Charakter
dieser Bestimmung kommt viel deutlicher zum Ausdruck, wenn man
den Wert des Papiergeldes direkt vom gesellschaftlichen Zirku-
lationswert ableitet. Daß historisch die Papiergeldwährungen aus
1 Karl Marx, „Zur Kritik der politischen Ökonomie", S. 124.
XXI
Mctallwährungen entstanden, ist kein Grund, sie auch theoretisch
so zu betrachten. 1 Der Wert des Papiergeldes muß abgeleitet wer-
den können, ohne auf das Metallgeld zu rekurrieren." (S. 58, Fuß-
note.) Damit hat Hilferding die Wertbestimmung des Geldes völlig
von der Arbeitswerttheorie losgelöst, denn es gibt heute fast nur
noch Papierwährungen mit staatlichem Zwangskurs. An die Stelle
der exakten wissenschaftlichen Erklärung des Geldwertes aus der
gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit, erforderlich zur Erzeu-
gung der Geldware, setzt er einen mystischen „gesellschaftlich not-
wendigen Zirkulationswert", der ein Widerspruch in sich ist, da in
der Zirkulation keinerlei Werte entstehen. Damit wurde aber die
ganze Marxsche Arbeitswerttheorie über den Haufen geworfen.
Diese Tatsache wurde denn auch von Karl Kautsky festgenagelt,
der in seiner ersten Besprechung des „Finanzkapitals" die Hilfer-
dingsche Geldtheorie ablehnte, weil sie die Marxsche Werttheorie
aufhebt. Damals schrieb Karl Kautsky: „Das heißt offenbar nichts
anderes als : Der wirkliche Wertmesser der Ware ist nicht das Geld,
sondern der wirkliche Wertmesser des Geldes ist die Ware. Könnte
der Wert des Geldes auf diese Weise festgestellt werden durch den
.gesellschaftlich notwendigen Zirkulationswert', so bedeutete das
die Aufhebung des Wertgesetzes für die Geldware, so hieße es, daß
für diese der Wert nicht durch die zu ihrer eigenen Herstellung
gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit bestimmt wird. Die allge-
meine Gültigkeit des Wertgesetzes würde durchbrochen, und das
wäre in diesem Falle um so erstaunlicher, als das gerade durch die
Geldware geschähe, ,die Ware, deren Naturalform zugleich un-
mittelbar gesellschaftliche Verwirklichungsform der menschlichen
Arbeit in abstracto ist'." 2 Karl Kautsky glaubte jedoch damals, diese
Theorie Hilferdings auf die leichte Schulter nehmen zu können,
1 Diese Trennung der historischen von der theoretischen Entwicklung ist
typisch für den idealistischen Standpunkt Hilferdings. Dem Marxismus ist
die Scheidung der historischen von der logischen Kategorie fremd. Er sieht
in der Theorie den gedanklichen Reflex und die Verallgemeinerung der empi-
rischen, das heißt historischen Erfahrung. F. O.
8 Karl Kautsky, „Finanzkapital und Krisen"; „Die Neue Zeit", 29. Jahr-
gang (1910/11), I. Bd., S. 771/772.
XXII
weil Hilferding im „Finanzkapital" selbst erklärt, daß reine Papier-
währung auf die Dauer unmöglich ist. Deshalb tat Kautsky den
Fehler Hilferdings mit den Worten ab: „Das besagt doch mit an-
deren Worten nur, daß die Ersetzung der Geldware als Wertmesser
durch den gesellschaftlich notwendigen Zirkulationswert nichts ist
als eine akademische Schrulle. Auch als solche spielt sie aber im
weiteren Verlauf des Buches keine Rolle mehr. Man kann sie ruhig
ablehnen und doch alles anerkennen, was Hilferding im weiteren
Fortgang seiner Darstellung auf seine Untersuchung der verschie-
denen Funktionen des Geldes als Zirkulationsmittel, Wertmesser
und Zahlungsmittel aufbaut." 1 Hierin irrte allerdings Kautsky
selbst. Denn die „akademische Schrulle" Hilferdings spielt auch in
seinen weiteren Untersuchungen eine Rolle, so zum Beispiel bei der
Darstellung der Bankkrise. Hier knüpft Hilferding an die Ent-
stehung des Bargeldagios die Bemerkung, daß „der Eigenwert des
Geldes . . . verschwindet und der Kurs des Geldes bestimmt ist durch
den gesellschaftlich notwendigen Zirkulationswert" (S. 403). Indes
sollte Kautsky bald durch Hilferding selbst eines Besseren belehrt
werden. Am 1. März 1912 erschien in der „Neuen Zeit" ein Auf-
satz „Geld und Ware" von Rudolf Hilferding, in dem er seine
„akademische Schrulle" weiterentwickelte und den Wert des
Papiergeldes nicht nur bei gesperrter, sondern auch bei freier Gold-
währung durch den gesellschaftlich notwendigen Zirkulationswert
bestimmt wissen wollte. Er begründete dies damit, daß die Zentral-
notenbanken ein Monopol verwirklichen, wodurch das Wertgesetz
aufgehoben werde. Hilferding schrieb: „Daß die unmittelbare Gel-
tung des Wertgesetzes für das Gold als Geld aufgehoben ist und
dieses nur mittelbar — durch die Vermittlung des gesellschaft-
lichen Zirkulationswertes — den Kurs (wie wir hier zum Unterschied
von Wert oder Preis lieber sagen) des Geldes bestimmt, hat im
Grunde genommen, so frappierend die Erscheinung auch auf den
ersten Blick sein mag, nichts Wunderbares. Das Wertgesetz hat zu
seiner Durchsetzung völlige wirtschaftliche Freiheit nötig. Diese ist
durch die Wirksamkeit der Zentralnotenbanken für das Verhältnis
1 Ebenda, S. 772.
XXIII
von Geld zur Ware modifiziert. Die spezifische Natur des Geldes
macht es schwer, ein erläuterndes Beispiel zu geben; doch denke
man an folgendes: In einem völlig abgeschlossenen, sich selbst ge-
nügenden Wirtschaftsgebiet würde die Staatsmacht ein Petroleum-
liandclsmonopol einführen. Sie würde ständig einen Vorrat von
sage 100 Millionen Litern halten. Sie würde das Petroleum zum
Preise von 30 Mark für 100 Liter an jedermann verkaufen, zum
Preise von 29 'sMnrk alles ihr angebotene Petroleum stets kaufen.
Die Folge wäre natürlich ein stetiger Petroleumpreis von 30 Mark.
Dieser Preis würde entscheiden, welche Fundstellen noch aus-
gebeutet werden könnten, welche Fundstellen Rente und in welcher
Höhe sie diese abwerfen würden. Bei vermehrtem Petroleumbedarf
wird die Nachfrage aus dem Vorrat befriedigt, auf dessen stets aus-
reichende Größe die ,Petroleumbankpolitik' bedacht ist. Läßt die
Nachfrage nach oder ist die Produktion besonders reichlich, so ver-
mehrt sich der Vorrat weiter, was als besonders günstiger Umstand
von den Bankleitern betrachtet würde. Ganz analog sind die Vor-
gänge beim Golde, nur daß hier das gleichbleibende Austausch-
verhältnis mit zwingender Sicherheit nur theoretisch nachgewiesen
werden kann." Nun sah auch Karl Kautsky ein, daß er die Be-
deutung der Fehler Hilferdings unterschätzt hatte. Bereits am
1 5. Märzbegann er mit der Veröffentlichung eines längeren Artikels
gegen Hilferding, in dem er die „akademische Schrulle" gründlich
zerpflückte. Gleich im ersten Teil schrieb Karl Kautsky: „Hilfer-
dings jüngster Artikel zeigt mir, daß die Auffassungen, aus denen
er seine Theorie der Papierwährung entwickelt, doch größere Be-
deutung gewinnen können. Er macht sie hier zur Grundlage von
Darlegungen, die für die Beantwortung der ■wichtigsten Frage der
Ökonomie unserer Zeit, der Frage der Teuerung, von entscheidender
Bedeutung werden können, die aber auch darüber hinaus unsere
Werttheorie in unseren Wurzeln angreifen — wenn sie richtig
sind." Dann weist Kautsky in grundlegenden Ausführungen nach,
1 Rudolf Hilferding, „Geld und Ware" ; „Die Neue Zeit", 30. Jahrgang
(1911/12), I. Bd., S. 776/777.
2 Karl Kautsky, „Gold, Papier und Ware"; ebenda, S. 838.
XXIV
■■^^^■M
daß Hilferding die Messung des Warenwertes durch das Gold still-
schweigend voraussetzt, daß er Wert und Preis verwechselt und
sich dabei in dauernde Widersprüche verwickelt. Kautsky schreibt:
„...das Geld muß nach der Hilferdingschen Formel zuerst als
Wertmesser und dann noch als Zirkulationsmittel fungiert haben,
ehe sein Wert festgestellt wird, der es zum Wertmesser und Zirku-
lationsmittel macht. — Zuerst setzt der Verkäufer den Preis seiner
Ware fest. Dann wird sie gegen diese bestimmte Geldmenge ver-
kauft, und nun erst stellt sich als das Resultat dieser Operationen
heraus, was das einzelne Geldstück wert ist! Der Wert des Geldes,
der feststehen muß, ehe die Warenzirkulation, der Austausch von
Ware und Geld, beginnen kann, wird zum Besultat des Austausches
gemacht!" 1 Kautsky geht ferner darauf ein, daß Hilferding seine
Geldtheorie auf die vor etwa vierzig Jahren akuten Währungs-
probleme in Holland, Österreich und Indien stützt, die er mit seinem
„gesellschaftlich notwendigen Zirkulationswert" zulösen versuchte.
Kautsky nennt daher die Hilferdingsche Theorie „eine echt öster-
reichische Theorie". Er erklärt die Währungserscheinungen in den
genannten Ländern, denen Hilferding viel Raum widmet, daraus,
daß sich diese Länder damals gerade in der Übergangszeit von der
Silberwährung zur Goldwährung befanden. Abschließend kommt
Kautsky am Ende seines ersten Aufsatzes zu dem harten Urteil:
„. . . der gesellschaftlich notwendige Zirkulationswert ist, bei Lichte
betrachtet, nichts als eine gesellschaftlich schädliche beständige
Zirkulationsstörung"".
Im zweiten Teil seines Aufsatzes setzt sich Kautsky mit Hilfer-
dings Fortführung seiner falschen Theorie auseinander. Er weist
nach, daß gerade Hilferdings Beispiel von einem Petroleum-
monopol seine Theorie widerlegt. Denn ein solches Monopol, bei
dem der Staat alles Petroleum aufkaufen müsse, ohne daß der Kon-
sum wächst, würde unweigerlich zum Staatsbankrott führen. Zu-
sammenfassend weist Kautsky nochmals auf den Grundfehler der
Theorie vom Zirkulationswert hin: „Sie sieht gänzlich ab von der
1 Ebenda, S. 843.
2 Ebenda, S. 847.
XXV
Tatsache, daß die Waren mit Preisen versehen sind, daß sie also
ihren Wert an dem des Goldes gemessen haben, ehe sie in die Zirku-
lation eintraten. Damit das Gold diese Funktion des Wertmessers
vollziehe, braucht es bloß vorgestellt zu sein, es muß aber bereits
einen bestimmten Wert haben." 1 Und schließlich kommt Kautsky
zu folgender allgemeiner Schlußfolgerung über die falsche Geld-
theorie Hilferdings: „Die tatsächlichen Erfahrungen ebensowenig
wie theoretische Erwägungen bieten uns irgendeinen plausiblen
Grund, die Hilf erdingsche Theorie der Bestimmung des Geldwertes
durch den gesellschaftlichen Zirkulationsprozeß anzunehmen und
zu meinen, das Gesetz der Bestimmung des Wertes durch die gesell-
schaftlich notwendige Arbeit sei durch das Aufkommen der Banken
aufgehoben gerade für die ,Ware, deren Naturalform zugleich un-
mittelbar gesellschaftliche Verwirklichungsform der menschlichen
Arbeit in abstracto ist' (,Kapital', I, S. 124 [Neuausgabe: Karl
Marx, „Das Kapital", Bd. I, Dietz Verlag, Berlin 1953, S. 148. Die
Red.^). Im Gegenteil, in der Tatsache, daß selbst ein so scharf-
sinniger Denker und gründlicher Kenner unserer Produktionsweise
wie Hilf erding scheitert, sobald er von dieser Theorie des Wertes
abweicht, sehe ich einen neuerlichen Beweis ihrer Richtigkeit — für
das Gold ebenso wie für jede andere Ware."
Ich habe so ausführlich die Fehler der Geldtheorie Hilferdings
behandelt, weil sie der grundlegendste theoretische Mangel dieses
Buches sind und weil es für den Leser wohl auf diesem Gebiete am
schwierigsten ist, sich zurechtzufinden. Die falsche Geldtheorie ist
aber nicht das einzige theoretische Gebrechen, das aus der fehler-
haften Grundauffassung Hilferdings, dem Zirkulationsstandpunkt,
entspringt. Das Hauptthema des Hilferdingschen Buches ist das
Finanzkapital. Infolge der nicht genügenden Berücksichtigung der
innerhalb der Produktion vor sich gegangenen Entwicklungs-
prozesse vermag Hilferding keine allgemein gültige Definition
des Finanzkapitals zu geben. Hilferding leitet die Entstehung des
Finanzkapitals im wesentlichen aus Prozessen ab, die innerhalb der
1 Ebenda, S. 892.
! Ebenda, S. 893.
XXVI
Zirkulationssphäre vor sich gehen. Und er definiert das Finanz-
kapital als „Bankkapital, also Kapital in Geldform, das . . .in Wirk-
lichkeit in industrielles Kapital verwandelt ist" (335). Finanz-
kapital ist ihm „Kapital in der Verfügung der Banken und in der
Verwendung der Industriellen" (S. 336). Über diese Begriffsbestim-
mung des Finanzkapitals schreibt Lenin: „Diese Definition ist in-
sofern unvollständig, als ihr der Hinweis auf eines der wichtigsten
Momente fehlt, nämlich auf die Zunahme der Konzentration der
Produktion und des Kapitals in einem so hohen Grade, daß die Kon-
zentration zum Monopol führt und geführt hat." Und Lenin selbst
schreibt ebenda: „Konzentration der Produktion, daraus er-
wachsende Monopole, Verschmelzung oder Verwachsen der Banken
mit der Industrie — das ist die Entstehungsgeschichte des
Finanzkapitals und der Inhalt dieses Begriffes." Allerdings weist
Lenin auch darauf hin, daß Hilferding die Rolle der kapita-
listischen Monopole hervorgehoben hat. Jedoch finden wir, wie ich
bereits erwähnte, bei Hilferding keine organische Entwicklung der
Monopole aus der Konzentration der Produktion. Und dasselbe gilt
für die Entwicklung des Finanzkapitals. Hilferding widmet seine
Aufmerksamkeit vornehmlich den Vorgängen in der Zirkulations-
sphäre. Wir finden daher bei ihm keinen Zusammenhang zwischen
der Entwicklung der Großbetriebe, der Entstehung der Monopole
und des Finanzkapitals. Ja, so eigenartig es anmutet, nicht einmal
der Konzentrationsprozeß im Bankwesen, das Anwachsen der Fili-
alen, Depositenkassen und Wechselstuben der Großbanken und das
daraus entspringende Bankmonopol ist bei Hilferding systematisch
dargestellt. Hierin sehe ich auch die Ursache dafür, daß Hilferding
die Entwicklung des „Wucherkapitals von gigantischem Ausmaße"
und die Entstehung parasitärer Züge im modernen Kapitalismus
übersieht, wovon noch gesprochen werden soll.
Noch nachteiliger tritt der fehlerhafte Zirkulationsstandpunkt
Hilferdings in seiner Darstellung der Marxschen Krisentheorie in
Erscheinung. Das Wesen dieser Theorie besteht bekanntlich darin,
1 W. I. Lenin, „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalis-
mus"; Ausgewählte Werte, Bd. I, Dietz Verlag, Berlin 1954, S. 803.
XXVII
daß sie die Krisen nicht aus Vorgängen an der Oberfläche des kapi-
talistischen Zirkulationsprozesses ableitet, sondern aus den Wider-
sprüchen der kapitalistischen Produktionsweise. Der grundlegende
Widerspruch ist aber der Widerspruch zwischen dem gesellschaft-
lichen Charakter der Produktion und dem kapitalistischen Charak-
ter der Aneignung. 1 Die Entfaltung dieses Widerspruches in den
Widersprüchen zwischen Produktion und Markt, zwischen den ein-
zelnen Produktionssphären, in den Widersprüchen des tendenziellen
Falles der Profitrate usw. nachzuweisen, wäre die Aufgabe einer
Darstellung der Marxschen Krisentheorie. Gewiß spielen gerade
im Ablauf der konjunkturellen Zyklen, im Ausbruch und Ablauf
der kapitalistischen Krisen die Zirkulationsvorgänge eine ganz her-
vorragende Rolle. Aber alle diese Vorgänge haben ihren letzten
Grund in den Widersprüchen der kapitalistischen Produktion.
Hilferding führt in seiner Darstellung der Marxschen Krisen-
theorie viele Stellen aus dem „Kapital" und auch aus den „Theorien
über den Mehrwert" an. Aber den entscheidenden Hinweis Marx'
über die Ursache der Krisen sucht man im „Finanzkapital" ver-
geblich. Marx sagt im dritten Bande des „Kapitals": „Der letzte
Grund aller wirklichen Krisen bleibt immer die Armut und Kon-
sumtionsbeschränkung der Massen gegenüber dem Trieb der kapi-
talistischen Produktion, die Produktivkräfte so zu entwickeln, als
ob nur die absolute Konsumtionsfähigkeit der Gesellschaft ihre
Grenze bilde." 2 Ich glaube, es ist kein Zufall, daß Hilferding diesen
Satz Marx' im „Finanzkapital" nicht anführt. Denn aus diesem
Satze geht hervor, daß Marx die Krisen auf den grundlegenden
Widerspruch der kapitalistischen Produktionsweise zurückführt und
daß die Unterkonsumtion der Massen dabei eine wesentliche Rolle
spielt. Hilferding aber leugnet die Bedeutung der Unterkonsumtion
für die Krise und betrachtet letztere lediglich als Gleichgewichts-
störung, als Disproportionalität, die noch dazu auf Vorgänge in der
1 Siehe Friedrich Engels, „Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie
zur Wissenschaft"; Karl Marx/Friedrich Engels, Ausgewählte Schriften in
zwei Bänden, Dietz Verlag, Berlin 1953, Bd. II, S. 129-143.
2 Karl Marx, „Das Kapital", Bd. III, Dietz Verlag, Berlin 1953, S. 528.
XXVIII
Zirkulation, nämlich auf Preisgestaltungen zurückzuführen sei.
Gleich am Anfang seiner Betrachtung über die Krise erklärt Hilfer-
ding : „Der Ausdruck ,Überproduktion von Waren' ist überhaupt an
sich so nichtssagend wie der Ausdruck ,Unterkonsumlion'. Man
kann von einer Unterkonsumtion strenggenommen nur in physio-
logischem Sinne sprechen; der Ausdruck hat dagegen keinen Sinn
in der Ökonomie, wo er nur besagen könnte, daß die Gesellschaft
weniger konsumiert, als sie produziert hat. Es ist aber nicht ein-
zusehen, wieso das möglich, wenn nur in der richtigen Proportion
produziert worden." (S. 358.) Und an anderer Stelle wiederholt er:
„Es folgt also durchaus nicht, daß die Krise in der der kapitalisti-
schen Produktion immanenten Unterkonsumtion der Massen ihre
Ursache haben muß" (S. 378). Damit eliminiert Hilferding eines
der wesentlichsten Momente der Marxschen Krisentheorie. Für
Hilferding ist die Krise ganz allgemein eine „Zirkulationsstörung".
„Sie kann daher nur erklärt werden aus den spezifisch kapita-
listischen Bedingungen der Warenzirkulation" (S. 362) — nicht also
der kapitalistischen Warenproduktion! Von diesem Standpunkt aus
geht Hilferding an das Krisenproblem heran und widmet seine
ganze Aufmerksamkeit „den Gleichgewichtsbedingungen des gesell-
schaftlichen Reproduktionsprozesses", wie sie von Marx im zweiten
Bande des „Kapitals" behandelt werden, der bekanntlich den Zirku-
lationsprozeß des Kapitals zum Gegenstande hat. Daraus ergibt sich
mit innerer Konsequenz, daß die Krise bei Hilferding nur als
Gleichgewichtsstörung, das heißt als Verletzung der Proportion
zwischen den einzelnen Produktionssphären, erklärt wird, wobei
diese Verletzung durch „eine Störung in den Preisgestaltungen"
hervorgerufen wird. „So entstehen im Ablauf der Konjunktur-
periode Disproportionalitätsverhältnisse durch Störungen der Preis-
gestaltung", schreibt Hilferding. „Denn all die erwähnten Mo-
mente bedeuten Abweichungen der Marktpreise von den Produk-
tionspreisen und dadurch Störungen in der Regulierung der von der
Preisgestaltung in ihrem Ausmaß und ihrer Richtung abhängigen
Produktion. Daß diese Störungen schließlich zur Absatzstockung
führen müssen, ist klar." (S. 393.)
XXIX
Mil. dieser Darlegung hat llilferding den Boden der Marxschen
Krisen! lioorie verlassen. Denn wenn der Marxismus auch die Dis-
proportionalität als Moment der Krise anerkennt, so leitet er doch
keineswegs die Krisen aus bloßen Gleichgewichtsstörungen her.
Der Marxismus erklärt, warum die Widersprüche der kapitalistischen
Produktion ständig Gleichgewichtsstörungen hervorrufen müssen.
Seine Abweichung von der Marxschen Krisentheorie verleitet
llilferding indes, gerade in der neueren Entwicklung Momente zu
sehen, die angeblich zu einer Milderung der Krisen führen. Ich
habe oben gezeigt, wie Hilferding das bürgerliche Märchen ab-
lehnt, die Kartelle könnten Krisen verhindern. Leider war er in
anderen Fragen nicht so konsequent. So vertritt er die Anschauung,
daß der moderne Großbetrieb krisenfester sei als der Kleinbetrieb
(S. 427/428), daß, soweit Bankkrisen aus der Festlegung der Bank-
mittel und Verlusten aus Kreditgewährungen entstehen, „die kapi-
talistische Entwicklung Tendenzen hat, die eine Milderung der
Krise für das Kapital erzeugen" (S. 432), daß „mit der Bedeutung
der Börse im allgemeinen noch rascher ihre Rolle als krisenver-
schärfende Ursache zurückgeht" (S. 436). All diese Behauptungen
deuten auf die von Lenin konstatierte Neigung Hilferdings hin, den
Marxismus mit dem Opportunismus zu versöhnen. Es ist hier nicht
der Ort, eine theoretische Darstellung der Einwirkung des Imperia-
lismus auf den Krisencharakter zu geben. Doch liegen heute ge-
nügend empirische Tatsachen vor, um die Unrichtigkeit der An-
schauungen Hilferdings in dieser Frage zu erkennen. Denn auf die
sogenannte milde Krise von 1907 folgte die Krise von 1913, die
unmittelbar inden ersten imperialistischen Weltkriegmündete; und
nach diesem Kriege brachte der imperialistische Kapitalismus die
große Krise von 1929/1932 hervor, die allen Behauptungen von
einer Milderung des Krisencharakters durch das Finanzkapital
Hohn sprach.
Die erwähnte Neigung Hilferdings, den Marxismus mit dem
Opportunismus zu versöhnen, kommt auch darin zum Ausdruck,
daß in seinem umfangreichen Werke eine der wesentlichen Eigen-
schaften des modernen Kapitalismus keine Beachtung findet, näm-
XXX
lieh sein parasitärer Charakter. In dieser Beziehung hat Hilferding,
wie Lenin bemerkte, gegenüber dem Pazifisten und Reformisten,
dem Engländer Hobson, einen Schritt zurück getan. Das ist um so
erstaunlicher, als Hilferding die ökonomischen Erscheinungen be-
handelt, aus denen der Parasitismus des Finanzkapitals unmittel-
bar entspringt. In seiner Analyse des Aktienwesens behandelt
llilferding ausführlich die Trennung des Kapitaleigentums von
seiner Funktion. Gerade dadurch aber entsteht die rein parasitäre
Gesellschaftsschicht der Rentner, Aktionäre, Kuponabschneider, die
keinerlei Verbindung mehr mit der Produktion hat, als daß sie
von deren Früchten lebt. Es ist eine Schicht bloßer Schmarotzer.
Hilferding hat für diese Gesellschaftsschicht kein Interesse, sie
bleibt außerhalb seiner Untersuchung. Das gleiche sehen wir bei
der Behandlung des Kapitalexports. Es ist gerade das Verdienst
Hobsons, nachgewiesen zu haben, wie durch das Kolonialmonopol
riesige Profite in die kapitalistischen „Mutterländer" strömen und
diese Länder immer mehr den Charakter parasitärer Rentner-
staaten annehmen. Hilferding erwähnt nur en passant, daß vor dem
ersten Weltkrieg die Summe der Pensionen allein, die England aus
Indien bezog, auf jährlich 320 Millionen Mark berechnet wurde
(S. 448, Fußnote). Aber er unterläßt es, Schlüsse über den parasi-
tären Charakter des Finanzkapitals zu ziehen.
Noch drastischer tritt die Vernachlässigung des Parasitismus zu-
tage, wo Hilferding die kapitalistischen Monopole behandelt. Er
konstruiert für die Kartelle geradezu einen Zwang zum technischen
Fortschritt. „Die freie Konkurrenz erzwingt die ständige Erweite-
rung der Produktion infolge Einführung verbesserter Technik. Für
die Kartelle bedeutet die Einführung besserer Technik gleichfalls
Erhöhung des Profits. Sie müssen sie zudem einführen, weil sonst die
Gefahr besteht, daß der neuen Technik sich ein Outsiderbemächtigte
und sie im neu entstehenden Konkurrenzkampf gegen das Kartell
anwenden würde. Ob dies möglich, hängt von dem Charakter des
Monopols ab, das das Kartell sich geschaffen hat." (S. 346/347.)
Nun erzeugt aber gerade das Monopol unvermeidlich die Tendenz
zur Stagnation und Fäulnis. Lenin schreibt darüber: „In demselben
XXXI
M.illi' wie, sei es auch nur vorübergehend, Monopolpreise einge-
iilirl werden, verschwindet bis zu einem gewissen Gradeder Antrieb
'/.um Lechnischen und folglich auch zu jedem anderen Fortschritt,
zur Vorwärtsbewegung; in demselben Maße entsteht ferner die
ökonomische Möglichkei t, den technischen Fortschritt künstlich auf-
zuhalten." 1 Diese Tendenz wird besonders durch die Zunahme des
fixen Kapitals gefördert, dem Hilferding in seinem Buche breiten
Raum widmet. Denn je mehr Kapital ein Großbetrieb in Maschinen
und Apparaten angelegt hat, desto eifriger wird er bestrebt sein, die
Ausnutzung technischer Erfindungen zu hintertreiben, die geeignet
sind, den „moralischen Verschleiß" seiner Produktionsmittel zu be-
schleunigen. Objektiv ist hier also gerade die entgegengesetzte
Tendenz wirksam, als Hilferding meint. Bei der Behandlung der
Kartellpreise hätte es nahegelegen, die systematischen Stillegungen
und Produktionseinschränkungen zu behandeln, die von den Mono-
polen vorgenommen werden, sowie eine Darstellung der Kartell-
rente zu geben, die eine Erscheinungsform des Parasitismus par
excellence ist. All das läßt Hilferding vermissen.
Zum Schluß muß noch erwähnt werden, daß Hilferding im
Finanzkapital — eben weil er von seinem Zirkulationsstandpunkt
ausgeht — Tendenzen zu finden glaubt, die eine allmähliche Über-
windung der Anarchie in der kapitalistischen Produktionsweise an-
streben. So wenn er behauptet: „Für das Minimum der Zirkulation
ist diese Anarchie gleichsam ausgeschaltet" (S. 28). Oder wenn er
eine Tendenz feststellt, die dazu führen würde, „daß eine Bank oder
eine Bankengruppe die Verfügung über das gesamte Geldkapital er-
hielte. Eine solche Zentralbank' würde damit die Kontrolle über
die ganze gesellschaftliche Produktion ausüben." (S. 258.) Auf das-
selbe läuft die Hypothese von der Bildung eines Generalkartells
hinaus : „Die ganze kapitalistische Produktion wird bewußt geregelt
von einer Instanz, die das Ausmaß der Produktion in allen ihren
Sphären bestimmt. Dann wird die Preisfestsetzung rein nominell
und bedeutet nur mehr die Verteilung des Gesamtprodukts auf die
1 W. I. Lenin, „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalis-
mus"; Ausgewählte Werke, Bd. I, S. 849.
Kartellmagnaten einerseits, auf die Masse aller anderen Gesell-
schaftsnütglieder anderseits." (S. 549.) Und weiter: „Die Tendenz
zur Herstellung eines Generalkartells und die Tendenz zur Bildung
einer Zentralbank treffen zusammen, und aus ihrer Vereinigung
erwächst die gewaltige Konzentrationsmacht des Finanzkapitals"
(S. 350). All diese Phantastereien haben mit Marxismus schon
nichts mehr zu tun. Was theoretisch dazu gesagt werden muß, hat
Karl Kautsky bereits 1912 gesagt, als er Hilferding erwiderte:
„Aber der Zirkulationsprozeß der Waren ist nur ein Teil des ge-
samten Produktionsprozesses, wird durch dessen Bedürfnisse und
Resultate bestimmt, und solange für den Gesamtprozeß das Privat-
eigentum an den Produktionsmitteln noch gilt, kann auch für einen
Teil desselben von einer gesellschaftlichen Regelung nicht die Rede
sein, selbst nicht in irgendeinem übertragenen Sinne." Aber all
das waren nicht etwa „akademische Schrullen", sondern gefährliche
Keime einer falschen Theorie, die zwanzig Jahre später in der
Theorie des „organisierten Kapitalismus" ihre Früchte getragen
haben. Diese Theorie wurde von Rudolf Hilferding im Jahre 1927
auf dem Kieler Parteitag der deutschen Sozialdemokratie entwik-
kelt. Sie gipfelte in der Feststellung, daß wir „zu einer kapita-
listischen Organisation der Wirtschaft kommen, also von der Wirt-
schaft des freien Spiels der Kräfte zur organisierten Wirtschaft" .
Und weiter führte Hilferding aus: „Organisierter Kapitalismus
bedeutet also in Wirklichkeit den prinzipiellen Ersatz des kapita-
listischen Prinzips der freien Konkurrenz durch das sozialistische
Prinzip planmäßiger Produktion." 2 Es hat keinen Sinn, sich heute
noch theoretisch mit dieser Auffassung auseinanderzusetzen, nach-
dem sie zwei Jahre nach ihrer Erschaffung durch den Eintritt der
Weltwirtschaftskrise so gründlich zertrümmert wurde. Aber die
Aufspürung ihrer ideologischen Wurzeln zeigt uns, wohin „akade-
mische Schrullen" und „theoretische Spielereien" führen können,
wenn sie zu einem System theoretischer Fehler ausgebaut werden.
1 Karl Kautsky, „Gold, Papier und Ware"; a. a. O., S. 890.
2 Sozialdemokratischer Parteitag 1927 in Kiel, Protokoll,
J. H. W. Dietz Nachfolger, Berlin 1927, S. 166 u. 168.
Verlag
3 Hilferding, Das Finanzkapital
XXXIII
Die Lheoretischen Irrtümer im „Finanzkapital" haben Hilferding
daran gehindert, die neue Epoche des Kapitalismus ganz zu erfassen.
Er sah nur einzelne, allerdings wesentliche Züge und hat in ihrer
Ergründung und Darstellung Großes geleistet. Auch der Versuch
Rosa Luxemburgs, in ihrem Werk über „Die Akkumulation des
Kapitals" den Imperialismus zu erklären, schlug fehl; übrigens aus
demselben Grunde wie bei Hilferding, weil auch sie den Zirku-
lationsprozeß zum Ausgangspunkt ihrer Analyse machte. So blieb
es den russischen Marxisten vorbehalten, das neue Stadium des
Kapitalismus zu erklären. W. I. Lenin war es, der in gedrängtester
Form eine erschöpfende Darstellung des Imperialismus gab und
damit die Marxsche ökonomische Lehre für unsere Epoche weiter-
entwickelte. Was den marxistisch geschulten Leser an dem Buche
Lenins fesselt, ist der Umstand, daß Lenin unmittelbar an die
Marxsche Konzentrationstheorie anknüpft und aus ihr die Monopole
als das wesentlichste Merkmal des Imperialismus ableitet. Lenin
hat den Faden der Entwicklung genau dort aufgegriffen, wo Marx
und Engels ihn fallenlassen mußten. Er hat damit an Hand der
neuesten Erscheinungen des Kapitalismus zu Anfang des 20. Jahr-
hunderts die Richtigkeit und Fruchtbarkeit der Marxschen Theorie
bewiesen. Dabei war ihm das Buch Hilferdings ein wichtiges Hilfs-
mittel, denn es stellt trotz seiner Schwächen einen bedeutenden
Baustein im wissenschaftlichen Gebäude des Marxismus dar.
Seit dem Erscheinen des Hilferdingschen Buches sind fast vier
Jahrzehnte verstrichen. Die Welt hat in dieser Zeit ihr Gesicht
gründlich verändert. Besonders in der Weltwirtschaft sind Ver-
änderungen vor sich gegangen, die manches, was Hilferding im
„Finanzkapital" schildert, überholt haben. 1 Zwei Weltkriege haben
tiefe Furchen in das wirtschaftliche Gesicht der Erde gezogen.
Infolge des ersten Weltkriegs verschwanden zwei imperialistische
1 So sagt Hilferding beispielsweise: „Amerika ist ein Land mit über-
wiegendem Rohstoffexport" (S. 413). Diese Zeiten sind längst vorüber. Be-
reits 1930 betrug der Export der USA an Fertigwaren 50,2 Prozent, an Roh-
stoffen nur noch 21,9 Prozent.
XXXIV
Länder von der Erde: Rußland und Österreich-Ungarn. Aus dem
feudalistisch-imperialistischen Zarenreich wurde ein Staat der Ar-
beiter und Bauern. Der deutsche Imperialismus wurde zweimal
geschlagen. Im Gefolge des zweiten Weltkriegs verkehrte sich das
Verhältnis zwischen dem englischen und dem amerikanischen Im-
perialismus. Chinas und Indiens Kampf um ihre Unabhängigkeit
nimmt immer akutere Formen am In Ost- und Südosteuropa sind
aus der Widerstandsbewegung gegen den Faschismus Staaten von
neuem Typus entstanden, die eine neue Form der Demokratie ent-
wickeln. Haben schon alle diese rein politischen Veränderungen
eminente Bedeutung für die ökonomische Theorie, so sind auch in
der Weltwirtschaft selbst grundlegende Wandlungen eingetreten.
In der Sowjetunion hat die sozialistische Produktionsweise den end-
gültigen Sieg errungen. In den neuen europäischen Demokratien
entwickeln sich neue Wirtschaftsformen. Und in den großen kapita-
listischen Ländern nimmt die staatsmonopolistische Entwicklung
immer größeren Umfang an.
Alle diese Veränderungen müssen berücksichtigt werden, wenn
man heute an das Studium des „Finanzkapitals" geht. Aber das gilt
von anderen theoretischen Werken früherer Epochen nicht minder.
Ihr empirisches Material mag zum Teil veraltet sein; soweit sie
aber allgemeine Bewegungsgesetze aufzeigten, haben sie ihre
aktuelle Bedeutung behalten und sind ein unerläßliches Mittel,
uns in den komplizierten ökonomischen Problemen unserer Zeit
zurechtzufinden. Ich glaube gezeigt zu haben, daß das Buch Rudolf
Hilferdings trotz seiner theoretischen Mängel ein solches unerläß-
liches Hilf smittel zum Verständnis unserer Epoche ist. Man kann die
Ökonomie und die sozialen Bewegungen unserer Zeit nicht richtig
verstehen, ohne gründlich „Das Finanzkapital" studiert zu haben.
Darum ist es ein unbestreitbares Verdienst des Dietz Verlags, dieses
wichtige Werk einembreiten Publikum wieder zugänglich zu machen.
Berlin, den 12. Januar 1947
Fred Oelßner
XXXV
VORWORT
In den folgenden Blättern soll der Versuch gemacht werden, die
ökonomischen Erscheinungen der jüngsten kapitalistischen Ent-
wicklung wissenschaftlich zu begreifen. Das heißt aber, diese Er-
scheinungen in das theoretische System der klassischen National-
ökonomie einzureihen versuchen, die mit W. Petty beginnt und in
Marx ihren höchsten Ausdruck findet. Das Charakteristische des
„modernen" Kapitalismus bilden aber jene Konzentrationsvorgänge,
die einerseits in der „Aufhebung der freien Konkurrenz" durch die
Bildung von Kartellen und Trusts, anderseits in einer immer inni-
geren Beziehung zwischen Bankkapital und industriellem Kapital
erscheinen. Durch diese Beziehung nimmt das Kapital, wie später
näher dargelegt wird, die Form des Finanzkapitals an, die seine
höchste und abstrakteste Erscheinungsform bildet.
Der mystische Schein, der das Kapitalverhältnis überhaupt um-
gibt, wird hier am undurchdringlichsten. Die eigentümliche Be-
wegung des Finanzkapitals, die selbständig erscheint, obwohl sie
reflektiert ist, die mannigfachen Formen, in denen sich die Bewegung
vollzieht, die Loslösung und Verselbständigung dieser Bewegung
gegenüber der Bewegung des industriellen und kommerziellen Kapi-
tals sind Vorgänge, die eine Analyse um so eher verlangen, als das
rasche Wachstum und der immer mächtigere Einfluß, den das
Finanzkapital in der jetzigen Phase des Kapitalismus ausübt, das
Verständnis der gegenwärtigen Wirtschaftstendenzen, damit aber
auch jede wissenschaftliche Ökonomie und Politik ohne Kenntnis
der Gesetze und der Funktion des Finanzkapitals unmöglich macht.
Die theoretische Analyse dieser Vorgänge mußte so zur Frage
nach dem Zusammenhange dieser Erscheinungen führen und damit
zu einer Analyse des Bankkapitals und seines Verhältnisses zu den
anderen Kapitalformen. Es mußte untersucht werden, ob den juri-
stischen Formen, in denen das industrielle Unternehmen gegründet
wird, spezifische ökonomische Bedeutung zukommt, was also die
ökonomische Theorie der Aktiengesellschaft etwa auszusagen habe.
In den Beziehungen aber zwischen Bankkapital und Industrie-
kapital konnte nur die Vollendung der Beziehungen erblickt werden,
die in den elementareren Formen des Geldkapitals und des produk-
tiven Kapitals zu finden waren. So warf sich die Frage nach der
Rolle und dem Wesen des Kredits auf, die ihrerseits nur beant-
wortet werden konnte, wenn die Rolle des Geldes klargelegt wurde.
Dies war um so wichtiger, als seit der Formulierung der Marxschen
Geldtheorie eine Reihe wichtiger Probleme durch die Gestaltungen
vor allem des Geldwesens in Holland, Österreich und Indien auf-
geworfen worden waren, auf die die bisherige Geldtheorie keine
Antwort zu finden schien, ein Umstand, der Knapp, der das Proble-
matische der modernen Gelderscheinungen scharfsinnig erkannte,
zu seinem Versuche verleitete, jede ökonomische Erklärung beiseite
zu schieben und an deren Stelle eine juristische Terminologie zu
setzen, die zwar keine Erklärung, also kein wissenschaftliches Be-
greifen, aber doch wenigstens die Möglichkeit einer vorurteilslosen,
unpräjudizierlichen Beschreibung zu bieten schien. Die ein-
gehendere Behandlung dieser Geldprobleme war aber um so nötiger,
als nur durch sie der empirische Beweis für die Richtigkeit einer
Werttheorie geliefert werden kann, die die Grundlage jedes ökono-
mischen Systems bieten muß, und zugleich erst aus der richtigen
Analyse des Geldes die Rolle des Kredits, damit aber die elementaren
Formen der Beziehungen zwischen Bank- und Industriekapital
erkannt werden konnten.
So ergab sich die Gliederung dieser Studie von selbst. Der
Analyse des Geldes folgt die Untersuchung des Kredits. Daran
schließt die Theorie der Aktiengesellschaft und die Analyse der
Stellung, die das Bankkapital hier gegenüber dem industriellen
Kapital einnimmt. Dies führt zur Untersuchung der Effektenbörse
als des „Kapitalmarktes", während die Warenbörse wegen der in
ihr sich verkörpernden Beziehungen von Geldkapital und Handels-
kapital einer besonderen Betrachtung unterworfen werden mußte.
Mit dem Fortschreiten der industriellen Konzentration verflechten
sich die Beziehungen zwischen Bank- und Industriekapital immer
mehr und machen das Studium dieser Konzentrationserscheinungen,
wie sie in den Kartellen und Trusts gipfeln, und das ihrer Ent-
wicklungstendenzen nötig. Die Erwartungen, die an die Ausbildung
der monopolistischen Vereinigungen für die „Regelung der Pro-
duktion" und damit für die Fortdauer des kapitalistischen Systems
geknüpft werden und denen namentlich für die periodischen Han-
delskrisen große Bedeutung beigelegt wurde, erheischten eine
Analyse der Krisen und ihrer Ursachen, womit der theoretische Teil
beschlossen war. Da aber die Entwicklung, die theoretisch zu er-
fassen versucht wurde, zugleich bedeutende Einwirkungen auf die
Klassengliederung der Gesellschaft ausübt, so erschien es angezeigt,
in einem letzten Abschnitt den hauptsächlichen Einflüssen auf die
Politik der großen Klassen der bürgerlichen Gesellschaft nach-
zugehen.
Es ist dem Marxismus oft vorgeworfen worden, daß er die Fort-
bildung der ökonomischen Theorie vernachlässigt habe, und dieser
Vorwurf entbehrt in einem gewissen Umfang der objektiven Be-
rechtigung sicherlich nicht. Aber ebenso wird zugestanden werden
müssen, daß dieses Versäumnis nur allzu erklärlich ist. National-
ökonomische Theorie gehört infolge der unendlichen Kompliziert-
heit der zu untersuchenden Erscheinungen sicher zu den schwierig-
sten wissenschaftlichen Unternehmungen. Der Marxist ist aber in
einer eigentümlichen Lage; ausgeschlossen von den Universitäten,
die die nötige Zeit für. wissenschaftliche Forschungen gewähren, ist
er gezwungen, die wissenschaftliche Arbeit in die Mußestunden zu
verlegen, die ihm die Kampf stunden der Politik lassen. Von Kämp-
fern aber zu verlangen, daß ihre Arbeit an dem Gebäude der Wissen-
schaft so rasch fortschreite wie die friedlicher Maurer, wäre unbillig,
zeugte es nicht von dem Respekt vor ihrer Leistungsfähigkeit.
Die üclianillung der Wirtschaftspolitik bedarf vielleicht nach
den zahlreichen methodologischen Kontroversen der jüngsten Zeit
wenn nicht einer Rechtfertigung, so doch einer kurzen Erläuterung.
Man hat gesagt, daß die Politik eine Normenlehre sei, die in letzter
Inslanz bestimmt sei durch Wertungen; da solche Werturteile nicht
Sache der Wissenschaft seien, so falle die Behandlung der Politik
außerhalb des Rahmens wissenschaftlicher Betrachtung. Auf die
erkenntnistheoretischen Erörterungen über das Verhältnis von
Norm- und Gesetzeswissenschaft, von Teleologie und Kausalität
hier einzugehen, ist natürlich unmöglich, und ich darf dies um so
eher unterlassen, als Max Adler in dem ersten Bande der Marx-
Studien ausführlich das Problem der Kausalität für die Sozialwissen-
schaft untersucht hat. Hier braucht bloß gesagt zu werden, daß
auch die Betrachtung der Politik für den Marxismus nur die Auf-
deckung von Kausalzusammenhängen zum Ziele haben kann. Die
Erkenntnis der Gesetze der warenproduzierenden Gesellschaft zeigt
zugleich die determinierenden Faktoren, die den Willen der Klassen
dieser Gesellschaft bestimmen. Die Aufdeckung der Determination
des Klassenwillens ist nach marxistischer Auffassung die Aufgabe
wissenschaftlicher, das heißt aber Kausalzusammenhänge beschrei-
bender Politik. Wie die Theorie, so bleibt auch die .Politik des
Marxismus frei von Werturteilen.
Es ist deshalb eine, wenn auch intra et extra muros weitver-
breitete, so doch falsche Auffassung, Marxismus mit Sozialismus
schlechthin zu identifizieren. Denn logisch, nur als wissenschaft-
liches System betrachtet, also abgesehen von seinen historischen
Wirkungen, ist Marxismus nur eine Theorie der Bewegungsgesetze
der Gesellschaft, die die marxistische Geschichtsauffassung all-
gemein formuliert, während sie die marxistische Ökonomie auf die
Epoche der Warenproduktion anwendet. Die sozialistische Konse-
quenz ist Resultat der Tendenzen, die in der warenproduzierenden
Gesellschaft sich durchsetzen. Aber die Einsicht in die Richtigkeit
des Marxismus, die die Einsicht in die Notwendigkeit des Sozialis-
mus einschließt, ist durchaus keine Abgabe von Werturteilen und
ebensowenig eine Anweisung zu praktischem Verhalten. Denn
etwas anderes ist es, eine Notwendigkeit zu erkennen, etwas anderes,
sich in den Dienst dieser Notwendigkeit zu stellen. Es ist ganz gut
möglich, daß jemand, von dem schließlichen Sieg des Sozialismus
überzeugt, sich dennoch in den Dienst seiner Bekämpfung stellt.
Die Einsicht in die Bewegungsgesetze der Gesellschaft, die der
Marxismus gibt, gewährt aber stets eine Überlegenheit dem, der sie
sich zu eigen macht, und von den Gegnern des Sozialismus sind
sicher jene die gefährlichsten, die am meisten von der Frucht seiner
Erkenntnis genossen.
Die Identifizierung von Marxismus und Sozialismus ist aber
anderseits leicht zu begreifen. Die Erhaltung der Klassenherrschaft
ist an die Bedingung geknüpft, daß die ihr Unterworfenen an ihre
Notwendigkeit glauben. Die Erkenntnis ihrer Vergänglichkeit wird
selbst eine Ursache ihrer Überwindung. Daher die unüberwindliche
Abneigung der herrschenden Klasse, die Resultate des Marxismus
anzuerkennen. Die Kompliziertheit des Systems erfordert zudem
ein Studium, dessen Mühen sich nur unterzieht, wer nicht von vorn-
herein von der Unfruchtbarkeit und Schädlichkeit der Resultate
überzeugt ist. So bleibt der Marxismus, der logisch wissenschaft-
liche, objektive, von Werturteilen freie Wissenschaft ist, in seiner
historischen Stellung notwendigerweise das Besitztum der Wort-
führer jener Klasse, deren Sieg er als Resultat seiner Untersuchung
erhält. Nur in diesem Sinne ist er Wissenschaft des Proletariats und
der bürgerlichen Ökonomie entgegengesetzt, während er den An-
spruch jeder Wissenschaft auf die objektive Allgemeingültigkeit
ihrer Ergebnisse unbeugsam festhält.
Die vorliegende Arbeit war in ihren Grundzügen schon vor vier
Jahren im wesentlichen fertig. Äußere Umstände zögerten die
Vollendung immer wieder hinaus. Ich möchte mir aber doch die
Bemerkung erlauben, daß die das Geldproblem behandelnden
Kapitel schon vor dem Erscheinen des Knappschen Werkes fertig
waren und nur unwesentliche Änderungen und kritische Zusätze
erfuhren. Dieses Kapitel wird auch am ehesten einige Schwierig-
keiten machen, da in Geldsachen leider nicht nur die Gemütlich-
keit, sondern auch das theoretische Verständnis allzu leicht auf-
•zuhören pflegt, was übrigens schon Fullarton gewußt hat, wenn er
melancholisch meint: „The truth is, this is a subject on which there
never can be any efficient or immediate appeal to the public at
large. It is a subject on which the progress of opinion always has
been, and always must be, exceedingly slow." Und seitdem ist es
sicher nicht besser geworden. Wir beeilen uns daher mit der Ver-
sicherung, daß nach Überwindung der ersten Erörterungen die
weitere Untersuchung dem ungeduldigen Leser hoffentlich keine
besonderen Klagen über Schwerverständlichkeit entlocken wird.
Berlin-Friedenau, Weihnachten 1909
Rudolf Hilferding
ERSTER ABSCHNITT
GELD UND KREDIT
I. Kapitel
DIE NOTWENDIGKEIT DES GELDES
Die menschliche Produktionsgemeinschaft kann prinzipiell auf
zweierlei Art konstituiert sein. Sie kann einmal bewußt geregelt
sein. Die Gesellschaft — mag nun ihr Kreis die selbstwirtschaftende
patriarchalische Familie, den kommunistischen Stamm oder die
sozialistische Gesellschaft timschließen — schafft sich die Organe,
welche als Vertreter des gesellschaftlichen Bewußtseins das Ausmaß
und die Art der Produktion festsetzen und das gewonnene Gesell-
schaftsprodukt unter die Mitglieder verteilen. Wie, wo, wieviel, mit
welchen Mitteln aus den vorhandenen natürlichen und künstlichen
Produktionsbedingungen neue Produkte hergestellt werden, ent-
scheidet der Pater familias oder die kommunalen, Landes- oder
Nationalkommissäre der sozialistischen Gesellschaft, die, sei es aus
persönlicher Erfahrung die Bedürfnisse und Hilfsquellen der
Familie kennend, sei es mit allen Mitteln einer organisierten Pro-
duktions- und Konsumtionsstatistik die gesellschaftlichen Erforder-
nisse erfassend, in bewußter Voraussicht das ganze Wirtschafts-
leben nach den Bedürfnissen ihrer in ihnen bewußt vertretenen und
durch sie bewußt geleiteten Gemeinschaften gestalten. Die Men-
schen einer so organisierten Gemeinschaft beziehen sich in ihrer
Produktion bewußt aufeinander als Teile einer Produktionsgemetn-
schaft. Ihre Arbeitsordnung und die Verteilung ihrer Produkte
unterstehen der zentralen Kontrolle. Die Produktionsverhältnisse
erscheinen als unmittelbar gesellschaftliche Verhältnisse, die Be-
ziehungen der einzelnen, soweit sie das Wirtschaftsleben betreffen,
als von der gesellschaftlichen Ordnung bestimmte, ihrem Privat-
wollen entrückte gesellschaftliche Beziehungen. Das Produktions-
verhältnis selbst wird unmittelbar verstanden als von der Gesamt-
heit bewußt gesetztes und gewolltes.
Anders die Gesellschaft, die dieser bewußten Organisation ent-
behrt. Sie ist aufgelöst in voneinander unabhängige Personen, deren
Produktion nicht mehr als Gesellschafts-, sondern als ihre Privat-
sache erscheint. Sie sind so Privateigentümer, die durch die Entwick-
lung der Arbeitsteilung gezwungen sind, miteinander in Beziehung
zu treten; der Akt, in dem sie dies tun, ist der Austausch ihrer
Produkte. Erst durch diesen Akt wird hier, in der durch Privat-
eigentum und Arbeitsteilung in ihre Atome zerschlagenen Gesell-
schaft Zusammenhang hergestellt. Nur als Vermittler des gesell-
schaftlichen Zusammenhanges bildet aber der Austausch den
Gegenstand theoretisch-ökonomischer Analyse. Denn auch in einer
sozialistischen Gesellschaft mag Austausch statthaben. Aber es ist
ein Austausch nach stattgefundener, von der Gesellschaft irgendwie
mit Willen und Bewußtsein normierter Zuteilung. Dieser Austausch
ist so gleichsam private Korrektur der gesellschaftlichen Zuteilung,
privater Akt, subjektivenLaunenundErwägungen unterworfen, aber
kein Objekt ökonomischer Analyse. Er spielt dieselbe Rolle für die
theoretische Ökonomie wie etwa der Austausch von Spielzeug in der
Kinderstube zwischen Lotte und Fritz, ein Tausch, grundverschie-
den von dem Einkauf, den ihr Vater bei dem Spielwarenhändler
gemacht hat. Denn dieser Austausch ist nur ein Element in der
Summe aller Austauschakte, durch die erst die Gesellschaft als
Produktionsgemeinschaft, die sie ist, verwirklicht wird. In jedem
solchen Austauschakt muß daher die PToäuktionsgemeinschaft aus-
gedrückt sein. Denn erst durch ihn geschieht die Verbindung der
durch die Arbeitsteilung und das Privateigentum zerlegten Gesell-
schaft zu einem Ganzen.
Wenn daher Marx einmal sagt, innerhalb des Austauschverhält-
nisses gilt der Rock mehr als außerhalb desselben, so kann man
auch sagen, innerhalb eines bestimmten Gesellschaftszusammen-
banges gilt das Tauschverhältnis mehr als innerhalb eines an-
10
deren. 1 Nur dort, wo der Austausch erst den gesellschaftlichen Zu-
sammenhang herstellt, also in einer Gesellschaft, in der die Indivi-
duen durch das Privateigentum und die Arbeitsteilung einerseits
getrennt, anderseits aufeinander angewiesen sind, erhält der Aus-
tausch gesellschaftliche Bestimmtheit, muß er die Funktion er-
füllen, den gesellschaftlichen Lebensprozeß möglich zu machen. In
dem Vollzug aller in dieser Gesellschaft möglichen Tauschakte muß
sich das durchsetzen, was in einer kommunistischen, bewußt ge-
regelten Gesellschaft mit Bewußtsein durch das gesellschaftliche
Zentralorgan bestimmt wird : was und wieviel produziert wird, wo
und von wem produziert wird. Kurz, der Austausch muß den
Warenproduzenten dasselbe mitteilen, was den Mitgliedern der
sozialistischen Gesellschaft ihre Behörden, die mit Bewußtsein die
Produktion regeln, die Arbeitsordnung bestimmen usw. Aufgabe
der theoretischen Ökonomie ist es, das Gesetz des so bestimmten
Austausches zu finden. Aus diesem Gesetz muß ebenso die Regelung
der Produktion in den warenproduzierenden Gesellschaften hervor-
gehen wie aus den Gesetzen, Verordnungen und Vorschriften sozia-
listischer Behörden der ungestörte Ablauf sozialistischer Wirtschaft.
Nur daß dieses Gesetz nicht direkt mit Bewußtsein menschliches
Verhalten in der Produktion vorschreibt, sondern nach Art eines
Naturgesetzes wirkt mit „sozialer Naturnotwendigkeit".
Aber auch die Frage, ob vom selbständigen Handwerker oder
vom kapitalistischen Unternehmer produziert werden soll, muß
durch den Austausch beantwortet werden; es ist die Antwort auf die
Frage nach der Änderung im Austauschverhältnis, die innerhalb
der Warenproduktion durch den Fortschritt von der einfachen zur
1 Diese ganz verschiedene Natur des Tauschaktes macht es absurd, für die
Tauschakte unter ganz verschiedenen Gesellschaftsformationen gleiche Ge-
setze finden zu wollen.
2 J. Karner (Dr. Karl Renner), „Die soziale Funktion der Rechtsinstitute",
Marx-Studien, I. Bd., II. Heft, S. 108. Es sind also Gesetze ganz eigener Art,
die nur ans einem bestimmten, gesellschaftlichen Zusammenhang sich er-
geben, mit diesem verschwinden, aber innerhalb desselben kausale Wirksam-
keit besitzen. Nur die Erkenntnis dieser Gesetze ist Aufgabe der theoretisch-
ökonomischen Analyse.
11
kapitalistischen stattfinden muß. Der Austausch ist aber qualitativ
verschieden nur in verschiedenen Gesellschaftsformen, so etwa in
der sozialistischen wesensanders als in der warenproduzierenden.
Er ist aber qualitativ gleich, und nur das quantitative Verhältnis
der ausgetauschten Waren ist ein anderes innerhalb der waren-
produzierenden Gesellschaft selbst. Innerhalb der Warenproduktion
liegt dem Austausch ein objektiv gesellschaftliches Moment zu-
grunde, das das Tauschverhältnis beherrscht: die gesellschaftlich
notwendige Arbeitszeit, die in den ausgetauschten Sachen ver-
körpert ist. In kommunistischen Gesellschaften liegt ihm zugrunde
nur subjektive Gleichsetzung, gleichgerichteter Wille. Der Tausch
ist hier zufällig, kein mögliches Objekt theoretisch-ökonomischer
Betrachtung. Er ist nicht theoretisch analysierbar, sondern nur
psychologisch begreifbar. Da aber Tausch immer als quantitatives
Verhältnis zwischen zwei Dingen erscheint, merkt das Völkchen
den Unterschied nie.
Die Bestimmung des Tauschaktes, Vermittler des gesellschaft-
lichen Stoffwechsels zu sein, ist es, die ihn seinerseits bestimmt sein
läßt eben durch die Notwendigkeit des gesellschaftlichen Stoff-
wechsels. So zufällig der einzelne oder vereinzelte Tauschakt er-
scheinen mag, so kann er auf die Dauer und in Masse nur vollzogen
werden, wenn er den gesellschaftlichen Stoffwechsel ermöglicht,
1 „Ihre (seil, der Warenproduzenten) gesellschaftliche Beziehung erscheint
reduziert auf die private Beziehung des Tausches. Der Tausch aher ist als
solcher zunächst nur private Beziehung. Damit zwei Menschen tauschen, ist
nichts nötig, als daß sie den Gegenstand nahen und ihn für einen anderen
hergehen wollen. Als solcher ist der Tausch eine allen Gesellschaftsformatio-
nen angehörende Erscheinung, weil alle Gesellschaftsformationen Eigentum
kennen.
In der Tat, der Tausch von Federstiel und Marie auf der Schulbank, der
Tausch von Reitpferd und Automobil zwischen zwei Mitgliedern einer sozia-
listischen Gesellschaft ist ein privates Vorkommnis, ganz gleichgültig für die
theoretische Ökonomie. Es ist die grundlegende Illusion der Grenznutzen-
theorie, durch die Analyse des Tausches als rein privaten Aktes den Gesetzen
der kapitalistischen Gesellschaft auf die Spur kommen *u wollen." Hilferding,
„Zur Problemstellung der theoretischen Ökonomie bei Karl Marx", „Neue
Zeit", 1904/05, I. Bd., S. 106.
12
wenn er die Produktion und Reproduktion der Gesellschaft sichert.
Die Produktion der Gesellschaft wird so die Bedingung für den
Tauschakt der einzelnen, die nur dadurch zur Gesellschaft ver-
bunden werden und Anteil nehmen an dem Ergebnis der gesamten
gesellschaftlichen Produktion, die unter sie aufgeteilt werden muß.
Es ist diese Beziehung auf die gesamte Produktion der Gesellschaft,
die den einzelnen Austausch aus dem Bereich des Zufälligen, Will-
kürlichen und Subjektiven heraushebt und ihn zu etwas Regel-
mäßigem, Notwendigem und Objektivem macht, zu einer Bedin-
gung des gesellschaftlichen Stoffwechsels, damit zu einer indivi-
duellen Lebensnotwendigkeit. Denn die auf Privateigentum und
Arbeitsteilung basierte Gesellschaft ist nur möglich durch die Be-
ziehung der Individuen, die miteinander tauschen, sie wird Gesell-
schaft durch den Tauschprozeß, der der einzige gesellschaftliche
Prozeß ist, den diese Gesellschaft ökonomisch kennt. Nur innerhalb
dieser Gesellschaft wird der Tauschakt Gegenstand einer besonde-
ren Analyse, die sich fragt: Wie ist der Tauschakt beschaffen, der
den gesellschaftlichen Stoffwechsel vermittelt?
Innerhalb eines solchen Tauschaktes ist das Gut Ware geworden,
ein Ding, bestimmt nicht mehr für das individuelle Bedürfnis und
in seinem Entstehen und Vergehen durch dieses hervorgerufen und
vernichtet, sondern bestimmt für die Gesellschaft und in allen
seinen Schicksalen, die noch wechselvoller sein können als die des
Odysseus — denn was bedeutet heute der einäugige Polyphem gegen
die argusäugigen Zollbeamten in New-Port oder was die schöne
Kirke gegen die deutsche Veterinärpolizei?—, abhängig von den Not-
wendigkeiten des Stoffwechsels der Gesellschaft. Es ist Ware ge-
worden, weil die Produzenten dieses Gutes, in einem bestimmten
gesellschaftlichen Verhältnis stehen, in welchem sie einander als
unabhängige Warenproduzenten gegenübertreten müssen. In dieser
Form erst ist das Gut, sonst ein natürliches, durchaus unproblema-
tisches Ding, Ausdruck eines gesellschaftlichen Verhältnisses, ge-
winnt also eine gesellschaftliche Seite. Daß es Arbeitsprodukt, ist
jetzt nicht bloß mehr seine natürliche Eigenschaft, sondern wird
zugleich eine gesellschaftliche Tatsache. Nun gilt es, das Gesetz
4 Hilferdinß, Das Finanzkapital
15
dieser Gesellschaft als Produktions-, also Arbeitsgemeinschaft zu
finden. Die Einzelarbeit erscheint so unter neuem Gesichtspunkt
als Teil der Gesamtarbeit, über die diese Produktionsgemeinschaft
verfügt. Allein unter diesem Gesichtspunkt erscheint die Arbeit als
wortbildende Arbeit.
Der Tauschakt wird der Analyse zugänglich, weil er nicht nur
individuelles Bedürfnis, sondern gesellschaftliche Notwendigkeit
ist, die das individuelle Bedürfnis nur zu ihrem Werkzeug macht
und es gleichzeitig einschränkt. Das individuelle Bedürfnis kann
sich nur befriedigen, soweit es die gesellschaftliche Notwendigkeit
zuläßt. Es ist die Voraussetzung, denn ohne individuelle Bedürfnis-
befriedigung ist menschliche Gesellschaft überhaupt undenkbar.
Aber der Austausch wird nicht mehr Funktion individuellen Be-
dürfnisses, wie in der kollektivistischen Gesellschaft, sondern das
individuelle Bedürfnis befriedigt sich nur, soweit der Austausch
ihm die Anteilnahme an der gesellschaftlichen Produktion gestattet.
Diese ist es, welche den Austausch bestimmt. Der Austausch er-
scheint aber nur als ein quantitatives Verhältnis zwischen zwei
Dingen. 1 Er ist bestimmt, wenn diese Quantität bestimmt ist. Die
Quantität, die aber überhaupt im Austausch umgesetzt wird, gilt
nur als Teil der Quantität der gesellschaftlichen Produktion. Diese
wieder ist quantitativ bestimmt durch die Arbeitszeit, welche die
Gesellschaft zur Herstellung des Gesamtproduktes aufwenden
mußte. Die Gesellschaft wird hier als eine Einheit auf gefaßt,, die
mit ihrer gesamten Arbeitskraft ihr Produkt hergestellt hat; der
einzelne gilt mit seiner Arbeit nur als Organ der Gesellschaft; als
solches Organ ist er nur so viel an dem Produkt beteiligt, als seine
Arbeitskraft dem Durchschnitt der Gesamtarbeitskraft - diese nach
»~Diese Dinge müssen in der warenproduzierenden Gesellschaft mitein-
ander überhaupt in ein Verhältnis treten und dies können sie als Ausdruck
gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit. Nur als solcher Ausdruck werden sie
kommensurabel. Daß sie Produkt gesellschaftlicher Arbeitszeit, also Gesell-
schaftsprodukt sind, ist das Wesentliche an der Wertlehre, nicht aber, daß
diese Arbeitszeit in allen Fällen die gleiche auf beiden Seiten des Tausch-
verhältnisses sei. Dies ist ein sekundäres Moment und bestimmt nur das
Tauschverhältnis unter den Bedingungen der einfaclien Warenproduktion.
14
Intensität und Produktivität als gegeben vorausgesetzt — entspricht.
Hat der einzelne zu langsam gearbeitet oder hat er Unnützes — und
das ist auch sonst Nützliches, das aber in dem gesellschaftlichen
Stoffwechsel zuviel ist — hergesteUt, so wird diese Arbeit auf
Durchschnittsarbeit — gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit —
reduziert. Ist so die Summe der Arbeitszeit für das gesamte Produkt
gegeben, so muß der Austausch diese Tatsache ausdrücken. Auf ein-
fachste Weise wird sie ausgedrückt, wenn im Austausch die quanti-
tative Beziehung der Waren gleich ist der quantitativen Beziehung
der auf ihre Herstellung verwandten gesellschaftlich notwendigen
Arbeitszeit. Dann tauschen sich die Waren zu ihrem Wert aus.
Und diese Beziehung wird verwirklicht, wenn die Bedingungen
für die Warenproduktion und den Warenaustausch für alle Mit-
glieder der Gesellschaft sozial gleich sind, wenn sie alle selbständige
Besitzer ihrer Produktionsmittel sind, die mit diesen das Produkt
herstellen und es auf dem Markte austauschen. Diese Beziehung ist
die einfachste und sie ist Ausgangspunkt der theoretischen Betrach-
tung. Nur von ihr aus können Modifikationen verstanden werden,
die aber stets die Bedingung erfüllen müssen, daß, wie immer der
Einzelaustausch gestaltet sei, die Summe der Austauschakte die
Gesamtproduktion umsetzen muß. Die Modifikation selbst kann
nur hervorgerufen werden durch eine andere Stellung der Mit-
glieder der Gesellschaft in der Produktion — sie muß durch sie her-
vorgerufen werden, weil ja nur im Tauschakt der gesellschaftliche
Zusammenhang nicht nur der Produktion, sondern auch des Produ-
zenten sich durchsetzt. Die Enteignung des einen Teiles der Gesell-
schaft und der Monopolbesitz der Produktionsmittel des anderen
Teiles modifiziert naturgemäß den Austausch, da nur in ihm diese
Ungleichheit der Gesellschaftsmitglieder in Erscheinung treten
kann. Da aber der Tauschakt eine Gleichheitsbeziehung ist, er-
scheint die Ungleichheit jetzt als Gleichheit nicht mehr des Wertes,
sondern des Produktionspreises, also die Ungleichheit des Arbeits-
aufwandes (zugleich die Gleichgültigkeit der Kapitalisten gegen
den Arbeitsaufwand als Arbeitsaufwand Fremder) in der Gleich-
heit der Profitrate. Diese Gleichheit drückt nichts anderes aus, als
15
daß in der kapitalistischen Gesellschaft das Entscheidende das
Kapital ist; deshalb steht der einzelne Tauschakt nicht mehr unter
der Bedingung; gleiche Arbeit gegen gleiche Arbeit, sondern: für
gleiches Kapital gleichviel Profit. Die Arbeitsgleichung ist ersetzt
durch die Profitgleichung, und die Produkte werden nicht zu ihren
Werten, sondern zu den Produktionspreisen verkauft.
Ist der Austausch so bestimmt durch die Gesellschaft, so erfährt
anderseits die Gesellschaft wie der einzelne ihr Gesetz nur aus dem
vollzogenen Austausch. Denn die Arbeit des einzelnen ist zunächst
nur seine individuelle Leistung, entsprungen seinem individuellen
Wollen — Privatarbeit, nicht gesellschaftliche Arbeit. Ob sie über-
einstimmt mit den Bedingungen des gesellschaftlichen Stoffwechsels,
von denen seine Arbeit nur eine Teilbedingung sein muß, kann
sich erst bewähren, wenn alle diese Teilbedingungen miteinander
verglichen werden und in ihrer Summe die Gesamtbedingung des
gesellschaftlichen Stoffwechsels erfüllt ist.
Die Waren sind Verkörperungen gesellschaftlich notwendiger
Arbeitszeit. Aber diese Arbeitszeit wird als solche nicht direkt aus-
gedrückt wie etwa in der Gesellschaft desRodbertus, wo die Zentral-
behörde für jedes Produkt die gesellschaftlich gültige Arbeitszeit
direkt festsetzt. Sie erscheint nur in der Gleichsetzung einer Sache
mit einer anderen im Austausch. In diesem wird also der Wert einer
Sache, ihre gesellschaftliche Produktionszeit, ausgedrückt nicht als
solche, als Acht- oder Zehn- oder Zwölfstundenarbeil, sondern als
bestimmtes Quantum einer anderen Sache. Diese, als Ding, wie es
geht und steht, mit allen seinen Natureigenschaften, dient also als
Ausdruck des Wertes eines anderen Dinges, als sein Äquivalent.
Zum Beispiel in der Gleichung 1 Rock = 20 Meter Leinwand sind
diese 20 Meter Leinwand Äquivalent des Rockes. Sie sind ihm
gleich, weil auch sie Verkörperung gesellschaftlich notwendiger
Arbeitszeit sind und als solche alle Waren einander gleich sind.
Die Darstellung des Wertes, dieses gesellschaftlichen Verhältnis-
ses, in einer anderen Sache, also einem vom Gebrauchswert der Ware,
deren Wert dargestellt werden soll, unterschiedenen Gebrauchs-
wert, folgt also unmittelbar aus der Natur der Warenproduktion
16
und ist von ihr unzertrennlich. Denn nur dadurch, daß das Gut des
einen zur Ware und damit zum Gut des anderen wird, entsteht ja
die der Warenproduktion eigentümliche gesellschaftliche Beziehung
ihrer Mitglieder, ihr Aufeinanderbeziehen als Tauschende ihrer
Sachen. Erst nach vollzogenem Austausch erfährt der Produzent,
ob seine Ware tatsächlich gesellschaftliches Bedürfnis befriedigt
und ob er seine Arbeitszeit richtig angewandt hat. Er bekommt die
Bestätigung, daß er vollgültiges Mitglied der warenproduzicrenden
Gesellschaft ist, ja nicht durch eine Person, die im Namen dieser
Gesellschaft sprechen, sein Werk kritisieren — wie etwa der Ver-
leger die Arbeit seiner Weber kritisiert — , billigen oder ablehnen
könnte, sondern ihm wird seine Gesellschaftsfähigkeit nur bestätigt
durch eine Sache, die er im Austausch für die seine erhält. Denn die
Gesellschaft hat ihre Sache auf die Sache (und darauf gerade be-
ruht trotz Stirner ihre Anarchie) und nichL auf die Personen und
ihr kollektives Bewußtsein gestellt. Die Sache, die ihm das sagen
kann, muß also die nötige Legitimation haben, um im Namen der
Gesellschaft sprechen zu können. Sie bekommt diese Legitimation
genauso, wie andere Organe ihre Legitimation erhalten, durch die
gemeinsame Aktion der Legitimierenden. Wie die Menschen sich
zusammentun und einen aus ihrer Mitte zu bestimmten Handlungen
in ihrem Namen legitimieren, so müssen sich auch die Waren zu-
sammentun, um ihrerseits die Ware zu legitimieren, die in ihrem
Namen die Bürgerschaft in dieser Warenwclt — die Vollbürgerschaft
oder die Bürgerschaft minderen Rechtes — erteilt. Die einzige Form
aber, in der die Waren sich zusammentun können, ist ihr Austausch.
Denn was das gesellschaftliche Bewußtsein in einer sozialistischen
Gesellschaft, ist in der kapitalistischen die gesellschaftliche Aktion
der Waren auf dem Markt. Das Bewußtsein der bürgerlichen Welt
ist reduziert auf den Marktbericht. Nur durch Vollendung des Aus-
tausches erfährt der einzelne das Gesetz der Gesamtheit. Nur wenn
dem einzelnen der Austausch gelungen ist, hat er den Beweis dafür,
daß er das gesellschaftlich Notwendige produziert hat; nur dann
kann er von neuem die Produktion eröffnen. Die Sache, die so durch
die gemeinsame Aktion der Waren legitimiert ist, den Wert aller
17
anderen Waren auszudrücken, ist — das Geld. Mit der Entwicklung
des Warenaustausches selbst entwickelt sich zugleich die Legiti-
mation dieser besonderen Ware.
A und B treten als Warenbesitzer nur in ein gesellschaftliches
Verhältnis, indem sie ihre Produkte miteinander austauschen. Das
Verhältnis ist dann zustande gekommen, wenn sich der Rock mit
den zwanzig Meter Leinwand ausgetauscht hat. Verallgemeinert
sich die Warenproduktion, so muß der Schneider alle seine Bedürf-
nisse durch den Austausch befriedigen; statt des einen Verhältnisses
mit der Spinnerin der Leinwand geht er jetzt zahlreiche andere ein.
1 Rock = 20 Meter Leinwand, aber auch gleich 5 Pfund Zucker,
1 Pfund Brot usw. Da aber alle Warenproduzenten solch zahlreiche
Verhältnisse eingehen, erhalten wir schließlich eine Unzahl Tausch-
gleichungen, in denen sich die Waren einander gleichsetzen, ihren
Wert miteinander messen. Indem sie sich aber gegenseitig messen,
messen sie zugleich ihren Wert immer häufiger in einer Ware, die
so zu dem allgemeinen Wertmaß aller wird.
Schon der einfache Wertausdruck, etwa 1 Rock = 20 Meter
Leinwand, drückt eine gesellschaftliche Beziehung aus; aber diese
kann nur zufällig und vereinzelt bleiben. Um wahrhaft gesellschaft-
licher Ausdruck zu sein, darf die Wertgleichung nicht vereinzelt
sein; in zahllosen Austauschen und daher zahllosen Wertgleichun-
gen setzt sich der gesellschaftliche Stoffwechsel und damit der gesell-
schaftliche Zusammenhang der Arbeitenden durch, sobald die
Warenproduktion die allgemeine Form gesellschaftlicher Produk-
tion geworden ist. Es ist die gemeinsame Aktion der Waren im
Austausch, was die private, individuelle und konkrete Arbeitszeit
des einzelnen in allgemeine, gesellschaftlich notwendige und ab-
strakte Arbeitszeit, die Wert bildet, verwandelt. Indem die Waren
sich allseitig im Austausch gegenseitig messen, messen sie sich zu-
gleich immer häufiger in einer Ware. Diese braucht bloß gewohn-
heitsmäßig als Wertmesser fixiert zu werden, um Geld zu werden.
Es ist also der Austausch von Werten notwendig, um überhaupt
die gesellschaftliche Produktion und Reproduktion möglich zu
machen. Nur so werden die Privatarbeiten gesellschaftlich aner-
18
kannt, geeicht, werden die Beziehungen der Sachen aufeinander zu
gesellschaftlichen Beziehungen ihrer Produzenten. Wie immer also
der Austausch vor sich gehen mag, er ist notwendigerweise der Aus-
tausch zu Wertäquivalenten, mag nun der Austausch der Ware
direkt vor sich gehen oder durch Geld vermittelt sein. Geld ist also
als Wert Ware wie jede andere, und die Notwendigkeit, daß Geld
Wert hat, entspringt unmittelbar aus dem Charakter der waren-
produzierenden Gesellschaft.
Das Geld ist so Ware wie alle anderen und damit Verkörperung
von Wert. Das Geld aber unterscheidet sich von allen anderen Waren
dadurch, daß es für alle anderen Waren Äquivalent ist, also die
Ware, die den Wert aller anderen ausdrückt. Daß es dazu geworden,
ist das Resultat sämtlicher Austauschprozesse. 2 Dadurch ist es zum
Wertmaß legitimiert. Die Geldware, also dieser bestimmte Körper
mit all seinen natürlichen Eigenschaften, ist jetzt unmittelbar Aus-
druck von Wert, von dieser Eigenschaft, die nur aus den gesell-
schaftlichen Verhältnissen der Warenproduktion und ihrem sach-
lichen Ausdruck herstammt. Zugleich sieht man, wie aus dem
Tauschprozeß selbst, aus der Notwendigkeit beständiger Gleich-
setzung der Waren untereinander die Notwendigkeit des gemein-
samen Wertmaßes entspringt, in dem der Wert jeder anderen Ware
unmittelbar ausgedrückt wird, mit dem es daher jederzeit unmittel-
bar austauschbar ist. Geld ist also einerseits Ware. Anderseits ist
aber diese Ware immer an die besondere Stelle des Äquivalents ge-
rückt. Es ist dies geschehen durch die Aktion aller anderen Waren,
welche die Geldware als ihr einziges und allgemeines Äquivalent
legitimiert haben.
1 Es ist Gegenstand späterer Untersuchung, inwiefern dieser Satz durch
die modernen Formen der Papierwährung eine Modifikation erfährt.
< 2 Wert hat jede Ware als Verkörperung gesellschaftlich notwendiger Ar-
heitszeit, also als Resultat des Warenprodufctionsprozesses. In den Austausch-
prozeß geht sie also schon ein als Wertträger. In diesem Sinne sagt Marx:
„Der Austauschprozeß gibt der Ware, die er in Geld verwandelt, nicht ihren
Wert, sondern ihre spezifische Wertform", nämlich als allgemeines Äqui-
valent. „Kapital", I., 4. Auflage, S. 56. (Neuausgahe: Karl Marx, „Das Kapi-
tal", Bd. I, Dietz Verlag, Berlin 1953, S. 96. Die Red.)
19
Der Tauschwert aller Waren wird also gesellschaftlich gültig
ausgedrückt in der Geldware, in einem bestimmten Quantum ihres
Gebrauchswertes. Durch die gegenseitige Aktion aller anderen
Waren, die sich in ihr messen, erscheint so die Geldware als un-
mittelbare Verkörperung der gesellschaftlich notwendigen Arbeits-
zeit. Geld ist so „der Tauschwert der Waren als eine besondere, aus-
schließliche Ware . . .' ll Alle Waren erhalten so durch ihre Ver-
wandlung in Geld ihre gesellschaftliche Eichung.
Wie nach Ernst Mach das Ich nur ein Knotenpunkt ist, in dem
die unendlichen Fäden der Empfindungen, aus deren Netz das Bild
der Welt sich gestaltet, enger zusammenlaufen, so ist das Geld ein
Knoten in dem Netz des gesellschaftlichen Zusammenhanges der
warenproduzierenden Gesellschaft, das aus den zahllosen Fäden der
einzelnen Tauschakte gewebt ist. Im Gelde ist zugleich das gesell-
schaftliche Verhältnis der Menschen zu einer Sache geworden, zu
einem geheimnisvoll glänzenden Ding, dessen verwirrender Glanz
noch immer die Augen so vieler Ökonomen blendet, wenn sie es
nicht vorziehen, die Augen ganz davor zu schließen.
Indem die Waren im Austauschprozeß sich aufeinander beziehen,
werden sie zu Produkten gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit
reduziert und werden als solche gleich. Im Austauschprozeß zer-
reißt das Band, das die Ware als Gebrauchswert an das besondere
Bedürfnis des einzelnen knüpft. Im Austausch gilt die Ware nur
als Tauschwert, und nur durch Vollziehung des Austausches, also
nach vollzogenem Austausch, wird sie wieder Gebrauchswert, ent-
steht eine neue Verknüpfung an ein anderes individuelles Bedürf-
nis. Im Geld, dessen Gebrauchswert nichts ist, als Verkörperung
gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit, also Tauschwert, erscheint
die Ware unmittelbar als Tauschwert ausgedrückt; im Geld er-
scheint so der Tauschwert der Ware verselbständigt gegenüber
ihrem eigenen Gebrauchswert. Erst die Verwandlung von Geld in
1 Marx, „Zur Kritik der politischen Ökonomie", 2. Auflage, S. 28. (Neu-
ausgabe: Karl Marx, „Zur Kritik der politischen Ökonomie", Dietz Verlag,
Berlin 1951, S. 45. Die Red.)
20
Ware realisiert die Ware als Gebrauchswert, nachdem im Geld ihr
Tauschwert schon enthalten ist. Die Ware verläßt dann als Ge-
brauchswert die Zirkulation und fällt der Konsumtion anheim.
Geld kann nur allgemeines Äquivalent werden, weil es Ware,
also Tauschwert ist. Als Tauschwert ist aber jede Ware Maß der
Werte aller anderen Waren. Indem sich alle Waren in ihrer gegen-
seitigen Aktion auf eine Ware beziehen, wird diese besondere Ware
adäquates Dasein des Tauschwertes, sein Dasein als allgemeines
Äquivalent. Daß alle Waren Tauschwerte sind, das heißt, daß die
Produzenten in der durch Arbeitsteilung und Privateigentum in
ihre Atome zerlegten Gesellschaft, die ohne gemeinsames Bewußt-
sein doch eine Produktionsgemeinschaft ist, nur durch Vermittlung
ihrer sachlichen Produkte in Beziehung zueinander stehen, erscheint
jetzt so, daß ihre Arbeitsprodukte als Tauschwerte nur verschiedene
Quanta desselben Gegenstandes — des Geldes — darstellen. Die all-
gemeine Arbeitszeit, ihrerseits der ökonomische Ausdruck der
Vioiukiioiisgemeinschaft, damit aber die Tatsache dieser Gemein-
schaft selbst, erscheint jetzt als ein besonderes Ding, eine Ware
neben und außer allen anderen Waren.
Im Austauschprozeß hat sich die Ware als Gebrauchswert er-
wiesen, hat bewiesen, daß sieBedürfnis, und zwar im gesellschaftlich
geforderten Ausmaß befriedigt hat. Hat sie das getan, so ist sie
damit zum Tauschwert für alle anderen Waren geworden, die die-
selbe Bedingung erfüllen. Dies drückt ihre Verwandlung in Geld,
den Repräsentanten des Tauschwertes überhaupt aus. Indem sie
Geld geworden, ist sie zum Tauschwert für alle anderen Waren ge-
worden. Die Ware muß daher Geld werden, weil sie nur dann
gesellschaftlich ausgedrückt ist, als Gebrauchswert und als Tausch-
wert, als die Einheit beider, die sie ist. Dadurch aber, daß alleWaren
sich durch ihre Entäußerung als Gebrauchswerte in Geld verwan-
deln, wird Geld das verwandelte Dasein aller anderen Waren, und
nur als Resultat dieser Verwandlung aUer anderen Waren in Geld
wird Geld unmittelbar Vergegenständlichung der allgemeinen
Arbeitszeit, das heißt Produkt der allseitigen Entäußerung, Auf-
hebung der individuellen Arbeiten.
21
Die Notwendigkeit des Geldes entspringt also aus dem Wesen
der warenproduzierenden Gesellschaft, die ihr Gesetz erfährt aus
dem Austausch der Waren als Produkte gesellschaftlich notwendiger
Arbeitszeit, daraus, daß der gesellschaftliche Zusammenhang der
Produzenten ausgedrückt wird als Preis ihrer Produkte, der ihnen
jeweils vorschreibt ihren Anteil an der Produktion und an der Ver-
teilung der Produkte. Es ist die eigentümliche Regelung dieser
Gesellschaft durch das Preisgesetz, welches als Mittel des Aus-
tausches der Waren selbst eine Ware verlangt, da nur eine solche
gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit verkörpert. Daß das Tausch-
mittel Wert haben muß, folgt unmittelbar aus dem Charakter einer
Gesellschaft, in der die Güter Waren geworden sind und als solche
ausgetauscht werden müssen. „Derselbe Prozeß, der aus dem Gut
Ware macht, macht aus der Ware Geld."
Die Unbewußtheit des gesellschaftlichen Zusammenhanges, seine
Herstellung durch den Austausch der Waren und die Bestätigung,
daß diese Herstellung auch gesellschaftlich richtig vollzogen wurde,
die erst im Austauschprozeß erfolgt, wenn der Produktionsprozeß,
der eigentlich den gesellschaftlichen Zusammenhang bereits fixiert
hat, schon vorüber und unabänderlich geworden ist, dies bedeutet
zugleich die Anarchie der kapitalistischen Produktionsweise. An-
archie — denn es ist kein Bewußtsein da, das von vornherein die
Produktion seinem Zwecke gemäß gestaltet, sondern den einzelnen,
nur ihrer selbst, nicht aber der Gesellschaft bewußten Mitgliedern
drängt sich dieser Zusammenhang nach Art eines Naturgesetzes auf,
das unabhängig von dem Willen der Beteiligten wirkt, obwohl es
nur durch ihre eigene gesellschaftliche und ihnen daher unbewußte
Aktion existiert. Diese Aktion erfolgt eben nie in dem Bewußtsein
und der Absicht, damit den gesellschaftlichen Zusammenhang zu
konstituieren, sondern dient stets nur der individuellen Bedürfnis-
befriedigung. In diesem Sinne kann man daher auch sagen, daß die
Notwendigkeit, den Austausch durch Geld, also durch einen selbst
wertvollen Stoff zu vermitteln, aus der Anarchie der warenprodu-
zierenden Gesellschaft entspringt.
Ist so das Geld einerseits notwendiges Produkt des Warenaus-
tausches, so ist es anderseits selbst Bedingung der Verallgemeinerung
des Austausches der Produkte als Waren. Es macht die Waren
unmittelbar vergleichbar, indem es ihr Wertmesser wird. Es ist dies,
weil es als Wert dasselbe wie die Waren und innerhalb der Wert-
form ihr Entgegengesetztes ist - Äquivalent, also Gebrauchswert,
in dem Wert ausgedrückt ist.
Das Geld entsteht so naturwüchsig aus dem Tauschverkehr und
setzt nichts anderes voraus als diesen. Der Tauschverkehr macht
diejenige Ware zu Geld, die dazu vermöge ihrer natürlichen Eigen-
schaften am besten geeignet ist. Es ist der Gebrauchswert dieser
Ware, zum Beispiel des Goldes, der es zum Gelistoff macht. Gold
ist nicht von Natur aus Geld (sondern nur infolge einer bestimmten
Gesellschaftsstruktur), aber Geld von Natur aus Gold. Also weder
den Geldcharakter noch auch den Geldstoff bestimmt der Staat oder
die Rechtsordnung willkürlich. Der Staat oder die Rechtsordnung
macht das Geld zunächst nur zur Münze. Er ändert nichts als die
Einteilung der Goldquanta. Werden diese zuerst nach dem Gewicht
eingeteilt oder gemessen, so jetzt nach einem anderen willkür-
lichen, also notwendigerweise auf bewußtem Übereinkommen be-
ruhenden Maßstab. Da die warenproduzierende Gesellschaft ihre
höchste bewußte Organisation im Staate hat, so muß der Staat dieses
Übereinkommen sanktionieren, damit es allgemein gesellschaftliche
Gültigkeit hat. Es verhält sich hier ähnlich wie bei Festsetzung
anderer Maßo, zum Beispiel des Längenmaßes. Nur daß hier, da es
sich um einen Wertmaßstab handelt, sich der Wert aber immer nur
in einer Sache und in jeder Sache je nach ihrer Produktionszeit
anders darstellt, der Staat zugleich auch die Sache, den Geldstoff,
deklarieren muß. Nur innerhalb des Kreises der Übereinkunft, also
innerhalb des Staates zum Beispiel gilt dieser Maßstab. Er wird
ungültig außerhalb der staatlichen Grenze. Auf dem Weltmarkt
gelten Gold und Silber nach ihrem Gewicht gemessen als Geld. 1 Das
Übereinkommen über ein bestimmtes Geld kann auch in Ermang-
lung einer staatlichen Intervention durch Privatpersonen, zum Bei-
1 Wenigstens vorläufig noch, solange die Tendenz zur Alleinherrschaft des
Goldes sich noch nicht völlig durchgesetzt hat.
22
25
1
spiel durch Kaufleute einer Stadt erfolgen und gilt dann natürlich
wieder nur für diesen Kreis.
Das Gold wird also vom Staat in irgendeiner Weise eingeteilt
und jedes Teilstück durch die staatliche Prägung gekennzeichnet. In
diesem Maßstah werden jetzt alle Preise ausgedrückt. So hat also
der Staat den Maßstab der Preise hergestellt. Als Maß der Werte
fungiert Gold, weil es Ware, also Wert, Verkörperung gesellschaft-
lich notwendiger Arbeitszeit ist, als solches ist sein Wert veränder-
lich mit der Veränderung seiner Produktionszeit. Als Maßstab der
Preise ist Gold eingeteilt in Stücke von gleichem Gewicht, und diese
Einteilung ist ihrem Sinne nach unveränderlich. Die Prägung ist
nichts als die Bestätigung, daß das damit versehene Geldstück eine
bestimmte Gewichtsmenge des Geldstoffes, zum Beispiel des Goldes
enthält. Dies ist zugleich eine erhebliche technische Vereinfachung.
Das Geld braucht nicht mehr gewogen, sondern nur gezählt zu
weTden. Zugleich kann jetzt auf bequeme Weise jede Wertquantität,
die im Austausch erforderlich wird, dargestellt werden.
iTeispicl ist die Hamburger Bankowährung seit 1770. Die Umsätze wur-
den durch Übertragung auf Girokonto bei der Hamburger Girobank erledigt.
Die Gutschrift wurde nur gegen Einzahlung vollwichtigen Silbers geleistet.
Als Geldstoff gilt das Silber, als Einheit die Kölnische Mark Feinsilher, für
die 273,4 Mark Banko gutgeschrieben wurden. Das Buchgeld, dessen sich der
Hamburger Handel bis zum Jahre 1372 bediente, beruhte mithin auf unge-
prägtem Silber. Dabei ist es unwesentlich, daß das Silber selbst wohlverwahrt
in den Kellern der Bank lag und nur die Besitzscheine (etwas ganz anderes als
Banknoten) zirkulierten. Vollgedecktes „Papiergeld", das nur ein Schein über
wirklich von dem Inhaber des Scheines hinterlegtes und in der Bank wirklich
aufbewahrtes Metall ist, ist rein technischer Behelf und bloßes Schutzmittel
gegen die Abnützung des Metalls. Es läßt alle Gesetze des Geldumlaufes
ebenso unberührt, als ob die Silberstücke selbst in Leder oder Papier ein-
gewickelt zirkulierten.
Die im Text gegebene Darstellung ist zunächst die einzige Rolle, die der
Staat spielt. Damit erledigt sich die Einbildung Knapps, daß erst durch die
Satzung des Staates das Geld entsteht. Zugleich sieht man, wie historisch das
Geld primär aus der Zirkulation hervorwächst. Es ist also zunächst Zirku-
lationsmittel. Erst dann, wenn es allgemeines Maß der Werte und allgemeines
Äquivalent der Waren geworden, wird es zum allgemeinen Zahlungsmittel.
Dies gegen Knapp, „Staatliche Theorie des Geldes", S. 3.
24
11. Kapitel
DAS GELD IM ZIRKULATIONSPROZESS
Der Zirkulationsprozeß hat die Form: Ware— Geld— Ware,
W— G— W. In diesem Prozeß vollzieht sich der gesellschaftliche
Stoffwechsel. Averkauft seine Ware, diefürihnNichtgebrauchswert,
und kauft eine andere, die für ihn Gebrauchswert. Das Geld spielt
in diesem Prozeß nur die Bolle des Beweismittels, daß die indivi-
duellen Produktionsbedingungen der Ware den gesellschaftlichen
Produktionsbedingungen entsprechen. Der Sinn des Prozesses ist
aber die Befriedigung der Bedürfnisse des einzelnen, die nur durch
den allseitigen Händewechsel der Waren ermöglicht wird. Der Wert
der Ware wird ersetzt durch den Wert der anderen Ware. Diese
wird konsumiert und fällt aus der Zirkulation heraus.
Fällt die Ware so beständig aus der Zirkulation, so bleibt das
Geld fortwährend in dieser Sphäre. Die Stelle, die die Ware ge-
räumt hat, nimmt ein gleichwertiges Geldstück ein. Der Kreislauf-
prozeß der Ware bildet so den Umlauf des Geldes. Es entsteht nun
die Frage nach der Menge des Geldes, das für die Zirkulation nötig
ist. Es handelt sich dabei um das wirkliche Gegenübertreten von
Geld und Ware. Die Menge der Zirkulationsmittel ist also zunächst
bestimmt durch die Preissummc der Waren. Die Warenmasse als
gegeben vorausgesetzt, flutet die Masse des zirkulierenden Geldes
auf und ab mit den Preisschwankungen der Waren, gleichgültig,
ob die Preisänderung wirklichen Wertänderungen oder bloßen
Schwankungen der Marktpreise entspringt. 1 Dies gilt, sobald Käufe
und Verkäufe räumlich nebeneinander einhergehen. Sind dagegen
1 Marx, „Kapital", L, 4. Auflage, S. 83. (Neuausgabe S. 123. Die Red.)
25
Käufe und Verkäufe nur Glieder einer Reihe, die zeitlich nachein-
ander vor sich gehen, so gilt die Gleichung: Preissumme der Waren:
Umlaufsanzahl gleichnamiger Geldstücke = Masse des als Zirku-
lationsmittel funktionierenden Geldes. Dabei kann das Gesetz, daß
die Quantität der Zirkulationsmittel bestimmt ist durch die Preis-
summe der zirkulierenden Waren und die Durchschnittsgeschwin-
digkeit des Geldumlaufes auch so ausgedrückt werden, daß bei ge-
gebener Wertsumme der Waren und gegebener Durchschnitts-
geschwindigkeit ihrer Metamorphosen die Quantität des umlaufen-
den Geldes oder des Geldmaterials von seinem eigenen Wert
abhängt. 1
Man hat gesehen, was das Geld ist: ein gesellschaftliches Ver-
hältnis ausgedrückt in einer Sache. Diese Sache dient als unmittel-
barer Wertausdruck. Innerhalb des Verhältnisses W— G— W wird der
Wert der Waren aber stets ersetzt durch den Wert einer anderen
Ware. Der Geldausdruck ist also nur verschwindend. Er erscheint
so als bloß technischer Behelf, dessen Anwendung Unkosten ver-
ursacht, die nach Möglichkeit zu vermeiden sind. Zugleich mit dem
Geld erwächst das Sireben, das Geld auszuschalten. 2 Innerhalb der
Warenzirkulation erscheint das Geld erst als der feste Wertkristall,
worin sich die Ware verwandelt, um hinterher als bloße Äqui-
valentform zu zerrinnen.
Als Wertkristall erscheint das Geld als notwendig, als Äqui-
valentform überflüssig. Notwendig erscheint es aber, weil nur so
der Wert der Ware gesellschaftlich gültig ausgedrückt wird und sie
sich nur aus Geld wieder in alle anderen Waren rückverwandeln
1 Ebenda, S. 87. (Neuausgabe S. 128. Die Red.)
2 Es ist nur vom Standpunkt der bürgerlichen Gesellschaft geurteilt, wenn
Wilson meint, daß nur das brachliegende Geld für die Gemeinschaft einen
Verlust darstellt ; vielmehr bildet die ganze Zirkulationsmaschinerie, soweit sie
Wert kostet, faux frais, und selbst vom entwickelteren bürgerlichen Stand-
punkt erscheint Gold, soweit es Umlaufsmittel, als unproduktive (das heißt:
nicht Profit bringende) Ausgabe, die daher zu vermeiden ist, ein Gedanke,
der dem Merkantilsystem ein Greuel war. (Siehe James Wilson, „Capital,
Currency and Banking", London 1847, S. 10.)
3 Marx, „Kapital", I., S. 76. (Neuausgabe S. 116. Die Red.)
26
kann. Da aber der Geldausdruck nur verschwindend ist, nicht etwa
an sich wichtig (wie dann, wenn der Prozeß W— G— W unterbrochen
wird und das Geld selbst längere oder kürzere Zeit aufbewahrt wer-
den soll, um dann später einmal den Prozeß G— W zu ermöglichen),
so kommt allein die gesellschaftliche Seite des Geldes in Betracht,
die Eigenschaft, daß es als Wert Warengleiches ist. Diese gesell-
schaftliche Seite ist im Gelästoff, zum Beispiel im Goldgeld, sachlich
ausgedrückt. Sie kann aber unmittelbar ausgedrückt werden durch
bewußte gesellschaftliche oder, da der Staat das bewußte Organ der
warenproduzierenden Gesellschaft ist, durch staatliche Regelung.
Der Staat kann bestimmte Zeichen— zumBeispiel als solche gekenn-
zeichnete Papierzettel — als Stellvertreter des Geldes, Geldzeichen,
festsetzen.
Es ist klar, daß diese Zeichen nur fungieren können als Ver-
mittler der Zirkulation zwischen zwei Waren; sie sind zu anderen
Zwecken, anderen Geldfunktionen unbrauchbar, sie müssen also
ganz in die Zirkulation eingehen, denn nur innerhalb der Zirku-
lation ist das Wertdasein des Geldes stets verschwindend, weil
durch Warenwert stets ersetzte Form. Der Umfang dieser Zirku-
lation aber ist außerordentlich schwankend, da er, wie wir wissen,
bei gleichbleibender Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes von der
Preissumme abhängt. Diese wechselt beständig, wobei die periodi-
schen Schwankungen innerhalb des Jahres, wenn zum Beispiel die
Ernteprodukte in die Zirkulation eintreten und ihre Masse die
Preissumme anschwellt, oder die Preisschwankungen innerhalb des
Zyklus von Prosperität und Depression besondere Rolle spielen. Die
Menge des Papiergeldes muß also immer unter dem Minimum der
zur Zirkulation erforderlichen Geldmenge bleiben. Dieses Minimum
ist aber durch Papier ersetzbar , und da dies immer zur Zirkulation
notwendig ist, braucht an seine Stelle kein Gold zu treten; der Staat
kann dieses Papiergeld daher mit Zwangskurs ausstatten. Innerhalb
1 Es gilt das Gesetz, „daß die Ausgabe des Papiergelds auf die Quantität
zu beschränken ist, worin das von ihm symbolisch dargestellte Gold (resp.
Silber) wirklich zirkulieren müßte". (Marx, „Kapital", I., S. 91. [Neuausgabe
S. 133. Die Red.])
27
des Umfanges des Zirkulationsjninimums ist so der sachliche Aus-
druck des gesellschaftlichen Verhältnisses ersetzt durch ein bewußt
geregeltes gesellschaftliches Verhältnis. Es ist dies möglich, weil
eben auch Metallgeld ein wenn auch unter dinglicher Hülle ver-
stecktes, gesellschaftliches Verhältnis ist. Dies muß begriffen sein,
will man die Natur des Papiergeldes erfassen. 1 Wir haben gesehen,
wie die warenproduzierende Gesellschaft anarchisch ist und aus
dieser Anarchie die Notwendigkeit des Geldes folgt. Für das Mini-
mum der Zirkulation ist diese Anarchie gleichsam ausgeschaltet.
Denn ein Minimum von Waren zu einem gewissen Wert muß unter
allen Umständen umgesetzt werden. Die Ausschaltung der Wirkung
der anarchischen Produktion erscheint in der Möglichkeit des Er-
satzes des Goldes durch bloße Wertzeichen.
Diese bewußte Regelung hat aber ihre Grenze an dem Zirku-
lationsminimum. Nur innerhalb dieser Grenze fungiert das Geld-
zeichen als voller Stellvertreter des Geldes, ist das Papier Gold-
zeichen. Da die Zirkulationsmenge stets schwankt, so muß neben
dem Papiergeld stets Goldgeld in die Zirkulation ein- und aus ihr
ausfließen können. Ist dies nicht möglich, so treten Abweichungen
des Nominalwertes des Papiers von seiner wirklichen Geltung ein,
wir haben Papiergeldentwertung.
Um diesen Vorgang zu verstehen, unterstellen wir einmal reine
Papierwährung. (Es ist dabei immer staatlicher Zwangskurs vor-
ausgesetzt.) Wir wollen annehmen, daß in einem bestimmten Mo-
1 Knapp verfällt zuerst in die Illusion, daß Geld „ursprünglich" nichts
sei als bestimmtes Metallgewicht, um hinterher darüber zu erstaunen, daß
es ersetzt werden kann durch ein nur gesellschaftlich gültiges Zeichen. Hätte
er erkannt (und der Mangel dieser Erkenntnis hindert heute noch die
Ökonomen, eine erschöpfende Geldtheorie zu geben), daß Geld nur eine
gesellschaftliche Beziehung sachlich ausdrückt, so hätte er nichts Rätselhaftes
daran Enden können, daß in einem bestimmten Umkreis diese sachliche Be-
ziehung ausgedrückt wird durch ein gesellschaftlich gültiges, mit Bewußtsein
geregeltes Übereinkommen, dessen Ausdruck das Staatspapier mit Zwangs-
kurs ist. Dabei ist richtig, daß hier ein wesentliches Problem steckt, nämlich
das nach den Schranken dieser staatlichen, also bewußt gesellschaftlichen
Regelung. Dieses ökonomische Problem aber schließt Knapp gerade aus
seiner Betrachtung aus.
28
ment die Zirkulation 5 Millionen Mark erfordere, zu denen zirka
56,56 Pfund Gold nötig wären. Wir hätten dann eine Gesamt-
zirkulation, die folgendes Bild zeigte: (5 Millionen Mark in)
W-(5 Millionen Mark in) G-(5 Millionen Mark in) W. Ersetzt
man das Gold durch Papierzeichen, so kann auf diesen Zeichen was
immer gedruckt sein, ihre Summe muß immer die Wertsumme der
Waren repräsentieren, also in unserem Falle gleich sein 5 Millionen
Mark. Werden 5000 gleiche Zettel gedruckt, wird jeder 1000 Mark
gleichgesetzt werden, werden 100 000 gedruckt, so jeder 50 Mark
gleich sein. Verdoppelt sich, die Umlaufsgeschwindigkeit immer
gleichgesetzt, die Preissumme der Waren und wird die Menge der
Zettel nicht geändert, so werden sie 10 Millionen Mark gelten, sinkt
die Preissumme auf die Hälfte, so nur 2/4 Millionen. Mit anderen
Worten : Bei reiner Papierwährung mit Zwangskurs ist bei gleich-
bleibender Umlaufszeit der Wert des Papiergeldes bestimmt durch
die Summe der Warenpreise, die in der Zirkulation umgesetzt wer-
den muß; das Papiergeld wird hier ganz unabhängig vom Wert des
Goldes und reflektiert direkt den Wert der Waren nach dem Gesetz,
daß seine ganze Menge gleichen Wert repräsentiert wie die
Preissumme der Waren
Umlaufsanzahl gleichnamiger Geldstücke
Man sieht sofort, daß, verglichen mit dem Ausgangspunkt, nicht nur
Entwertung, sondern auch Überwertung des Papiergeldes eintreten
kann.
Als Geldzeichen kann nun natürlich nicht nur Papier, sondern
ein an sich wertvoller Stoff fungieren. Es sei die Zirkulation zum
Beispiel besorgt durch Silber. Tritt Entwertung des Silbers ein
infolge Senkung seiner Produktionskosten, so werden die Silber-
preise der Waren steigen, während ihre Goldpreise unter sonst
gleichen Umständen unverändert bleiben werden. Die Entwertung
des Silbers selbst wird sich ausdrücken lassen in seinem Verhältnis
zum Gold. Der Wechselkurs des Silberlandes gegenüber dem des
Goldwährungslandes wird die Entwertung ausdrücken. Die Ent-
wertung der Silhermünze, die gesetzliche Zahlkraft hat, wird bei
5 Hilferding, Das Finanzkapital
29
freier Prägung genau in demselben Maße stattfinden wie die Ent-
wertung des ungeprägten Metalls. Anders, wenn die freie Prägung
eingestellt wird. Steigt jetzt die Preissumme der zu zirkulierenden
Waren in unserem Beispiel von 5 auf 6 Millionen Mark und ist der
Wert des gemünzten, also zur Zirkulation geeigneten Silbers ent-
sprechend seinem Metallwert beispielsweise nur 5/2 Millionen
Mark, so wird jetzt doch jede Silbermünze so weit in ihrer Be-
wertung innerhalb der Zirkulation steigen, daß ihre Summe gleich
ist 6 Millionen Mark. Ihre Wertung als Münze übersteigt daher
ihren Metallwert. Eine Erscheinung, die in der so bedeutenden
Geldtheoretikern wie Lexis oder Lotz unerklärbaren Überwertung
des holländischen und österreichischen Silberguldens und später der
indischen Rupie zutage getreten ist, die aber nach dem Vorher-
gehenden nichts Rätselhaftes mehr aufweist.
In der Bestimmung des Wertes des Papiergeldes durch den Wert
der in Zirkulation befindlichen Warensumme erscheint der rein
gesellschaftliche Charakter des Wertes darin, daß ein an sich wert-
loses Ding wie Papier dafür, daß es eine rein gesellschaftliche Funk-
tion, die Zirkulation, erfüllt, einen Wert erhält, der bestimmt ist
1 Bekanntlich versteht man unter freier Prägung das Recht der Privaten,
jedes beliebige Quantum des Geldstoffes bei der staatlichen Münzanstalt in
Landesmünzen nach dem festgesetzten Münzmaßstab umprägen zu lassen.
Die Prägung ist gesperrt, wenn der Staat sich weigert, diese Umprägung vor-
zunehmen.
2 In der Tat ist für die Schriftsteller, die unter dem Eindruck der eng-
lischen Bankrestriktion schreiben, die Möglichkeit der Überwertung kein
Problem, indem sie ganz naiv die Gesetze des Papiergeldes auf die Metall-
währung anwenden. Man vergleiche das folgende Zitat: „Es ist klar, daß wie
die Uberausgabe von Papiergeld die nominellen Preise der Waren erhöht, so
aus ebensolchen Gründen die Kontraktion unter das natürliche Maß des
Zirkulationserfordemisses in demselben Grad die nominellen Preise ver-
ringern wird . . . Gold in Barrenform wird dann oft von geringerem Wert
auf dem Markte sein als Gold in Münzform, und der Kaufmann wird es zur
Münze bringen, um den Profit aus seiner Verwandlung von Barren in Münzen
zu erlangen." William Blähe, „Observation on the principles which regulate
the course of exchange and on the present depreciated State of the currency",
London 1810, S. 40.
nicht durch den eigenen verschwindend geringen Wert, sondern
durch den der Warenmasse, die ihren Wert auf die Papierzettel
reflektiert. Wie der Mond, der selbst längst erkaltet ist, nur leuchten
kann, weil er von dem feurigen Sonnenball das Licht erhält, so hat
das Papiergeld nur Wert, weil den Waren der gesellschaftliche
Charakter der Arbeit Wert verleiht. Es ist der reflektierte Arbeits-
wert, der das Papier zu Geld macht, wie es das reflektierte Sonnen-
licht ist, das den Mond leuchten läßt. Es ist beim Papier Wert-
schein, nämlich Warenwertschein, wie beim Mond Mondschein,
nämlich Sonnenlichtschein.
Österreich hatte seit 1859 uneinlösliches Papiergeld. Die Silber-
gulden erzielten gegenüber dem Papier ein Agio. Es war eben mehr
Papier ausgegeben, als die Zirkulation erforderte. Dadurch trat der
von uns früher geschilderte Zustand ein: wieviel Waren ein Gulden
kaufen konnte, war nicht mehr abhängig vom Wert des Silbers,
sondern von dem Wert der in Zirkulation befindlichen Gesamt-
warenmasse, durch den die Geltung der Gesamtsumme des Papier-
geldes bestimmt war. War der Wert der Gesamtzirkulation = 500
Millionen Gulden, waren aber 600 Millionen Papiergulden ge-
druckt worden, so konnte der Papiergulden nur mehr soviel Waren
kaufen wie früher 5 /e Silbergulden. Damit wurde der Silbergulden
selbst zur Ware; denn man zahlte nur mehr in Papiergulden und
verkaufte den Silbergulden etwa ins Ausland; dafür bekam man
Vb Papiergulden, womit man seine früheren Silberguldenschulden
bezahlen konnte. Das Silber verschwand aus der Zirkulation. Eine
Änderung in dem Verhältnis zwischen Silber- und Papiergulden
kann nun auf zweierlei Art eintreten. Einmal kann bei unveränder-
tem Wert des Silberguldens infolge der Entwicklung der Waren-
zirkulation der Warenumsatz steigen. Findet keine Neuausgabe von
Papiergeld statt, so kann der Papiergulden wieder seine alte Geltung
erlangen, sobald die zirkulierende Warensumme 600 Millionen
Gulden zu ihrem Umsatz erfordert. Es kann auch, wenn die Waren-
summe steigt, der Papiergulden über seinen Ausgangspunkt steigen.
Erfordert die Warensumme 700 Millionen Gulden und sind nur
600 Millionen Papiergulden in Zirkulation, so wird jetzt derPapier-
30
31
gülden V« des Silberguldens gelten. Besteht freie Silberprägung, so
werden Private Silber so lange ausprägen lassen, bis in die Zirku-
lation so viele Silbergulden eingetreten sind, daß Papiergulden und
Silbergulden zusammen zur Zirkulation der 700 Millionen Gulden
Waren ausreichen. Dann gilt Papier- und Silbergulden dasselbe,
und bei Fortbestand der freien Prägung ist der Papiergulden nicht
mehr durch den Warenwert bestimmt, sondern durch das Silber, ist
also wieder Silberzeichen geworden.
Ähnliche Vorgänge können auch auf andere Weise eintreten. Die
Warenzirkulation bleibe zunächst dieselbe; der Papiergulden gilt
dann nur mehr 5 /» des Silberguldens; jetzt träte aber ein Fall im
Wert des Silbers ein; dieses falle um 7e. Dann wird man um den
Silbergulden soyiel Waren kaufen können wie um den Papier-
gulden; das Silberagio ist Verschwunden, und das Silber bleibt in
Zirkulation. Fällt das Silber noch stärker, sage um 7a, dann wird
es profitlich, Silber anzukaufen und es in Österreich ausprägen zu
lassen. Diese Ausprägung würde so lange vor sich gehen, bis die
Summe von Papiergulden und Silbergulden so groß geworden
ist, daß sie, obwohl um 7« in ihrer Kaufkraft vermindert,
zur Zirkulation hinreicht. Wir haben vorausgesetzt eine Zirku-
lation von 500 Millionen Gulden (ursprünglicher Geltung) in
Waren. Wir hatten 600 Millionen Gulden Papier. Diese galten
also 7« des ursprünglichen Guldens. Jetzt kommen dazu Silbergulden,
die nur 7« gelten. Um die Waren zu zirkulieren, brauchen wir jetzt
7* X 500 Millionen Gulden oder 750 Millionen Gulden; diese wür-
den aus 600 Millionen Papier- und 150 Millionen neugeprägter
Silbergulden bestehen. Der Staat will aber die Entwertung seiner
Valuta hindern; dazu braucht er nur die freie Silberprägung auf-
zuheben. Sein Gulden bleibt dann unabhängig vom Silberpreis;
seine Geltung nach wie vor Y« des ursprünglichen Guldens; die
Senkung des Silberwertes kommt beim Silbergeld nicht zum Aus-
druck.
Das widerspricht der herkömmlichen Theorie, wonach ein Silber-
gulden unter allen Umständen nur ein Stück Silber von 7«» Pfund
ist und daher denselben Wert haben muß; es erklärt sich leicht,
32
wenn man weiß, daß bei gesperrter Prägung die Geltung des
Geldes nur ein Reflex des in die Zirkulation eingehenden Wertes
der Warensumme ist. Da unserer Voraussetzung nach das Silber
um 7« gefallen ist, der österreichische Gulden aber nur um 7s nied-
riger steht als bei dem Ausgangspunkt der Betrachtung, so wird der
noch in Zirkulation befindliche österreichische Silbergulden um
7« höher stehen, als der Preis des gleichen Quantums Silber beträgt..
Es ist also überwertet. In der Tat ist das Phänomen in Österreich
um die Mitte des Jahres 1878 eingetreten. Verursacht wurde es da-
durch, daß einerseits der Wert des Papierguldens durch die Ent-
wicklung der Zirkulation steigen mußte, da die Papiergeldsumme
nicht oder nicht in gleichem Verhältnis vermehrt wurde, ander-
seits der Wert des Silbers fiel, was im Fallen des Londoner Silber-
preises zum Ausdruck kam.
Der schematischen Darstellung entspricht die Wirklichkeit voll-
kommen. In den Niederlanden wurde die freie Silberprägung im
Mai 1875 eingestellt. Während das metallische Silber im Verhältnis
zum Gold eine Entwertung erfuhr, wies das geprägte holländische
Silbergeld eine beträchtliche Wertsteigerung auf. „Während bis zum
Anfang des Jahres 1875 der Silberpreis in London bis auf etwa
57 7aPence hinabging, stieg der Wert des niederländischen gegen-
über dem des englischen Geldes so weit, daß 1 Pfund Sterling
statt — wie früher — 12 Gulden nur noch 11,6 Gulden notierte.
Darin kam die Tatsache in Erscheinung, daß der Wert des hollän-
dischen Guldens um etwa 10 Prozent über seinen Silbergehalt
hinaus gestiegen war." Erst 1875 wurde dann das goldene 10-Gul-
den-Stück als gesetzliches Zahlungsmittel eingeführt. „Schon im
Jahre 1879 war der Silbergehalt des Silberguldens nur noch
96,85 Kreuzer wert, und er ging weiter zurück bis auf 91,95 Kreuzer
im Jahre 1886 und 84,69 Kreuzer im Jahre 1891. " 2
Die Entwicklung der österreichischen Währung sei im folgenden
kurz geschildert: „Die Währung der Monarchie war kraft der
Patente vom 19. September 1857 und vom 27. April 1858 seit
1 Siehe Helfferich, „Das Geld", S. 77.
2 Ebenda, S. 80.
53
1. November 1858 rechtlich und zunächst auch faktisch eine Silber-
währung mit einem Münzfuß von 45 Gulden per Zollpfund feinen
Silbers (90 Gulden [fl.] per Kilogramm). Eine Barzahlung in Silber
(seitens der Notenbank) bestand jedoch nur ganz kurze Zeit (zu
Ende des Jahres 1858). Überdies hatte das Silber infolge der an-
dauernd kritischen politischen und finanziellen Verhältnisse (die
eben eine Mehrausgabe von Noten zur Folge hatten. R. H.) bis 1878
gegenüber dem Papiergeld ein Agio, welches die Silbermünzen mehr
und mehr aus dem Verkehr drängte. Das Silberagio betrug 1871
noch über 20 Prozent, sank aber im Laufe der siebziger Jahre in-
folge des außerordentlichen Sturzes des Silberpreises am Weltmarkt
sukzessive. Von 1875 an war der Preis des Silbers ein so tiefer, daß
er dem Münzpreis desselben (45 fl. ö. W. per Zollpfund) wiederholt
nahekam und denselben im Laufe des Jahres 1878 auch erreichte.
Im Zusammenhang mit der Entwicklung des Kurses der Devise
London an der Wiener Börse wurde die Einlieferung von Silber in
die Wiener und Kremnitzer Münze behufs Ausprägung in Landes-
silbermünzen rentabel. Tatsächlich nahm die Einfuhr von Silber in
das österreichisch-ungarische Zollgebiet im Jahre 1878 außer-
ordentlich zu, und die Ausprägung von Landessilbermünzen er-
reichte in diesem Jahre und in dem folgenden (auf Grund der bereits
früher erfolgten Anmeldungen) eine vorher nicht erreichte Höhe."
Um die Devalvierung der Währung zu verhüten, wurde zu Beginn
des Jahres 1879 die freie Silberprägung eingestellt. Die Einstellung
der Silberprägung „bewirkte, daß die Kaufkraft des österreichischen
Guldens dem gleichsam mechanischen Einfluß des Silberpreises ent-
rückt wurde, sich vielmehr nahezu ganz unabhängig von dem Werte
des im österreichischen Silbergulden enthaltenen Silberquantums
entwickelte. Das in 100 Silbergulden enthaltene Feinsilber hatte
nämlich unter Zugrundelegung des Londoner Silberpreises und
des Kurses der Devise London in Wien durchschnittlich einen
Wert:
1 Spitzmüller, „Die österreichisch-ungarische Währungsreform"; „Zeit-
schrift für Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Verwaltung", XI. Bd., 1902,
S. 559.
54
im Jahre 1885 von 97 fl. 64 kr.
„ „ 1887 .„,.....,•....«••->> „ yi„ „
„ „ 1888 „ 86 „ 08 „
„ „ 1889 „ 82 „ 12 „
„ „ 1891 ,, 84 „ 70 „
Der Wert von 100 fl. ö. W. hätte unter denselben Voraussetzun-
gen in Gulden Gold 1 betragen :
1885 82 ü. 38 kr.
1887 72 „ 42 „
1888 69 „ 34 „
1889 69 „ 38 „
1891 75 „ 15 „
Dagegen betrug der tatsächliche kursmäßige Wert von 100 fl.
ö. W. im Durchschnitt der bezeichneten Jahre: 84,08, 79,85, 81,39,
84,33 und 86,33 Gulden Gold."' Mit anderen Worten, die öster-
reichischen Silbergulden waren in diesen Jahren überwertet, das
heißt, ihre Kaufkraft war höher als die des in ihnen enthaltenen
Silbers, und zwar betrug die Differenz für 100 Silbergulden in den
Jahren
1883 1 fl. 70 kr. in Goldgulden
1887 7„ 43 „ „
1888 12„ 05 „ „
1889 14„ 95 „ „
1891 13 „ 18 „ „
Man ersieht aus dieser Tabelle, daß der Kurs des Silberguldens
nicht nur nahezu, wie Spitzmüller meint, sondern völlig unabhängig
vom Silberpreis sich bewegt.
Spitzmüller nennt diese Währung „Kreditwährung", aber er kann
nicht angeben, wodurch ihr Kurs bestimmt war. Er sagt:
1 Der Goldgulden ist der achte Teil des Achtguldenstückes, das als Han-
delsmünze geprägt wurde, also nicht für die inländische Zirkulation bestimmt
war und dem Zwanzigfrancsstück mit Rücksicht auf den Goldgehalt gleich
war.
2 Spitzmüller, „Die österreichisch-ungarische Währungsreform"; „Zeit-
schrift, für Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Verwaltung", XI. Bd., 1902,
S. 311.
55
„KauT- und Tauschkraft des österreichischen Silber- beziehungsweise
Papierguldens wurden demnach in der Periode 1879 bis 1891 in erster Linie
nicht durch den Wert des Währungsmetalles bestimmt; ja noch mehr, der
österreichische Gulden wies in dieser Periode, wie Karl Menger treffend her-
vorgehoben hat („N. Fr. Pr." vom 12. Dezember 1889), , einen Verkehrswert
auf, welcher durch den inneren Wert keiner existierenden effektiven Münze
dargestellt 1 wurde.
Die österreichische Währung war demnach faktisch keine Silberwährung
mehr, ja selbst hinkende Silberwährung konnte sie nur im uneigentlichen
Sinn genannt werden. Sie war vielmehr eine Kreditwährung, deren Bewer-
tung im internationalen Verkehr in erster Linie durch die Zahlungs-
bilanz des österreichisch-nngarischen Zollgebietes, im inneren Verkehr aber
überdies durch die übrigen, im Zollinland preisbildenden (sie!) wirksamen
Faktoren bedingt war." (S. 341.)
Seine Unsicherheit geht deutlich aus folgender Stelle hervor:
„Immerhin würde man fehlgehen, wenn man annehmen wollte, daß der
, Kredit', welcher der österreichischen Währung entgegengebracht wurde,
von der Preisgestaltung am Silbermarkt ganz und gar (!) unabhängig war;
vielmehr spielte der Umstand, daß die Sistierung der Silberprägung für Pri-
vate nur auf einer administrativen, stets widerruflichen Verfügung beruhte
und überdies die Prägungen für Staatsrechnungen fortdauerten, bei der Be-
wertung unserer Währung in der Übergangsperiode von 1879 bis 1891
unzweifelhaft eine gewisse (!) Rolle; denn die oben erwähnten Momente
ließen die Zukunft unserer Währung als eine völlig unsichere erscheinen.
Insbesondere ist es gewiß kein Zufall, daß der neuerliche Preisfall des Silbers
in den Jahren 1885 bis 1888 mit einer starken Verteuerung unserer Devisen-
kurse einherging." (S. 311.)
Es wäre interessant, wenn gezeigt würde, wie die gänzlich un-
sichere Meinung über die Zukunft der Währung in jedem Moment
sich in mathematisch bestimmte Kurserhöhungen oder Erniedrigun-
gen umsetzen kann. In der Tat haben diese subjektiven Einflüsse
gar keine Rolle gespielt, sondern nur die objektive Gestaltung des
gesellschaftlichen Zirkulationserfordernisses.
Viel näher kommt Helffcrich der richtigen Erklärung, wenn er
sagt:
„Der Mehrwert des geprägten Geldes (sc. bei Währungen mit gesperrter
Prägung) beruht darauf, daß nur das geprägte Metall, nicht auch das unge-
fragte Metall die Funktionen als Geld erfüllen kann und daß der Staat sich
weigert, auf Verlangen das Metall in geprägtes Geld zu verwandeln.
Auch der Wert des uneinlösbaren Papiergeldes beruht ausschließlich dar-
auf, daß es vom Staate zum gesetzlichen Zahlungsmittel erklärt ist, daß es
zur Erfüllung bestehender Schuldverpflichtungen verwendet werden kann
iiud daß es für die wirtschaftlich gänzlich unentbehrlichen Funktionen des
Geldes staatlich privilegiert ist.
Der Wert beider Arten von Geld beruht weder auf dem Wert ihres Stoffes
an sich noch darauf, daß sie etwa eine Forderung enthielten, wie einlös-
bare Noten, sondern ausschließlich auf dem ihnen beigelegten Charakter als
gesetzliches Zahlungsmittel." („Das Geld", S. 81.)
Die Einstellung der freien Prägung bei Silberwährimg ist die
Bedingung und zugleich die Erklärung dafür, daß das gemünzte
Silber sich von seinem Stoffwert emanzipiert, wie Helfferich richtig
hervorhebt. Es wird aber damit nichts über die Größe des Wertes
gesagt, den die Münze nunmehr erhält, und gerade das ist das Ent-
scheidende. Diese Größe ist bestimmt durch die gesellschaftlich not-
wendige Zirkulationsmenge, die ihrerseits zuletztbestimmt ist durch
den Wert der Warensumme. Dies zu erkennen, hindert Helfferich
seine subjektivistische Werttheorie.
Dagegen ist es ganz richtig, was Helfferich gegen die Kredit-
hypothese, wie sie auch Spitzmüller vertritt, einwendet:
„Bei den freien Währungen, bei welchen in allen Geldsorten der Stoff-
urrl der Münzen hinter ihrem Geldwert zurückbleibt, ist es schon deshalb
gänzlich ausgeschlossen, den höheren Geldwert auf den Kredit zurück-
v.ii führen, weil es gar kein vollwertiges Geld gibt, in welchem das unler-
wertige Geld einlösbar sein und von dem es auf dem Wege des Kredits seinen
Wart ableiten könnte. Im niederländischen Geldwesen gab es von 1875 bis
1K7 r ), im österreichischen von 1879 bis 1892, im indischen von 1893 bis 1899
überhaupt kein vollwertiges Geld. Der den Stoffwert überschreitende Geld-
wert des holländischen und österreichischen Silberguldens und der indischen
Hii|iie war ein durchaus selbständiger, von keinem anderen Wertgegenstand
abgeleiteter Wert. Er beruhte nicht einmal auf einer Tarilierung in voll-
wertigem Geld, geschweige denn auf einem Forderungsrecht auf vollwertiges
( Isld, sondern einzig und allein auf dem diesen Münzen beigelegten Charakter
als gesetzliches Zahlungsmittel und der beschränkten Prägung. Wie wenig
Mi li die Theorie bisher von der Vorstellung befreit hat, daß unlerwertiges
l .eld Kreditgeld sein müsse und mindestens seinen Wert von einem voll-
36
37
wertigen Geld ableiten müsse, zeigt die Unklarheit, welche teilweise heute
noch über das Verhalten der österreichischen Währung vom Jahre 1879 an
besteht. Die Erscheinung, daß sich der Wert des geprägten österreichischen
Silberguldens nach der Einstellung der freien Silberprägung über den Wert
seines Silbergehaltes erhob, verblüffte in erster Reihe deshalb, weil man nicht
sah, von welcher in ihrem Stoffe höherwertigen Geldsorte der Silbergulden
den seinen Silhergehalt überschreitenden Geldwert ableitete. Man verfiel des-
halb auf die sonderbare Erklärung, daß der Wert des Silberguldens nur durch
seine Verknüpfung mit dem Papiergulden über seinem Papierwert gehalten
werde." („Das Geld", S. 382 ff.)
Analoge Erscheinungen wie im österreichischen Geldwesen sehen
wir in Indien. Im Jahre 1893 wurde die bisher freie Silberprägung
eingestellt. Die Absicht war, den Kurs der Rupie auf 16 Pence
zu heben. Dieser Kurs entsprach bei freier Prägung einem Silber-
preis von ungefähr 45,05 Pence. Das heißt, bei einem solchen Preis
erzielte das in der Rupie vorhandene Silber, wenn eingeschmolzen
und verkauft, auf dem Londoner (Welt-)Markt den Preis von
1 G Pence. Die Wirkung der Einstellung der freien Prägung war
folgende: Der Rupienkurs stieg auf 16 Pence, nachdem er vorher
14 7 /s Pence betragen hatte. Dagegen sank der Silberpreis im Ver-
lauf weniger Tage von 38 Pence vor Schließung der Münzstätten
auf 30 Pence am 1. Juli. Von da an ging der Rupienkurs abwärts,
während der Silberpreis auf 34% Pence stieg und um diesen Betrag
bis zur Einstellung der amerikanischen Silberkäufe (monatlich
4V2 Millionen Oz. f.) am 1. November 1893 schwankte. Von da an
ging er zurück und erreichte am 26. August 1897 mit 23% Pence
einen Tiefstand. Dagegen erreichte der Wert der indischen Valuta
Anfang September 1897 die gewünschte Höhe von 16 Pence, wäh-
rend der in der Rupie enthaltene Metallwert zirka 8,87 Pence
beträgt.
Es „war von Anfang an der Erfolg zu verzeichnen, daß der Kurs
der Rupie sich bereits von der Schließung der indischen Münz-
stätten für private Prägung ab ständig über dem Schmelzwert hielt,
und zwar um erheblich mehr, als die Prägekosten ausmachten. Von
Mitte 1896 an erwies sich auch der letzte Zusammenhang zwischen
dem Silberpreis und dem Rupienkurs als gelöst, und der Parallelis-
mus, der zwischen ihren Bewegungen, wenn zuletzt auch er-
heblich abgeschwächt, immer noch bestanden hatte, war endgültig
beseitigt", u.
Was die Geldtheoretiker quält, ist die Frage, was bei der ge-
sperrten Währung Wertmesser ist.' Das Silber (bei gesperrter Gold-
währung könnte genau dasselbe Phänomen auftreten) ist es offen-
sichtlich nicht. 4 Der Kurs des Geldes und der Preis des Metalls
verfolgen ganz verschiedene Bewegungen. Die Quantitätstheorie
1 Dr. Anton Arnold, „Das indische Geldwesen unter besonderer Berück-
sichtigung seiner Reformen seit 1893", S. 227.
2 Ein Freund, der von einer Reise aus Indien zurückkehrte, erzählte mir
einmal folgendes: Er beobachtete einige Europäer, die in einem indischen
Basar Silberschmuck erstanden. Der indische Händler bot ihnen an, den
Schmuck abzuwiegen, um ihr Mißtrauen, übervorteilt zu werden, zu ver-
scheuchen. Der Kaufpreis solle in dem gleichen Gewicht Silberrupien bestehen.
Die Europäer waren damit sehr zufrieden und schlössen das Geschäft mit dem
befriedigenden Gefühl ab, dem Händler nur den Metallwert ersetzt und die
Vorarbeitungskosten gratis erhalten zu haben. Daß der Händler dank der
Währungsgesetzgebung dabei einen Preis von fast 100 Prozent über dem
Mdallwert erzielt hatte, wußten sie natürlich nicht. Man wird diese Geld-
strafe für nationalökonomische Unwissenheit sicher nur angemessen finden
und nur bedauern, daß sie sich nicht verallgemeinern läßt.
' „Man darf in der Tat daran zweifeln, ob seit Einführung des neuen
Hiinksystems (gemeint ist die Suspension der Barzahlung und Verleihung des
7, wangskurses für die Noten der Bank von England im Jahre 1797) das Gold
fortgefahren hat, in Wirklichkeit unser Wertmesser (measure of prices) zu
sein; und ob wir einen anderen Maßstab der Preise (Standard of prices) haben
iils jenes Zirkulationsmittel (circulating medium) der Bank von England und
ilcr Landbanken, dessen Variationen in seinem relativen Wert so unbe-
stimmt sein können als der mögliche Exzeß dieses Zirkulationsmittels." „Report
frorn the select Committee appointed to inquire into the cause of the high
l'i ice of Gold Bullion." (London 1810.) S. 16. Der Report läßt die Frage,
die er stellt, unentschieden.
* Richtig hat Lindsay vor dem unter Vorsitz von Lord Towler tagenden
Wiihrungskomitee von 1898 erklärt: „Rupien unter dem gegenwärtigen Wäh-
1 nngssystem sind nichts anderes als eine Art uneinlösbarer, mit Zwangskurs
versehener metallischer Noten, für die deshalb alle Gesetze zutreffen, die für
nnrinlösbares Papiergeld gelten." Diese Gesetze sind nach Lindsay die von
Uirnvdo aufgestellten. (Zitiert bei Bothe „Die indische Währungsreform''.)
38
39
gilt mit Recht seit dem Nachweis Tookes als unhaltbar. Dazu
kommt, daß man überhaupt nicht die Metallmasse auf der einen
Seite, die Warenmasse auf der anderen in Beziehung setzen kann.
Welche Beziehung soll zwischen x Kilogramm Gold oder Silber
oder gar Papier und a Millionen Stiefel, b Millionen Schachteln
Stiefelwichse, c Zentner Weizen, d Hektoliter Bier usf. bestehen?
Die Inbeziehungsetzung der Geldmasse auf der einen, der Waren-
masse auf der anderen setzt bereits ein Gemeinsames voraus, eben
das Wertverhältnis, das zu erklären ist.
Die Macht des Staates heranzuziehen, genügt aber ebenfalls
nicht. Es bleibt zunächst völlig mystisch, wieso der Staat imstande
sein soll, auch nur um ein Hundertstel eines Hellers einem Papier-
zettel oder einem Gramm Silber größere Kaufkraft gegenüber
Weinen, Stiefel, Stiefelwichse usw. zu verleihen. Zudem hat der
Staat regelmäßig bei solchen Versuchen Schiffbruch erlitten. Der
indischen Regierung nützte ihr Willen, der Rupie den Kurs von
16 Pence zu verleihen, zunächst nicht das geringste. Die Purpie
kümmerte sich nicht darum, und der nächste Erfolg des Staates war
nur, den Kurs der Rupie zunächst überhaupt völlig unberechenbar
zu machen, da er sich jetzt um den Preis des Silbers nicht mehr
kümmerte. Für den österreichischen Staat gar kam die Überwertung
des Silberguldens völlig überraschend, ohne jedes beabsichtigte Ein-
greifen, gleichsam über die Nacht seiner Ahnungslosigkeit. Was die
Theoretiker narrt, 1 ist der Umstand, daß das Geld seine Eigenschaft,
1 Sehr charakteristisch ist folgendes Fragespiel bei Bothe („Die indische
Währungsreform seit 1893", Cotta 1904, S. 48 ff.): „Was war nach dem
26. Juni 1893 Wertmesser in Indien?" Daß, sobald einmal der Goldwert der
Rupie sich über den Goldwert des in ihr enthaltenen Quantums Feinsilber
erhöht hatte, Silber nicht mehr der Wertmaßstab war ... ist klar. War etwa
die „Rupie" Wertmesser in Indien geworden in dem Sinne, wie Professor
Lexis in seinem Artikel „Papiergeld" („Handwörterbuch der Staatswissen-
schaften") ausführt, daß uneinlösliche, mit Zwangskurs versehene Noten
zum selbständigen Gelde, das heißt auch zum Wertmaßstab werden können,
weil ihnen ihre gesetzliche Zahlungskraft die „höchste Ausprägung des Zah-
lungskredites", die Bewahrung ihres Wertes gegen Waren gestatte? Oder
war das Gold nach Schließung der Münzstätten Wertmesser in Indien?
40
j^HH
Wertmesser zu sein, scheinbar beibehalten hat. Natürlich werden
nach wie vor alle Waren in Geld ausgedrückt, „gemessen". Das Geld
erscheint nach wie vor als Wertmesser. Aber die Größe des Wertes
dieses „Wertmessers" ist nicht mehr bestimmt durch den Wert der
Ware, die ihn bildet, den Wert des Goldes oder Silbers oder des
Papiers. Vielmehr wird dieser „Wert" in Wirklichkeit bestimmt
durch den Gesamtwert der zu zirkulierenden Waren (bei gleich-
bleibender Umlaufsgeschwindigkeit). Der wirkliche Wertmesser ist
nicht das Geld, sondern der „Kurs" des Geldes wird bestimmt durch
das, was ich den gesellschaftlich notwendigen Zirkulationswert
nennen möchte, der gegeben ist, wenn wir auch die Zahlungsfunk-
tion des Geldes berücksichtigen, was wir bisher der Vereinfachung
wegen unterlassen haben und worauf wir später ausführlich zu
sprechen kommen, durch die Formel
Wertsumme der Waren
Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes
plus der Summe der fälligen Zahlungen minus der sich ausgleichen-
den Zahlungen, minus endlich der Anzahl Umläufe, worin dasselbe
Geldstück abwechselnd bald als Zirkulations-, bald als Zahlungs-
mittel funktioniert. Das ist natürlich ein Maßstab, dessen Größe
Spricht man der „Rupie" die Eigenschaft eines Wertmessers zu, so ist das
gleichbedeutend mit der Behauptung, daß ein Abstraktum Wertmesser sein
könne, denn nach dem. 26. Juni 1893 war der Wert der Rupie nicht mehr
durch den Gebrauchswert (!) des Stoffes, aus dem sie geprägt war, bedingt
dieser letztere war ja nur mehr die stets Verschiebungen ausgesetzte untere
( i i i'iize — ., sondern durch das Urteil über Eigenschaften und Brauchbarkeiten
ilcr „Rupie", die außerhalb der aus ihrem Stoffe sich ableitenden lagen.
Ganz ebenso ist die Meinung John Lubbocks, „daß ,exchange' seit
Schließung der Münzstätten Wertmesser geworden sei, nur eine andere Form
cIit nicht unbedenklichen (!) Behauptung, daß ein Abstraktum Wertmesser
Min könne". Voilä tout. Man sieht, die sehr konkrete Hochachtung vor der
Autorität Professor Lexis' hindert den Verfasser an jeder Kritik des Mangels
im theoretischer „Abstraktion", die Lexis zu dem famosen Abstraktum führt.
Wo »her der Begriff des Wertes mangelt, da stellt zur rechten Zeit das Wort
„Wrlrnuen" sich ein. Vergleiche übrigens die treffende Polemik gegen Lexis
l...i Arnold, a. a. O., S. 241 ff.
41
nicht im vorhinein ausgerechnet werden kann. Der Rechenmeister,
der allein imstande ist, das Exempel zu lösen, ist die Gesellschaft.
Die Größe wechselt und mit ihm der Kurs des Geldes. Dies zeigen
der wechselnde Kurs der indischen Rupie von 1893 his 1897 und
ebenso die Schwankungen der österreichischen Valuta sehr deut-
lich. Diese Schwankungen werden vermieden, sobald als Wertmesser
wieder eine vollwertige Ware (Silber, Gold) als Geld funktioniert.
Dazu ist keineswegs nötig, wie wir gesehen haben, daß das Papier-
geld oder unterwertiges Geld aus dem Verkehr verschwindet; es
braucht bloß auf das Zirkulationsminimum reduziert werden und
die Schwankungen, die über das Minimum hinausgehen, durch den
Eintritt von vollwertigem Geld beseitigt werden.
Das Mystische verliert die merkwürdige Geschichte der ge-
sperrten Währungen oder der „Silberwährung mit vergoldetem
Rand, des Goldmarginalsystems", wie man die indische und analoge
Währungen genannt hat, erst dann, wenn man sie im Lichte der
marxistischen Geldtheorie betrachtet, wie sie anderseits im Lichte
der „metallistischen'Theorie unerklärbar bleibt. Knapp dagegen, der
mit größtem Scharfsinn vi eleMängel der „metallistischen" Theorie-
die Marxsche berücksichtigt er nicht und konfundiert sie offenbar
mit jener - aufgedeckt hat, gibt selbst keine ökonomische Erklärung
der Phänomene, sondern nur ein kunstvolles System der Einteilung
der Geldarten, ohne auf ihr Entstehen oder ihre Entwicklung ein-
zugehen. Es ist eine spezifisch juristische Darstellung, für die der
breite Raum, den die Terminologie einnimmt, charakteristisch ist;
das ökonomische Grundproblem des Geldwertes und der Kauf-
kraft des Geldes bleibt gänzlich außerhalb der Betrachtung.
Knapp ist gleichsam der Linne der Geldtheorie, während Marx
auch hier Darwin ist. Aber dieser Linne kommt lange nach
Darwin !
Knapp ist der konsequenteste Ausläufer jener Theorie, die, weil
sie die Phänomene der Papierwährung nicht erklären kann, das bei
dem Papiergeld mit Zwangskurs in die Augen fallende Phänomen
des Einflusses der Quantität der ausgegebenen Papierzettel einfach
auf die metallische und damit auf die Zirkulation überhaupt (Metall
42
^^^M
plus Banknoten, die mit dem Staatspapiergeld zusammengefaßt
werden) überträgt. Sie betrachtet nur das quantitative Verhältnis
und übersieht dabei das Bestimmende des Wertes, sowohl des Waren-
wertes als des Geldwertes. Ihr Irrtum entsteht aus den Erfahrungen
der Papiergeldwirtschaft besonders Englands seit der Suspension
der Barzahlung 1797. „Als historischer Hintergrund der Debatte
diente die Geschichte des Papiergelds im 18. Jahrhundert, das Fiasko
der Lawschen Bank, die mit der wachsenden Quantität der Wert-
zeichen Hand in Hand gehende Depreziation der Provinzial-Bank-
noten der englischen Kolonien in Nordamerika vom Anfang bis in
die Mitte des 18. Jahrhunderts; dann später das von der amerika-
nischen Zentralregierung während des Unabhängigkeitskrieges ge-
setzlich aufgezwungene Papiergeld (Continental bills), endlich das
auf noch größerer Stufenleiter ausgeführte Experiment der fran-
zösischen Assignaten."
Diesem falschen Schluß entging auch der Scharfsinn Ricardos
nicht, und das ist psychologisch interessant für den übermächtigen
Einfluß empirischer Eindrücke auf das abstrakte Denken. Denn
gerade Ricardo geht sonst überall von den Quantitätsverhältnissen,
die die Preise beeinflussen (von Nachfrage und Angebot als preis-
liestimmenden Faktoren), zurück auf das den Quantitätsverhält-
nissen Zugrundeliegende und sie Beherrschende, auf den Wert.
Nur in der Geldfrage schiebt er den bereits gefundenen Wertbegriff
liciseite. Er sagt: „If a mine of gold were discovered in either of
lliese countries, the currency of that country would be lowered in
v.ilue in consequence of the increased quantity of the precious metah
liiought into circulation, and would therefore no longer be of the
SJune value as that of other countries." Hier ist es die Quantität
allein, die den Wert des Goldes senkt, und das Gold wird ganz ein-
1 Marx, „Zur Kritik der politischen Ökonomie", S. 177. (Neuausgabe S. 184.
DU Red.)
2 „Würde in einem Lande eine Goldmine entdeckt, so würde in diesem
Lande das Umlauf smittel entwertet werden infolge der vermehrten Menge
ilc r edlen Metalle, die in Zirkulation treten würden, und es würde infolge-
dessen nicht länger denselben Wert besitzen wie das Umlaufsmittel anderer
I .ander."
43
scitig nur als Zirkulationsmittel gefaßt, woraus dann natürlich
folgt, daß sofort alles Gold auch insgesamt in die Zirkulation ein-
tritt. Und da die Quantität allein entscheidet, kann dann das Gold
ohne weiteres gleichgesetzt werden mit der Banknote, die zwar
Ricardo mit Worten zunächst als konvertibel voraussetzt, die ihm
aber, dem Zustand der damaligen englischen Währung entsprechend,
als Staatspapiergeld mit Zwangskurs vorschwebt. Daher kann er
sagen: „If instead of a mine being discovered in any country, a
bank were established, such as the Bank of England, with the power
of issuing its notes for a circulating medium, after a large amount
had been issued, . . . thereby adding considerably to the sum of the
currency, the same effect would follow as in the case of the mine."
Hier wird also die Wirkung der Bank von England und die der Ent-
deckung einer Goldmine gleichgesetzt: denn beide vermehren das
umlaufende Medium. 2
Diese Gleichsetzung ließ dann weder die Gesetze der metallischen
noch der Banknotenzirkulation richtig erkennen. Knapp wieder ist
ganz bestimmt durch die geschilderten neuen Phänomene der sta-
bilen „Papierwährungen" und der Loslösung des Silbergeldes von
seinem Metallwert. Das letztere ist dem Silbergeld (also Metall-
geld) mit dem Papiergeld gemeinsam. Das Papiergeld aber scheint
in seinem Wert bestimmt durch den Staat, der es ausgibt. Da aber
das Silber bei gesperrter Prägung in dieser einen Beziehung mit
dem Papier übereinkommt, so entsteht die Illusion, daß das Papier —
wie das Metallgeld, also das Geld überhaupt - bestimmt ist durch
den Staat, und die staatliche Theorie des Geldes, die bewußt keine
ökonomische ist, ist entstanden. Die Illusion, die ihr zugrunde liegt,
erfordert folgende Kritik:
1 „Wenn statt der Entdeckung einer Mine in einem Lande eine Bank, wie
die Bank von England, errichtet wird mit der Befugnis, ihre Noten als Zir-
kulationsmittel auszugeben, so wird, sobald eine große Summe Noten aus-
gegeben ist, die so ein Beträchtliches zu der Summe der Umlaufsmittel bei-
trägt, genau die gleiche Wirkung eintreten als im Falle der Entdeckung der
Mine."
2 Ricardo, „High Price of Bullion"; „The Works of David Ricardo. Her-
ausgegeben von McCulloch". New edition. London 1888, S. 264.
44
„Die Einmischung des Staats, der das Papiergeld mit Zwangs-
kurs ausgibt . . ., scheint das ökonomische Gesetz aufzuheben. Der
Staat, der in dem Münzpreis einem bestimmten Goldgewicht nur
einen Taufnamen gab, und in der Münzung nur seinen Stempel auf
das Gold drückte, scheint jetzt durch die Magie seines Stempels
l'apier in Gold zu verwandeln. Da die Papierzettel Zwangskurs
haben, kann niemand ihn hindern, beliebig große Anzahl derselben
in Zirkulation zu zwängen und beliebige Münznamen, wie 1 Pfd. St.,
3 Pfd. St., 20 Pfd. St., ihnen aufzuprägen. Die einmal in Zirku-
lation befindlichen Zettel ist es unmöglich herauszuwerfen, da so-
wohl die Grenzpfähle des Landes ihren Lauf hemmen, als sie allen
Wert, Gebrauchswert wie Tauschwert, außerhalb der Zirkulation
verlieren. Von ihrem funktionellen Dasein getrennt, verwandeln
sie sich in nichtswürdige Papierlappen. Indes ist diese Macht des
Staats bloßer Schein. Er mag beliebige Quantität Papierzettel mit
beliebigen Münznamen in die Zirkulation hineinschleudern, aber
mit diesem mechanischen Akt hört seine Kontrolle auf." (NB. Und
damit hört zugleich auch Knapps Theorie gerade da auf, wo das
ökonomische Problem beginnt.) „Von der Zirkulation ergriffen,
l.illl das Wertzeichen oder Papiergeld ihren immanenten Gesetzer
.uihcim.
Die Schwierigkeiten der Erklärung rühren daher, daß die ver-
•iliiedenen Geldfunktionen und die verschiedenen Geldarten (das
Sl.iatspapiergeld und das Kreditgeld [s. in ff.]) durcheinander-
geworfen werden. War es der Fehler der Quantitätstheorie, dem
auch Ricardo nicht entging, die Gesetze des Staatspapiergeldes mit
denen der Geldzirkulation überhaupt und insbesondere mit denen
lies Hanknoten- (Kreditgeld-)Umlaufes zu konfundieren, so geschieht
heute das Umgekehrte. Da die Quantitätstheorie mit Recht als
widerlegt betrachtet wird, fürchtet man sich, den Einfluß der Quan-
hliit auf den Geldkurs dort einzugestehen, wo er bestimmend ist,
nniiilich bei Papiergeldwährung und bei Währungen mit „unter-
u'rrtigcm" Geld. Man greift zu allerhand Erklärungen und hilft
' Mnrx, „Zur Kritik der politischen Ökonomie", S. 115. (Neuausgabe
> 125/126. Die Red.) Die Hervorhebungen rühren von mir her.
II llilliiiiling, Das Finanzkapital
45
sich, weil man das gesellschaftliche Bestimmungsmoment nicht
kennt, mit subjektiven Erklärungsversuchen und sucht den Wert
des Staatspapieres auf irgendwelche Kreditschätzungen -zurück-
zuführen. Da man aber anderseits beim Metallwert an dem Eigen-
wert des Geldes festhalten muß, will man nicht wie Knapp ge-
zwungen sein, überhaupt auf die Erklärung des ökonomischen
Inhalts zu verzichten, so bleibt die Überwertung eben unerklärt.
Bei Ricardo erklärt sich jede Wertänderung des Geldes aus Quan-
titätsänderung. Da die Wertänderung nach seiner Theorie eine sehr
häufige Erscheinung ist, der Wert des Geldes, je nachdem seine
Quantität sich vermehrt oder vermindert, fällt oder steigt, also hei
jeder Währung beständig Über- und Untcrwertung vorkommt, so
ist für ihn die Überwertung weiter kein Problem. Er sagt:
„Obschon das Papiergeld keinen inneren Wert hat, so kann doch,
wenn man seine Menge begrenzt, sein Tauschwert dem Wert von
Metallgeld im gleichen Betrage oder von nach ihrem Münzwert
abgeschätzten Barren gleichkommen. Ganz ebenso, infolge desselben
Prinzips, das heißt dadurch, daß man die Menge des Geldes ein-
schränkt, können unterwertige Geldstücke in dem Wert zirkulieren,
den sie haben würden, wären ihr Gewicht und ihr Gehalt die vom
Gesetze vorgeschriebenen, nicht aber nach dem inneren Wert des
reinen Metallcs, das sie enthalten. Deshalb finden wir in der Ge-
schichte des englischen Geldes, daß unser Hartgeld niemals sich in
dem gleichen Verhältnis entwertete, als es gefälscht wurde. Die
Ursache liegt darin, daß es niemals im Verhältnis seiner Entwertung
vermehrt wurde." (Principles XXVII.) Ricardos Fehler ist der, daß
er Gesetze, die für die gesperrte Währung gelten, ohne weiteres
auch auf die freie Währung überträgt. Die meisten deutschen Geld-
theoretiker konfundieren aber ebenfalls beide Währungssysteme,
nur umgekehrt, ebendeswegen haben sie der Quantitätstheorie
gegenüber ein schlechtes Gewissen und fallen bei Problemen der
Banknotenzirkulation immer wieder in die alten Anschauungen
der Quantitätstheorie zurück, während sie bei den Problemen der
gesperrten Währungen wieder die Erklärung aus der Quantität ver-
abscheuen.
Dagegen findet sich bei Fullarton eine interessante und im
wesentlichen richtige Problemstellung der gesperrten Währung. Er
setzt eine Nation ohne Handelsverkehr und ohne Einrichtung für
sländige Erneuerung der Münze voraus, die ihren Umsatz im
Irinern vermittels einer alten und unterwertigen (debased) metal-
lischen Zirkulation besorgt, die eine hohe Kaufkraft behält nur
(I u ich die Beschränkung ihrer Menge (which preserves a high rate
ol exchangeable value merely by the limitation of its amount). Die
Nation verbraucht dabei Edelmetalle in ausgedehntem Maße zu
I .iimis- und Schmuckzwecken und exportiert jährlich um eine halbe
Million Industrieprodukte in ein Minen besitzendes Land, um ihren
l.ilirlichen Edelmetallbedarf zu decken. Nun werden durch Ver-
besserung in den Abbaumethoden oder durch Entdeckung neuer er-
giebiger Minen die Kosten der Gold- und Silberproduktion in dem
I ,.mdc, wo die Minen liegen, auf die Hälfte reduziert; ferner wird
Lafol ged essen die Produktion verdoppelt, der Preis der Metalle am
Orte wird entsprechend fallen; die Kaufleute der erwähnten Nation
würden so imstande sein, für dieselbe Quantität der exportierten
i lüt&r statt einer halben Million eine Million dieser Metalle ein-
/iiliihren. Was wäre der Effekt? Sicher keiner, der wesentlich ver-
schieden wäre von der Wirkung eines Überangebots irgendeiner
.imlrren, gleich dauerhaften Ware. Da die frühere jährliche Kon-
' niiilion von Gold und Silber für Luxuszwecke in dem Lande durch
ilcii Import zu dem Werte von einer halben Million vollständig be-
I I inligt worden war, werden sich Abnehmer für mehr nicht früher
Finden, bis nicht eine neue Nachfrage durch Senkung des Preises
;'•,( lialfcn ist; in Übereinstimnrang damit müssen die Preise des
j ki i eingeführten Metallvorrates, geschätzt in der entwerteten Wäh-
rung, mehr oder weniger rasch fallen, je nachdem die Kaufleute
niiiir oder weniger rasch ihre Ware realisieren (the prices, aecor-
dhigly, of the newlyimported stock of metals, as estimated inthebase
i ui i riicy, would decline with more or less rapidity as the merchants
inij'lit he more or less eager to realize their returns). Aber während
ill dieser Zeit (bis durch die Konkurrenz die Preise der Metalle auf
Ihre Produktionskosten reduziert sind) würde der Preis aller anderen
46
47
Waren außer von Gold und Silber, gemessen in der lokalen Wäh-
rung dieses Landes, unverändert bleiben; und solange nicht etwas
von dem überschüssigen Metallwert verwendet werden könnte zu
Austauschakten mit einem dritten Lande, das in dem Bezug von
Gold und Silber weniger begünstigt wäre, würde das importierende
Land von diesen periodischen Erwerbungen des Metallreichtums
keinen Vorteil haben, außer dem, der aus der größeren Verbreitung
der Verwendung von Gold und Silber zu häuslichen Zwecken ent-
springt. (But, all this time, the price of every other commodity but
the gold and silver, as measured in the local currency of the country,
would remain unmoved; and, unless some of the surplus stock of the
metals thus acquired could be turned to account in commercial
exchange with some third country less favourably circumstanced
for procuring its supplies of gold and silver direct from the mines,
the importing country would derive no advantage from these
periodical accessions of metallic wealth, beyond such gratification
as can be derived from the more generally diffused application of
gold and silver to domestic uses.)
Hier ist also der Fall der Überwertung des österreichischen Silber-
guldens theoretisch konstruiert. Nur daß Fullarton die quantitative
Bestimmung durch das gesellschaftliche Zirkulationsminimum nicht
gibt.
Dann untersucht Fullarton die ganz anderen Verhältnisse unter
einer, wie wir heute sagen, freien Prägung. Er fragt nach der Wir-
kung, die die gleichen Umstände in einem Lande mit ausgedehn-
teren Handelsbeziehungen haben würden, dessen Geldsystem in
einem besseren Zustande wäre, das also einen vollwertigen Metall-
geldumlauf hätte (a füll metallic circulation of Standard weight and
fineness), einen unbeschränkten Metallhandel und eine zur Aus-
prägung des Währungsmetalls verpflichtete Münze (a mint open
for the coinage of all the Standard bullion which might be brought
to it). Dann würde die Wirkung der Verdoppelung des Angebots
der Minen eine ganz verschiedene sein. Es könnte kein Steigen des
Marktpreises der Barren eintreten, denn der Preis des Goldes, ge-
messen in der Münze desselben Metalls, kann nicht variieren; sie
48
mögen zusammen fallen oder steigen, aber eine Abweichung kann
nicht eintreten. Daher würde es kein ungewöhnlich dringliches
Angebot auf dem Markt für Goldbarren infolge der Zunahme
des Imports geben, noch, wenigstens in der ersten Zeit, einen
/Ynreiz zu vermehrter Konsumtion; die Barren würden alle in die
Münze zur Ausprägung geschickt werden und den Importeuren
einen enormen Zuwachs an Reichtum verschaffen, die jetzt nach
dem Ausmaß der so erlangten Mittel sofort Konkurrenten für jede
Art produktiver Anlage auf dem Markte würden, wie für alle
Objekte, die zu den Annehmlichkeiten des Lebens beitragen. Da
nber das Angebot von solchen Luxusgegenständen stets beschränkt
ist und in keiner Weise durch diese große Überschwemmung mit
zirkulierender Münze vermehrt würde, so würde die unvermeidliche
Kolge sein: zuerst ein Fall der Zinsrate; dann eine Steigerung des
Hodenpreises und aller zinstragenden Wertpapiere; schließlich eine
fortschreitende allgemeine Steigerung aller Warenpreise, bis diese
Preise ein Niveau erreicht haben werden, welches den verringerten
Produktionskosten der Münze entspricht, worauf die Wirkung auf
den Zinsfuß aufhört, der neue Vorrat von Münzen von dem alten
iibsorbiert wird und die Visionen von plötzlichem Reichtum und
Prosperität verschwinden, ohne andere Spur zurückzulassen als die
größere Anzahl und Gewicht der Münzen, die bei jedem Kauf
und Verkauf gezahlt werden müßten. („There would, in that case,
!><• no rise of the market-price of the bullion, for the price of gold,
measured in coin of the same metal, and of equal fineness, can never
v.iry; they may both rise or both fall together, as compared with
lommodities, but there can be no divergence. Neither would there
lie any unusual pressure on the bullion market in consequence of
the increased importation, nor, at least, in the Erst instance, any
inducement to a larger consumption, and the rest would all be sent
In llie mint for coinage, yielding an enormous accession of wealth to
llie importers, who, to the extent of the means thus placed in their
haods, would immediately become competitors for every description
of produetive investment in the market, as well as for all the mate-
riiil objeets which contribute to human enjoyment. But as the supply
+9
of such objects of desire is always limited, and would in no way be
augmented by this great inundation of circulating coin, the ine-
vitable results would be, first, a decline of the market-rate of inter-
est; next, a rise in the value of land, and of all interest-bearing
securities ; and lastly, a progressive increase in the prices of commo-
dities generally, until such prices should have attained a level corre-
sponding with the reduced cost of procuring the coin, when the
action on interest would cease, the new stock of coin would be
absorbed in the old, and the visions of sudden riches and prosperity
would pass away, leaving no trace behind them but in the greater
number and weight of the coins to be counted over on every occasion
of purchase and sale.") 1
Es muß aber noch eine charakteristische Überwertung des Geldes
erwähnt werden, charakteristisch deshalb, weil sie ganz automatisch
ohne jedes Eingreifen des Staates zustande kommt. Während der
letzten Kreditkrise im Herbst 1907 in den Vereinigten Staaten ent-
stand plötzlich ein Agio auf Geld, nicht etwa bloß auf Goldgeld,
sondern auf alle Arten von gesetzlichen Zahlungsmitteln, Gold-
und Silbermünzen, Staatspapiergeld (Greenbacks) und Banknoten.
Das Agio betrug anfangs über 5 Prozent. Die Tatsachen beleuchtet
folgende New- Yorker Korrespondenz der „Frankfurter Zeitung"
vom 21 . November 1907 : „In einem großen Teil der amerikanischen
Handelsplätze sind die Barzahlungen vollständig eingestellt. Dort
werden Privatgeldzeichen gegeben, in anderen werden Zahlungen
teilweise in solchen und teilweise in bar geleistet. An vielen Stellen
kursiert Bargeld eigentlich nur noch als Scheidemünze. In
77 amerikanischen Städten ist Notstandsgeld emittiert worden, das
heißt Clearinghousezertifikate oder besonders für die Gelegenheit
hergestellte Bankschecks, meist aber die ersteren. Während vor der
Krisis nur vielleicht ein Dutzend amerikanischer Städte Clearing-
institute hatten, sind solche jetzt in etwa hundert Plätzen gegründet
worden. Sobald die Krisis in New York ausgebrochen war, taten
sich die Geldinstitute in diesen Orten zur gemeinsamen Abwehr
der drohenden Gefahr zusammen. Abweichend von dem Verfahren
1 John Fullarton, „On the regulation of currencies", 2. ed. 1845, S. 59 ff.
50
in New York, wo die Clearingzertifikate nur auf große Summen
ausgestellt sind, schufen diese Clearinganstalten nun ein für den
allgemeinen Verkehr berechnetes Notstandsgeld, und zwar in den
Bedürfnissen des Kleinverkehrs angepaßten Abschnitten von 1, 2,
5 und 10 Dollar. Diese Geldzeichen zirkulieren in den Clearing-
orten und der nahen Umgebung ganz ungehindert, Arbeiter nehmen
sie an Stelle ihres Lohnes, Kaufleute für Waren usw., sie gehen von
Hand zu Hand und haben, wenn überhaupt, meistens nur ein ge-
ringes Disagio gegenüber Bargeld zu erleiden. Wie stark der Bar-
geldmangel auch in New York ist, zeigt zum Beispiel, daß selbst die
mächtige Standard Oil Company ihre Arbeiter in zertifizierten
Schecks ablohnen mußte. Nur im Verkehr mit den Regierungs-
instituten läßt sich das Notstandsgeld nicht gebrauchen, die öffent-
lichen Kassen bestehen auf Legal Tender, und somit muß Bargeld
beschafft werden. Es ist dies die vornehmste Ursache für das Auf-
geld auf Barmittel. Als letzter Tage die American Sugar Refming
Company hier nicht ausreichend Bargeld auftreiben konnte, um
eine Zuckerladung aus dem Zollverschluß zu nehmen, mußte sie
einige Etablissements einen oder zwei Tage stillegen."
Das Eigentümliche der Erscheinung besteht darin, daß die vor-
handene Zirkulationsmenge für die Bedürfnisse des Verkehrs zu
gering wurde. Die Kreditkrise hatte ein starkes Bedürfnis nach barer
Zahlung hervorgerufen, da die Ausgleichung der Zahlungen durch
Kreditgeld (Wechsel, Giroübertragungen usw.) gestört wurde. Ein
I Icißhunger nach Bargeld entstand. Während aber die Zirkulation
mehr Bargeld verlangte, verschwand gleichzeitig Bargeld aus der
Zirkulation und wurde als Reserve aufgeschatzt. 1 An Stelle des ver-
schwundenen Geldes suchte man neues zu schaffen, die Clearing-
'/ertifikate, in Wirklichkeit unter gemeinsamer Garantie der im
1 In einem Mitte Jänner 1908 dem Kongreß vorgelegten Bericht schätzt
der amerikanische Schatzseln-etär Cortelyon den Gesamtbetrag des baren Gel-
des, welches seit der Zahlungseinstellung der Kmekerboclier Trust Company
liis zur Wiederherstellung des Vertrauens von dem Publikum zurückgehalten
werde, auf annähernd 296 MilUorum Dollar, Diese Summe stellt im wesent-
lichen ein Zehntel des ganzen in den Vereinigten Staaten annähernd im Um-
liiuf befindlichen Geldes dar. *
51
Clearingverkehr stehenden Banken ausgegebene Noten. Die gesetz-
liche Beschränkung der Notenausgabe wurde so einfach contra oder
zumindest praeter legem gesprengt, wie in England in gleichen
Fällen die Peels-Akte suspendiert wurde. Aber dieses Kreditgeld
hatte nicht gesetzliche Zahlkraft, und das Bargeld reichte nicht aus.
So wurde es überwertet und blieb solange überwertet (es bedang ein
„Agio"), bis die Goldzufuhren aus Europa, die Wiederherstellung
normaler Kreditverhältnisse und die kolossale Einschränkung der
Zirkulation unmittelbar nach der Krisis die „Geldnot" beseitigte
und in große Geldflüssigkeit verwandelte. Die Höhe des Agio war
wechselnd und bedingt durch den „gesellschaftlichen Zirkulations-
wert". Das Charakteristische ist, daß das Agio ganz gleich war für
Papier wie für Metall, der beste Beweis, daß es mit irgendeiner
Steigerung im Goldwert nichts zu tun hatte.
Die Ausgabe von Papiergeld mit Zwangskurs ist bekanntlich für
den Staat häufig ein Mittel gewesen, Zahlungen zu leisten, für die
ihm sonst die Mittel fehlten. Das Papiergeld warf zunächst das voll-
wertige Metallgeld aus der Zirkulation hinaus, das ins Ausland zur
Bezahlung etwa der Kriegsauf Wendungen abfloß. 1 Bei weiterer Aus-
gabe fand dann Entwertung des Papiergeldes statt. Für die Wäh-
rung mit gesperrter Prägung gilt also die Quantitätstheorie, die ja
auch durch Verallgemeinerung der Erfahrungen, die man um die
Wende des 18. Jahrhunderts mit der amerikanischen, französischen
und englischen Währungszerrüttung gemacht hatte, formuliert
worden ist. In solchen Fällen kann man auch von Inflation, Über-
füllung der Zirkulation und (in besonderen Fällen) von Mangel an
1 Nach dem alten Gesetz, daß das schlechtere Geld im Umlauf das bessere
verdrängt. Man liest bei Macaulay: „Der erste Schriftsteller, welcher auf die
Tatsache aufmerksam gemacht hat, daß, wo gutes und schlechtes Geld zu-
sammen in Umlauf gesetzt worden, das schlechte Geld das gute verdrängt,
ist Aristophanes. Er scheint geglaubt zu haben, daß der Vorzug, welchen
seine Mitbürger dem leichteren Gelde geben, seinen Grund in demselben
schlechten Geschmacke habe, welcher sie verleitete, Leuten, wie Cleon und
Hyperbolus, die Leitung großer Angelegenheiten anzuvertrauen. Wenn aber
auch seine Nationalökonomie die Prüfung nicht besteht, so sind doch seine
Verse vortrefflich:
52
Zirkulationsmitteln sprechen. Dagegen ist bei freier Prägung, auch
wenn das Minimum der Zirkulation durch Zwangspapiergeld aus-
gefüllt ist, eine Inflation unmöglich. Das konvertible Kreditgeld
kehrt, wenn im Überfluß vorhanden, sofort zur Ausgabestelle zu-
rück, das Goldgeld ebenso, und wird in den Kellern der Bank als
Goldschatz aufgespeichert. Als allgemeines Äquivalent ist es zu-
gleich allgemein gültige und stets begehrte Form der Wert- und
Keichtumsansammlung. Papiergeld mit Zwangskurs aufspeichern
IToXXdxtg 8' f\\iXv edo£ev fj jzSXig jieitov&ivai
tavzov eg ze zmv noXixmv zovg xaXovg rs xdya&ovg,
Ei ze xdgxaXov vifiiafia, xal ro xaivov xgvoiov.
ovze ydg zovzoioiv ovaiv ov xexißStjXev/ievoig ,
dXXd xaXXtozots äxdvzcov, d>g öoxst, vo/iio/idzcov,
xal /iövotg dgdßg xonüai, xal xexadcovioftevotg
er ze zoXg "EXXtjot xal xoXg ßagßägoiai narzaxov,
XQwfieü' ovdev, dXXd xovxoig tolg novrjgoig yaXxloig,
X&es xe xal TZQtörjv xoizeioi T<p xaxlaxq) xdfifiaxi'
reüv noXizo&v #' ovg fiev Xofiev evysveXg xal adxpgovag
ävSgag Svxag xal dtxaiovg, xal xaXovg xe xdya&ovg,
xal xgayivxag h> JiaXalotgatg xal %oQoXg xal fiovaixfj,
jigovaeXovfiev' zotg de jjaÄxoes xal g't'voig xal JIvgg'iaig,
xal novrigoXg xdx novrjg&v, elg axavza xgwfie&a."
In deutscher Übersetzung:
Manches Mal hat mir's geschienen: unsenn Staate geht es ganz
Kbenso mit seinen Bürgern, welche fein und edel sind,
Wie's mit unsrer alten Münze bei dem neuen Golde geht.
Jene, wenn auch probehaltig, ungefälscht an Schrot und Korn,
Jn, von allen Münzen, wie mir dünkt, die beste nach Gehalt,
Die, allein von echter Prägung und bewährt durch lautern Klang,
Geltung hat bei Hellas Söhnen und im Ausland überall,
llraucht ihr nicht; nein, lieber braucht ihr dieses schlechte Kupfergold,
Gestern und ehegestern ausgeprägt, vom ärgsten Schlag.
So die Bürger, die wir kennen, edel durch Geburt und Sinn,
IVTnnner, fein, wohlwollend, redlich, ehrenhaft, gerecht und gut,
Gut gepflegt in Ringerschulen, Chorgesang und Musenkunst,
Die verstoßt ihr, und das Falschgold, Pyrrhiasse, Fremdlinge,
Schurkensöhn' und Schurken braucht ihr keck zu allem.
(Aristophanes. Deutsch von J. J. C. Donner. Leipzig und Heidelberg 1861,
„Dir Frösche", S. 744 ff.)
55
ist sinnlos, da es nur innerhalb der Zirkulation des Landes sich als
Wert erweist; Gold ist Weltgeld und bildet die Reserve für alle
Ausgaben. Seine Ansammlung erscheint daher stets rationell. Gold
ist selbständiger Wertträger auch außerhalb der Zirkulation, wäh-
rend das Papiergeld nur innerhalb der Zirkulation einen „Kurs"
erhält.
Daß Papiergeld im Übermaß ausgegeben wird, erscheint nur in
seiner Entwertung gegenüber dem Metall, das es zu vertreten vor-
gibt. Aber in einem gegebenen Moment ist nicht etwa weniger oder
mehr Papier da, als die Zirkulation erforderte. Gesetzt, die Zirku-
lation erfordert 1 Million Gulden, der Staat hat aber durch seine
Zahlungen 2 Millionen in die Zirkulation gepreßt; die Preise sind
nominell auf das Doppelte gestiegen und erfordern jetzt die 2 Mil-
lionen Papiergulden. Diese sind entwertet, weil sie im Übermaß
ausgegeben wurden; aber da sie einmal ausgegeben sind, erfordert
sie jetzt auch die Zirkulation. Sie können also nicht automatisch aus
der Zirkulation austreten; ihre Summe kann bei gleichbleibender
Warensumme nur verringert werden, indem sie der Staat wieder
vernichtet, wodurch die zurückbleibende Geldsumme im Verhältnis
im Kurs steigt. Für den Staat würde das natürlich den gleichen Ver-
lust bedeuten, als der Gewinn betrug, den er durch die Ausgabe
seinerzeit erzielt hat. Das Wesentliche ist hier, daß bei gesperrter
Prägung und wertlosem oder unterwertigem Zirkulationsmittel die
ganze Summe des Geldes in der Zirkulation bleiben muß und aus
ihr nicht austreten kann, weil sie, in welchem Umfang immer aus-
gegeben, ihren Kurs von den in Zirkulation befindlichen Waren
erhält. Anders bei freier Prägung ; hier tritt das Gold in die Zirku-
lation ein oder aus nach dem jeweiligen Bedarf, während der Über-
fluß als Wertträger in den Banken aufgestapelt wird. Wertänderun-
gen aus dem Umstand, daß zuviel oder zuwenig Geld (vollwertiges
Metallgeld) in Zirkulation befindlich ist, wie die Quantitätstheorie
annahm, sind hier also von vornherein ausgeschlossen.
Bei reiner Papierwährung wechselt also die durch das Papier
repräsentierte Preissumme bei gleichbleibender Umlaufszeit in
gleichem Verhältnis zur Preissumme der Waren und im umgekehr-
leii Verhältnis zur Menge der ausgegebenen Papiergeldeinheiten.
Dasselbe Gesetz gilt, wenn bei gesperrter Prägung die Zirkulation
von einem minderwertigen Metall versorgt wird. Nur ist hier in
dem Preis des Metalls auf dem Weltmarkt die untere Grenze der
KnLwertung gegeben. Unter diesen Wert kann die Münze auch bei
vermehrter Ausgabe nicht sinken. Würde übrigens auch bei Gold-
währung die freie Prägung, also das Recht der Privaten, ihr Gold
jederzeit ausgeprägt zu erhalten, aufgehoben werden, so könnte
äiuch hier eine Steigerung der Bewertung der Münze gegenüber
drin ungemünzten Metall eintreten. In all diesen Fällen werden
die Zirkulationsmittel nicht Geld-, also Goldzeichen, sondern Wert-
zeichen. Sie würden aber diesen Wert erhalten nicht durch den Wert
einer Einzelware, so wie das Papier bei gemischter Währung, wo
es nur Repräsentant des Goldes ist, diesen Wert vom Golde erhält.
Sondern die gesamte Papiergeldmasse hat gleichen Wert wie die
( lesamtsumme der in Zirkulation befindlichen Warenmasse bei
gleichbleibender Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes. Ihr Wert ist
1 Auf die Erklärungsversuche der modernen Ökonomen dürfte man dann
ivspnnnt sein. Mitte der neunziger Jahre, als die Goldprodultion rasch wuchs
n ml zugleich starke Geldflüssigkeit und niedriger Zinssatz (Marktdiskont
in I .ondon unter 1 Prozent) eintrat, wurde der Gedanke der Einstellung der
1 1 i'ii-n Goldprägung in England diskutiert.
IJiis Problem wird übrigens auch von Tooke erörtert. Veranlassung gab
ilie Kontroverse über Nützlichkeit und Wirkung der Einführung eines
Selilagschatzes (seignorage, Prägegebühr), wie diesen auch im Ausmaße von
'i l'rozent Ricardo befürwortete. „Eine unterwertige Münze (debased coinage)
inlrr eine solche, die einem Schlagschatz unterworfen ist, wird, wenn nicht
«li-ii hzeitig die Menge des gesamten im Umlauf befindlichen Geldes begrenzt
wird, natürlich nicht denselben- Tauschwert haben (not be of the same value
im rxchange), als wenn die Münze vollwertig wäre oder ein Prinzip der Ein-
ni IniinkuDg strikt durchgeführt würde." Zur Illustration setzt dann Tooke
folgenden Fall: „Die Zirkulation des Landes bestände nur aus Gold und be-
1 1 i«k° 20 Millionen Sovereigns von demselben Gewicht und derselben Fein-
heit wie gegenwärtig; wenn plötzlich jedes Goldstück um ein Zwanzigstel
■ > 1 1 < ■ i- 5 Prozent reduziert würde, aber die Zahl der Stücke genau auf den
Ulrichen Betrag von 20 Millionen beschränkt bliebe, dann würde unter sonst
gleichen Umständen, bei ungeändertem Verhältnis der Waren usw. zu der
Zahl der Münzen selbstverständlich keine Veränderung in den Preisen ein-
54
55
also nur Reflex des gesellschaftlichen Prozesses der Gesamtzirkula-
tion. In ihr wirken alle in einem gegebenen Moment auszutauschen-
den Waren als eine einzige Wertsumme, als Einheit, der die Papier-
geldmasse durch den gesellschaftlichen Prozeß des Austausches als
gleiche Einheit gegenübergestellt wird.
Aus dem bisher Entwickelten geht aber auch bereits hervor, daß
eine solche reine Papierwährung auf die Dauer den Anforderungen
an das Zirkulationsmittel nicht entspricht. Da sein Wert bestimmt
ist durch die Wertsumme der jeweils zirkulierten Waren, diese aber
beständigen Schwankungen unterworfen ist, würde auch der Wert
des Geldes beständig schwanken. Das Geld würde nicht mehr das
Maß der Werte der Waren sein, sondern umgekehrt, sein Wert
würde gemessen durch das jeweilige Zirkulationsbedürfnis, also bei
gleichbleibender Zirkulationsgeschwindigkeit durch den Wert der
Waren. Reines Papiergeld ist also auf die Dauer unmöglich, weil
dadurch die Zirkulation beständigenPerturbationenausgesetztwäre.
Abstrakt genommen ließe sich ein Zustand reiner Papierwährung
folgendermaßen konstruieren. Man denke sich einen geschlossenen
treten. Und wenn Barrengold vorher auf dem Markt per Unze 3 Pfund Ster-
ling 17 Schilling 10% Pence galt, so würde der Preis unter sonst gleich-
bleibenden Umständen derselbe bleiben; oder mit anderen Worten: 46 Pfund
Sterling 14 Schilling 6 Pence in gemünztem Gold, die neunzehn Zwanzigstel
Pfund wiegen, würden auf dem Markt ein ganzes Pfund ungemünzten
Goldes derselben Feinheit eintauschen. Wenn aber die Quantität des Goldes,
die so von jeder einzelnen Münze fortgenommen wurde, nun in eine zu-
sätzliche Menge von Goldstücken ausgemünzt und in Zirkulation geworfen
würde, so würden jetzt die 21 Millionen keine größere Tauschkraft besitzen
als vorher die 20 Millionen. (The twenty-one millions would then exchange
for no more than the former twenty millions.) Alle Waren würden um
5 Prozent im Preis steigen und unter ihnen auch das Barrengold, welches
dann 4 Pfund Sterling 1 Schilling 9\i Pence kosten würde; oder in anderen
Worten 46 Pfund Sterling 14 Schilling 6 Pence in Münze würden nur neun-
zehn Zwanzigstel eines Pfundes ungemünzten Goldes eintauschen.
Dies ist der Kernpunkt aller Baisonnements über Umlaufsmittel (currency)
und seine Anwendung in bezug auf die Macht des Staates, durch sein Aus-
gabemonopol den Nominalwert der Münze über ihren inneren Wert (intrinsic
value) bei ausschließlich metallischer Währung zu steigern, ist hinreichend
klar." (Siehe „History of Prices", vol. I., S. 120 ff.)
I landelsstaat, der Staatspapiergeld mit Zwangskurs in einer den
durchschnittlichen Zirkulationsbedürfhissen genügenden Menge
uusgebe. Diese Papiergeldsumme sei unvermehrbar. Die Bedürf-
nisse der Zirkulation werden außer durch dieses Papiergeld durch
Hanknoten usw. versorgt, genauso wie bei metallischer Währung.
Das Papiergeld diene nach Analogie der meisten heutigen Noten-
bankgesetzgebungen als Deckung für diese Banknoten, die im
übrigen bankmäßig gedeckt seien. Die Unvermehrbarkeit des
Papiergeldes würde es vor Entwertung sichern. Das Papiergeld
würde dann je nach den Verhältnissen der Zirkulation analog wie
heute das Gold in die Bank fließen oder von Privaten aufgeschatzt
werden, wenn der Umfang der Zirkulation abnähme, und wieder
in die Zirkulation zurückfließen, wenn ihr Umfang sich erweiterte.
In der Zirkulation verbliebe immer das jeweils gebrauchte Zirku-
l.ilionsminimum, während die Schwankungen der Zirkulation durch
ein Mehr oder Minder von Banknoten befriedigt würden. Ein sol-
ches Staatspapiergeld hätte also Wertbeständigkeit. Nur wenn der
Kredit zusammenbräche, eine Geldkrise einträte, könnte eventuell
die Masse des vorhandenen Papiergeldes nicht ausreichen und dieses
«■in Agio erhalten wie etwa das Gold und die Greenbacks während
der letzten Geldkrise in den Vereinigten Staaten. In Wirklichkeit
ist aber eine solche Papierwährung nicht möglich. Einmal wäre
dieses Papiergeld nur gültig innerhalb des einen Staates; zum Aus-
gleich der internationalen Bilanzen ist Metall, Geld mit Eigenwert,
erforderlich, und sobald dies der Fall, muß auch der Wert des im
Inland zirkulierenden Geldes mit dem internationalen Zahlungs-
mittel auf gleichem Stand erhalten werden, um Störungen des
I I andelsverkehrs zu vermeiden, eine Forderung, die durch das
System und die Politik zum Beispiel der österreichischen Währung
erfüllt wird, ohne daß dabei Metall in die inländische Zirkulation
einzutreten braucht. Es ist wie eine Vorahnung dieser neuesten Er-
fahrungen auf dem Gebiete des Geldwesens, wenn Marx sagt: „Alle
(beschichte der modernen Industrie zeigt, daß Metall in der Tat nur
erheischt wäre zur Saldierung des internationalen Handels, sobald
dessen Gleichgewicht momentan verschoben ist, wenn die inlän-
56
57
dische Produktion organisiert wäre. Daß das Inland schon jetzt kein
Metallgeld bedarf, beweist die Suspension der Barzahlungen der so-
genannten Nationalbanken, zu der, als zum einzigen Hilfsmittel,
in allen extremen Fällen gegriffen wird." 1
1 „Kapital", III., 2, S. 55. (Neuausgabe: Karl Marx, „Das Kapital",
Bd. III, Dietz Verlag, Berlin 1953, S. 562. Die Red.) Man hat übrigens bei
manchen Äußerungen von Marx über die Geldprobleme die Empfindung, daß
in seinem Bewußtsein gewisse Folgerungen, die sich aus seiner Geldtheorie
ergeben, einen Kampf führen gegen die Anschauungen, die aus dem empiri-
schen Material seiner Zeit gewonnen und auf bloß logischem Wege nicht
völlig zu überwinden sind. Die neuesten Erfahrungen gerade bestätigen
auch die letzten Konsequenzen, die sich aus der Marxschen Wert- und Geld-
theorie ziehen lassen.
Wenn Marx betont, daß nur so viel Papier in der Zirkulation sein kann,
als sie Gold erforderte, so ist es für das Verständnis der modernen Währungs-
phänomene wichtig, sich zu erinnern, daß diese Goldmenge selbst, da ihr
Wert gegeben ist, jeweilig bestimmt ist durch den gesellschaftlichen Zirku-
lationswert; sinkt dieser, so fließt Gold aus der Zirkulation ab; umgekehrt,
umgekehrt. Bei Papierwährung und gesperrter Währung überhaupt kann
aber ein Ab- und Zufluß aus der Zirkulation nicht stattfinden, da ja das nicht
zirkulierende Papierzeichen minderwertig wäre. Hier muß man also auf
den Zirkulationswert als das Bestimmende zurückgehen, und man kann sich
nicht begnügen, die Geldzeichen als bloße Goldzeichen zu betrachten wie
Marx in der „Kritik der politischen Ökonomie".
Am richtigsten scheint mir Marx die Gesetze der Papier- (oder gesperrten)
Währung zu formulieren, wenn er sagt: „Die wertlosen Marken sind Wert-
zeichen, nur soweit sie das Gold innerhalb des Zirkulationsprozesses ver-
treten, und sie vertreten es nur, soweit es selbst als Münze in den Zirkulations-
prozeß eingehen würde, eine Quantität, bestimmt durch seinen eignen Wert,
wenn die Tauschwerte der Waren und die Geschwindigkeit ihrer Meta-
morphosen gegeben sind." („Zur Kritik der politischen Ökonomie", S. 113.
[Neuausgabe S. 124. Die Red.]) Nur erscheint der Umweg überflüssig, den
Marx einschlägt, indem er zuerst den Wert der Münzmasse bestimmt und
durch ihn erst den des Papiergeldes. Der rein gesellschaftliche Charakter
dieser Bestimmung kommt viel deutlicher zum Ausdruck, wenn man den
Wert des Papiergeldes direkt vom gesellschaftlichen Zirkulationswert ab-
leitet. Daß historisch die Papiergeldwährungen aus Metallwährungen ent-
standen, ist kein Grund, sie auch theoretisch so zu betrachten. Der Wert
des Papiergeldes muß abgeleitet werden können, ohne auf das Metallgeld
zu rekurrieren.
58
Dann aber scheitert diese Währung praktisch an dem Umstand,
daß keine Garantie möglich wäre, die die Unvermehrbarkeit eines
solchen Staatspapieres gewährleisten würde. Als Aufbewahrungs-
mittel des Reichtums in seiner stets schlagfertigen Form ist Geld
mit Eigenwert, Gold, stets notwendig. 1
Deshalb kann das Geld und der selbst wertvolle Geldstoff, zum
Beispiel das Gold, in der Zirkulation, wenn sie anders ungestört
verlaufen soll, nie vollständig durch bloße Zeichen ersetzt werden.
Faktisch läuft daher auch in der reinen Papierwährung immer voll-
wertiges Geld um, etwa für ausländische Zahlungen. Es kann immer
nur das Minimum, unter das die Zirkulation erfahrungsmäßig nicht
heruntergeht, durch Papier ersetzt werden. Dies ist aber zugleich
ein Beweis dafür, daß das Geld ebenso wie die "Ware keinen imagi-
nären Wert hat, sondern dieser eine objektive Größe sein muß. Die
Unmöglichkeit der absoluten Papierwährung ist ein strikter Experi-
mentalbeweis für die objektive Wertlehre, so wie nur auf Grund
dieser Wertlehre die eigentümlichen Phänomene, die die reine
Papierwährung und überhaupt die Währung bei gesperrter Prä-
gung darbieten, erklärt werden können.
Dagegen ist es rationell, in dem Umfang, den das Zirkulations-
minimum gestattet, das vollwertige Geld, also Gold, durch relativ
wertlose Zeichen zu ersetzen. Denn in dem Prozeß W-G-W ist das
('■cid für den Inhalt des Prozesses, für den gesellschaftlichen Stoff-
wechsel, überflüssig und bildet nur Unkosten, die erspart werden
können." Nur in diesem Umfang in der Zirkulation befindlich, ist
1 Es ist daher nicht richtig, wenn Helfferich sagt: „Theoretisch würde die
Möglichkeit bestehen, ein reines Papiergeld den Schwankungen des Geld-
l.cdarfes der Volkswirtschaft anzupassen und dadurch manche Störungen zu
vrnueiden, die bei den metallischen Währungen aus Verschiebungen des
Ueichgewichtes zwischen Geldbedarf und Geldversorgung hervorgehen
Wunen." „Das Geld", S. 470.
2 Papiergeld ist also kein „fehlerhaftes" oder „schlechtes, minderwertiges"
(leid; in der richtigen Proportion in Zirkulation befindlich, widerspricht
M durchaus nicht den ökonomischen Gesetzen. Es ist nur Unklarheit über
(Mose, was die meisten „Metallisten" die Mißbräuche, die gewollten oder aus
Unkenntnis der Theorie erfolgenden, als zum Wesen einer jeden Papier-
wiilmmg gehörig ansehen und sie in eine ganz abergläubische Angst nicht
59
das Papiergeld nicht Repräsentant des Wertes der Waren, sondern
der des Goldes, nicht Warenzeichen, sondern Goldzeichen. Inner-
halb dieser Grenze gelten auch die Ausführungen von Marx: „In
dem Prozeß W-G-W, soweit er als nur prozessierende Einheit oder
unmittelbares Ineinanderumschlagen der beiden Metamorphosen
sich darstellt - und so stellt er sich dar in der Zirkulationssphäre,
worin das Wertzeichen funktioniert - erhält der Tauschwert der
Waren im Preis nur ideelle, im Geld nur vorgestellte, symbolische
Existenz. Der Tauschwert erscheint so nur als gedachter oder ding-
lich vorgestellter, aber besitzt keine Wirklichkeit außer in den
Waren selbst, sofern ein bestimmtes Quantum Arbeitszeit in ihnen
vergegenständlicht ist. Es scheint daher, als ob das Wertzeichen den
Wert der Waren unmittelbar repräsentiere, indem es nicht als
Zeichen von Gold, sondern als Zeichen des im Preis nur ausgedrück-
ten, aber in der Ware allein vorhandenen Tauschwerts sich darstellt.
Dieser Schein ist aber falsch. Das Wertzeichen ist unmittelbar nur
Preiszeichen, also Goldzeichen, und nur auf einem Umweg Zeichen
des Werts der Ware. Das Gold hat nicht wie Peter Schlemihl seinen
Schatten verkauft, sondern kauft mit seinem Schatten. Das Wert-
zeichen wirkt daher nur, soweit es innerhalb des Prozesses den Preis
der einen Ware gegenüber der andern oder jedem Warenbesitzer
gegenüber Gold vorstellt. Ein bestimmtes relativ wertloses Ding,
Stück Leder, Papierzettel usw., wird zunächst gewohnheitsmäßig
Zeichen des Geldmaterials, behauptet sich jedoch nur als solches,
indem sein Dasein als Symbol durch den allgemeinen Willen der
Warenbesitzer garantiert wird, d. h., indem es gesetzlich konventio-
nelles Dasein und daher Zwangskurs erhält. Staatspapiergeld mit
Zwangskurs ist die vollendete Form des Wertzeichens und die einzige
Form des Papiergeldes, die unmittelbar aus der metallischen Zirku-
lation oder der einfachen Warenzirkulation selbst herauswäehst." 1
nur vor jeder uneinlösbaren Staatsnote, sondern vor den harmlosesten kleinen
konvertiblen Banknoten geraten läßt. Goliathe, aber nicht in der Theorie,
fürchten sie David, und je kleiner die Banknote, desto größer die Angst.
1 Marx, „Zur Kritik der politischen Ökonomie", S. 109/110. (Neuausgabe
S. 121. Die Red.)
60
Unsere Annahme eines reinen Papiergeldes, das ohne Gold-
ergänzung existierte, hat also nur wieder die Unmöglichkeit gezeigt,
ilaß die Waren einander direkt zum Ausdruck ihres eigenen Tausch-
wertes dienen; vielmehr erscheint auch hier die Notwendigkeit des
I ''ortschreitens zu einem allgemeinen Äquivalent, das selbst nur
Ware und daher Wert sein muß.
Es ist klar, daß bereits bei der Münze zur Garantie ihrer Richtig-
keit gemeinsames Vorgehen der Produzenten erforderlich ist, um
so mehr beim Papiergeld. Das natürliche Organ dazu ist der Staat,
ilic einzig bewußte Organisation, die die kapitalistische Gesellschaft
kennt, die zugleich Zwangsgewalt hat. Der gesellschaftliche Cha-
rakter des Goldes erscheint hier unmittelbar als solcher in der gesell-
schaftlichen Regelung durch den Staat. Gleichzeitig ist damit die
Ciicnze der Zirkulationsfähigkeit von Münze und Papier gegeben
in der staatlichen Grenze. Als Weltgeld fungieren Gold und Silber
nach ihrem Gewicht.
Ililk'rding, Das Finanzkapital
61
III. Kapitel
DAS GELD ALS ZAHLUNGSMITTEL
DAS KREDITGELD
Wir haben bisher das Geld als Zirkulationsmittel betrachtet, die
Notwendigkeit seines objektiven Wertes nachgewiesen und die
Grenzen dieser Notwendigkeit, die Ersetzbarkeit durch Geldzeichen
gezeigt. Im Zirkulationsprozeß W— G— W war dieselbe Wertgröße
immer doppelt vorhanden, einmal als Ware, das andere Mal als
Geld. Aber Ware kann verkauft werden und erst später gezahlt
werden. Der Stellenwechsel der Ware ist vollzogen, bevor ihr Wert
durch Geld ersetzt wird. Der Verkäufer wird Gläubiger, der Käufer
Schuldner. Das Geld erhält durch die Trennung von Verkauf und
Zahlung eine neue Funktion, es wird Zahlungsmittel. Die gleich-
zeitige Erscheinung der Äquivalente Ware und Geld auf den beiden
Polen des Verkaufsprozesses hat aufgehört. Das Zahlungsmittel tritt
in die Zirkulation hinein, aber nachdem die Ware bereits aus ihr
ausgetreten ist. Das Geld vermittelt nicht mehr den Prozeß, sondern
schließt ihn selbständig ab. Hat der schuldige Käufer kein Geld,
so muß er Ware verkaufen, um zahlen zu können. Zahlt er nicht,
so finden Zwangsverkäufe seiner Habe statt. Die Wertgestalt der
Ware, Geld, wird also jetzt zum Selbstzweck des Verkaufes durch
eine den Verhältnissen des Zirkulationsprozesses selbst entsprin-
gende gesellschaftliche Notwendigkeit. Während Geld als Zirku-
lationsmittel den gesellschaftlichen Zusammenhang zwischen
Käufer und Verkäufer vermittelt, dieser selbst also nur durch Ver-
mittlung des Geldes entsteht, drückt Geld als Zahlungsmittel einen
gesellschaftlichen Zusammenhang aus, der sich bereits gebildet
hat, ehe Geld in Funktion getreten ist. Die Ware ist weggegeben,
62
vielleicht längst konsumiert, bevor ihr Wert durch Geld ersetzt ist.
Der Zahlungstermin ist ganz verschieden von dem Termin, an
welchem die Zahlungsverpflichtung entstanden ist. Das Geld, das
als Zahlung gegeben wird, ist nicht bloß vermittelnde und daher
verschwindende, daher auch unmittelbar ersetzbare ökonomische
l'orm in dem Warenaustauschprozeß. Vielmehr erfüllt erst die
Zahlung den Prozeß auch inhaltlich. Denn wenn in W— G— W
< ! kreditiert wird, so kann auch der erste Warenbesitzer, der die
Ware verkauft hat, den zweiten Teil seiner Metamorphose G— W
erst vollziehen, wenn G gezahlt worden ist. Der frühere einfache
l'rozeß ist jetzt in zwei Bestandteile zerlegt, die zeitlich ausein-
anderf allen.
Auch ein anderer Fall ist möglich : Der Warenbesitzer vollzieht
ilcu Kauf G— W seinerseits, indem auch er G schuldig bleibt, in
Kr Wartung des Rückstromes von G für den Verkauf seiner Ware.
Seine Zahlung hängt dann ab von der Zahlung des Käufers seiner
Ware. Bleibt die Zahlung aus, so macht er bankrott und zwingt
auch seine Gläubiger zum Bankrott. Als Zahlungsmittel muß daher
il.is Geld rückfließen, soll nicht der ganze bereits vollzogene Aus-
tauschprozeß hinterher seine Gültigkeit verlieren. Wird das Geld
nicht gezahlt, so bleibt zwar die Ware weggegeben, der durch ihre
Weggabe geschaffene gesellschaftliche Zusammenhang kann nicht
n ichr rückgängig gemacht werden, aber er wird für den einzelnen
Warenbesitzer hinterher annulliert. Er erhält den Wert, den er
Im 1 gegeben, nicht mehr zurück und kann seinerseits keine Werte
■ i langen oder die erlangten nicht bezahlen.
Die Funktion des Geldes als Zahlungsmittel setzt also die beider-
■ ii l ige Übereinkunft vonKäufer und Verkäufer voraus, die Zahlung
aufzuschieben. Das ökonomische Verhältnis entspringt hier also
ms einem privaten Akt. Neben dem Kauf und Verkauf entstellt
das /weite Verhältnis von Gläubiger und Schuldner, eine Verpflich-
l'ung zwischen zwei Privatpersonen.
Anderseits repräsentiert das Geld als Zahlungsmittel nur voll-
/n/'.ciie Käufe und Verkäufe. Das Geld hat zunächst nur ideell als
Wertmesser fungiert. Gezahlt wird erst später. Sind Käufe und
:■
63
Verkäufe unter denselben Personen vorgegangen, so können sie
sich gegenseitig kompensieren, und nur die Bilanz muß in Geld
gezahlt werden. Soweit ist also das Geld auch hier nur Repräsen-
tant von Werten und kann ersetzt werden. Aher als Zirkulations-
mittel vermittelte das Geld nur den "Warenaustausch, der Wert der
einen wurde durch den der anderen Ware ersetzt. Damit war der
Prozeß vollständig abgeschlossen. Dieser Prozeß war ein gesell-
schaftlicher, war der Akt, durch den sich der gesellschaftliche Stoff-
wechsel vollzieht, daher innerhalb eines bestimmten Umfanges un-
bedingt notwendig. Da das Goldgeld hier nur vermittelte, konnte
es ersetzt werden durch Zeichen, die die Sanktion der Gesellschaft
(des Staates) hatten. Wenn Geld als Zahlungsmittel wirkt, so ist
gerade der unmittelbare Ersatz eines Wertes durch einen anderen
aufgehoben. Der Verkäufer hat die Ware hingegeben, ohne sich das
gesellschaftlich gültige Äquivalent, Geld, auch ohne sich eine andere
Ware von gleichem Wert, die das Geld in diesem Austauschakt
überflüssig gemacht hätte, zu verschaffen. Er hat nur ein Zahlungs-
versprechen des Käufers, hinter dem nicht die gesellschaftliche
Garantie 1 steht, sondern nur die private des Käufers. Daß er Ware
gegen ein Versprechen hingibt, ist seine Privatsache. Was das Ver-
sprechen wert war, zeigt sich erst am Zahltag, wenn es wirklich
umwandelbar ist in Geld. Der Verkäufer hat also Ware hingegeben
gegen eine Zahlungsverpflichtung, einen „Wechsel". Dieser selbst
mag von anderen für sicher gehalten werden, und sie werden ihrer-
seits Waren an unseren Wechselbesitzer verkaufen. Der Wechsel
fungiert hier innerhalb dieses Kreises von Personen, welche durch
ihre Eigenschaft, das Zahlungsversprechen für voll zu nehmen, also
nur durch diese ihre private, wenn auch meist sehr begründete
Meinung zu einem Kreis verbunden sind, als Zirkulationsmittel
oder Zahlungsmittel, kurz als Geld — Kreditgeld. All diese Tausch-
akte sind für diesen Kreis erst vollzogen, endgültig, wenn das
Kreditgeld umgewandelt ist in Geld.
Im Gegensatz also zum Staatspapiergeld mit Zwangskurs, das als
1 Gemeint ist die inhaltliche ökonomische Garantie; die formelle, juristi-
sche, daß Verträge erfüllt werden müssen, ist natürlich stets vorausgesetzt.
64
gesellschaftliches Produkt aus der Zirkulation erwächst, ist das
Rrcditgeld privat, nicht gesellschaftlich garantiert und muß daher
immer in Geld verwandelbar, konvertibel sein. Ist diese Konver-
tibilität zweifelhaft, so verliert der Ersatz des Zahlungsmittels jeden
Wort. Als Zahlungsmittel kann Geld daher nur ersetzt werden
ilurch Zahlungsanweisungen. Diese müssen eingelöst werden, so-
weit sie sich nicht durch gegenseitige Verflechtung kompensieren.
Es konstituiert dies den Unterschied zwischen dem Wechsel-
u ml auf und dem Umlauf des Staatspapiergeldes mit Zwangskurs.
I Heses beruht auf dem gesellschaftlichen Minimum der Waren-
zirkulation. Die Wechselzirkulation nimmt den Raum über jenes
Minimum hinaus ein; sie beruht auf dem jeweilig wirklich voll-
zogenen, und zwar zu einem bestimmten Geldpreis vollzogenen
Verkauf einer Ware und ist privater Schuldtitel, der entweder gegen
einen anderen kompensiert oder in Geld bezahlt wird und damit
eist aus dem privaten Schuldtitel das gesellschaftlich gültige an-
erkannte Äquivalent wird. Er ist entsprungen aus der Funktion des
( leides als Zahlungsmittel, er ersetzt Geld, und zwar durch Kredit,
durch das private Verhältnis zwischen den Kontrahenten, hinter
ilenen das Vertrauen in ihre Zahlungsfähigkeit, in ihre gesellschaft-
liche Kapazität steht. Beim Staatspapier ist der Vollzug des privaten
T.nischvorganges nicht die Voraussetzung; vielmehr vollzieht sich
der Tausch erst vermittels des Staatspapiers, das hier als reines
/.iikulationsmittel wirkt und damit den Tausch vollendet, ihn
gesellschaftlich gültig macht; der Tausch braucht nicht wie beim
Werhselverkehr — soweit sich die Wechsel nicht kompensieren —
i'isl durch bare Zahlung gesellschaftlich gültig zu werden.
Das Staatspapiergeld dagegen beruht nicht auf einem Kredit -
verhältnis, und es ist ganz irreführend, es als Staatsschuld oder als
K rcditgeld zu bezeichnen.
Auf dieser Tatsache, daß der Wechsel bloß die Privaten ver-
l>l lichtet, das Staatspapiergeld die Gesellschaft, beruht die ver-
weil iedene Entwertungsmöglichkeit von Staatspapier und Wechsel.
I )ie Summe des Staatspapiers ist immer eine Einheit, in der jeder
einzelne Abschnitt für den anderen gleichsam solidarisch verant-
65
wortlich ist; sie kann nur im ganzen entwertet oder überwertet
werden, und diese Entwertung trifft alle Gesellschaftsmitglieder in
gleicher Weise. Die gesellschaftliche Garantie gilt eben gleichmäßig
für die ganze Summe und damit für jeden ihrer Bestandteile. Den
Ersatz des Geldes als Zirkulationsmittel besorgt die Gesellschaft
durch ihr bewußtes Organ, den Staat. Das Kreditgeld ist Schöpfung
der Privatleute. Es beruht auf ihren privaten Tauschakten und hat
nur Gültigkeit, fungiert nur als Geld, weil und solange es jederzeit
in Geld konvertibel. Es kann daher jeder einzelne Wechsel für sich
entwertet (aber kein Wechsel überwertet) werden, wenn diese priva-
ten Transaktionen nicht gesellschaftlich gültig vollzogen werden
können, das heißt, wenn am Verfallstermin keine Barzahlung er-
folgen kann. Er kann völlig wertlos werden; aber wertlos wird
immer nur der Wechsel des einzelnen, die Entwertung trifft immer
nur einen anderen einzelnen, dessen Obligationen dadurch im übri-
gen nicht geändert werden.
Das inkonvertible Papiergeld muß auf das Minimum der Zirku-
lationsvorgänge beschränkt bleiben. Die Menge des Kreditgeldes ist
nur abhängig von der Preissumme der Waren, für die Geld als
Zahlungsmittel fungieren soll. Sein Betrag hängt bei gegebenen
Preisen nur ab von der Ausdehnung der Kreditverhältnisse, die
selbst außerordentlich variabel ist. Da es aber stets konvertibel sein
muß, so kann es nie im und durch sein Verhältnis zu den Waren
entwertet werden. Konvertibles Kreditgeld kann seine Entwertung
nie herleiten aus seiner Menge (wie inkonvertibles Staatspapier-
geld), sondern nur aus dem Versagen der Konvertibilität. Beim ge-
ringsten Zweifel an der Konvertibilität wird sofort die Probe auf
das Exempel gemacht. Die Warenbesitzer, die inmitten all der
süßen und feinen „Papierchen" des Goldes ganz vergessen hatten,
stürzen alle nach dem Golde. On revient toujours a ses premiers
amours.
In einem bestimmten Zeitabschnitt läuft stets eine bestimmte
Anzahl von Schuldverschreibungen ab; diese repräsentieren die
Preissumme der Waren, deren Verkauf sie hervorrief. Die zur Be-
zahlung dieser Preissumme nötige Geldmenge hängt zunächst ab
\on der Umlaufsgeschwindigkeit der Zahlungsmittel. Diese ist be-
dingt durch zwei Umstände: die Verkettung der Verhältnisse von
< «laubiger und Schuldner, so daß A, der das Geld von seinem Schuld-
ner B erhält, es an seinen Gläubiger C fortzahlt usw., und die Zeit-
liinge zwischen den verschiedenen Zahlungsterminen.
Je mehr die Zahlungstermine einander angenähert sind, desto
üll er kann dasselbe Goldstück hintereinander zu Zahlungen ver-
wendet werden.
Finden im Prozeß G— W— G die Verkäufe gleichzeitig und neben-
einander statt, so beschränkt dies die Umlaufsgeschwindigkeit der
Zirkulationsmittel, also den Ersatz der Masse durch die Umlaufs-
[;eschwindigkeit. Finden dagegen Zahlungen gleichzeitig und an
demselben Orte statt, so können sie miteinander ausgeglichen wer-
den und Geld als Zahlungsmittel erspart werden. Mit der Konzen-
tration der Zahlungen an demselben Platz entwickeln sich natur-
wüchsig eigene Anstalten und Methoden ihrer Ausgleichung. So
/um Beispiel die Virements im mittelalterlichen Lyon. Die Schuld-
l'oidcrungen brauchen bloß konfrontiert zu werden, um sich
wechselseitig bis zu einem gewissen Belauf als positive und negative
( • riißen aufzuheben. So bleibt nur eine Schuldbilanz zu saldieren. Je
massenhafter die Konzentration der Zahlungen, desto kleiner relativ
die Bilanz, also die Masse der zirkulierenden Zahlungsmittel.
Wir fanden die Masse des in der Zirkulation, also im W— G— W
lielmdlichen Geldes (wobei das Gold im Betrag des Minimums der
Zirkulation durch Goldzeichen ersetzt sein kann) gleich Preis-
Mimme der Waren, dividiert durch Umlaufsanzahl der gleich-
namigen Goldstücke. Ebenso ist die Masse der Zahlungsmittel
gleich der Summe der Obligationen (die wieder gleich sind der
l'reissumme der Waren, durch deren Verkauf die Schuldscheine
entstanden sind), dividiert durch die Umlaufsanzahl der gleich-
namigen Zahlungsmittel, vermindert um die Summe der sich aus-
reichenden Zahlungen. Nimmt man die Umlaufsgeschwindigkeit
in einem gegebenen Moment als gegeben und setzt sie gleich 1, so
ist die Masse des überhaupt fungierenden Geldes gleich der Summe
der zu zirkulierenden Warenpreise plus der Summe der fälligen
66
67
Zahlungen minus der sich ausgleichenden Zahlungen minus endlich
derjenigen Geldstücke, die erst als Zahlungsmittel und dann als
Zirkulationsmittel fungiert haben. Beträgt die Warensumme, die
umgesetzt wird, auf jeder Seite 1000 Millionen Mark, die fälligen
Zahlungen ebensoviel, dienen aber 200 Millionen zuerst zur Be-
zahlung und dann zur Zirkulation, gleichen sich zudem noch 500
Millionen der Zahlungen gegenseitig aus, so braucht man im gan-
zen 1300 Millionen Mark, die das in diesem Moment nötige Geld
darstellen. Es ist dies der Betrag, den ich den gesellschaftlich not-
wendigen Zirkulationswert nenne.
Der größte Teil aller Umsätze geschieht durch dieses private
Kreditgeld, durch Schuldscheine und Zahlungsanweisungen, die
sich gegenseitig kompensieren. 1 Der Grund des Überwiegens des
Zahlungsmittels gegenüber dem Zirkulationsmittel ist, daß mit der
Entwicklung der kapitalistischen Produktion auch die Verhältnisse
der Zirkulation komplizierter werden, die Zeitpunkte des geeig-
neten Ein- und Verkaufes auseinanderfallen, überhaupt jene Bin-
dung wegfallen muß, die darin besteht, daß nur dann eingekauft
werden, wenn verkauft werden kann.
Das Kreditgeld entsteht also auf Grund von Käufen und Ver-
käufen der Kapitalisten untereinander; es entsteht innerhalb und
auf Grund der Zirkulation. Seine Wirksamkeit besteht darin, die
Zirkulation von der Schranke des vorhandenen Goldes unabhängig
zu machen; soweit Kreditgeld wirksam ist, wirkt das Gold nicht
mehr als Zirkulationsmittel, braucht daher nicht leibhaftig der
Ware gegenüberzutreten, sondern dient nur zur Ausgleichung der
schließlichen Bilanz. Diese selbst ist riesenhaft gegenüber der Gold-
menge, und ihrer Ausgleichung dienen eigene Anstalten. Die Zirku-
lation ist aber, wie wir gesehen haben, in gleicher Weise Bedingung
sowohl als Besultat der kapitalistischen Produktion. Diese kann nur
begonnen werden, wenn der Kapitalist sich durch einen Akt der
Zirkulation in den Besitz der Produktionselemente gesetzt hat. In
dem Maße, in dem diese Zirkulation unabhängig wird von dem
1 Im Giroverkehr der Deutschen Reichshank hat 1 Pf. Bargeld 1894 einen
Jahresumsatz von M. 4,55, 1900 von M. 8,50 bewältigt.
68
I )asein wirklichen Geldes, in demselben Maße wird auch die Pro-
duktion von der Goldmenge unabhängig gemacht. Da schließlich
dieses Gold Arbeit kostet und einen erheblichen Posten der faux
l'rais darstellt, so bildet der Ersatz des Geldes direkt eine Ersparnis
0.n unnützen Kosten des Zirkulationsprozesses.
Seiner Entstehung nach ist die Menge des Kreditgeldes be-
schränkt durch die Größe der Produktion und Zirkulation. Es dient
zum Umsatz von Ware und ist in letzter Instanz durch den Wert
der Ware gedeckt, deren Umsatz es vermittelt hat. Aber im Unter-
schied zum Staatspapier ist hier kein Minimum gegeben, das nicht
vermehrt werden kann. Im Gegenteil wächst mit der Warenmenge
und ihrem Preis das Kreditgeld. Das Kreditgeld ist aber nur
Zahlungsvef sprechen; wäre der Umsatz der Ware gegen wirkliches
Gold erfolgt, wäre also Wert gegen Wert getauscht worden, so
w iire der Prozeß endgültig erledigt, weitere Störung ausgeschlossen.
Kr ist aber nur gegen Zahlungsversprechen erledigt worden. Ob
dieses Versprechen gehalten werden kann, hängt davon ab, ob der
Schuldner die Ware, die er gekauft, oder eine andere an deren Stelle
/um gleichen Wert wieder verkaufen kann. Hat der Tauschakt den
l'Csellschaftlichen Bedingungen nicht entsprochen oder haben diese
»ich unterdes geändert, so kann er sein Zahlungsversprechen nicht
ei lullen, dieses wird wertlos; an seine Stelle muß wirkliches Geld
I I eten.
Daraus geht schon hervor, daß die Menge des Kreditgeldes sich
stark kontrahiert mit der Kontraktion der Preise der Waren wäh-
lend der Krise. Die Kontraktion bedeutet aber Entwertung des
K reditgeldes, das die höheren Preise repräsentiert. Zur Kontraktion
der Preise tritt die Absatzstockung, die Ware wird unverkäuflich,
u iilirend der Wechsel verfällt. Die Einlösung des Wechsels ist frag-
lich geworden. Die Preiskontraktion und die Absatzstockung ver-
mindern so den Wert des gegen die Waren gezogenen Kreditgeldes.
I )iese Entwertung bildet das wesentliche Moment der Kreditkrise,
die jede Handelskrise begleitet.
„Die Funktion des Geldes als Zahlungsmittel schließt einen un-
\ ermittelten Widerspruch ein. So weit sich die Zahlungen aus-
69
gleichen, funktioniert es nur ideell als Rechengeld oder Maß der
Werte. Soweit wirkliche Zahlung zu verrichten, tritt es nicht als
Zirkulationsmittel auf, als nur verschwindende und vermittelnde
Form des Stoffwechsels, sondern als die individuelle Inkarnation
der gesellschaftlichen Arbeit, selbständiges Dasein des Tauschwerts,
absolute Ware. Dieser Widerspruch eklatiert in dem Moment der
Produktions- und Handelskrisen, der Geldkrise heißt. Sie ereignet
sich nur, wo die prozessierende Kette der Zahlungen und ein künst-
liches System ihrer Ausgleichung völlig entwickelt sind. Mit all-
gemeineren Störungen dieses Mechanismus, woher sie immer ent-
springen mögen, schlägt das Geld plötzlich und unvermittelt um
aus der nur ideellen Gestalt des Rechengeldes in hartes Geld." 1
Gerade dann aber, wenn die Entwertung des Kreditgeldes am
größten, erlebt das Staatspapiergeld mit Zwangskurs seinen größten
Triumph. Es ist gesetzliches Zahlungsmittel wie das Goldgeld. Das
Versagen des Kreditgeldes schafft eine Lücke in der Zirkulation, und
der horror vacui erfordert gebieterisch deren Ausfüllung. In solchen
Zeiten wird es rationell, die Zirkulation des Staatspapiergeldes
(oder der Noten der Zentralbank, deren Kredit unerschüttert ist
und die, wie wir sehen werden, in der Tat durch die gesetzliche
Regelung eine Zwischenstufe zwischen Staatspapier und Kreditgeld
darstellen) zu erweitern. Geschieht das nicht, so erhält das Geld
(Metall und Staatspapiergeld) ein Agio, wie zum Beispiel das Gold
und die Greenbacks in der jüngsten amerikanischen Krise.
Das Kreditgeld erfordert zu seiner Funktion eigene Anstalten,
in denen die Zahlungsforderungen gegenseitig verglichen und zur
Kompensation gebracht werden; mit der Entwicklung dieser An-
stalten wächst die Ersparnis von Bargeld. Diese Aufgabe wird bei
entwickeltem Bankwesen zu einer wichtigen Funktion der Banken! 1
1 Marx, „Kapital", I., 4. Auflage, S. 101. (Neuausgabe S. 143/144. DU Red.)
2 Zur Abwicklung des gesellschaftlichen Verkehrs ist in Deutschland
9- bis 15mal mehr Bargeld erforderlich als in England. Der Scheckverkehr
erspart zirka 140 Millionen Pfund Sterling Noten, zu deren Deckung der
Geldvorrat von zirka 35 Millionen Pfund Sterling vervierfacht werden müßte,
falls die heutigen gesetzlichen Bestimmungen in Geltung blieben. S. Jaffe,
„Das englische Bankwesen", Leipzig 1905.
70
Im Laufe der kapitalistischen Entwicklung wächst einmal rasch
die Gesamtsumme der zu zirkulierenden Waren und damit der
l'cscllschaftlich notwendige Zirkulationswert. Damit wächst der
ll.nnn, den Staatspapiergeld mit Zwangskurs einnehmen kann.
Zweitens wächst mit der Größe des Umfanges der Produktion, mit
der Verwandlung aller Verpflichtungen in Geldverpflichtung und
besonders mit dem Wachstum des fiktiven Kapitals der Umfang, in
dem die Transaktionen durch Kreditgeld vollzogen werden. Beides
bewirkt starke Verringerung des Metallgeldes im Verhältnis der
/\i vollziehenden Zirkulationsvorgänge und Zahlungen.
71
IV. Kapitel
DAS GELD IN DER ZIRKULATION
DES INDUSTRIELLEN KAPITALS
Wir wenden uns nun der Rolle zu, die das Geld in der Zirkulation
des industriellen Kapitals spielt. Also nicht in die kapitalistische
Fabrik mit ihren Wundern der Technik geht der Weg, sondern der
Eintönigkeit des ewig gleichen Marktvorganges muß sich unsere
Betrachtung zuwenden, wo Geld in Ware und Ware in Geld in
formell stets gleicher Weise sich wandelt. Nur die Hoffnung, daß
auf diesem Wege es möglich ist, dem Geheimnis auf die Spur zu
kommen, wie aus den Zirkulationsvorgängen seihst jene Macht
erwächst, die als kapitalistischer Kredit schließlich die Herrschaft
über die gesellschaftlichen Vorgänge erhält, mag den Leser er-
mutigen, die Leidensstationen des nächsten Kapitels mit einiger
Geduld zu passieren.
In der Zirkulation wäre das Geld überflüssig, wenn der Betrag
der Preissumme stets konstant, also Masse und Preis der Waren
unveränderlich wären und jede Ware sich gegen die andere zu
ihrem Werte austauschen würde. Eine Bedingung, die innerhalb
einer ungeregelten, anarchischen Produktionsweise unerfüllbar ist.
Andererseits 'würde die bewußte Regelung der gesellschaftlichen
Produktion die Erscheinung des Wertes als Tauschwert, also das
gesellschaftliche Verhältnis zweier Dinge und damit das Geld un-
möglich machen. Anweisungen auf gesellschaftliche Produkte, von
der Gesellschaft ausgestellt, sind ebensowenig Geld als die Theater-
marke, die Anweisung auf einen Sperrsitz. Vielmehr macht nur der
Charakter der Warenproduktion das Geld als Wertmaß und damit
üls Zirkulationsmittel notwendig. 1
Fungiert das Geld als Zahlungsmittel, so erscheint eine voll-
sliindige Ausgleichung aller Zahlungen in einem bestimmten
Moment von vornherein als reiner Zufall, der in Wirklichkeit nie
eintreten wird. Das Geld schließt hier den Prozeß des Stellenwech-
sels der Ware selbständig ab. Es ist willkürlich, wann das in Zah-
lung empfangene Geld seinerseits in Ware verwandelt, also der
Wert der ersten Ware endgültig durch andere Ware ersetzt ist.
I )er Zusammenhang, der im Prozeß G— W— G besteht, ist hier zer-
rissen. Das Geld muß notwendigerweise hier eintreten, um den
V erkauf er der Ware, der seinerseits durchaus nicht Käufer einer
anderen Ware sein muß, zu befriedigen.
Diese Zerreißung des Zirkulationsprozesses, die uns auf dem Ge-
liictc der einfachen Warenzirkulation noch als zufällig und will-
luirlich erscheint, wird aber notwendig im Bereich der kapitalisti-
m lien Warenzirkulation. Dies zeigt uns eine Betrachtung der
Zirkulation des Kapitals.
1 In einem Briefe an Rudolf Meyer sagt Rodbertus: „Das Metallgeld, ist
nullt bloß Wertmesser und Liquidationsmittel — soweit entspricht es nur der
liier des Geldes, in der es nicht liegt, daß diese Quittung = Anweisung
niif Warenwert auf einem so teuren Stoff geschrieben stehe, wie Edelmetall
ml. — , sondern dient heute auch als Produktionsregulator, und diesen Dienst
vri sieht es nur durch seine kostbare Stoffzugabe. Sie müßten auch jedem
I Inlcrnehmer befehlen dürfen, wieviel er produzieren soll, wenn Sie die
Wmennote einführen wollen. Die Idee der Warennote bohrt auf dem inter-
(•■isiiiitesten Punkt der ganzen Nationalökonomie, aber als ständiges Zirku-
lnlionsmittel (und nicht bloß vorübergehender Darlehenskassenschein) ist sie
nur möglich, wenn der Wert der Waren nach Arbeit konstituiert ist und die
Wnrennote auf Warenwert nach Arbeit bemessen lautet. Die Möglichkeit
ttlncs solchen Geldes bezweifle ich nicht; aber soll ein solches Geld das
alleinige Zirkulationsmittel sein, so setzte das die Aufhebung des Grund- und
lwi|iil»leigentums voraus." „Briefe und Sozialpolitische Aufsätze von
llr Kodbertus-Jagetzow." Herausgegeben von Dr. Rudolf Meyer, Berlin
I HH I , II. Bd., S. 441. Diese wie andere Stellen beweisen übrigens, daß Engels
llixlhrrtus unrecht getan hat, wenn er ihn mit den kleinbürgerlichen Arbeits-
(ii'liliilopisten, den Gray, Bray usw., die ein Arbeitsgeld ohne gesellschaftliche
l(i in trolle der Produktion für möglich hielten, in einen Topf warf.
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Wert wird zu Kapital, indem es Mehrwert heckender Wert wird.
Dies geschieht im kapitalistischen Produktionsprozeß, dessen Vor-
aussetzung das Monopol der Kapitalisten an den Produktionsmitteln
und das Dasein einer freien Lohnarbeiterklasse ist. Die Lohn-
arbeiter verkaufen dem Kapitalisten ihre Arbeitskraft, deren Wert
gleich dem Wert der zur Erhaltung und Reproduktion der Arbeiter-
klasse notwendigen Lebensmittel ist. Ihre Arbeit schafft neuen
Wert, von dem ein Teil dem Kapitalisten den Teil des Kapitals
ersetzt, den er zum Ankauf der Arbeitskraft vorgeschossen hat —
Marx nennt ihn den variablen Teil des Kapitals -, während der
andere Teil als Mehrwert dem Kapitalisten zufällt. Da im
Arbeitsprozeß der Wert der Produktionsmittel — das konstante
Kapital — auf das Produkt übertragen wurde, hat sich der Wert,
den der Kapitalist für die Produktion vorgeschossen hat, ver-
mehrt, ist wertheckender Wert geworden, hat sich als Kapital
bewährt.
Jedes industrielle Kapital macht einen Kreislaufprozeß durch,
von dem uns in diesem Zusammenhang nur die Formverwandlun-
gen interessieren. Denn der Inhalt des Prozesses ist die Entstehung
des Mehrwerts, also die Verwertung des Kapitals, und diese voll-
zieht sich im Produktionsprozeß, der in der kapitalistischen Gesell-
schaft doppelte Funktion hat: er ist wie in jeder Gesellschaftsform
Arbeitsprozeß, der Gebrauchswerte liefert, er ist aber zugleich, wa9
für die kapitalistische Gesellschaft charakteristisch ist, Verwertungs-
prozeß, in dem die Produktionsmittel als Kapital fungieren und
Mehrwert erzeugt wird. Die Analyse dieses Prozesses hat Marx
im erstenBand des „Kapital" erschöpfend gegeben. Der Zusammen-
hang unserer Untersuchung erfordert nur ein Eingehen auf die
Formverwandlung des Wertes, nicht auf seine Entstehung. Die
Formverwandlung betrifft aber nicht die Wertgröße, deren Ver-
mehrung vielmehr den Inhalt des Verwertungsprozesses ausmacht;
gehört diese Veränderung dem Produktionsprozeß an, so die Form-
änderung dem Zirkulationsprozeß. Es sind aber nur zwei Formen,
die der Wert in der warenproduzierenden Gesellschaft annehmen
kann: die Form der Ware und die Form des Geldes.
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Betrachten wir nun den Kreislauf prozeß des Kapitals, so erscheint
jedes Kapital zunächst, etwa bei seinem ersten Auftreten, als Geld-
kapital. Als Geld, das als Kapital fungieren soll, wird es verwandelt
in Waren (W) bestimmter Art, Produktionsmittel (Pm) und Arbeits-
kraft (A). Es folgt der Produktionsprozeß (P . . .). Dieser schließt
keine Formänderung des Wertes ein. Der Wert bleibt Ware. Aber
im Produktionsprozeß wird erstens — was den Wert überhaupt nicht
trifft — der Gebrauchswert der Ware geändert, und zweitens ver-
mehrt die Arbeitskraft durch ihre Funktion den Wert; der Wert
wird vergrößert. Als Ware (W 1 ), deren Wert um den Mehrwert
vermehrt ist, verläßt die Ware die Produktionsstätte, um ihre zweite
und letzte Formveränderung zu erfahren, in Geld (G ) verwandelt
zu werden.
Der Kreislaufprozeß des Kapitals zerfällt also in zwei der Zir-
kulation angehörige Stadien G— W und W 1 — G 1 und in ein Stadium
der Produktion. In der Zirkulation erscheint es als Geldkapital und
Warenkapital, in der Produktion als produktives Kapital; das Kapi-
tal, welches alle diese Formen durchläuft, ist industrielles Kapital.
Geldkapital, Warenkapital, produktives Kapital bezeichnen hier
.ilso nicht selbständige Kapitalsorten, sondern nur besondere
Kunktionsformen des industriellen Kapitals.
Es ergibt sich also folgendes Schema: G— W— P . . . W 1 — G 1 .
Jedes neu auftretende Kapital erscheint zunächst als Geldkapital.
Daß es Kapital, sieht man dem Geld nicht an. 1 Das ist es nur,
weil es in die Elemente des produktiven Kapitals verwandelt wer-
den soll. Zunächst ist es nur Geld, kann also nur Geldfunktionen
vollziehen, ist es nur Zirkulations- oder Zahlungsmittel.
1 Die Schwierigkeit des Kapitalbegriffes wie der ökonomischen Begriffe
überhaupt entspringt aus dem Schein, daß sie den Dingen selbst anhaften,
während sie nur bestimmte gesellschaftliche Verhältnisse widerspiegeln, in
ilenen dieselben Dinge durchaus wechselnde Rollen übernehmen. So spiegelt
(iold als Geld einerseits nur das Verhältnis einer bestimmten Epoche in der
l'.ntwicklung des Warenaustausches wider, es ist Zirkulationsmittel. Aber in
einem anderen Verhältnis wird es Kapital. Ob Gold oder auch Geld Kapital
ist, ist daher eine falsch gestellte Frage. In manchen Verhältnissen ist es
(icld, in anderen auch Kapital. Auch Kapital aber, das heißt, es kann als
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Nun wissen wir bereits, daß die Funktion des Geldes als eines
Zahlungsmittels Kreditverhältnisse einschließen kann. G— W, das
erste Stadium des Zirkulationsprozesses des Kapitals, zerfällt in
zwei Teile: G— Pm und G— A. Da der Lohnarbeiter nur vom Ver-
kauf der Arbeitskraft lebt, ihre Erhaltung tägliche Konsumtion
erfordert, muß seine Zahlung ständig in kürzeren Terminen wieder-
holt werden, damit er die zu seiner Selbsterhaltung nötigen Ein-
käufe immer machen kann. Der Kapitalist muß ihm daher beständig
als Geldkapitalist und sein Kapital ihm als Geld gegenübertreten.
Hier spielt somit der Kredit keine Rolle.
Anders im Prozeß G— Pm. Hier kann der Kredit eine größere
Rolle spielen. Die gekauften Produktionsmittel haben den Zweck,
verwertet zu werden. Das Geld, das für sie ausgegeben wurde, ist für
den Kapitalisten nur vorgeschossen; es hat die Aufgabe, zu ihm
nach Ablauf der Zirkulationsperiode zurückzukehren, und es kehrt,
normalen Verlauf vorausgesetzt, zu ihm vermehrt zurück. Da der
Kapitalist sein Geld also nur vorschießt, dieses zu ihm zurückkehrt,
kann es ihm selbst vorgeschossen werden — geliehen werden. Und
dies ist überhaupt Voraussetzung des Produkt iorcskredits : daß Geld
nur dem geliehen wird, der es selbst nur in der Weise ausgibt, daß
es zu ihm — normalen Verlauf stets vorausgesetzt — wieder zurück-
kehren muß. Zugleich ist der Kredit hier fundiert auf die Waren,
zu deren Ankauf das Geld vorgeschossen wurde.
Wir haben es hier nur mit dem Kredit zu tun, der entspringt aus
der Warenzirkulation selbst, aus der Änderung der Geldfunktion,
aus der Verwandlung des Geldes aus Zirkulationsmittel in
Zahlungsmittel. Dagegen betrachten wir an dieser Stelle noch nicht
Kapital immer nur Geldfunktionen vollziehen, ist nur Geldf orm des Kapitals
im Unterschied zur Warenform des Kapitals.
Bestimmten Dingen Kapitalcharakter zuschreiben zu wollen ist ebenso
falsch, wie den Raum als etwas den Dingen Anhaftendes anzusehen. Nur
unsere Anschauung gibt den Dingen die Raumform, wie nur bestimmte
Stadien der gesellschaftlichen Entwicklung den Dingen Geld- oder Kapital-
form geben.
1 Marx, „Kapital", II., S. 12. (Neuausgabe: Karl Marx, „Das Kapital",
Bd. II, Dietz Verlag, Berlin 1953, S. 34. Die Red.)
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jenen Kredit, der aus der Teilung der Funktion des Kapitalisten in
einen reinen Geldbesitzer und einen Unternehmer entspringt. Wird
das Geld vom Geld- oder Leihkapitalisten dem Unternehmer kredi-
licrt, so ist das bloße Übertragung von Geld. An der Menge des
vorgeschossenen Geldes wird dadurch noch nichts geändert. In dem
Kalle aber, den wir jetzt betrachten, kann dies wohl eintreten. Der
Verkäufer der Produktionsmittel kreditiert ihm die Ware und er-
hält für diese Zahlungsversprechen, zum Beispiel Wechsel. Der
Kapitalist wird dann am Ende des Termins vielleicht schon mit
lUickflüssen aus dem Zirkulationsprozeß seines vorgeschossenen
Kapitals zahlen können. Soweit dies der Fall, kann die Summe
seines Geldkapitals geringer sein, als sie sonst sein müßte, hat der
Kredit die Potenz seines Kapitals ausgeweitet.
Aber die Tatsache des Kredits ändert nichts daran, daß das
Kapital Geldform haben muß, um Ware kaufen zu können. Sie
vermindert nur, soweit sich Zahlungen kompensieren, die Menge
des Metallgeldes, das für den Umtausch sonst erforderlich wäre.
A her diese Menge wird nicht irgendwiebestimmt durch den Kapital -
diarakter, den das Geld bei dieser Transaktion besitzt, sondern
unterliegt nur den Gesetzen, die aus der Natur der Warenzirkulation
entspringen. Alle anderen Umstände gleichgesetzt, ist es die
Preissumme der Waren, die gekauft werden müssen, die über die
Menge des Geldes entscheidet, das vorgeschossen werden muß. Ver-
mehrter Vorschuß von Geldkapital bedeutet also nichts anderes als
vermehrten Ankauf von zu produktivem Kapital geeigneten Waren
(l'm + A), also vermehrte Menge der Zirkulations- und Zahlungs-
miLlcl.
I5ci dieser Vermehrung wirken zwei einander entgegengesetzte
Tendenzen. Mit der rascheren Akkumulation in Zeiten der Hoch-
kimjunktur wächst die Nachfrage nach bestimmten Waren und in-
hdgedessen ihr Preis. Die erhöhte Preissumme macht vermehrtes
Geld nötig. Anderseits wächst gleichzeitig der Kredit, da es eine
I Viiode der guten Konjunktur ist, in der die Rückflüsse regelmäßig
eingehen, der Verwertungsprozeß des Kapitals gesichert erscheint
I daher die Neigung und Möglichkeit der Kreditgewährung
II Milferding, Das Finanzkapital
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wächst. Die Expansion des Kredits macht hier die rasche Erweite-
rung über die Basis des Metallgeldes hinaus möglich.
Dies gilt natürlich nur für den Prozeß G— Pm, nicht für den
Prozeß G— A. Vielmehr nimmt mit dem Wachstum des variablen
Kapitals auch im selben Maße die Masse des zum Ankauf dienen-
den und in die Zirkulation eingehenden zuschüssigen Geldes zu. Es
ist klar, daß mit der Entwicklung der kapitalistischen Produktion
die Sphäre der Anwendung des Kredits absolut und noch mehr
relativ beständig wächst, da mit dem Fortschritt zur höheren orga-
nischen Zusammensetzung des Kapitals der Umsatz von G— Pm
ständig wächst gegenüber G— A, also auch die Sphäre des Kredits
gegenüber der Sphäre des Bargeldes.
Soweit ergibt sich aus der Betrachtung des Kreislaufprozesses
noch keine neue Bestimmung für die Rolle des Kredits. Dies ändert
sich, wenn wir den Einfluß der Umschlagszeit auf die Größe des
Geldkapitals betrachten. Denn es wird sich zeigen, daß im Kreis-
laufprozeß periodisch Geldsummen freigesetzt werden. Da aber
brachliegendes Geld nicht Profit zeugen kann, so entsteht das
Streben, dieses Brachliegen möglichst zu verhindern, eine Aufgabe,
die nur durch den Kredit, der damit eine neue Funktion erfüllt,
gelöst werden kann. Dieser neuen Ursache für das Entstehen von
Kreditverhältnissen muß sich jetzt die Untersuchung zuwenden.
Periodische Freisetzung und Brachlegung von Geldkapital
„Die Bewegung des Kapitals durch die Produktionssphäre und
die zwei Phasen der Zirkulationssphäre vollzieht sich ... in einer
zeitlichen Reihenfolge. Die Dauer seines Aufenthalts in der Pro-
duktionssphäre bildet seine Produktionszeit, die in der Zirkulations-
sphäre seine Zirkulations- oder Umlaufszeit. Die Gesamtzeit, worin
es seinen Kreislauf beschreibt, ist daher gleich der Summe von
Produktionszeit und Umlaufszeit."
„Der Kreislauf des Kapitals, nicht als vereinzelter Vorgang,
Marx, „Kapital", IL, S. 97. (Neuausgabe S. 115/116. Die Red.)
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sondern als periodischer Prozeß bestimmt, heißt sein Umschlag. Die
Dauer dieses Umschlags ist gegeben durch die Summe seiner Pro-
duktionszeit und seiner Umlaufszeit. Diese Zeitsumme bildet die
Umschlagszeit des Kapitals." 1
In unserem Schema bildet also die Zeit, die jedesmal nötig, um
ilcn Prozeß G— G zu vollziehen, die Umschlagszeit. Die Umlaufszeit
ist gleich der Zeit, die die Transaktionen G <£ m undW 1 — G 1 er-
fordern, während die Produktionszeit gleich ist der Zeit, in der das
Kapital als produktives Kapital (P) dem Verwertungsprozeß unter-
liegt.
Die Umschlagszeit eines Kapitals betrage neun Wochen, davon
ilic Produktionszeit sechs Wochen und die Umlaufszeit drei Wochen.
Zur Produktion seien wöchentlich 1000 M. Kapital erforderlich.
Soll die Produktion am Ende der sechsten Woche, der Produktions-
zeit, nicht auf drei Wochen unterbrochen werden, so muß der Kapi-
talist während der drei Wochen, die die Zirkulation dauert, ein
neues Kapital von 3000 M. (Kapital II) vorschießen, um die Pro-
duktion kontinuierlich fortzuführen. Denn während der drei
Wochen, worin das Kapital die Zirkulationssphäre behaust, be-
lindet es sich mit Bezug auf den Produktionsprozeß in demselben
Zustand, als wenn es überhaupt nicht existierte. 2 Die Zirkulations-
v.eil macht also zuschüssiges Kapital nötig, und dieses zuschüssige
Kapital verhält sich zum Gesamtkapital wie die Zirkulationszeit zur
Umschlagszeit, also in unserem Beispiel wie 3:9, oder das zu-
schüssige Kapital beträgt ein Drittel des ganzen Kapitals.
Der Kapitalist .muß also über 9000 M. statt über 6000 M. ver-
I ii^en, soll die Produktion nicht drei Wochen stillstehen. Aber diese
/uschüssigen 3000 M. treten erst mit Beginn der Umlaufszeit, also
in der siebenten Woche in Funktion, liegen also die ersten sechs
Wochen brach. Diese Freisetzung und Brachlegung von 3000 M.
wiederholt sich jedoch beständig. Die 6000 M., die in der ersten
\ ibcitsperiode in Warenkapital verwandelt werden, sind am Ende
iler neunten Woche verkauft. Der Kapitalist hat jetzt 6000 M. in
1 Ebenda, S. 133. (Neuausgabe S. 150. Die Red.)
■ Ebenda, S. 243. (Neuausgabe S. 257. Die Red.)
79
Händen. Die zweite Arbeitsperiode hat aber bereits mit der sieben-
ten Woche begonnen und ist nun zur Hälfte vorüber. Während
dieser Zeit hat das zuschüssige Kapital von 3000 M. fungiert; zur
Beendigung der Arbeitsperiode sind also nur 3000 M. erforderlich;
3000 M. von den ursprünglichen 6000 M. sind wieder freigesetzt,
und dieser Prozeß wiederholt sich stets aufs neue.
Es ist also ein zuschüssiges Kapital, und zwar Geldkapital, da es
als Kaufmittel für Produktionsmittel und Arbeitskraft zu fungieren
hat, nötig geworden zur Aufrechterhaltung der Kontinuität des
Produktionsprozesses, der durch die Zirkulation des Kapitals nicht
unterbrochen werden soll. Dieses zuschüssige Kapital heckt selbst
nicht kontinuierlich Mehrwert, fungiert also soweit nicht als
Kapital, sondern wird durch den Mechanismus des Kreislaufes selbst
stets für eine Zeit freigesetzt, um während der anderen Zeit fun-
gieren zu können.
„Das gesellschaftliche Gesamtkapital betrachtet, wird sich stets
ein mehr oder minder bedeutender Teil dieses zuschüssigen Kapitals
für längre Zeit im Zustand des Geldkapitals befinden 1 . . ., und
zwar ist dies freigesetzte Kapital gleich dem Kapitalteil,
welcher den Überschuß der Zirkulationsperiode über eine Arbeits-
periode oder über ein Multipel von Arbeitsperioden auszufüllen
hat." 2
„Dies Hereinkommen des zur Verwandlung der Umlaufszeit von
Kapital I" (von 6000 M.) „in Produktionszeit erheischten Zuschuß-
kapitals" (von 3000 M.) „vermehrt also nicht nur die Größe des
vorgeschoßnen Kapitals und die Länge der Zeit, wofür das Gesamt-
kapital notwendig vorgeschossen wird, sondern es vermehrt auch
spezifisch den Teil des vorgeschoßnen Kapitals, der als Geldvorrat
existiert, also sich im Zustand von Geldkapital befindet und die
Form von potentiellem Geldkapital besitzt." 3
1 Marx, „Kapital", II., S. 248. (Neuausgabe S. 262. Die Red.)
2 Ebenda, S. 262. (Neuausgabe S. 277. Die Red.)
3 Ebenda, S. 248. (Neuausgabe S. 262. Die Red.) Das Zahlenbeispiel ist
bei Marx anders als in unserem Text. Wir haben in die Marx-Zitate der Ein-
fachheit halber unsere Zahlen eingesetzt.
80
Allein diese 3000 M. brauchen durchaus nicht die ganze Summe
des Geldkapitals darzustellen, das in einem gegebenen Moment
In .ichliegt. Gesetzt den Fall 1 , unser Kapitalist verwende die 6000 M.,
die für die Produktion zunächst nötig, in der Weise, daß er die eine
I liilfte zum Ankauf der Produktionsmittel, die andere für Arbeits-
liilm verausgabt. Er zahlt aber die Arbeiter wöchentlich. Dann wird
von den dazu nötigen 3000 M. bis zum Ablauf der sechsten Woche
ein Teil, der sich wöchentlich um 500 M. verringert, stets brach -
liegen. Ebenso ist es möglich, daß auch ein Teil der Produktions-
mittel, zum Beispiel die Kohle, nicht sogleich zu Beginn für die
ganze Produktionsperiode eingekauft wird, sondern erst während
der Produktion sukzessive die nötigen Einkäufe vollzogen werden.
(Umgekehrt könnte es auch passieren, daß die Marktverhältnisse
oder Lieferungsgewohnheiten dazu zwängen, für mehr als eine
Piodnktionsperiode einzukaufen. Darm würde sich die Notwendig-
keit herausstellen, ein größeres Geldkapital in Warenkapital zu
\ciwandeln.) f '
Dadurch also, daß in dem Prozeß G < ^ m das Geld nicht sofort
in Arbeitskraft und Produktionsmittel verwandelt wird, entsteht
ln.icliliegendes Geldkapital, auch abgesehen von dem zuschüssigen
Kapital IL Ein Teil des Geldes vollzieht den Akt G— W, während
ein ;mderer Teil im Geldzustand verharrt, um erst zu einer durch
die Bedingungen des Prozesses selbst bestimmten Zeit für gleich-
zeitige oder sukzessive Akte G— W zu dienen. Es ist der Zirkulation
nur zeitweise entzogen, um am bestimmten Zeitpunkt in Aktion zu
Helen, seine Funktion auszuüben. Diese Aufspeicherung ist dann
ein Zustand, worin das Geld eine seiner Funktionen als Geldkapital
ausübt. Als Geldkapital; denn in diesem Fall ist das zeitweilig in
Ruhe verharrende Geld selbst ein Teil des Geldkapitals G, der gleich
i.'.l dein Wert des produktiven Kapitals, von dem der Kreislauf aus-
1 Wir können hier nur die wichtigsten Momente anführen. Im II. Band
ijmi „Kapital" hat Marx das Problem bis in die Details, die übrigens von
I Yilimlen noch vermehrt werden könnten, verfolgt. Doch ist die grundlegende
lliili'iilnng dieser Untersuchungen für das Verständnis der Kreditverhältnisse
lir.liei übersehen worden.
8t
geht. Anderseits befindet sich alles der Zirkulation entzogene Geld
in Schatzform. „Die Schatzform des Geldes wird also hier Funktion
des Geldkapitals, ganz wie in G— W die Funktion des Geldes als
Kauf- oder Zahlungsmittel zur Funktion des Geldkapitals wird,
und zwar weil der Kapitalwert hier in Geldform existiert, der Geld-
zustand hier ein durch den Zusammenhang des Kreislaufs vor-
geschriebner Zustand des industriellen Kapitals in einem seiner
Stadien ist. Aber es bewährt sich hier wieder zugleich, daß das Geld-
kapital innerhalb des Kreislaufs des industriellen Kapitals keine
andren als Geldfunktionen verrichtet, und diese Geldfunktionen
nur durch ihren Zusammenhang mit den andren Stadien dieses
Kreislaufs zugleich die Bedeutung von Kapitalfunktionen haben." 1
Eine dritte und sehr bedeutende Ursache von Brachliegen des
Geldkapitals entsteht aus der Art, wie das Kapital aus dem Ver-
wertungsprozeß rückfließt, und zwar sind auch hier wieder zwei
Hauptursachen für die Entstehung von brachliegendem Geldkapital
zu flennen.
Das industrielle Kapital zerfällt, vom Standpunkt seines Um-
schlages aus betrachtet, bekanntlich in zwei Teile. Ein Teil des
Kapitals wird während jeder einzelnen Umschlagsperiode voll-
ständig verzehrt, und sein Wert geht ganz auf das Produkt über.
Tn einer Spinnerei zum Beispiel, in der 10 000 Pfund Garn monat-
lich produziert und am Ende des Monats verkauft werden, sind
während dieses Monats der entsprechende Wert von Baumwolle,
Schmieröl, Leuchtgas, Kohle und Arbeitskraft verbraucht worden,
und ihr Wert wird beim Verkauf des Produkts dem Kapitalisten
zurückersetzt. Dieser Teil des Kapitals, der in einer Umschlags-
periode ersetzt wird, ist das zirkulierende Kapital. Anderseits waren
zur Produktion Baulichkeiten, Maschinerie usw. nötig, die fort-
fahren, auch nach Beendigung der Umschlagsperiode im Produk-
tionsprozeß zu fungieren. Von ihrem Wert ist daher nur ein Teil,
gleich dem durchschnittlichen Verschleiß während einer Umschlags -
periode, übertragen worden. Beträgt ihr Wert sage 100 000 M.,
ihre Funktionsdauer durchschnittlich 100 Monate, so werden durch
1 Marx, „Kapital", II., S. 52. (Neuausgabe S. 73. Die Red.)
82
don Verkauf des Garns für Ersatz der Baulichkeiten und Maschine-
rie 1000 M. zurückfließen. Jener Teil des Kapitals, der während
einer Reihe von Umschlagsperioden fungiert, bildet das fixe Kapital.
Es fließt also dem Spinnereibesitzer aus der Zirkulation beständig
Geld zu als Ersatz seines fixen Kapitals, das er in Geldform fest-
halten muß, bis es nach 100 Monaten den Betrag von 100 000 M.
erreicht hat, die er dann zum Ankauf neuer Maschinerie usw. be-
nötigt. Es findet also auch hier Schatzbildung statt, die „selbst ein
Clement des kapitalistischen Reproduktionsprozesses, Reproduk-
tion und Aufspeicherung — in Geldform — des Werts des fixen
Kapitals oder seiner einzelnen Elemente, bis zu der Zeit, wo das
l'ixe Kapital ausgelebt und folglich seinen ganzen Wert an die pro-
duzierten Waren abgegeben hat und nun in natura ersetzt werden
muß" 1 .
Zugleich sehen wir, daß ein Teil der Kapitalisten der Zirkulation
Inständig Geld entzieht als Ersatz des Wertes des verschlissenen
fixen Kapitals. Die Geldform ist hier wesentlich ; der Wert des fixen
Kapitals kann nur in Geld ersetzt werden, weil das fixe Kapital als
solches weiter im Produktionsprozeß fungiert und daher nicht in
natura ersetzt zu werden braucht. Es ist also die bestimmte Art der
Heproduktionsweise des fixen Kapitals, die hier das Geld notwendig
macht. 8 Was hier durch das Geld überhaupt erst ermöglicht wird,
ist die Trennung und Verselbständigung der Wertzirkulation des
I i xcn Kapitals gegenüber der Beständigkeit seiner technischen Funk-
lion im Produktionsprozeß.
Die Art des Rückflusses des fixen Kapitals bewirkt also perio-
disches Aufschatzen, damit aber periodisches Brachliegen von Geld-
knpital.
/Vis letzte Ursache der Freisetzung von Geldkapital haben wir
1 Marx, „Kapital", II., S. 449. (Neuausgabe S. 455. Die Red.)
3 „So wenig wie die einfache Warenzirkulation identisch ist mit bloßem
lYtwhiktenaustausch, so wenig kann sich der Umsatz des jährlichen Waren-
]>iudukts in bloßen, unvermittelten, gegenseitigen Austausch seiner ver-
im liicdnen Bestandteile auflösen. Das Geld spielt eine spezifische Rolle darin,
ilii- namentlich auch in der Weise der Reproduktion des fixen Kapitalwerts
sifth nnsdrückt." (Marx, „Kapital", II., S. 450. [Neuausgabe S. 455. Die Red.])
83
noch die Art der kapitalistischen Akkumulation zu betrachten. Soll
der Mehrwert als Kapital fungieren, sei es, daß er zur Erweiterung
alter oder Begründung neuer Unternehmen verwandt werden soll,
so muß er eine gewisse Größe erreicht haben, deren Ausmaß von
den gegebenen technischen und ökonomischen Bedingungen des
Unternehmens abhängt. Mit jeder Beendigung eines Kreislaufs
wird aber ein Stück Mehrwert, und zwar zunächst in Geldform,
realisiert. In der Regel muß eine ganze Anzahl solcher Kreisläufe
vollzogen sein, bis die realisierten Mehrwertsummen groß genug
geworden sind, um in Produktionskapital verwandelt werden zu
können. Es werden so beständig Geldsummen von den einzelnen
Kapitalisten auf geschätzt, die für sie realisierten Mehrwert dar-
stellen, bis schließlich diese Summen für die produktive Ver-
wendung ausreichend geworden sind. Wir haben es hier mit brach-
liegendem Geldkapital zu tun, das aus dem Verwertungsprozeß her-
stammt und eine Zeitlang in Geldform aufgeschatzt bleiben muß,
bis es zur produktiven Verwendung gelangen kann.
Schatzbildung kann schon innerhalb der einfachen Waren-
zirkulation erfolgen. Dazu ist weiter nichts nötig, als daß beim
Prozeß W— G— W der zweite Teil G— W nicht vollzogen wird, daß
also der Warenverkäufer seinerseits nicht wieder kauft, sondern
das Geld aufschatzt. Aber solches Verhalten erscheint als bloßer
Zufall und Willkür. In der Zirkulation des Kapitals wird aber
solches Aufschatzen zur Notwendigkeit, die sich aus der Natur des
Prozesses selbst ergibt. Der Unterschied gegen die einfache Waren-
zirkulation ist ferner der, daß nicht bloßes Zirkulationsmittel frei-
gesetzt wird, das zum Schatz erstarrt, sondern daß Geldkapital frei-
gesetzt wird, Geld, das zugleich Stadium des Verwertungsprozesses
war und das nunmehr bestrebt sein muß, neuerdings in den Ver-
wertungsprozeß zu gelangen, von neuem Geldkapital zu werden;
es übt also Druck auf den Geldmarkt aus.
So entsteht aus dem Mechanismus der Zirkulation des Kapitals
selbst die Notwendigkeit, daß Geldkapital in größerem oder gerin-
gerem Umfang für längere oder kürzere Zeit brachliegt. Das
bedeutet aber, daß es während dieser Zeit nicht Profit zeugen kann,
eine Todsünde vom Standpunkt des Kapitalisten. Der Umfang, in
dem das Kapital seinen Sündenfall vollzieht, hängt aber wie die
meisten Sünden von objektiven Faktoren ab, deren Betrachtung wir
uns nunmehr zuwenden müssen.
ff ' echselnder Umfang des brachliegenden Kapitals
und seine Ursachen
Wir wissen bereits, daß während der Umlaufszeit des Kapitals
zuschüssiges Geldkapital zur Fortführung des Produktionszweiges
erfordert wird, das periodisch brachgelegt wird. Verkürzt sich nun
in unserem ersten Beispiel die Umlaufszeit von drei auf zwei
Wochen, so werden 1000 M. überflüssig und werden in Form von
Cicldkapital ausgeschieden. Als solches tritt es in den Geldmarkt
ein und bildet zuschüssigen Teil der hier fungierenden Kapitalien.
Diese überschüssigen 1000 M. existierten früher nur zum Teil in
('■ eidform; nämlich zu jenem Teil, der zur Zahlung der Arbeits-
k raft diente, 500 M. dagegen wurden zum Ankauf von Produktions -
ini Iteln verwandt, existierten also in Warenform. Jetzt werden sie
ganz, und zwar in Geldform, aus dem Kreislaufprozeß dieses Kapi-
l;\ls ausgeschieden.
„Die hiermit in Geldform ausgeschiednen" 1000M. „bilden jetzt
ein neues, Anlage suchendes Geldkapital, einen neuen Bestandteil
des Geldmarkts. Sie befanden sich zwar periodisch schon früher in
Clor Form von freigesetztem Geldkapital und von zuschüssigem
l'roduktivkapital, aber diese latenten Zustände selbst waren Bedin-
gung für die Ausführung, weil für die Kontinuität, des Produk-
linnsprozesses. Jetzt sind sie nicht mehr dazu nötig und bilden des-
wegen neues Geldkapital und einen Bestandteil des Geldmarkts,
obgleich sie durchaus weder ein zuschüssiges Element des vor-
li;iniliicn gesellschaftlichen Geldvorrats bilden (denn sie existieren
l;mini Beginn des Geschäfts und wurden durch es in die Zirkulation
i;e wnrfen) noch einen neuakkumulierten Schatz." Es zeigt sich hier
1 Mnrx, „Kapital", IL, S. 274. (Neuausgabe S. 288. Die Red.)
84
also, wie bei gleichbleibendem Geldvorrat nur durch Verkürzung
der Umschlagszeit des Kapitals vermehrtes Angebot von Geldkapital
entsteht. Denn das Geld ist durch seine frühere Funktion als Kapital
prädestiniert, wieder Kapital zu werden.
Verlängert sich umgekehrt die Umlaufszeit, sage um weitere
zwei Wochen, so wird zuschüssiges Kapital erforderlich im Belauf
von 2000 M., die aus dem Geldmarkt genommen werden müssen,
um in den Kreislauf des produktiven Kapitals (in den immer die
Zirkulationszeit eingeschlossen ist) zu treten. 1000 M. werden all-
mählich aus der Geldform in Arbeitskraft umgewandelt, die ande-
ren 1000 vielleicht sofort in Produktionsmittel. Die Verlängerung
des Umschlages bewirkt daher vermehrte Nachfrage auf dem Geld-
markt.
Die wichtigsten Momente, welche die Umschlagsperiode selbst
affizieren, sind die folgenden: „Soweit die größre oder geringre
Länge der Umschlagsperiode abhängt von der Arbeitsperiode im
eigentlichen Sinn, d. h. der Periode, nötig um das Produkt für den
Markt fertig zu machen, beruht sie auf den jedesmal gegebnen sach-
lichen Produktionsbedingungen der verschiednen Kapitalanlagen,
die innerhalb der Agrikultur mehr den Charakter von Naturbedin-
gungen der Produktion besitzen, in der Manufaktur und dem größ-
ten Teil der extraktiven Industrie mit der gesellschaftlichen Ent-
wicklung des Produktionsprozesses selbst wechseln." 1
Hier walten zweierlei Tendenzen. Die Entwicklung der Technik
verkürzt die Arbeitsperiode; das einzelne Stück wird rascher fertig-
gestellt, verläßt also rascher die Fabrik und kommt auf den Markt;
es tut das außerdem, wenn es sich um diskrete Produkte handelt,
auch in größerer Gesellschaft, es ist mehr hergestellt worden als
früher, ein größeres Kapital schlägt also rascher um; der technische
Fortschritt verkürzt die Arbeitsperiode und beschleunigt so den
Umschlag des zirkulierenden Kapitals und des Mehrwertes. Aber
zugleich bedeutet dieser Fortschritt Vermehrung des Fixen Kapitals,
dessen Umschlagsperiode länger ist, eine Reihe von Umschlägen
des zirkulierenden Kapitals umfaßt. Diese Vermehrung des fixen
1 Marx, „Kapital", II., S. 303/304. (Neuausgabe S. 316. Die Red.)
86
Kapitals schreitet in rascherem Verhältnis fort als die des zirkulie-
i enden. Ein immer größerer Teil des Gesamtkapitals verlangsamt
Somit seinen Umschlag. Vom Kredit abgesehen, wäre damit in der
Voi l.ingsamung des Umschlages ein weiterer Grund — der erste ist
ihr Vergrößerung der Stufenleiter der Produktion als solche — zu
»'Ormebrtem Vorschuß von Geldkapital gegeben, von dem aber auch
ein größerer Teil disponibel (freigesetzt) bliebe.
„Soweit die Länge der Arbeitsperiode auf der Größe der Liefe-
rungen beruht (dem quantitativen Umfang, worin das Produkt als
Wimi- in der Regel auf den Markt geworfen wird), hat dies konven-
tionellen Charakter. Aber die Konvention selbst hat zur materiellen
ß.'isis die Stufenleiter der Produktion, und ist daher nur im ein-
zelnen betrachtet zufällig." 1 Auch hier wächst im allgemeinen das
Quantum, mit ihm der Kapitalvorschuß. Jedoch ist zu beachten, daß
iln'i größere Quantum infolge des technischen Fortschritts geringe-
mii l'reis haben kann, daher auch geringerer Vorschuß erforder-
1 1 ■ 1 1 sein kann.
„Soweit endlich die Länge der Umschlagsperiode von der Länge
ilri '/.irkulationsperiode abhängt, ist diese zum Teil zwar bedingt
iliinli den beständigen Wechsel in den Marktkonjunkturen, die
1'iiilirc oder geringre Leichtigkeit zu verkaufen, und die dieser
einspringende Notwendigkeit, das Produkt teilweise auf nähern
imIit entfernten Markt zu werfen. Abgesehn vom Umfang der Nach-
lni|>e überhaupt, spielt die Bewegung der Preise hier eine Haupt -
inllr, indem der Verkauf bei fallenden Preisen absichtlich be-
iilii.inkt wird, während die Produktion vorangeht; umgekehrt bei
m 1 1 'iiM-mlcn Preisen, wo Produktion und Verkauf Schritt halten, oder
im voraus verkauft werden kann. Jedoch ist als eigentliche mate-
i Ic'lli; Mnsis zu betrachten die wirkliche Entfernung desProduktions-
nii/i's vom Absatzmarkt."
I );i der Profit in der Produktion entsteht, durch die Zirkulation
hui realisiert wird, ist es ständiges Bestreben, alles Kapital wo-
miiflirli in Produktionskapital zu verwandeln. Daher die Tendenz,
1 Knrl Marx, „Das Kapital", Bd. II, Neuausgabe S. 316. Die Red.
' Marx, „Kapital", II., S. 304. (Neuausgabe S. 316/317. Die Red.)
87
die Zirkulationskosten auf ein Minimum herabzusetzen durch Er-
setzung des Metallgeldes durch Kreditgeld und zweitens die Zirku-
lationszeit selbst herabzudriicken durch Entwicklung der Handels-
technik, durch möglichst raschen Verkauf der Produkte. Eine
Gegentendenz bildet die stete Erweiterung der Märkte und die Ent-
wicklung der internationalen Arbeitsteilung. Diese Gegentendenz
wird in ihrer Wirkung gemildert durch die Entwicklung der
Transportverhältnisse.
Wir haben schließlich noch hervorzuheben, daß die Länge der
Umschlagszeit des Kapitals entscheidend ist für die Schnelligkeit,
mit der der Mehrwert in Kapital rückverwandelt, akkumuliert wer-
den kann. Je kürzer die Umschlagszeit, desto rascher realisiert sich
auch der Mehrwert in Geldform und kann in Kapital verwandelt
werden.
All diese angeführten Momente: die organische Zusammen-
setzung des Kapitals, insbesondere das Verhältnis des fixen zum
zirkulierenden Kapitalsbestandteil, die Entwicklung der Handels-
technik, welche die Umlaufszeit abkürzt, die in gleicher Richtung
wirkende Entwicklung der Transportmittel, der aber in dem Auf-
suchen stets entfernterer Märkte eine Gegentendenz erwächst, die
Verschiedenheit im Tempo der Rückflüsse infolge der periodischen
Konjunkturschwankungen, schließlich die raschere oder verlang-
samtem produktive Akkumulation: alle diese Umstände wirken auf
die Masse des brachliegenden Kapitals und auf die Dauer des Brach-
liegens ein.
Dazu kommt als wichtiges Moment der Einfluß der Preisände-
rungen der Waren. Tritt Preisfall der Rohmaterialien ein, so
braucht der Kapitalist unseres Beispiels, um die Produktion auf
gleicher Stufenleiter fortzuführen, wöchentlich nicht 1000 M.,
sondern sage nur 900 M. vorzuschießen; für die ganze Umschlags-
periode seines Kapitals also nicht 9000 M., sondern nur 8100 M.,
während 900 M. frei werden. Das so „ausgeschiedne und jetzt un-
beschäftigte, daher auf dem Geldmarkt Anlage suchende Kapital,
Geldkapital, ist nichts als ein Stück des ursprünglich als Geldkapital
vorgeschoßnen Kapitals von" 9000 M., „das durch den Preisfall der
88
Pincluktionselemente, worin es periodisch rückverwandelt, über-
flüssig geworden ist, soll das Geschäft nicht erweitert, sondern auf
der ,-illen Stufenleiter fortgesetzt werden. Wäre dieser Preisfall
nullt zufälligen Umständen geschuldet (besonders reicher Ernte,
I llici/.ufuhr etc.), sondern einer Vermehrung der Produktivkraft in
dorn Zweig, der den Rohstoff liefert, so wäre dies Geldkapital ein
absoluter Zuschuß zum Geldmarkt, überhaupt zu dem in der Form
um Geldkapital disponiblen Kapital, weil es keinen integrierenden
llr.i.indteil des bereits angewandten Kapitals mehr bildete." 1
Umgekehrt erfordert Preissteigerung des Rohmaterials zu-
1 i liiissiges Geldkapital und bewirkt somit Steigerung der Nachfrage
'> 1 1 1" dem Geldmarkt.
Es ist ohne weiteres klar, daß die eben betrachteten Momente
vnii großer Wichtigkeit sind für die Entwicklung des Geldmarktes
u ,i Inend der periodischen Schwankungen, die durch die Konjunktur
wiiii-sacht werden. Im Beginn der Prosperität sind die Preise
niedrig, die Rückflüsse gehen noch rasch ein, die Zirkulationszeit
1*1 kurz. Während der Hochkonjunktur steigen die Preise und die
/.nluiluLionszeit dehnt sich aus. Kredit wird stärker in Anspruch
r.rnoinmen für die Zirkulation, während gleichzeitig durch die Aus-
dehnung der Produktion auch die Inanspruchnahme für Kapital-
luiilii gewachsen ist. Sowohl die Ausdehnung der Zirkulationszeit
»U die Erhöhung der Preise macht zuschüssiges Kapital erforder-
lich, das dem Geldmarkt entnommen werden muß und die Menge
''<•■' verfügbaren Leihkapitals verringert.
Mit dem Fortschritt zur höheren organischen Zusammensetzung
w.idisL im allgemeinen auch die Umschlagszeit des Kapitals. Es
»\ in lisL nicht nur die Größe des angewandten Kapitals, sondern auch
die Zeit, während der es im Produktionsprozeß fungiert. Es ver-
engert sich die Zeit, bis das vorgeschossene Kapital an seinen Aus-
gangspunkt zurückkehrt. Der Kapitalist muß zum Beispiel
IIMIOO M. vorschießen, wenn seine Umschlagszeit zehn Wochen
balrägt. Wendet er eine neue Produktionsmethode an, die einen
Vorschuß von 60 000 M. nötig macht, und beträgt die Umschlags-
1 Marx, „Kapital", II., S. 277. (Neuausgabe S. 291. Die Red.)
89
zeit jetzt 30 Wochen, so sind dem Geldmarkt 60 000 M. zu ent-
ziehen. Das sechsfache Kapital müßte dreimal solange vor-
geschossen werden.
Je länger die Umschlagszeit des Kapitals, desto länger dauert
es, his der Gegenwert der dem Markt entzogenen Waren (Produk-
tionsmittel und Lehensmittel für die Arbeiter) wieder in Waren-
form auf den Markt kommt. Dem Markte werden so Waren ent-
zogen, für die ihm hloß Geld zur Verfügung gestellt wird. Das
Geld ist hier nicht verschwindende Form, sondern bleibende Wert-
gestalt für dem Markt entzogene Waren. Sein Wert ist verselbstän-
digt gegenüber der Ware. Der Warenwert muß hier absolut ersetzt
werden durch Geld, da der Ersatz durch andere Ware erst zu einem
ganz anderen Zeitpunkt erfolgen kann.
„Denken wir die Gesellschaft nicht kapitalistisch, sondern kom-
munistisch, so fällt zunächst das Geldkapital ganz fort, also auch
die Verkleidungen der Transaktionen, die durch es hineinkommen.
Die Sache reduziert sich einfach darauf, daß die Gesellschaft im
voraus berechnen muß, wieviel Arbeit, Produktionsmittel und
Lebensmittel sie ohne irgendwelchen Abbruch auf Geschäftszweige
verwenden kann, die, wie Bau von Eisenbahnen z. B., für längre
Zeit, ein Jahr oder mehr, weder Produktionsmittel noch Lebens-
mittel, noch irgendeinen Nutzeffekt liefern, aber wohl Arbeit,
Produktionsmittel und Lebensmittel der jährlichen Gesamtproduk-
tion entziehn. In der kapitalistischen Gesellschaft dagegen, wo der
gesellschaftliche Verstand sich immer erst post festum geltend
macht, können und müssen so beständig große Störungen eintreten.
Einerseits Druck auf den Geldmarkt, während umgekehrt die
Leichtigkeit des Geldmarkts ihrerseits solche Unternehmungen in
Masse hervorruft, also gerade die Umstände, welche später den
Druck auf den Geldmarkt hervorrufen . . . Andrerseits : Druck auf
das disponible produktive Kapital der Gesellschaft. Da beständig
Elemente des produktiven Kapitals dem Markt entzogen werden
und für dieselben nur ein Geldäquivalent in den Markt geworfen
wird; so steigt die zahlungsfähige Nachfrage, ohne aus sich selbst
irgendein Element der Zufuhr zu liefern. Daher Steigen der Preise,
90
»owohl der Lebensmittel wie der Produktionsstoffe. Es kommt hin-
'", daß während dieser Zeit regelmäßig geschwindelt wird, große
I H>i'i'lragung von Kapital stattfindet." 1
liier wird die Verschiedenheit des Umschlages ein Moment der
Störung in der Proportionalität der Reproduktion und damit — wie
jp'ater noch gezeigt werden wird — zu einem Krisenmoment.
Als Resultat der bisherigen Untersuchung ergibt sich also:
Ki slons: Ein Teil des in der Produktion fungierenden gesellschaft-
Inlicn Gesamtkapitals liegt stets in Form von Geldkapital brach,
/.wciiens: Die Größe dieses brachliegenden Geldkapitals ist starken
Variationen unterworfen, und alle diese Variationen müssen un-
inilli'lbaren Einfluß auf den Geldmarkt, auf Angebot und Nach-
I I nge von Geldkapital ausüben.
I )as Brachliegen von Kapital widerspricht aber der Funktion des
Kapitals, Profit zu produzieren. Es ergibt sich so das Bestreben,
iln •■;<•* Brachliegen auf ein Minimum zu reduzieren. Diese Aufgabe
liililci eine neue Funktion des Kredits.
/ ,
'idlung des brachliegenden in funktionierendes Geldkapital
durch den Kredit
I »in Art, wie der Kredit diese Funktion erfüllen kann, ist ohne
"(iii'ics klar. Wir wissen ja, daß periodisch aus dem Kreislauf-
|nip/ili des Kapitals Geldkapital freigesetzt wird. Dieses aus dem
Kreislauf des einen individuellen Kapitals ausgeschiedene Geld-
knpilal kann aber als Geldkapital in dem Kreislauf eines anderen
K it I > i 1 .1 Is fungieren, wenn es diesem anderen Kapitalisten durch den
Kivilii zur Verfügung gestellt wird. So bildet die periodische Frei-
Sslv.iinjj des Kapitals eine wichtige Grundlage für die Entwicklung
Hin Kicditverhältnissen.
Alle Ursachen also, die zur Brachlegung von Kapital geführt
tii'ilu-ii, worden jetzt ebenso viele Ursachen zur Entstehung von
h ■ t-il ■ i Verhältnissen, und alle Momente, die auf die Menge des
' Mm ix, „Kapital", II., S. 302. (Neuausgabe S. 314/315. Die Red.)
91
brachliegenden Kapitals einwirken, bestimmen jetzt die Expansion
und Kontraktion dieses Kredits.
Treten zum Beispiel Pausen im Kreislaufprozeß eines Kapitals
ein und findet die Unterbrechung des Kreislaufprozesses so statt,
daß das Kapital als Geldkapital fixiert bleibt, so wird latentes Geld-
kapital gebildet, das jetzt durch den Kredit anderen Kapitalisten
zur Verfügung gestellt wird. Dies ist der Fall bei diskontinuier-
lichen Produktionsprozessen, in solchen, die von der Jahreszeit ab-
hängen, sei es infolge von Naturbedingungen (Agrikultur, Herings -
fang, Zuckerproduktion usw.), sei es infolge konventioneller Um-
stände, wie zum Beispiel bei sogenannten Saisonarbeiten. Jede Frei-
setzung von Geldkapital bedeutet aber die Verwendungsmöglichkeit
dieses Geldkapitals durch Vermittlung des Kredits zu anderen pro-
duktiven Zwecken außerhalb des Kreislaufes des individuellen
Kapitals, das es freisetzt.
Wird dagegen der Kreislauf in anderen Stadien unterbrochen,
wo kein Geldkapital freigesetzt wird, da ist umgekehrt, soll der
1 Darauf beruht die ausgleichende Tätigkeit jener Banken, die das in den
Agrikulturbezirken mit ihrem stark wechselnden Geldbedarf freiwerdende
Geldkapital industriellen Bezirken zuführen. Welchen Einfluß anderseits die
Konvention ausüben kann, zeigt folgendes Beispiel aus der modernen
Schuhfabrikation: Daß sich das umlaufende Kapital nicht öfter als zweimal
im Jahre umsetzt, obwohl der Fabrikationsprozeß eines Schuhes durchschnitt-
lich nur 5 bis 4 Wochen dauert, erklärt sich aus dem Umstand, daß die
HauptbesteUungen im Laufe des Jahres für Lieferung vor Ostern oder
Pfingsten geschehen. Die Ware wird in der Zwischenzeit angefertigt und
liegt auf dem Lnger, da sie vor dem Lieferungslermin nicht abgenommen
wird oder doch wenigstens die Zahlungsverpflichtung des Schuhhäudlers erst
mit dem Lieferungstermin beginnt. Karl Rehe, „Die Deutsche Schuhgroß-
industrie", Jena 1908, S. 55.
Zugleich wirken solche Verhältnisse bestimmend ein auf die Benützung
des Kredits. „Die Eigenart des Saisongeschäftes in der Schuhindustrie veran-
laßt auch die Schuhfabriken, mit Banken zu arbeiten. Die großen, nach der
Hauptsaison einlaufenden Summen werden an die Banken abgeführt, welche
ihrerseits in den übrigen Jahreszeiten den Fabriken die erforderlichen Sum-
men für die Bezahlung der Löhne und der sonstigen Betriebsunkoslen zur
Verfügung stellen und auch die Zahlungen für die Rohstoffe durch Über-
weisung oder Scheckverkehr übernehmen." (Ebenda, S. 57.)
92
Prozeß kontinuierlich erhalten werden, Beservcfonds nötig, der
jjloichfalls in Geldform gehalten werden muß, oder bei entwickel-
tem Kreditsystem Inanspruchnahme von Kredit.
Einerseits gibt so die Natur des Kreislaufprozesses die Möglich -
ln'il der Gewährung von Kapitalkredit. Da aber das Geld stets
/ ii KulaLionsunkosten darstellt, die kapitalistische Produktion daher
die 'Tendenz hat, ihre Potenzen immer stärker anzuspannen, ohne
da* ' leldkapital in gleicher Weise zu vermehren, wird dieser Kredit
/in N o Lwendigkeit.
Anderseits macht jede Störung im Zirkulationsprozeß, jede Ver-
l.iiijM'iung der Prozesse W— G oder G— W zuschüssiges Kapital,
lli'M'rvckapital, nötig, um die Kontinuität des Produktionsprozesses
5i.i erhalten. Wir haben gesehen, daß die Menge des Geldes caet.
I Ims abhängt von der Preissumme der zu zirkulierenden Waren.
Finden daher im Kreislaufprozeß Wertänderungen statt, so wird
(llfi Menge des Geldkapitals affiziert. Steigen die Preise, so wird zu-
i .i lifissigcs Geldkapital gebunden, fallen sie, so wird Geldkapital
frei ; „je größer die Störungen, um so größres Geldkapital muß der
Lad iin tri eile Kapitalist besitzen, um die Ausgleichung abwarten zu
können; und da im Fortgang der kapitalistischen Produktion sich
die Stufenleiter jedes individuellen Produktionsprozesses und mit
ilim die Minimalgröße des vorzuschießenden Kapitals erweitert, so
lio il jener Umstand zu den andren, die die Funktion des indu-
(I i lellen Kapitalisten mehr und mehr in ein Monopol großer Geld-
li > 1 1 > i l;i listen, vereinzelter oder assoziierter, verwandeln" .
I ler ['Credit, der sich auf der Freisetzung des Geldkapitals auf-
hiiil, unterscheidet sich aber wesentlich von dem Zahlungskredit,
iln sich auf Grund der einfachen Warenzirkulation nur aus der
l'i', linierten Funktion des Geldes ergibt. Dies bedarf noch näherer
A ni.l iilirung.
' Marx, „Kapital", II., S. 84. (Neuausgabe S. 102/103. Die Red.) Hier ist
nlnci dir 1 rerrschaft der Banken über die Industrie, die wichtigste Erscheinung
il uusten Zeit, vorausgesagt, als noch kaum die Keime dieser Entwicklung
hu hl hur waren.
H llillnuliiiK, Das Finanzkapital
93
V. Kapitel
DIE BANKEN UND DER INDUSTRIELLE KREDIT
Der Kredit erscheint zunächst als einfaches Resultat der ver-
änderten Funktion des Geldes als Zahlungsmittel. Findet die Zah-
lung erst statt eine Zeit nach dem tatsächlich vollzogenen Verkauf,
so wird für diese Zeit das Geld kreditiert. Diese Form des Kredits
unterstellt also Warenbesitzer, in der entwickelten kapitalistischen
Gesellschaft produktive Kapitalisten. Unterstellen wir den Prozeß
als einzelnen und einmaligen, so bedeutet er nur, daß Kapitalist A
genug Reservekapital hat, um den Rückfluß von B abwarten zu
können, der im Moment des Kaufes nicht über die nötige Summe
von Zahlungsmitteln verfügt. Bei dieser einseitigen Kreditgewäh-
rung muß A so viel Geld mehr halten, als B bis zum Zahlungs-
termin braucht. Geld würde dadurch nicht erspart, sondern nur
übertragen. Anders wenn die Zahlungsanweisung selbst als Zah-
lungsmittel fungiert, mit anderen Worten, wenn A Kredit an B
nicht nur gibt, sondern selbst von C nimmt dadurch, daß er C mit
dem Wechsel von B bezahlt. Hat nun etwa C selbst Zahlung an B zu
leisten und zahlt er B mit dessen eigenem Wechsel, so sind hier die
Warenkäufe und -verkaufe zwischen A und B, A und C und C und B
vollzogen worden ohne Dazwischenkunft des Geldes. Es ist also Geld
erspart worden, und da zugleich dies Geld als zusätzliches Geld-
kapital (für den Zirkulationsprozeß des Warenkapitals) in den Hän-
den der produktiven Kapitalisten hätte sein müssen, so ist damit
für sie Geldkapital erspart worden. Der Wechsel hat Geld ersetzt,
indem er selbst Geldfunktion verrichtet, als Kreditgeld fungiert
hat. Ein großer Teil der Zirkulationsvorgänge, zugleich die größten
94
ii ml konzentriertesten, spielt zwischen den produktiven Kapitalisten
illisl. Alle diese Transaktionen können prinzipiell durch Wechsel
bewerkstelligt werden; ein großer Teil dieser Wechsel wird sich
gegenseitig kompensieren und nur ein gewisser Betrag Bargeld
imi ig sein, um die Bilanz zu saldieren. Es wird hier also Kredit von
ilin produktiven Kapitalisten einander gegenseitig gewährt. Was
• I ic Kapitalisten einander hier kreditieren, sind Waren, die für sie
W.m'iikapital darstellen, aber diese Waren als bloße Träger einer
Im:.i i uvmten Wertsumme, die beim Verkauf als in ihrer gesellschaf t-
II cli gültigen Gestalt bereits realisiert unterstellt wird, also als
friiger einer bestimmten Geldsumme, die der Wechsel repräsen-
I Mit. Die Wechselzirkulation beruht also auf der Zirkulation der
Wnren, aber von Waren, die durch den vollzogenen Verkauf bereits
In Geld verwandelt worden sind, wenn auch diese Verwandlung
iiuili nicht gesellschaftlich gültig gemacht wurde, sondern nur als
|n Ivaler Akt im Zahlungsversprechen des Käufers existiert.
I »iesen Kredit, wie er hier betrachtet wurde, vorgehend zwischen
ilin produktiven Kapitalisten selbst, nennen wir Zirkulationskredit.
\\ ir haben gesehen, daß er Geld ersetzt, also das kostspielige Metall
i ■!• .p.irt, da er die Übertragung von Waren ohne Dazwischenkunft
ili-. Geldes bedeutet. Ausdehnung dieses Kredits beruht auf Aus-
(1 ob i iting dieser Warenübertragungen, und da es sich hier um
VV'firen kapital — um Vorgänge zwischen produktiven Kapitalisten —
li.niililt, auf Ausdehnung des Reproduktionsprozesses. Der Repro-
ilnkl innsprozeß wird erweitert, die Nachfrage nach Kapital in Form
>.iii produktivem Kapital (Maschinerie, Rohmaterial, Arbeitskraft
ii'.w ) steigt.
I ).is Steigen der Produktion bedeutet zugleich Steigen der Zirku-
I ,il iom ; die vermehrten Zirkulationsvorgänge werden erledigt durch
' Sicht man bloß, daß die Wechsel durch den Warenaustausch fundiert
«iml, 1 1 1 1 d übersieht man, daß dieser Warenaustausch erst dann gesellschaftlich
(Hihi,", vollzogen ist, wenn die Wechsel gegeneinander kompensiert, die
r.ilnnx ilnrch Bargeld beglichen und die nicht bezahlten Wechsel durch Geld
I/.I sind, so gelangt man zur Utopie der Warennote, des Arbeitsgeldes
iimv , vim Kreditzeichen, die vom Metall losgelöst, selbständig den Wert der
W ii direkt repräsentieren sollen.
95
das vermehrte Kreditgeld. Der Wechselumlauf wird vergrößert und
kann vergrößert werden, weil die in die Zirkulation eingehende
Warenmasse vermehrt ist. Dieses Anwachsen der Zirkulation kann
also vor sich gehen, ohne daß die Nachfrage nach Goldgeld zu stei-
gen braucht. Auch das Verhältnis von Nachfrage und Angehot von
Geldkapital braucht keine Änderung zu erfahren. Denn gleichzeitig
und in gleichem Verhältnis mit dem vermehrten Bedarf nach
Zirkulationsmitteln kann das Angebot wachsen, da auf Grund der
vermehrten Warenmenge das Kreditgeld in vermehrtem Maße aus-
gegeben werden kann.
Gestiegen ist hier der Wechselumlauf. 1 Dieser vermehrte Kredit
hat auch durchaus nicht das Verhältnis von Angebot und Nachfrage
nach den Elementen des wirklichen produktiven Kapitals tangieren
brauchen. Vielmehr ist beides gleichmäßig gestiegen. Der Produk-
tionsprozeß wurde erweitert und damit die Waren produziert, die
für die erweiterte Stufenleiter der Produktion nötig waren. Wir
haben somit hier vermehrten Kredit und vermehrtes produktives
Kapital. Beides drückt sich aus im vermehrten Wechselumlauf. Es
ist aber keine Verschiebung in dem Verhältnis von Angebot und
Nachfrage nach Kapital in Geldform damit verbunden gewesen. Es
ist aber nur diese Nachfrage, welche auf den Zinsfuß wirkt. Es
kann also vermehrter Kredit - wenn es eben nur Zirkulationskredit
ist — einhergehen mit gleichbleibendem Zinsfuß.
Der Wechselumlauf ist nur beschränkt durch die Summe der
wirklich vollzogenen Transaktionen. Während das Staatspapier im
Übermaß ausgegeben werden kann, wodurch der Wert des einzelnen
Abschnitts gesenkt, aber nie der Wert der Summe verändert wird,
kann der Wechsel prinzipiell nur über abgeschlossene Geschäfte
ausgestellt, daher nicht im Übermaß ausgegeben werden. Ist das
1 Die Summe der im Laufe des Jahres in Umlauf gesetzten Wechsel betrug
in Millionen Mark: 1885 12 060, 1895 15 241, 1905 25 506. Davon waren
Bankakzepte: 1965 oder 16 Prozent, 3530 oder 23 Prozent und 8000 oder
31 Prozent. In diesen Summen sind allerdings auch die nicht in den Verkehr
(Kautions-, Depotwechsel usw.) gelangenden Wechsel eingerechnet. W. Prion,
„Das deutsche Wechseldiskontgeschäft", Leipzig 1907, S. 51.
96
( ieschäft fingiert, schwindelhaft, so ist der Wechsel allerdings wert-
los. Diese Wertlosigkeit des einzelnen Wechsels aber tangiert durch-
iiiis nicht die Masse der anderen.
Daß aber Wechsel nicht im Übermaß ausgegeben werden können,
beweist nicht, daß die Geldsumme, auf die sie lauten, nicht zu hoch
sein, kann. Tritt eine Krise ein, in der die Waren entwertet werden,
so können die Zahlungsverpflichtungen nicht voll erfüllt werden.
I >ie Absatzstockung macht die Umsetzung von Ware in Geld un-
möglich. Der Maschinenfabrikant, der auf den Verkauf seiner
Maschine gerechnet hat, um den Wechsel, den er für den Kauf von
Eisen und Kohle gegeben hatte, einzulösen, kann diesen jetzt nicht
riii lösen und ihn auch nicht durch einen Wechsel, den er vom Käufer
seiner Maschine erhalten hätte, irgendwie kompensieren. Fehlen
ihm sonst die Mittel, so wird sein Wechsel jetzt wertlos, obwohl er
bei seiner Ausstellung Warenkapital (Eisen und Kohle, die in Ma-
schine verwandelt werden) repräsentiert hat.
Der Wechselkredit ist Kredit für den Ablauf des Zirkulations-
inozesses und ersetzt das Zusatzkacpital, das während der Zirkula-
lionszeit gehalten werden muß. Diesen Zirkulationskredit geben
inander die produktiven Kapitalisten selbst; nur wenn die Rück-
lliisse ausbleiben, muß Geld von dritter Seite, von Banken, zur
Verfügung gestellt werden. Ebenso treten die Banken ein, wenn der
Warenverkauf, also die Bedingung des Wechselverkehrs, irgendwie
Stockt, sei es, daß die Ware momentan unverkäuflich, sei es, daß
sie aus spekulativen Gründen zurückgehalten wird oder dergleichen.
I lier ergänzen sie nur und vervollständigen den Wechselkredit.
I )er Zirkulationskredit erweitert somit die Basis der Produktion
über das in den Händen der Kapitalisten befindliche Geldkapital
hinaus, das für sie nur mehr die Basis des Kreditüberbaues bildet,
1 Wird aber die normale Warenzirkulation durch außerordentliche außer-
iilionomisehe, also zufällige Ereignisse unterbrochen, wie Revolution oder
Kiieg usw., so wird es rationell, diese Unterbrechungszeit gleichsam in die
inirinale Umlaufszeit nicht einzurechnen und erst das Vorübergehen dieser
Ereignisse abzuwarten. Dies geschieht durch die gesetzliche Bestimmung eines
Moratoriums für die Wechsel.
97
einen Fonds zum Ausgleich der Bilanz der Wechsel und einen
Reservefonds für Verluste bei ihrer Entwertung.
Die Ersparnis an Bargeld wird einmal um so größer sein, je mehr
sich die Wechsel untereinander kompensieren. Dazu sind eigene
Einrichtungen notwendig; die Wechsel müssen gesammelt und mit-
einander konfrontiert werden. Diese Funktionen erfüllen die Ban-
ken. Sodann wird die Geldersparnis immer größer, je mehr derselbe
Wechsel als Zahlungsmittel fungiert. Der Umlauf des Wechsels
wird aber um so ausgedehnter sein können, je sicherer seine
Zahlungsfähigkeit ist. Die Kreditwürdigkeit des Wechsels, der als
Zirkulations- und Zahlungsmittel fungieren soll, muß bekannt sein.
Auch diese Funktion fällt den Banken zu. Sie erfüllen beide Funk-
tionen, indem sie die Wechsel kaufen. Indem der Bankier den Wech-
sel kauft, ist er es, der den Kredit gewährt. Der Bankier setzt an Stelle
des kommerziellen Kredits den Bankkredit — seinen eigenen, indem
er für den Wechsel Noten gibt, an Stelle des industriellen und kom-
merziellen Wechsels seinen eigenen. Denn die Banknote ist nichts
als ein Wechsel auf den Bankier, der lieber genommen wird als der
des Industriellen oder Kaufmannes. Die Banknote beruht also auf
dem Wechselumlauf. Ist die Staatsnote gesichert durch das gesell-
schaftlich notwendige Minimum der Warentransaktionen, der
Wechsel durch die vollzogene Warentrans aktion als einen privaten
Akt des Kapitalisten, so die Note durch den Wechsel, das Zahlungs-
versprechen, für das das ganze Vermögen aller Personen haftet, die
den Austausch vollzogen haben. Zugleich ist die Notenausgabe be-
schränkt durch die Zahl der diskontierten Wechsel, die selbst
beschränkt ist durch die Zahl der vollzogenen Austauschakte.
Die Banknote ist so ursprünglich nichts anderes als ein Wechsel
der Bank, der den Wechsel der Produktiven ersetzt. Vor der Zeit
der Entstehung der Banknote liefen die Wechsel oft mit hundert
Unterschriften versehen in der Zirkulation bis zu ihrem Verfall
1 Unter produktiven Kapitalisten verstehen wir die Kapitalisten, die
Durchschnittsprofit realisieren, also die Industriellen und Kaufleute, iin
Gegensatz zu den Leihkapitalisten, die Zinsen, und den Grundbesitzern, die
Rente beziehen.
98
um 5 umgekehrt wurden die Banknoten ursprünglich nach Art des
Wechsels auf die verschiedensten Beträge, nicht nur auf runde
Summen ausgestellt. Sie trugen nicht einmal immer den Charakter
von Sichtwechseln. „In früheren Zeiten war es nicht ungewöhnlich,
ilnß Banken Noten ausgaben, die entweder bei Sicht oder an einem
späteren Tag als dem der Präsentation, nach Wahl des Ausstellers,
/;ililbar waren, doch in dem letzten Fall trugen die Noten bis zum
Tag der Zahlung Zinsen."
Eine Änderung, die aber die ökonomischen Gesetze nicht auf-
licbt, führt erst das Eingreifen des Staates herbei: Zweck dieser
( icsctzgebung ist, die Konvertibilität der Note zu sichern, indem
ilie Ausgabe der Banknoten direkt oder indirekt beschränkt wird
und die Ausgabe zum Monopol einer unter staatlicher Kontrolle
•;l chenden Bank gemacht wird. In Ländern, wo das Staatspapiergeld
fehlt oder auf einen weit unter dem gesellschaftlichen Minimum
lilcibenden Betrag beschränkt ist, nimmt die Banknote den sonst
dem Staatspapiergeld zukommenden Raum ein. Wird der Banknote
in gewissen krisenhaften Zeiten Zwangskurs verliehen, so wird sie
damit selbst zum Staatspapiergeld. 2 Die künstliche Regelung der
1 James Wilson, „Capital, Currency and Banking", London 1847, S. 44.
'•' Natürlich wird die Bank fortfahren, mit diesen Noten zu diskontieren,
I insofern diese Noten gegen Wechsel und andere Sicherheiten ausgegeben
worden, erfüllen sie die Punktionen des Kreditgeldes nach wie vor. Das
idi ließt aber durchaus nicht aus, daß sie Staatspapiergeld sind, und das
und sofort bewiesen, wenn sie entwertet werden, weil mehr Papier aus-
gegeben ist, als dem gesellschaftlichen Zirkulationsminimum entspricht. Ge-
rn liii'ht das nicht, so wird natürlich auch keine Entwertung eintreten. Da die
Vni schüsse an den Staat, wodurch eben die Zirkulationsmenge des Papiers un-
"l'liiingig von den Bedürfnissen von Handel und Industrie vermehrt wird,
Ii während der Periode der Bankrestriktion in England gering blieben,
u nr auch die Entwertung gering. Es ist jedoch falsch, wenn Diehl sagt: „Aber
Sülbsl bei den uneinlöslichen Banknoten mit tatsächlicher Qualität als ge-
si I /liclies Zahlungsmittel kann von einem ,Papiergeld' nicht die Rede sein;
.liiin so bedenklich auch der Mangel der Einlösungspflicht ist" (Bedenken,
dir Diehl, der auf die Erfahrungen der österreichischen Währung keine
II Hellsieht nimmt, außerdem noch überschätzt), „auch unter diesem System
worden die Banknoten nicht ausgegeben, um Geld in Umlauf zu bringen,
99
w:
Notenausgabe versagt sofort, sobald die Umstände eine vermehrte
Notenausgabe verlangen. So wenn in der Krise der Kredit zusam-
menbricht, das Kreditgeld vieler privater Kapitalisten (also viele
Wechsel) unsicher wird und der von ihm eingenommene Raum in
der Zirkulation durch zuschüssige Umlaufsmittel ausgefüllt werden
muß. Das Gesetz versagt und wird übertreten, wie jüngst in den
sondern sie werden in Form von Darlehen an den Staat oder an Kaufleute
ausgegeben — also gegen Forderungsrechte, die die Bank ihrerseits erreicht.
Dann hängt alles von der Art der Geschäftsführung der Bank, nicht aber
von der Notenmenge ab, ob und inwieweit auch unter diesen Verhältnissen
die Notenausgabe nur berechtigten Kreditbedürfnissen des Staates und des
Handels dient oder ob sie darüber hinausgehend zu einer den ganzen Kredit
gefährdenden Papiergeldwirtschaft führt." (Karl Diehl, „Sozialwissen-
schaftliche Erläuterungen zu Ricardos Grundgesetzen der Volkswirtschaft",
Leipzig 1905, II. Teil, S. 235.) Diehl übersieht den wesentlichen Unterschied
zwischen Notenausgabe, die auf Wechseldiskont beruht, also auf Waren-
umsatz, der Geld verlangt, für den eben das Kreditgeld zur Verfügung ge-
stellt wird, und der Notenausgabe für Vorschüsse an den Staat. Die Note
ersetzt den Wechsel, also eine Form des Kreditgeldes durch eine andere, und
der Wechsel repräsentiert wirklichen Warenwert. Notenausgabe gegen
Zahlungsversprechen des Staates aber soll erst den Staat in den Stand setzen,
Waren zu kaufen, für die ihm das Geld mangelt. Nimmt der Staat Schulden
auf dem Geldmarkt auf, so erhält er in Zirkulation befindliches Geld, und
durch seine Ausgabe fließt es wieder auf den Geldmarkt zurück. Hier braucht
sich die in Umlauf befindliche Geldmenge nicht zu ändern. Aber der Staat
wendet sich an die Bank, weil er eben keinen anderen Kredit hat, und ver-
leiht den Noten Zwangskurs, weil die Bank sonst bankrott würde. Die für
diese Anleihe ausgegebenen Noten sind Zusatz zur Zirkulation und können
entwertet werden. Es ist genau dasselbe, als würde der Staat das Papiergeld,
das er für seine Zahlungen braucht, selbst und nicht erst durch den Umweg
durch die Bank ausgeben. Nur daß der Umweg für die Bank vorteilhaft ist,
weil sie jetzt für die „Anleihe", die sie nur Druck kostet, Zinsen bezieht.
Es war namentlich dieser Umstand, der Ricardo so gegen die Bank von
England aufbrachte und zu der Forderung führte, die Papiergeldausgabe,
wobei er freilich Staatspapier und Banknote konfundierte, zur Staatssache
zu machen. Es ist übrigens nicht uninteressant, zu sehen, daß die berühmten
Vorschläge Ricardos in seinen Proposais for an economical and secure
Currency in der „reinen Papierwährung" Österreichs in manchen Teilen ver-
wirklicht sind, während gerade diese Verwirklichung das Falsche in Ricardos
theoretischer Begründung aufs klarste erkennen läßt.
Vereinigten Staaten, oder suspendiert, wie die Peelsakte in Eng-
liind. Daß die Banknote genommen wird, während viele andere
Wechsel zurückgewiesen werden, beruht lediglich auf dem uner-
m butterten Kredit der Bank. Wäre dieser gleichfalls erschüttert, so
müßte den Noten Zwangskurs verliehen oder direkt Staatspapier -
l'.rld ausgegeben werden. Geschähe auch dies nicht, so würden
private Umlaufsmittel wie in der letzten amerikanischen Krise ge-
schaffen werden. Aber dies ist ein viel unwirksameres Mittel, um
iler durch verfehlte Banknotengesetzgebungen verschärften Geld-
krise entgegenzutreten.
Kbensowenig wie der Wechsel kann die konvertible Banknote
(i nid die nichtkonvertible ist in Wirklichkeit nichts anderes als
1 Bei der Gesetzgebung über das Geldwesen steht die kapitalistische Ge-
sellschaft vor einem rein gesellschaftlichen Problem. Diese Gesellschaft ist
stell aber ihrer selbst nicht bewußt. Ihre eigenen Bewegungsgesetze bleiben
iln verborgen und müssen erst mühsam von der Theorie entdeckt werden.
( legen die Annahme der theoretisch gefundenen Resultate wehrt sich aber das
Interesse ihrer führenden Schichten. Selbst abgesehen von den engen und
eigennützigen Interessen der Geldkapitalisten, die als vornehmlichste Sach-
\ inständige in den Fragen der B ank gesetzgebung gelten, ist es der Wider-
w illo gegen die Arbeitswerttheorie, welche zum unüberwindlichen Hindernis
in ilio richtige Einsicht der Gesetze der Geld- und Notenzirkulation wird
iiihI in der englischen Bankgesetzgebung zum Sieg der Prinzipien der
i in lency-Schule führt, obwohl diese Lehre schon durch die Arbeit von Tooke,
I 'ulhirlon und Wilson historisch und theoretisch ad absurdum geführt war.
I d ist dabei eine hübsche Ironie der Geschichte, daß diese Theorie sich —
lind liis zu einem gewissen Grade mit Recht — auf denselben Ricardo, der
umist die Arbeitswerttheorie konsequent durchzuführen bestrebt war, berufen
l> le, weil Ricardo unter dem Eindruck der Praxis der Papiergeldwirtschaft
linr seine eigene Theorie im Stiche gelassen hatte.
I'.s ist der anarchische Charakter der kapitalistischen Gesellschaft, der ihr
■ In- i nlionelle und bewußte Regelung einer gesellschaftlichen Aufgabe so
"In erschwert. Mühsam und ganz allmählich lernt sie erst aus den harten
um! kostspieligen Erfahrungen der verschiedensten Länder und Epochen
im liligerc Grundsätze, ohne die Kraft zu finden, sie zu verallgemeinern, wie
die A n frech terhaltung der amerikanischen und englischen, im geringeren
i Srncle auch der deutschen Notenbankgesetzgebung und -politik beweist. Und
um h weniger ist sie heute imstande, die neuen Erfahrungen einheitlich
il lelisch zu erfassen; staunt sie doch schon die Kühnheit eines Knapp an,
100
10t
Staatspapiergeld mit Zwangskurs) im Übermaß ausgegeben wer-
den. 1 Der Verkehr entledigt sich der Banknote, die er nicht mehr
braucht, indem er sie der Bank zurückgibt. Da sie den Wechsel
substituiert, ist ihre Notenausgabe denselben Gesetzen unterworfen
wie die Wechselzirkulation und dehnt sich mit dieser aus, solange
der Kredit unerschüttert bleibt, tritt aber als Zahlungsmittel, dessen
Kredit in der Krise unerschüttert geblieben ist, neben dem Bargeld
an die Stelle des Wechsels, sobald die Wechselzirkulation sich in der
Kreditkrise gewaltsam kontrahiert.
Mit der Entwicklung des Bankwesens, wo alles unbeschäftigte
Geld in den Banken zusammenströmt, substituiert sich der Bank-
kredit dem kommerziellen in der Weise, daß immer mehr alle
der die neuen Tatsachen weder verurteilt noch weginterpretiert, sondern
wenigstens daraus eine systematische — Terminologie schafft.
Da es sich bei der Verwaltung der Geld- und Kreditzirkulation um eine
rein gesellschaftliche Aufgabe handelt, so erhebt sich die Forderung, diese
Aufgabe dem Staate zu übertragen. Da aber der kapitalistische Staat von
Klasseninteressen zerrissen ist, so werden gegen diese Forderung sofort die
Bedenken derer wach, die den Machtzuwachs der den Staat gerade beherr-
schenden Schichten zu fürchten haben. Der Kampf endet zumeist mit dem
Kompromiß einer weitgehenden staatlichen Aufsicht über eine privilegierte
Privatgesellschaft. Das persönliche Interesse der Kapitalisten, das angeblich
unentbehrlich sein soll, muß eben ausgeschaltet oder doch beschränkt werden.
Das Privatinteresse der Leiter der Nationalbanken steht in gar keinem Ver-
hältnis zur Bedeutung ihrer Macht. Hier könnte in der Tat das freie Walten
des Profitinteresses durch Ausnützung des Nationalkredits für eigene Bech-
nmig den größten Schaden anrichten. Der gesellschaftliche Charakter der
Aufgabe macht die Ausschaltung oder doch die starke Einschränkung des
Profitinteresses unentbehrlich.
1 „Ich zögere keinen Moment, meine volle Übereinstimmung mit der so
sehr verschrienen Doktrin der alten Bankdirektoren von 1810 auszusprechen,
daß, solange als eine Bank ihre Noten nur ausgibt in der Diskontierung guter
Wechsel von nicht mehr als 60tägiger Laufzeit, sie nicht falsch handeln
kann, wenn sie soviel Noten ausgibt, als das Publikum nehmen will. In
diesem Grundsatze, so einfach er ist, steckt nach meiner Meinung mehr
Wahrheit und tiefere Einsicht in die Prinzipien, welche den Geldumlauf
beherrschen, als in irgendeiner Vorschrift über diesen Gegenstand, die seit-
dem erlassen worden ist." Fullarton, loc. cit., S. 207.
Wechsel nicht in ihrer ursprünglichen Form als Zahlungsmittel
dienen, indem sie unter den produktiven Kapitalisten umlaufen,
sondern in ihrer verwandelten Form als Noten. Die Kompensation
und Saldierung der Bilanz findet jetzt bei und unter den Banken
i.l.ilt, eine technische Erleichterung, die den Kreis der möglichen
Kompensation erhöht und das zur Saldierung nötige Bargeld weiter
\ erringert.
Das Geld, das früher die produktiven Kapitalisten selbst halten
mußten, um die Bilanz der von ihnen ausgestellten Wechsel zu be-
gleichen, ist für sie jetzt überflüssig; es fließt als Depositum den
li.inken zu, die jetzt damit die Saldierung der Bilanzen vollziehen
können. Es verringert sich also der Kapitalteil, den die Produktiven
in Form von Geldkapital halten mußten.
Da der Bankier an Stelle der Wechsel seinen eigenen Kredit setzt,
SO braucht er Kredit, aber nur ein geringes eigenes Kapital in Geld-
hinn als Garantiefonds für seine Zahlungsfähigkeit. Was die Ban-
ken hier leisten, ist, durch Ersatz des unbekannten Kredits durch
i In en eigenen bekannteren das Kreditgeld in erhöhtem Maße zirku-
l.il ionsfähig zu machen. Sie ermöglichen dadurch auch den Aus-
gleich der Zahlungsforderungen lokal auf einem viel größeren Ge-
biete und, soweit dadurch auch die Kompensationsmöglichkeiten der
Zeit nach vervielfacht werden, den zeitlichen Ausgleich; sie erwei-
tern somit den Kreditüberbau in weit höherem Maße, als es der auf
ilie produktiven Kapitalisten beschränkten Wechselzirkulation ge-
lingen wäre.
Aber man darf das Kapital, das die Banken durch den Wechsel-
diskont den produktiven Kapitalisten zur Verfügung stellen, nicht
ilu|i|)clt nehmen; der größte Teil der Bankdepositen gehört der
K bisse der produktiven Kapitalisten, die mit der Entwicklung des
ll.'inkwesens ihr ganzes verfügbares Geldkapital in den Banken
hellen. Dieses Geldkapital bildet, wie wir gesehen haben, die Basis
de:: Wccbselumlaufes. Es ist aber das eigene Kapital der Klasse.
I buch den Wechseldiskont wird der Klasse als solcher nicht neues
Knpilal zugeführt. Es wird nur an Stelle des Kapitals in der einen
• ■eldlorm (dem privaten Zahlungsversprechen) Kapital in anderer
102
105
Geldform (Zahlungsversprechen der Bank, eventuell Bargeld) ge-
setzt. Um Geldkapital handelt es sich nur, soweit es eben realisiertes
Warenkapital ersetzt, also die Geldsumme hier genetisch betrachtet
wird. Funktionell handelt es sich immer um Geld (Zahlungs- oder
Kauf mittel).
Die Substituierung des Kredits der produktiven Kapitalisten
durch Bankkredit kann natürlich auch in anderen Formen erfolgen
als denen der Banknotenausgabe. So stellen in Ländern mit Noten-
monopol die Privatbanken den Produktiven ihren Bankkredit zur
Verfügung, indem sie die Wechsel der Produktiven „akzeptieren",
das heißt mit ihrer Unterschrift versehen und damit sich für deren
Zahlungsfähigkeit verbürgen. Dadurch genießt der Wechsel den
Kredit der Bank, was seine Umlaufsfähigkeit ebenso erhöht, als
wäre er durch die Noten dieser Bank ersetzt. Es ist bekannt, daß ein
großer Teil besonders der internationalen Handelstransaktionen
durch solche Wechsel erledigt wird. Prinzipiell besteht zwischen
solchen akzeptierten Wechseln und Noten von Privatbanken kein
Unterschied.
Der Zirkulationskredit, in dem eben von uns gebrauchten Sinn,
besteht also in der Schaffung von Kreditgeld. Er macht die Produk-
tion damit unabhängig von der Schranke der vorhandenen Bargeld-
summe, wobei wir unter Bargeld das vollwertige Metallgeld, das
Währungsgeld, Silber- oder Goldgeld, verstehen, plus dem Staats-
1 „Das wichtigste Mittel, im internationalen Verkehr Zahlungen zu er-
ledigen, ist der Wechsel. Während sich in früherer Zeit in dem Handels-
wechsel sichtbar der zwischenstaatliche Ausgleich vollzog, ist in dem letzten
Jahrhundert der Bankwechsel mehr und mehr in den Vordergrund getreten,
hinter welchem der erstere, aber auch der aus anderen Forderungen — zum
Beispiel aus dem Effektengeschäft — abgeleitete, verborgen ist. In dem
Handelswechsel ist die spezielle Art des vorausgegangenen Warenkaufes aus-
gelöscht, in dem Bankwechsel ist, dem Zuge der Zeit entsprechend, die
Abstraktion noch weiter getrieben, und es ist nicht mehr der Schluß ge-
stattet, daß der Warenverkehr ihm zugrunde liegt, vielmehr läßt sich nur
sagen, daß eine Geldforderung aus irgendeinem ökonomischen Vorgang be-
glichen werden soll. An diese Zahlungsart kann nun der internationale Kredit
anknüpfen." A. Sartorius Freiherr v. Waltershausen, „Das volkswirtschaftliche
System der Kapitalanlage im Ausland", Berlin 1907, S. 258 ff.
104
Papiergeld mit Zwangskurs und den Scheidemünzen, soweit sie in
dem Umfang des gesellschaftlich notwendigen Zirkulationsmini-
nmms existieren.
Durch den Zirkulationskredit als solchen findet aber weder Über-
I ragung von Geldkapital von einem produktiven Kapitalisten auf
•Ion anderen statt noch Zufluß von Geld anderer (unproduktiver)
Klassen zur Kapitalistenklasse, um von dieser in Kapital verwandelt
zu werden. Leistet der Zirkulationskredit also Bargeldersatz, so
nennen wir den Kredit in seiner Funktion, Geld in welcher Form
immer, also gleichgültig ob Bargeld oder Kreditgeld, aus brach-
liegendem Geld in fungierendes Geldkapital zu verwandeln:
Kapitalkredit. Kapitalkredit deswegen, weil diese Übertragung stets
llbertragung an solche ist, die das Geld durch Kauf der Elemente
iles produktiven Kapitals als Geldkapital anwenden.
Wir haben im vorhergehenden Kapitel gesehen, wie im Ver-
laufe des kapitalistischen Produktionsprozesses freiliegendes, auf-
Ci'schatztes Geld, das als Geldkapital dienen soll, entsteht. Es sind
die Summen, die zeitweilig durch den Zirkulationsprozeß gebunden,
zeitweilig brachliegen, die Summen, die aufgeschatzt werden zum
Ersatz des fixen Kapitals und des abgeschätzten Mehrwerts, bis sie
fax Akkumulation groß genug geworden sind. Hier ist dreierlei zu
leisten: die einzelnen Summen sind zu sammeln, bis sie durch die
Zentralisation groß genug zur produktiven Verwendung werden;
zweitens sind sie den geeigneten Personen zur Verfügung zu stellen;
mimI drittens sind sie für die geeignete Zeit zur Verfügung zu stellen.
Wir haben früher gesehen, wie das Kreditgeld aus der Zirku-
lation entsprang. Jetzt haben wir es mit Geld zu tun, das nicht
I ii nktioniert; Geld kann aber nur Geldfunktion verrichten, und diese
kann es nur in der Zirkulation verrichten; der Kredit kann in dieser
Kunktion daher nichts anderes leisten, als nichtzirkulierendes Geld
im Zirkulation zu werfen.
Aber als kapitalistischer Kredit wirft er es nur in Zirkulation,
hui mehr Geld herauszuziehen; er wirft es in Zirkulation als Geld-
taipital zur Verwandlung in. produktives Kapital. Er erweitert da-
nn l den Umfang der Produktion, eine Erweiterung, der die Erwei-
105
teruiig des Umfanges der Zirkulation vorausgegangen sein muß.
Diese Erweiterung vollzieht sich ohne Dazwischenkunft neuen
Geldes, nur durch die Ausnutzung alten, aber brachliegenden Geldes
zu Zirkulationszwecken.
Hier ergibt sich also wieder das Bedürfnis für eine ökonomische
Funktion, die darin besteht, das brachliegende Geldkapital auf-
zusammeln und das gesammelte zu verteilen.
Der Kredit trägt hier aber anderen Charakter als der Zirku-
lationskredit. Dieser bewirkt, daß Geld als Zahlungsmittel fungiert.
Die Zahlung für eine Ware, die verkauft wird, wird kreditiert.
Geld, das sonst in die Zirkulation eintreten müßte, wird erspart,
weil es durch Kreditgeld ersetzt ist. Um diese Summe wird wirk-
liches Geld überflüssig, das sonst vorhanden sein müßte. Anderseits
wird dem Kapitalisten kein neues Kapital zur Verfügung gestellt.
Der Zirkulationskredit verleiht nur seinem Warenkapital die Form
von Geldkapital.
Anders der Kapitalkredit. Er ist nur Übertragung einer Geld-
summe, die ihr Besitzer nicht als Kapital anwenden kann, an
jemand, der sie als Kapital anwenden soll. Dies ist ihre Bestimmung.
Denn würde sie nicht als Kapital angewandt, könnte ihr Wert nicht
erhalten bleiben und rückfließen. Gesellschaftlich betrachtet ist
aber immer Rückfluß des Geldes an den Schuldner nötig, um es
mit Sicherheit ausleihen zu können. Es findet also hier Übertragung
von Geld statt, das 1 bereits vorhanden ist, nicht Ersparung von
Geld überhaupt. Der Kapitalkredit besteht also in Übertragung von
Geld, das damit aus brachliegendem in fungierendes Geldkapital
verwandelt werden soll. 1 Dieser erspart nicht wie der Zahlungs-
kredit Zirkulationskosten, sondern erweitert auf Grundlage der
gleichen Geldbasis die Funktion des produktiven Kapitals.
1 Da alles Geld gegen Zins ausgeliehen, also für den Verleiher Kapital-
charakter annimmt, so wird umgekehrt alles ausgeliehene Geld, welches immer
in Wirklichkeit seine Funktionen, ob es Ausgangspunkt für neues produktives
Kapital bildet oder nur Zirkulationsvorgänge bereits vorhandenen Kapitals
vermittelt, als Kapital angesehen und die Nachfrage nach Geld als Zahlungs-
mittel mit der als Geldkapital verwechselt.
106
Die Möglichkeit des Kapitalkredits entspringt hier aus den Be-
il ingungen der Zirkulation des Geldkapitals selbst, entspringt dar-
BUS, daß periodisch Geld im individuellen Kreislauf des Kapitals
In. ich gelegt wird. Die einen Kapitalisten zahlen dies beständig in
die Hanken ein, die es den anderen wieder zur Verfügung stellen.
Die ganze Kapitalistenklasse betrachtet, liegt dann das Geld nicht
um Big; erstarrt es hier als Schatz, so verwandelt es der Kredit sofort
in aktives Geldkapital in einem anderen Zirkulationsprozeß. Für
ihr ganze Klasse verringert sich so der Umfang des vorzuschießen-
,l.ii Geldkapitals. Diese Verringerung erfolgt, weil die Pausen der
Zirkulation hier das Geld übertragbar machen und so das Ruhen
des Geldes als Schatz vermieden wird. Die ganze Kapitalistenklasse
In .nicht dann nur einen verhältnismäßig geringen Teil des Geldes
nl:. Schatz fungieren zu lassen, um Unregelmäßigkeiten und Störun-
l'iii der Zirkulation begegnen zu können.
Früher hatten wir es mit produktiven Kapitalisten (industriellen
n ml kommerziellen) zu tun, die ihre Umsätze, zum Beispiel den
K .i i ■ T von Produktionsmitteln, mit Kreditgeld vollziehen. Jetzt wird
ilei produktive zum Geld- oder Leihkapitalisten. Aber diesen Cha-
i n Isicr nimmt er nur vorübergehend an, wenn sein Geldkapital, der
Verwandlung in produktives harrend, gerade brachliegt. Und wie
n in einem Moment leiht, so borgt er in einem anderen von einem
/weilen produktiven Kapitalisten. Der Charakter des Leihkapita-
ln.len ist zunächst nur vorübergehend und wird dann mit der Ent-
u n Klung des Bankwesens zu dessen besonderer Funktion.
I ),is vorhandene Geldkapital fungiert durch Vermittlung des
Kredits in größerem Umfang als ohne diese Vermittlung. Der
Kredit schränkt das brachliegende Kapital auf jenes Minimum ein,
dris erforderlich ist, um Störungen oder unvorhergesehene Verände-
i nng im Kreislaufprozeß des Kapitals zu verhüten. Das Brachliegen
Je« < '.( ldkapitals während einer gewissen Zeit im Ablauf des Kreis -
ImiiI prozesses des individuellen Kapitals sucht der Kredit so für das
t;< ullsc/iaftliche Kapital aufzuheben.
Zugleich folgt, daß die Hinterlegung der Depositen der produk-
Iimii Kapitalisten und ebenso ihre Entziehung bestimmten Ge-
107
setzen folgt, die sich aus der Natur der Zirkulation des produktiven
Kapitals, aus der Länge seiner Umlaufszeit herleiten. Diese Gesetz-
mäßigkeit erkennen, lehrt die Banken die Erfahrung, die ihnen das
Minimum von Depositen zeigt, das in normalen Zeiten nicht unter-
schritten wird und ihnen erlaubt, diesen Betrag den produktiven
Kapitalisten stets zur Verfügung zu halten.
Der Scheck ist der unmittelbare Bezug auf das Depositum, wäh-
rend der Wechsel sich nur virtuell auf dasselbe beziehen muß;
der Scheck bezieht sich auf das individuelle Deposit, der Wechsel
beruht auf dem Depositum der Klasse. Denn es sind zunächst die
eigenen Depositen, die der Kapitalistenklasse im Wechseldiskont
zur Verfügung gestellt werden und, wenn die Zahlungen für die
verfallenen Wechsel eingehen, die Rückflüsse für die verkauften
Waren also tatsächlich erfolgen, immer wieder als Depositen
zurückkehren. Vermindern sich die Rückflüsse, werden die Wechsel-
eingänge geringer, so müssen die Kapitalisten zusätzliches Kapital
zur Verfügung haben. Sie vermindern dann die Depositen, damit
aber den Fonds, aus dem ihre Wechsel diskontiert werden. Dafür
muß nun die Bank eintreten; sie muß mit ihrem eigenen Kredit
diskontieren; da aber die Basis des Wechselumlaufes, die Depositen,
abgenommen haben, ihre Liquidität vermindert ist, kann sie ohne Ge-
fahr nicht ihren eigenen Kredit vermehren. Der verlangsamte Rück-
fluß hat in diesem Fall vermehrte Nachfrage nach Bankierkredit,
und da dieser nicht ausdehnbar ist, nach Bankierkapital - Leih-
kapital - hervorgerufen. Dies äußert sich im Steigen des Zinsfußes.
Die Funktion des Wechsels, als Kreditgeld zu fungieren, hat sich
vermindert. An seine Stelle mußte Geld treten, das den Banken
entzogen worden und hier als vermehrte Nachfrage nach Geld-
kapital empfunden wurde. Wir haben hier also Verminderung der
Depositen bei gleichbleibendem oder noch steigendem Wechselum-
lauf und steigendem Zins.
Daß die Summe der Depositen ein Vielfaches der wirklich vor-
handenen Bargeldsumme ist, ist schon hier klar. Das Hartgeld
macht eine ganze Anzahl von Umläufen durch und ist zugleich die
Basis des Kreditgeldumlaufes. Jeder solcher Umlauf von Bar- oder
108
K icditgeld kann als Depositum beim Bankier niederschlagen. Die
I )epositensumme kann damit um so viel größer sein als die Bargeld-
Summe, als die Umlaufszahl des Geldes einschließlich des Kredit-
feldes anzeigt.
A legt 1000 M. in die Bank. Die Bank leiht diese 1000 M. an B.
I )ieser zahlt damit eine Schuld an C. C legt diese 1000 M. wieder
in die Bank, die Bank leiht sie neuerdings aus und erhält sie neuer-
ilings als Deposit usw. „Die Depositen... spielen eine doppelte
Holle. Einerseits werden sie als zinstragendes Kapital aus-
geliehen und finden sich also nicht in den Kassen der Banken, son-
dern figurieren nur in ihren Büchern als Guthaben der Depositoren.
Andrerseits fungieren sie als solche bloße Buchposten, soweit die
wechselseitigen Guthaben der Depositoren durch Schecks auf ihre
1 )epositen sich ausgleichen und gegeneinander abgeschrieben wer-
den; wobei es ganz gleichgültig ist, ob die Depositen bei demselben
It.inkier liegen, so daß dieser die verschiednen Konti gegeneinander
n lischreibt, oder ob dies durch verschiedne Banken geschieht, die
i li i-o Schecks gegeneinander austauschen und sich nur die Differen-
zen zahlen." 1
Nach dem bisherigen wirkte die Bank einmal als Vermittlerin
lies Zahlungsverkehres, den sie durch die Konzentration der Zah-
lungen und Ausgleichung der örtlichen Verschiedenheiten erweitert;
sodann besorgte sie die Verwandlung von brachliegendem in funk-
lionierendes Geldkapital, das sie sammelte, konzentrierte, verteilte
und dadurch auf das jeweilige Minimum, das für den Kreislauf des
( iesellschaftskapitals notwendig ist, reduzierte.
Eine dritte Funktion übernimmt die Bank, indem sie das Ein-
kommen aller anderen Klassen in Geldform sammelt und der Kapi-
l;ilistenklasse als Geldkapital zur Verfügung stellt. Den Kapitalisten
Hießt so außer ihrem eigenen Geldkapital, das die Banken ver-
walten, das brachliegende Geld alle,r anderen Klassen zur produk-
liven Verwendung zu.
I hn diese Funktion zu erfüllen, müssen die Banken möglichst
ii I le Gelder, die in den Händen ihrer Besitzer brachliegen, sammeln,
1 Marx, „Kapital", III., 2. Teil, S. 8. (Neuausgabe S. 514. Die Red.)
III nilfrrding, Das Finanzkapital
109
konzentrieren und sie dann den Produktiven ausleihen. Ihr Haupt-
mittel ist die Gewährung von Zins auf die Depositen und die Er-
richtung von Sammelstellen (Filialen) zur Aufnahme der Depositen.
Diese sogenannte Dezentralisation— so genannt, weil sie rein örtlich
ist, nicht aher ökonomisch — liegt also im Wesen der Bankfunktion,
die brachliegenden Gelder auf die Produktiven zu übertragen.
Das Geldkapital, das die Banken den industriellen Kapitalisten
zur Verfügung stellen, kann von diesen in zweierlei Weise zur
Erweiterung der Produktion verwandt werden: es kann Geldkapital
verlangt werden, um es in zirkulierendes oder aber um es in fixes
Kapital zu verwandeln. Die Unterscheidung ist wichtig wegen der
Verschiedenartigkeit des Bückflusses. Geldkapital, vorgeschossen
zum Ankauf von zirkulierendem Kapital, fließt in derselben Weise
zurück, das heißt, sein Wert ist nach Ablauf der Umschlagsperiode
vollständig reproduziert und in Geldform rückverwandelt. Anders
beim Vorschuß zur Verwandlung in fixes Kapital. Hier fließt das
Geld nur allmählich während einer längeren Reihe von Umschlags -
Perioden zurück und ist während der ganzen Zeit festgelegt. Die
Verschiedenartigkeit des Bückflusses bedingt so eine Verschieden-
artigkeit in der Art und Weise, wie die Gelder der Bank festgelegt
sind. Die Bank hat ihr Kapital in das kapitalistische Unternehmen
eingelegt und ist damit an dem Schicksal dieses Unternehmens
beteiligt. Diese Beteiligung ist um so fester, je mehr das Bank-
kapital als fixes Kapital in dem Unternehmen fungiert. Dem Kauf-
mann gegenüber ist die Bank viel freier als dem industriellen Unter-
nehmen gegenüber. Überhaupt kommt beim Kaufmannskapital
überwiegend nur Zahlungskredit in Betracht. Dies erklärt auch,
warum die Beziehungen zwischen Kaufmanns- und Bankkapital
sich, wie wir noch sehen werden, ganz anders gestalten als die zum
industriellen Kapital.
Die Formen, in denen das Bankkapital inklusive der fremden
Gelder in dem Umfang, in dem sie oben erwähnt worden, den Pro-
duktiven zur Verfügung gestellt werden, sind mannigfach: Über-
ziehen der eigenen Depositen, Einräumung eines offenen Buch-
kredits und der Kontokorrentverkehr. Ihre Unterscheidung ist von
keiner prinzipiellen Bedeutung, wichtig sind nur die Zwecke, zu
welchen die Gelder wirklich verwandt werden, ob zur fixen oder
zirkulierenden Kapitalanlage. 1
Diese Festlegung von Kapital erfordert aber anderseits auch ein
größeres eigenes Kapital der Banken, das als Reservefonds und
< iarantiefonds für die stete Einlösbarkeit der Depositen dient. Ban-
ken mit der Funktion der eigentlichen Kreditgewährung müssen
also immer auch über bedeutendes Kapital verfügen, im Gegensalz
v.u den reinen Depositenbanken. So ist in England das Verhältnis
fles eingezahlten Aktienkapitals zu den Verpflichtungen ein außer-
ordentlich geringes; „bei der ausgezeichnet geleiteten London- und
Countybank war 1900 das Verhältnis wie 4,38 : 100. " 2 Anderseits
erklärt sich aus diesem Verhältnis die Höhe der Dividenden der
Inguschen Depositenbanken.
Zu Beginn der Entwicklung wird der Kredit hauptsächlich ver-
mittelt durch Wechsel; er ist Zahlungskredit, den sich die produk-
liven Kapitalisten, Industrielle und Kommerzielle, untereinander
geben; sein Resultat ist das Kreditgeld. Ist der Kredit bei den Ban-
ken konzentriert, so tritt einmal neben dem Zalüungskrcdit der
Kapitalkredit stets stärker hervor. Zugleich kann sich der Kredit,
den sich die Industriellen untereinander geben, der Form nach ver-
iin.lcrn. Die Industriellen halten alles Kapital, das sie in Geldform
liaben, in der Bank. Es macht jetzt keinen Unterschied, ob sie sich
Kredit durch Wechsel gegenseitig geben oder ob sie sich gegenseitig
Anweisung auf ihre Bankkredite geben. So können Bankkredite an
Stelle von Wechselkrediten treten und der Wechselumlauf hat sich
vri ringert. An Stelle des industriellen und kommerziellen Wechsels
1 Die Ökonomen, welche bei der Analyse der Ware die spezifischen Form-
1 uiiilheitea übersehen und nur den Inhal l des Tauschaktes betrachten,
.-■lilässigen umgekehrt hei den entwickelten Formen des Kredit- wie d«
!'.... -rnverkehrs den Inhalt und können sich nicht genug lim mit unendlichen
Rplnlisierereien über die Formen. Auch Jeidels scheint mir in seiner sonst
»Ol .■"/Jüchen Schrift („Das Verhältnis der deutschen Großbanken zur In-
"""'"- ^P^g 1905) den Formen des Kreditverkehrs übermäßige Be-
ili-nliiiig beizulegen,
■ fnite, „Das englische Bankwesen", S. 200.
110
111
ist der Bankwechsel, dem aber eine Verpflichtung des Industriellen
an die Bank zugrunde liegt, getreten. 1
Daß die Entwicklung vom Zahlungs- zum Kapitalkredit geht,
zeigt sich auch international. Zuerst gibt England (wir sehen von
der analogen Stellung des holländischen Kapitalismus zum eng-
lischen während des Frühkapitalismus ab) den fremden Ländern,
die die englischen Produkte kaufen, hauptsächlich kommerziellen
Kredit, während England seine Einkäufe in verhältnismäßig größe-
rem Maße bar zahlt; heute ist es anders: Kredit wird nicht allein
und in erster Linie für die Handelsbeziehungen gewährt als kom-
merzieller Kredit, sondern für Kapitalanlagen; man sucht sich
durch Kapitalkredit der auswärtigen Produktion zu bemächtigen.
Internationaler Bankier ist weniger das Industrieland (Vereinigte
Staaten, Deutschland), sondern in erster Linie sind es Frankreich,
1 „Zunächst ist in fast allen Geschäftszweigen, durchgeführt schon im
Rohstoff- und Halbfabrikatenverkehr, die zunehmende Einbürgerung der
Barzahlung (worin aber Prion die Bankzahlung einbegreift) an Stelle der
Wechselbegleichung wahrzunehmen. Mit Hilfe des Bankkredits, besonders in
der Form des Akzeptkredits, zahlt der Kaufmann mittels Giroüberweisung
oder Ausschreibung eines Schecks in bar, so daß der reine Warenwechsel
immer mehr verdrängt wird. Am stärksten muß dies die großen und besten
Warenwechsel treffen, weil in den obersten Schichten des Handelsverkehrs
der Kapitalreichtum durch den Aufsaugungsprozeß ohnehin schon stark ge-
wachsen ist. Selbst im überseeischen Großverkehr, dem Herkunftsgebiet
des bisher feinsten Wechsels, beispielsweise im Getreidehandel, ist es üblich
geworden, an Stelle des Zwei- und Dreimonatswechsels mit der Sichttratte
zu zahlen, wenn nicht das Bankakzept gebraucht wird. Begründet ist diese
Umwandlung durch die Tatsache, daß der Käufer bei Barzahlung stets vorteil-
haftere Bedingungen erlangen kann, die selbst im ganzen bestehen bleiben,
wenn auch zu diesem Zwecke in erheblichem Umfange der Bankkredit in
Anspruch genommen werden muß. Um die tatsächlich noch in Umlauf
gelangenden Warenwechsel entspinnt sich des weiteren ein starker Wett-
bewerb sowohl zwischen Reichsbank und Kreditbanken, als auch zwischen
den einzelnen Gruppen der letzteren selbst. Die gewaltigen Kapitalanhäufun-
gen in den Großbanken drängen nach einer entsprechenden Wechselanlage
und drücken deshalb in diesem Wettbewerb den Preis für die guten Waren-
wechsel weit unter den Reichsbankdiskontsatz bis auf den Privatdiskontsatz
herab." (Prion, loc. cit., S. 120.)
112
'I .um Belgien und Holland, das schon den englischen Kapitalismus
"" l7 - un <3 18. Jahrhundert finanziert hat, die Kapitalkredit ge-
u. ihren. England nimmt eine Mittelstellung ein. Daher auch die
Verschiedenheit der Goldbewegungen in den Zentralbanken dieser
I .indor. Die Goldbewegung der Bank von England ist einmal Index
Im die internationalen Kreditverhältnisse, da London der einzige
/'.ui/. freie Goldmarkt von alters her ist und sich daher dort der
Goldhandel konzentriert. In Frankreich hindert die Goldprämien-
pcililik, in Deutschland manche Einflüsse der Reichsbankleitung die
völlig freie Goldbewegung. Die Bewegung des englischen Gold-
S- liil/.es hängt in erster Linie ab, da der Kredit, den England gibt,
Doch wesentlich kommerzieller Kredit ist, vom Stande der Industrie
und lies Handels und seiner Bilanz. Die Dispositionen der Bank von
li.mkrcich mit ihrem riesigen Goldschatz und ihrer verhältnis-
müßig geringen kommerziellen Verpflichtung sind viel freier. Sie
ill «'s, die der Bank von England bei Erschütterungen des kommer -
'i'llrn Kredits zu Hilfe kommt.
Diese relative Unabhängigkeit des Bankkredits vom kommer -
«lollnn ist wichtig, weil sie eine gewisse Überlegenheit für den
Bankier bedeutet. Jeder Kaufmann und Industrielle hat Kredit-
< oi nl'liclitungen, die bis zu einem gewissen Zeitpunkt erfüllt werden
1 •'•''"• Er selbst ist aber für die Erfüllung heute abhängig von
iI.-m Dispositionen seines Bankiers, der ihm durch Einschränkung
Minis Kredits die Erfüllung eventuell unmöglich machen könnte.
üol.-mgc die Hauptmasse des Kredits kommerzieller Kredit war und
•'"• Rankiers nur wesentlich Wechselhändler, war dies nicht der
fnll; hier hing vielmehr der Bankier selbst vom Ablauf des Ge-
'.' h.ills, von der Bezahlung der Wechsel ab; er mußte es möglichst
Vermeiden, die geforderte Kreditgewährung einzuschränken, so-
Iai-irc es irgendwie ging, da er sonst den ganzen Wechselkredit zer-
"inini konnte; daher große Anspannung seines eigenen Kredits bis
mm I Iheranspannung und dem Krach. Heute, wo der kommerzielle
Iwnlii diese Rolle nicht mehr spielt, sondern der Kapitalkredit die
fTfuiplsache, kann die Bank die Verhältnisse viel besser kontrollieren
I heherrschen.
113
Eine gewisse Entwicklung des Kredits gegeben, wird die Benüt-
zung des Kredits für das kapitalistische Unternehmen eine Not-
wendigkeit, die ihm der Konkurrenzkampf aufdrängt. Denn für
den Einzelkapitalisten bedeutet die Benützung des Kredits eine
Erhöhung seiner individuellen Profitrate. Beträgt die Durch-
schnittsprofitrate 50 Prozent, der Zinsfuß 5 Prozent, so wird ein
Kapital von 1 Million Mark einen Profit von 300 000 M. erzielen.
(Von diesem Profit werden in der Berechnung des Kapitalisten
250 000 M. als Unternehmergewinn, 50 000 M. als Zins auf sein
Kapital gebucht werden.) Gelingt es dem Kapitalisten, eine zweite
Million aufzunehmen, so wird er jetzt einen Profit von 600 000 M.
minus 50 000 M., die er als Zins auf die zwöite Million Mark weg-
zahlen muß, also 550 000 M. Gewinn machen; sein Unternehmer-
gewinn beträgt jetzt 500 000 M., der nach wie vor auf das eigene
Kapital von 1 Million berechnet, nunmehr eine Unternehmer-
gewinnrate von 50 Prozent gegen die frühere von 25 Prozent er-
gibt. Erlaubt ihm das größere Kapital zugleich mit der Ausdehnung
der Produktion auch billiger zu produzieren, so wird sich sein Ge-
winn weiter erhöht haben. Ist anderen Kapitalisten die Kredit-
benützung nicht im selben Maße oder zu härteren Bedingungen
möglich, so würd der begünstigte Kapitalist einen Extraprofit
machen können.
Ist die Marktlage ungünstig, so äußert sich der Vorteil der
Kreditbenützung in anderer Weise. Es ist dem Kapitalisten, der
fremdes Kapital benützt, möglich, mit seinen Preisen für jenen
Umfang, in dem er fremdes Kapital benützt, unter den Produktions-
preis (Kostpreis plus Durchschnittsprofit) herunterzugehen bis auf
k+z (Kostpreis plus Zins), so daß er die Gesamtsumme seiner Waren
unter dem Produktionspreis verkaufen kann, ohne den Profit auf
sein eigenes Kapital zu schmälern. Er opfert nur den Unter-
nehmergewinn auf das fremde, nicht den Profit auf das eigene
Kapital. Die Benützung des Kredits gibt so in Zeiten ungünstiger
Konjunktur eine Überlegenheit im Preiskampf, die mit dem Um-
fang der Kreditbenützung wächst. So wird das eigene Kapital, dal
die produktiven Kapitalisten benützen, für sie nur die Basis eine«
Unternehmens, das mit Hilfe fremden Kapitals weit über die
''i h ranke des eigenen Kapitals ausgedehnt wird. Die Erhöhung des
I Nternehmergewinns durch Benützung des Kredits ist eine solche
!ur den individuellen Kapitalisten und für sein eigenes Kapital. Sie
l.iliL zunächst die Höhe der gesellschaftlichen Dürchschnittsprofit-
i.ilr unberührt. Zugleich steigert sich aber natürlich die Profit-
m.isse, damit das Tempo der Akkumulation. Indem sie erlaubt, die
Stufenleiter der Produktion auszudehnen, die Produktivkraft der
\ i heit zu steigern, gewährt sie zunächst den Kapitalisten, die den
Kredit zuerst oder in größerem Umfang als andere anwenden kön-
nen, Extraprofit, um im weiteren Verlauf der Entwicklung durch
l'ni Ischreiten zur höheren Zusammensetzung des Kapitals, die mit
f)cr Ausdehnung der Produktion meist verbunden ist, die Profitrate
zu senken. Die Erhöhung des Unternehmergewinns des einzelnen
Kapitalisten treibt diese zu immer stärkerer Inanspruchnahme des
Kredits. Zugleich wächst durch die Zusammenfassung alles Geld-
I iipilals in den Banken die Möglichkeit der Inanspruchnahme.
I Im'sc in der Industrie entspringende Tendenz muß ihrerseits zu-
iiii K wirken auf die Art der Kreditgewährung durch die Banken.
Die Verstärkung des Strebens nach Kredit führt zunächst dazu,
■ Li II für das zirkulierende Kapital Kredit in Anspruch genommen
wiiil; ein immer größerer Teil des eigenen Kapitals wird in fixes
K.ipilal verwandelt, während für einen erheblichen Teil des zirku-
lierenden Kapitals fremdes Kapital eintritt. Je größer aber die
fthilYnleiter der Produktion, je gewaltiger der fixe Kapitalteil
wird, desto fühlbarer wird die Beschränkung des Kredits auf das
mi luilierende Kapital empfunden. Soll aber auch für das fixe Kapital
1 Uni wie hohe Kredite es sich im Einzelfall handelt, sieht man zum
Mi'is|>n'l ans einer Notiz des „Aktionär" aus dem Jahre 1902, wonach es viel-
luili iililich geworden ist, daß Industrielle 20 bis 40 Prozent als Bank-
«i Inilili'ii zu verzinsen haben. Auf der Generalversammlung des Neusser
I inen wcrltns, vormals Rudolf Daelen, rechnete ein Aktionär aus, daß die
'.. liul.len dieses Werkes 1900 bis 1905 26, 85, 105, 115 Prozent der flüssigen
IM I betrugen; von den 718 000 Mark Schulden im Jahre 1903 waren
Min nun Mark Bankschulden bei 1 Million Mark Aktienkapital. (Jeidels, a. a.
II . '. 42.)
114
115
Kredit in Anspruch genommen werden, so ändern sich die Bedin-
gungen für die Kreditgewährung von Grund aus. Das zirkulierende
Kapital ist nach einer Umschlagsperiode in Geldkapital rückver-
wandelt, das fixe Kapital verwandelt sich nur allmählich im Laufe
einer längeren Periode mit seiner allmählichen Abnützung in Geld
zurück. Geldkapital, das in fixes Kapital verwandelt worden ist, ist
damit für längere Zeit gebunden, es muß lange Zeit vorgeschossen
bleiben. Die Leihkapitalien aber, die der Bank zur Verfügung
stehen, müssen zum größten Teil jederzeit ausbezahlt werden kön-
nen. Es kann davon nur der Teil zur Verwandlung in fixes Kapital
ausgeliehen werden, der in den Händen der Bank lange genug
bleibt. Das tut nun kein individuelles Leihkapital; aber von dem
gesamten Leihkapital bleibt immer ein großer Teil in den Händen
der Bank, ein Teil, dessen Zusammensetzung stets wechselt, der
aber in einem gewissen Minimum stets vorhanden bleibt. Dieser in
der Verfügung der Banken bleibende Teil ist es, der auch als fixes
Kapital ausgeliehen werden kann. Während das individuelle Kapital
nicht in Form bloßen Leihkapitals zur fixen Anlage geeignet ist -
denn es hört damit auf, Leihkapital zu sein, und wird ein Teil des
industriellen Kapitals, der Kapitalist wird aus einem Leihkapita-
listen ein Industrieller — , ist dieses Minimum, das immer der Bank
zur Verfügung steht, zur fixen Anlage geeignet. Dieser Teil wird
erstens um so größer und zweitens um so konstanter sein, je größer
das Gesamtkapital, das der Bank zur Verfügung steht. Es muß da-
her die Bank, die fixes Kapital zur Verfügung stellt, immer schon
eine gewisse Ausdehnung haben, die mit der Expansion der indu-
striellen Unternehmungen wachsen und noch rascher wachsen muß
als diese. Zugleich wird eine Bank sich nicht an einem Unter-
nehmen beteiligen können, sondern die Tendenz haben, durch mehr-
fache Beteiligung ihr Risiko zu' verteilen. Dies wird schon deshalb
der Fall sein, weil dadurch die Rückflüsse auf diese Vorschüsse
regelmäßiger eingehen werden.
Mit dieser Art der Kreditgewährung ändert sich aber zugleich
die Stellung der Banken zur Industrie. Solange die Banken nur den
Zahlungsverkehr vermitteln, interessiert sie eigentlich nur der
116
momentane Stand des Unternehmens, seine momentane Zahlungs-
fähigkeit. Sie lösen die Wechsel ein, die nach dieser Prüfung gut
Kind, sie bevorschussen die Waren, lombardieren die Aktien, die
nach dem augenblicklichen Stand des Marktes zu normalen Preisen
verkäuflich sind. Ihr eigentliches Wirkungsfeld ist demnach auch
mehr das kommerzielle Kapital als das industrielle und daneben die
Kcfriedigung der Ansprüche der Börse. Auch ihr Verhältnis zur
Industrie bezieht sich weniger auf den Produktionsprozeß als viel-
mehr auf den Verkauf des Industriellen an den Großkaufmann.
Anders, wenn die Bank dazu übergeht, dem Industriellen Produk-
linnskapital zur Verfügung zu stellen. Dann bleibt ihr Interesse
CLicht mehr auf den augenblicklichen Zustand des Unternehmens
und die augenblickliche Marktlage beschränkt, sondern jetzt han-
ilelL es sich vielmehr um das fernere Geschick des Unternehmens,
um die künftige Gestaltung der Marktlage. Aus dem augenblick-
luli on wird ein dauerndes Interesse, und je größer der Kredit,
|s mehr vor allem der Anteil des in fixes Kapital verwandelten
Leihkapitals überwiegt, desto größer und desto bleibender dieses
I n I cresse.
<! leichzeitig wächst aber der Einfluß der Bank auf das Unter-
in-liincn.
Solange der Kredit nur vorübergehend war, solange also das
I lulernehmen nur sein zirkulierendes Kapital von der Bank kredi-
t n- 1 1 erhielt, so lange war auch die Lösung dieser Beziehung ver-
Ihillnismäßig leicht. Nach Ablauf der Umschlagsperiode konnte das
I lulernehmen den Kredit zurückzahlen, einen anderen Kreditgeber
im li aussuchen. Das hört auf, wenn auch ein Teil des fixen Kapitals
kiiililicrt ist. Die Verpflichtung läßt sich dann erst nach längerer
/.eil lösen. Das Unternehmen bleibt an die Bank gebunden. In die-
uhii Verhältnis pflegt aber die Bank der stärkere Teil zu sein. Die
Bfiiik verfügt immer über das Kapital in seiner flüssigen, stets
»i lila;;fertigen Form, über Geldkapital. Das Unternehmen aber ist
unbewiesen auf die Rückverwandlung der Ware. Stockt der Zirku-
lulionsprozeß oder sinken die Verkaufspreise, so ist zuschüssiges
Kiijiital notwendig, das auf dem Wege des Kredits zu beschaffen ist.
117
I
Denn mit der Ausdehnung des Kreditwesens ist der Umfang des
Kapitals eines jeden Unternehmens auf das Mindestmaß beschränkt,
erfordert jede plötzlich eintretende Notwendigkeit einer Vermeh-
rung der flüssigen Mittel eine Kreditoperation, deren Versagung
für das Unternehmen den Bankrott bedeuten könnte. Es ist die Ver-
fügung über das Geldkapital, was der Bank die Übermacht gibt
gegenüber dem Unternehmen, dessen Kapital als Produktions- oder
Warenkapital festgelegt ist. Dazu kommt die Übermacht des Kapi-
tals der Bank, die sie relativ unabhängig der einzelnen Transaktion
gegenüber macht, während für das Unternehmen von dieser Trans-
aktion vielleicht alles abhängt. Umgekehrt kann in manchen Fällen
die Bank so stark bei einem Unternehmen engagiert sein, daß ihr
Geschick mit dem Unternehmen eng verflochten ist und sie sich
allen seinen Anforderungen fügen muß. Es ist im allgemeinen
immer die Überlegenheit der Kapitalsmacht, besonders die Aus-
dehnung des zu freier Verfügung stehenden Geldkapitals, was über
die ökonomische Abhängigkeit innerhalb eines Schuldverhältnisses
entscheidet.
Das geänderte Verhältnis zur Industrie verstärkt alle jene Ten-
denzen, welche schon aus der Technik des Bankwesens heraus zur
Konzentration führen. Eine Betrachtung dieser Tendenzen muß
auch hier die drei Funktionen der Banken scheiden, die im Zah-
lungskredit (also im Wechselverkehr), im Kapitalkredit und im
Emissionsgeschäft - dies muß hier vorweggenommen werden - zum
Ausdruck kommen.
Für den Wechselverkehr entscheidend ist vor allem die Aus-
dehnung der internationalen Beziehungen. Er erfordert ein weit-
verzweigtes Netz ausländischer Beziehungen. Sodann macht
hier die längere Umlaufszeit des Auslandswechsels es notwendig,
größere Mittel eventuell festlegen zu können. Drittens ist auch der
Ausgleich durch Kompensation der Wechsel hier weniger gleich-
mäßig. Der Devisenhandel verlangt also eine große leistungsfähige
Organisation. „Das Bedeutsame dabei liegt darin, daß schon allein
aus der Technik eines bestimmten Bankgeschäftes, das für eine auf-
blühende Industrie von zunehmender Wichtigkeit ist, eine Tendenz
118
zur Konzentration im Bankwesen entsteht. Der aus der gewerb-
lichen Produktion stammende Wechsel, Auslands- sowie Inlands-
wechsel, wesentlich der Bezahlung von Rohmaterial und Fabrikaten
dienend, verlangt eine Organisation des Bankwesens, die weitver-
zweigt genug ist, um den Wechselverkehr im großen, besonders
.nich mit dem Ausland, regeln, gleichzeitig aber auch den einzelnen
Wechsel auf seine Sicherheit prüfen zu können, das heißt Groß-
banken mit vielen auswärtigen Beziehungen und einheimischen
Niederlassungen. Freilich dient der Wechsel der Industrie wesent-
lich zur Zahlung und zur Schaffung von Zahlungskredit; das
I nstitut, das diesen Kredit gewährt, erhält dadurch noch keine Mög-
lichkeit, in die kreditnehmenden Industrien bewußt und planvoll
einzugreifen, über die notwendige Prüfung der Sicherheit des
K rcditnehmers und den Diskontgewinn gehen die Beziehungen
/wischen Bank und Industrie dabei nicht hinaus."
Um das ausländische Wechselgeschäft lukrativ betreiben zu kön-
nen, muß damit auch die Wechselarbitrage eng verbunden sein.
I ),i/.u gehören einerseits ausgedehnte Verbindungen, anderseits
große flüssige Mittel. Denn Arbitrageoperationen müssen immer,
um Gewinn abzuwerfen, sehr rasch und in großem Maßstab ge-
macht werden. Dieses Wechselarbitragegeschäft „beruht darauf,
il.iß zum Beispiel an Tagen, an denen (seil, in London) die Nach-
hilfe nach Wechseln auf Paris größer ist als das Angebot und die
Wechselkurse dementsprechend anziehen, von Häusern, welche ent-
weder Guthaben oder Kredit in Frankreich haben, diese Konjunktur
iinsgenützt wird, indem sie Wechsel auf Paris ausstellen; die be-
I I elfcnde bezogene Firma in Paris wartet sodann eine ähnliche gün-
(tl.igi: Gelegenheit auf dem dortigen Markte ab, um die Summen
w ieder nach England zurückzuleiten" .
! )ie Pflege des Kapitalkredits drückt sich aus in der zunehmenden
llcdeutung des Kontokorrentverkehrs. „Seine Bedeutung für das
' leideis, 1. c, S. 32.
' Edgar Jaffa, „Das englische Bankwesen", S. 60.
1 Das Wesen des Kontokorrentkredits besteht darin, „daß er dem Schuld-
ii>'i f.i'slallet, über den vereinbarten Kredit im ganzen oder durch Teilbeträge
119
Verhältnis der Banken zur Industrie entspringt drei Gründen:
1 . Durch seine entscheidende Wichtigkeit für die ruhige Ausdeh-
nung eines Unternehmens schafft er eine Abhängigkeit von den
Kreditgebern. 2. Die geschäftliche Natur des industriellen Bank-
kredits übt noch mehr als die bisher erwähnten Kreditgeschäfte
eine Wirkung auf die Organisation des Bankwesens aus, nur sie
wirkt auf die Bankkonzentration hin . . ., die eigenartigen Bezie-
hungen zur Industrie . . . verlangen neue Prinzipien, eine andere
Kenntnis der Industrie seitens der Bankleiter. 3. Schließlich ist
das industrielle Kontokorrentgeschäft der Angelpunkt sämtlicher
Geschäfte der Bank mit der Industrie; die Gründungs- und Emis-
sionstätigkeit, die direkte Beteiligung an gewerblichen Unterneh-
mungen, das Mitwirken bei der Leitung industrieller Betriebe als
Mitglied des Aufsichtsrates stehen zu dem Bankkredit in sehr vielen
Fällen in dem engen Verhältnis von Ursache und Wirkung." Zu-
gleich ist das Kontokorrentkonto ein „gutes Mittel für die Bank,
das Industrieunternehmen zu beurteilen und zu kontrollieren;
zu verfügen und auch dementsprechend jederzeit Rückzahlungen zu leisten.
Vorteilhaft für den Schuldner ist diese Eigenart des Kontokorrentkredits
dadurch, daß er die Benützung der leihweise überlassenen Kapitale ganz dem
Bedürfnis seines Geschäftsbetriebes anpassen und in ökonomischer Weise die
Kosten derselben verringern kann. Dagegen bedeutet die Hingabe von Gel-
dern im Wege des Kontokorrentkredits für die Banken eine ziemlich feste
Anlage, deren Dauer zwar nicht begrenzt ist, die aber Rückzahlungen von
Seiten des Schuldners fortwährend zuläßt." (Prion, 1. c, S. 102.) Über seine
Höhe in Deutschland heißt es ebenda: „Es ist üblich, den Kontokorrentzins-
fuß dem Lombardzinsfuß der Reichsbank anzupassen, ihn jedoch nicht bei
Ermäßigung der Bankrate unter eine bestimmte Mindesthöhe fallen zu
lassen, die meist 5 Prozent beträgt. Neben dieser in der Praxis gleichmäßig
gehandhabten Berechnung der Zinsen wird für die besondere Art der Kredit-
gewährung nach Unterlagen und Qualität der Banken eine Provision in
Ansatz gebracht, die den qualitativen Abstufungen der Geschäftsverbindungen
gerecht wird. Sie wird meist von einem Vielfachen der gewährten oder tat-
sächlich in Anspruch genommenen Kreditsummen berechnet und ist von der
Lebhaftigkeit des Umsatzes abhängig. Jedenfalls verändert diese Provision
den eigentlichen Zinssatz so sehr zuungunsten des Kreditnehmers, daß in
Wirklichkeit je nach dem einzelnen Abkommen 2 bis 3 Prozent mehr gezahlt
werden müssen, als die dem Namen nach bestehende Zinsberechnung angibt."
irgelmäßige Umsätze bedeuten guten Geschäftsgang" 1 . Die Bank
n wirbt durch diese regelmäßigen Beziehungen zugleich eine ge-
iii iie Kenntnis dieses Unternehmens, die ihr in anderer Beziehung,
/inii Beispiel bei Börsengeschäften, von Vorteil sein kann. Ander -
Hi-its erfordert dieGefahr übermäßiger Kreditgewährung die genaue
I Ibcrwachung des industriellen Unternehmens, deren erste Vor-
liidingung die ist, daß das Unternehmen nur mit einer einzigen
Hank arbeitet.
I 'ordert so die Funktion der Bank als Kreditvermittlerin mit
der Ausdehnung der Industrie eine fortschreitende Konzentration
lies Fknkkapitals, so verlangt ihre Funktion als Emissionsinstitut
gleichfalls größtmögliche Konzentration. Zunächst macht sich hier
liri den gewinnreichsten Geschäften die unmittelbare Überlegenheit
riiier großen Bank am stärksten geltend; sie wird mehr Geschäfte
machen, größere Geschäfte und bessere Geschäfte. Je größer die
Hank, desto größer die Sicherheit, mit der sie emittiert. Sie wird
einen großen Teil der Emission bei ihren eigenen Kunden unter-
Im ingen können. Dann aber muß die Bank imstande sein, die immer
größeren Summen, um die es sich handelt, mit Sicherheit auf-
/ulningen. Sie braucht dazu großes eigenes Kapital und großen
Einfluß auf den Markt.
Die große Bank kann sich den geeigneten Zeitpunkt des Ab-
Sal/.es aussuchen, sie kann mittels ihres großen Kapitals die Börse
l'iiiparieren, und sie ist in der Lage, auch späterhin die Kursent-
u iiklung der Aktien zu beherrschen und so den Kredit des Unter -
inliincns zu schützen. Die Ansprüche, die an die Emissionskraft der
I Linken gestellt werden, werden mit der Entwicklung der Industrie
im in er größer. Die Mobilisierung des Kapitals läßt für die Aus-
ilrlniung der Produktion nur mehr eine Bedingung: die technische
Angemessenheit, gelten. Zugleich beseitigt sie auch für die Erwei-
löruiig der Unternehmungen die Abhängigkeit von den Über-
schüssen des eigenen Betriebes und gestattet rasche, zu Zeiten
|m n is liger Konjunktur oft geradezu sprunghafte Erweiterungen mit
pliiUlichen starken Kapitalsansprüchen. Sie kann dieses Kapital nur
1 .leidels, 1. c, S. 32 ff.
120
121
dort erhalten, wo es in großen konzentrierten Massen vorhanden ist,
von den Banken, und sie muß diesen wieder die Sorge überlassen,
dieses Kapital ohne Erschütterung des Geldmarktes zu beschaffen.
Dies kann die Bank nur, wenn das Kapital, das sie ausgibt, ihr wie-
der rasch zurückströmt oder die Umsätze nur buchmäßig vollzogen
werden; dies wird in um so größerem Maße der Fall sein, sobald die
A.ktien von ihren eigenen Kunden genommen werden, die das Geld
dafür an die Bank zahlen; sie entnehmen es den Depositen der Bank
und vermindern damit die Passiven.
Aus der Technik des Bankbetriebes selbst ergeben sich so Ten-
denzen, die gleichfalls auf die Bankkonzentration hinwirken, wie
dies die industrielle Konzentration bewirkt, die aber die primäre
Ursache für die Bankkonzentration darstellt.
VI. Kapitel
DER ZINSFUSS
/Yuf Grundlage der kapitalistischen Produktion erhält jede Geld-
Mi mme die Fähigkeit, als Kapital zu fungieren, also Profit abzuwer-
Irn. Bedingung dafür ist, daß sie den produktiven Kapitalisten zur
Verfügung gestellt wird. „Gesetzt, die jährliche Durchschnitts -
|tioli träte sei 20%>. Eine Maschine im Wert von 100 Pfd. St. würde
dann, unter den Durchschnittsbedingungen und mit dem Durch-
m Imittsverhältnis von Intelligenz und zweckmäßiger Tätigkeit als
Kapital verwandt, einen Profit von 20 Pfd. St. abwerfen. Ein Mann
Biso, der 100 Pfd. St. zur Verfügung hat, hält in seiner Hand die
Macht, aus 100 Pfd. St. 120 zu machen oder einen Profit von
'.'II l'l'd. St. zu produzieren. Er hält in seiner Hand ein mögliches
Kapital von 100 Pfd. St. Überläßt dieser Mann für ein Jahr die
MIO Pfd. St. einem andern, der sie wirklich als Kapital anwendet, so
l'ilil er ihm die Macht, 20 Pfd. St. Profit zu produzieren, einen
Mr lirwert, der ihm nichts kostet, wofür er kein Äquivalent zahlt.
Wenn dieser Mann dem Eigner der 100 Pfd. St. am Jahresschluß
vielleicht 5 Pfd. St. zahlt, d. h. einen Teil des produzierten Profits,
tu zahlt er damit den Gebrauchswert der lOOPfd. St., denGebrauchs-
Wurl ihrer Kapitalfunktion, der Funktion, 20 Pfd. St. Profit zu
I In/.icren. Der Teil des Profits, den er ihm zahlt, heißt Zins,
Wim also nichts ist als ein besondrer Name, eine besondre Rubrik
hii einen Teil des Profits, den das fungierende Kapital, statt (ihn)
In die eigne Tasche zu stecken, an den Eigner des Kapitals weg-
/n/.ililen hat.
122
123
Es ist klar, daß der Besitz der 100 Pfd. St. ihrem Eigner dio
Macht gibt, den Zins, einen gewissen Teil des durch sein Kapital
produzierten Profits, an sich zu ziehn. Gäbe er dem andern dio
100 Pfd. St. nicht, so könnte dieser den Profit nicht produzieren,
überhaupt nicht mit Beziehung auf diese 100 Pfd. St. als Kapitalist
fungieren."
Indem der Geldbesitzer sein Geld ausleiht, fungiert dieses Geld
für ihn als Kapital, Leihkapital, da es nach einiger Zeit zu ihm
zurückkehrt als vermehrtes Geld. Kapital verwertet sich aber nur
im Produktionsprozeß durch Ausbeutung der Arbeitskraft, An-
eignung von unbezahlter Arbeit. Das Geldkapital des Leihkapita-
listen muß daher zum Geldkapital des produktiven Kapitalisten
werden, um sich im Produktionsprozeß zu bewähren, um Profit zu
erzeugen. Dieser Profit wird jetzt geteilt; ein Teil kehrt als Zins
zum Leihkapitalisten zurück, der andere verbleibt dem produktiven
Kapitalisten. Da der Zins unter normalen Umständen ein Teil des
Profits, so ist der Profit die Höchstgrenze des Zinses. Und das ist
das einzige Verhältnis zwischen Profit und Zins. Dagegen ist der
Zins kein irgendwie bestimmter, fixierter Teil des Profits. Dio
Höhe des Zinses hängt ab von der Nachfrage und dem Angebot dos
Leihkapitals. Man kann sich kapitalistische Gesellschaft denken und
ihre Grundsätze ableiten, unter der Voraussetzung, daß Geldbesitzer
und produktive Kapitalisten identisch oder mit anderen Worten t
daß alle produktiven Kapitalisten zugleich über das nötige Geld-
kapital verfügten. Dann würde kein Zins entstehen. Dagegen ist
kapitalistische Produktion undenkbar ohne Produktion von Profit)
beides bedeutet vielmehr dasselbe. Die Produktion von Profit ist
Bedingung wie Ziel kapitalistischer Produktion. Seine Produktion,
die Produktion des Mehrwerts, der im Mehrprodukt verkörpert ist,
ist objektiv bestimmt; der Profit entspringt unmittelbar aus dem
ökonomischen Verhältnis, dem Kapitalverhältnis, der Trennung der
Produktionsmittel von der Arbeit und dem Gegensatz von Kapital
und Lohnarbeit; seine Größe hängt ab von dem Neuwert, den di«
Arbeiterklasse mit den vorhandenen Produktionsmitteln produziert,
i Marx, „Kapital", III., 1., S. 323. (Neuausgabe S. 371. Die Red.)
124
niiil der Teilung dieses Neuwerts zwischen Kapitalisten- und Ar-
lii-iicrklasse, die wieder bestimmt ist durch den Wert der Arbeits-
l.i.ift. Wir haben es hier mit lauter objektiv bestimmten Faktoren
ni lun.
Anders der Zins. Er entspringt aus der gegenüber dem Wesen
ilis Kapitalismus, der Trennung der Produktionsmittel von der
A rbeit, akzidentellen Tatsache, daß die Verfügung über das Geld
einmal nicht allein die produktiven Kapitalisten besitzen, sodann
daß im Kreislauf des individuellen Kapitals nicht zu jeder Zeit das
i",;mze Geldkapital eingehen muß, sondern daß es zeitweise brach-
lir^t. Es hängt nun von dem wechselnden Verhältnis der Nachfrage
um seiten der Produktiven nach diesem Geldkapital ab, welchen
Teil des Profits sich die Leihkapitalisten aneignen können. 1
Hängt aber der Zins von Nachfrage und Angebot ab, so müssen
wir uns fragen, wodurch Nachfrage und Angebot ihrerseits be-
81 immt sind. Auf der einen Seite steht das momentan brachliegende,
■ i I ht nach Verwertung strebende Geld, auf der anderen Seite steht
die Nachfrage der fungierenden Kapitalisten nach Geld, das sie als
1 Um mittels des Verhältnisses von Angebot und Nachfrage etwas zur
l'.i Klärung des Preises aussagen zu können, müssen Angebot und Nachfrage
gegebene und feste Größen sein. Daher auch das Bestreben der Grenznutzen-
ili -ie, das Angebot als konstant vorauszusetzen, also von einem gegebenen
Vorrat auszugehen. Es ist also ganz konseejuent, wenn Schumpeter („Das
Wesen und der Hauptinhalt der theoretischen Nationalökonomie", Leipzig
IllOS) in seinem Bemühen, die Grenznutzentheorie zu sichern, schließlich die
INiulion '"nomie auf eine Statik reduziert, während sie doch. Dynamik, die
I 'lue von den Bewegungsgesetzen der kapitalistischen Gesellschaft, sein
II. Damit ist denn der Gegensatz gegen den Marxismus sehr glücklich und
niil ilns schärfste formuliert, zugleich aber auch die völlige Ergebnislosigkeit
il'i (irenznutzenlehre, the final futility of final Utility, nach dem Scherzwort
ll\inlmans. Ökonomisch besteht die Schwierigkeit, das Ausmaß des Angebots
zu erklären, was nichts anderes heißt, als den Umfang der Produktion in
"ii • ökonomischen Gesetzmäßigkeit darzulegen. Die Nachfrage selbst ist
beul im int durch die Produktion und deren Verteilung und die Gesetze, nach
Jenen die Verteilung des gesellschaftlichen Produkts vor sich geht. Auch bei
ilrn Hestimmungsgründen des Zinsfußes besteht die Schwierigkeit nur in
ilri Darlegung der Momente, welche das Ausmaß des Angebots bestimmen.
It ililfordiag, Das Finanzkapital
125
■
Geldkapital in fungierendes Kapital verwandeln wollen. Diese Ver-
teilung besorgt der Kapitalkredit, von dessen Stand also die Höhe
des Zinsfußes abhängt. In jedem gegebenen Moment steht der
kapitalistischen Gesellschaft eine quantitativ gegebene Geldsumme
zur Verfügung, die das Angebot darstellt, und auf der anderen
Seite der in demselben Moment gleichfalls durch die Ausdehnung
der Produktion und Zirkulation gegebene Bedarf der fungierenden
Kapitalisten nach Geldkapital. Es handelt sich hier also um zwei
in jedem Moment bestimmte Größen, die als Nachfrage und An-
gebot einander auf dem Geldmarkt begegnen und den „Leihpreis
des Geldes", den Zinsfuß, bestimmen. Diese Bestimmung bietet
weiter keine Schwierigkeit; diese ergibt sich erst bei der Analyse
der Veränderung des Zinsfußes.
Es ist zunächst klar, daß eine Ausdehnung der Produktion und
damit der Zirkulation vermehrte Nachfrage nach Geldkapital be-
deutet. Die vermehrte Nachfrage würde also, bliebe das Angebot
dasselbe, eine Steigerung des Zinsfußes bewirken müssen. Die
Schwierigkeit entsteht aber daraus, daß auch das Angebot sich
ändert zugleich mit der geänderten Nachfrage und gerade infolge
der geänderten Nachfrage. Betrachten wir die das Angebot bil-
dende Geldmasse, so besteht sie aus zwei Teilen: erstens aus dem
vorhandenen Bargeld, zweitens aus dem Kreditgeld. Nun haben wir
bei der Analyse des Zirkulationskredits gesehen, daß das Kreditgeld
einen variablen Faktor bildet, der sich ausdehnt zusammen mit der
Ausdehnung der Produktion. Diese aber bedeutet vermehrte Nach-
frage nach Geldkapital; diese vermehrte Nachfrage findet aber auch
ein vermehrtes Angebot, das gegeben ist durch das infolge der Aus-
dehnung der Produktion vermehrte Kreditgeld. Eine Änderung des
Zinsfußes wird also nur eintreten, wenn die Veränderung in der
Nachfrage nach Geldkapital stärker ist als die des Angebots; also
ein Steigen des Zinsfußes dann, wenn die Nachfrage nach Geld-
kapital rascher wächst als die Vermehrung des Kreditgeldes. Wann
wird dies der Fall sein? Zunächst erfordert Vermehrung des Kredit-
geldes eine Vermehrung derjenigen Bargeldsumme, die als Reserve
für die stete Einlösbarkeit des Kreditgeldes nötig ist; ferner wächst
ml der Zirkulation des Kreditgeldes auch der Teil der Bargeld-
ine, die zur Ausgleichung der Bilanz für das sich nicht kom-
iriiNirrcnde Kreditgeld gehalten werden muß. Zugleich wachsen
ml der Ausdehnung der Zirkulation auch jene Transaktionen, in
Irinii das Kreditgeld nur geringe Rolle spielt; die zur Bezahlung
I' i Arbeiter und zur Erledigung der gestiegenen Umsätze im
K leiubandel nötigen Summen bestehen meistens aus Bargeld.
'ii verringern sich die für den Leihverkehr zur Verfügung
I übenden Summen, weil ein Teil des Bargeldes für diese anderen
l'u nklionen benötigt wird. Schließlich wird die Vermehrung des
Kreiliigeldes hinter den Anforderungen der gestiegenen Produk-
i und Zirkulation zurückbleiben, sobald bei Beendigung einer
l'i ii';|)i'ritätsepoche der Absatz der Waren stockt oder verlangsamt
Mini.
Denn dies bedeutet, daß die Wechsel, die gegen die Waren ge-
i'i' 1 '!! sind, sich nicht mehr gegenseitig kompensieren werden und
ilill wenigstens die Laufzeit der Wechsel sich verlängert. Wenn
ilin die verfallenen Wechsel sich nicht kompensieren, so müssen
i iil Bargeld eingelöst werden. Das Kreditgeld (also die Wechsel,
ii ■ |n-klive die sie substituierenden Noten) können also die Geld-
1 iinliiiciiien, die Zirkulation der Waren, nicht mehr im bisherigen
I iiif;mg erfüllen. Um sie einzulösen, entsteht vermehrte Nachfrage
ii.ii Ii Bargeld. Es hat sich also das wirklich fungierende Kreditgeld
\ ;;eit, während gleichzeitig zum Ersatz dafür die Nachfrage
ii ,11 h Bargeld steigt; es ist diese Nachfrage, welche das Steigen des
/ 1 1 1 '. 1 1 1 Bes herbeiführt.
M.liigt also die absolute Höhe des Zinsfußes vom Stande des
Is ,i|nl,ilkrcdits ab, so die Veränderungen vor allem vom Stande des
/ ii luilalionskredits. Die nähere Analyse dieser Veränderungen ge-
li"i l in die Darstellung der industriellen Konjunkturschwankungen
und wiiil daher im Zusammenhang mit dieser gegeben werden.
„Die Variationen des Zinsfußes (abgesehn von den in längern
l'i i luden erfolgenden oder von dem Unterschied des Zinsfußes in
\ 1 im hiednen Ländern; die erstem sind bedingt durch Variationen
in > I • ■ i allgemeinen Profitrate, die zweiten durch Differenzen in den
126
ii«
127
■
Profitraten und in der Entwicklung des Kredits) hängen ab vom
Angebot des Leihkapitals (alle andern Umstände, Stand des Ver-
trauens etc. gleichgesetzt), d. h. des Kapitals, das in Form von
Geld, Hartgeld und Noten, verliehen wird; im Unterschied zum
industriellen Kapital, das als solches, in Warenform, vermittelst
des kommerziellen Kredits, unter den reproduktiven Agenten selbst
verliehen wird."
Unsere Ansicht stimmt damit nicht voll überein. Marx läßt die
Variationen des Zinsfußes abhängen von dem Angebot des Kapitals,
das in Form von Geld, Hartgeld und Noten, verliehen wird. Es
bleibt dann aber die Frage offen, wie groß der Betrag der Noten
sein kann. Für England, dessen Verhältnisse Marx hier offenbar
vorschweben, ist die Antwort durch die gesetzliche Vorschrift der
Peelsakte gegeben. Die Summe des Hartgeldes und der Noten setzt
sich zusammen aus der Summe des in Zirkulation befindlichen Hart-
geldes, dem Goldschatz der Bank und 14 Millionen Pfund Sterling
in Noten, die den Betrag des ungedeckten Notenumlaufes darstellen.
In der Tat versehen diese Noten die Funktion von Staatspapiergeld
insofern, als sie das Minimum der Zirkulation, das durch Geld-
zeichen ersetzbar ist, repräsentieren oder wenigstens zu Peels Zeiten
repräsentiert haben. Die Notensumme ist also durch das Gesetz in
einem bestimmten Ausmaße ein für allemal festgesetzt. Stellt man
aber die Frage allgemein, so hängen die Variationen des Zinsfußes
ab von dem Angebot, von der Menge des verleihbaren Geldes. Es
kann aber alles Geld verliehen werden, das nicht in Zirkulation
befindlich ist. In Zirkulation befindlich ist aber erstens der dem
Minimum entsprechende Bedarf an Geldzeichen und dann eine
bestimmte Summe Gold. Das übrige Gold ist in den Kellern der
Bank oder der Banken. Ein Teil dieses Goldes dient als Beserve
(Schatz) für die inländische Zirkulation, ein Teil als Beserve für
die internationale Zirkulation, da Gold die Funktion des Weltgeldes
erfüllen muß. Den Minimalbetrag, den die Beserve für beide
Zwecke haben muß, lehrt die Erfahrung. Der Best kann verliehen
werden und bildet in letzter Instanz jenes Angebot, dessen Inan-
1 Marx, „Kapital", III., 2., S. 37. (Neuausgabe S. 544. Die Red.)
tpi iic.linahme die Höhe des Zinsfußes bestimmt. Diese Inanspruch-
nahme selbst hängt aber ab vom Stande des Zirkulationskredits,
also von dem „kommerziellen Kredit", den die reproduktiven Agen-
iin einander geben. Solange dieser sich in gleichem Maße aus-
dehnen kann, wie es die gestiegene Nachfrage verlangt, wird keine
Veränderung im Zinsfuß erfolgen. Man darf aber nicht vergessen,
>l ili der größte Teil der Nachfrage befriedigt wird durch ein An-
r hol, das gleichzeitig mit der Nachfrage wächst. Der größte Teil
f|i * Kredits ist „kommerzieller Kredit" oder, wie wir lieber sagen,
/ ii kulationskredit. Hier wachsen Nachfrage und Angebot oder,
u lim man will, die Befriedigungsmittel der Nachfrage gleichzeitig
in ll einander und mit der Ausdehnung der Produktion. Die Aus-
'li litiung dieses Kredits ist möglich ohne jede Wirkung auf den
/ inst'uß; zu Beginn der Prosperität findet solche Ausdehnung statt
nliiir hesondere Einwirkung auf den Zinsfuß. Der Zinsfuß steigt
i ii. wenn die Goldbestände der Banken abnehmen, die Beserven
uili ihrem Minimum nähern und die Banken daher gezwungen
"imiI, den Diskont hinaufzusetzen. Dies ist aber in den Perioden
il< i 1 1 ochkonjunktur der Fall, weil die Zirkulation mehr Gold ver-
1 1 1 1 1 ; ■. 1 (Anwachsen des variablen Kapitals, der Umsätze überhaupt
I damit auch desBetrages, der zumAusgleich der Bilanzen dient).
I i'e Nachfrage nach Leihkapital wird aber gerade dann am stärk-
'ihii, wenn der Goldschatz durch die Bedürfnisse der Zirkulation,
■ 1 1 1 - mehr Gold absorbiert, am geringsten ist. Die Erschöpfung
ili»« anslcihbaren Goldschatzes wird unmittelbare Veranlassung
in der I Iinaufsetzung des Bankdiskonts, der in solchen Perioden
i Uegulator des Zinsfußes wird. Der Zweck der Diskont-
i ilmliiing ist es ja auch, den Goldzufluß zu bewirken. Die Ein-
"i In anklingen der verfehlten Bankgesetzgebung bewirken nur, daß
fllMier Zeitpunkt früher eintritt, als die rein ökonomischen Be-
il in," uiigeii es erfordern. Das Verfehlte all dieser Einschränkun-
l'i ii e,l, ilaß sie auf die eine oder andere Art indirekt in Deutsch-
liiiiil, direkt in England, das von der Zirkulation benötigte
Mm min in unterschätzen und damit das Angebot von Leihkapital
eiiiM hrii.nk.cn.
128
129
»
TT
Eine Tendenz zum Sinken des Zinsfußes wäre also an die Vor-
aussetzung geknüpft, daß das Verhältnis des vorhandenen Gold-
schatzes zu der Nachfrage nach Leihkapital ständig günstiger
würde, das heißt, daß der Goldschatz rascher wüchse als die Nach-
frage nach Leihkapital. Eine solche Tendenz zum ständigen Sinken
des Zinsfußes läßt sich, wenn man nur entwickelte kapitalistische Ver-
hältnisse miteinander vergleicht, in der Tat nicht konstatieren. Sie
läßt sich auch theoretisch nicht postulieren; denn gleichzeitig mit
dem Wachsen des Goldschatzes und dem Minimum der Zirkulation
wächst auch die Goldsumme, die in Zeiten der Hochkonjunktur zu-
sätzlich von der Zirkulation aufgenommen wird.
Das Sinken der Profitrate würde aber nur dann ein Sinken des
Zinsfußes bedeuten, wenn der Zins irgendein fester Teil des Profits
wäre, was aber nicht der Fall ist. Das Sinken der Profitrate hat
1 Soweit empirisches Material vorliegt, das Vergleiche zuläßt, stützt es
das Dogma vom sinkenden Zinsfuß durchaus nicht. Smith erzählt, daß zu
seiner Zeit in Holland die Regierung 2 Prozent und gutakkreditierte Privat-
leute 3 Prozent Zinsen zahlten. In England bezahlten einige Zeit nach dem
letzten Kriege (1763) nicht nur bestakkreditierte Privatleute, sondern auch
einige der größten Handelsgeschäfte Londons gewöhnlich 5 Prozent Zinsen,
während sie vordem höchstens 4 bis 4 1 / 2 Prozent zu bezahlen pflegten. Tooke,
der die letztere Angabe zitiert, bemerkt dazu: „In 1764 fielen vierprozentige
Schatzscheine unter Pari; navy bills bedangen 9 5 / 8 Prozent Diskont, und
dreiprozentige Konsols, die März 1763 auf 96 standen, fielen im Oktober
auf 80. Aber 1765 standen dreiprozentige Schatzscheine, von denen eine neue
Emission erfolgt war, im allgemeinen auf und bisweilen über Pari, und die
dreiprozentigen Konsols stiegen auf 92." Schmoller („Grundriß der All-
gemeinen Volkswirtschaftslehre", IL, S. 207) gibt übrigens an, daß die
dreiprozentigen Konsols schon 1737 auf 107 standen. Nun ist der Kurs der
Staatspapiere, der ja noch anderen Bestimmungsgründen unterliegt, sicher
kein unbedingt zuverlässiger Maßstab für die Höhe des Zinsfußes, aber
immerhin zu beachten.
Doch auch die Betrachtung der Diskontsätze der Notenbanken läßt keine
gleichmäßig sinkende Tendenz erkennen. Wir entnehmen einem interessanten
Artikel Dr. Alfred Schwoners, „Zinsfuß und Krisen im Lichte der Statistik",
im „Berliner Tagblatt" vom 26. und 27. November 1907, folgende Tabelle
(K bedeutet Krisenjahr, doch handelt es sich beim Jahre 1895 und 1882
[Bontouxkrach] um reine Spekulationskrisen):
Durchschnittsdiskontsätze
der vier europäischen Hauptbanken in den letzten 55 Jahren
Deutsche* Roichs-
Österreichisch-
Bank von
Bank von
Imnk (1847 bis 187S
Pn nßisdle
Ungarische
England
Frankreich
Bank (früher
Bank)
Nationalbank)
l'J07 (erste 10
Monate)
4,54
3,3
5,72
4,72
ÜI06
4,27
3,0
5,12
4,4
1905 .
3,08
3
3,82
3,68
191)4 .
3,3
3
4,2
3,5
1903 .
3,78
3
3,77
3,5
11102 .
3,33
3
3,32
3,55
K 11101 .
3,9
3
4,1
4,08
K 1900 .
3,94
3,2
5,33
4,58
IK!)!) .
3,75
3,06
5,04
5,04
IN98 .
3,19
2,2
4,27
4,16
1897 .
2,84
2
3,81
4
läse .
2,48
2
3,66
4,09
1. 1 SU5 •
2
2,1
3,14
4,3
1 894 .
2.11
2,5
3,12
4,08
IBM .
3,08
2,5
4,07
4,24
1 l!«)2.
2,52
2,7
3,2
4,02
t 1S91 .
3,35
3
3.78
4,4
1890 .
4,69
3
4.52
4,48
IKK!) .
S,b8
3,16
8,68
4,19
ISS8 .
3,3
3,1
3,32
4,17
ISK7
3,34
3
3,41
4,12
ISSS
3 05
3
3,28
4
1 IJS5 .
2,92
3
4,12
4
IBM .
2,96
3
4
4
1883 .
3,58
3.08
4,4
4,11
» isss .
4.14
3.8
4,54
4,02
1881
3,48
3,84
4,42
4
INS!) .
2,76
2,81
4,24
4
1879 .
2.38
2,58
3,07
4,33
1878 .
3,75
2,2
4,34
5
im .
2,85
2,26
4,42
5
187« .
2.62
3,4
4,16
5
i H/n .
3.25
4
4,71
4,6
1 MV-1 .
3.75
4,3
4,38
4,87
k 1 873 .
4,75
5,15
4,95
5,22
1872 .
4,12
5,15
4.29
5,55
IM/1 .
2,85
5.35
4,16
5,5
1870 .
3,12
3,9
4.40
5,44
1889 .
3,25
2.5
4,24
4,34
1.888
2,25
2.5
4
4
181)7 .
2,5
2,7
4
4
H 1811(1
7
3,67
6.21
4,94
1 805 .
4,75
3,66
4,96
5
IHM
7,5
6,51
5,31
5
IMItt
4,5
4,63
5,08
5
1882
2,5
3.73
4,2
5.06
MIHI .
5,25
5,86
4,2
5,5
1881)
4,25
3,56
4,2
5,12
[MM
2,75
3,47
4,2
5
IfläN .
3
3,68
4,2
5
1- IM',/
6,7
6
5,76
5
iiittfl .
5,8
5,5
4,94
4,27
|M', r i
4,8
5
4,08
4
18 VI .
5,1
4,37
4,36
4
1 H'i.l
3.4
3,23
4.25
4
IflM
2,5
3,18
4
4
150
131
höchstens die Bedeutung, daß dietheoretisch mögliche Höchstgrenze
des Zinses, nämlich der Profit, sinkt; da aber diese Höchstgrenze
Seh woner bemerkt zu dieser Tabelle:
„Wollte man im übrigen aus der Statistik der Bankdiskonte im 19. Jahr-
hundert allgemeine Schlüsse über die Bewegung des Zinsfußes ziehen, so
zeigt sich, daß eine bestimmte Tendenz nach oben oder nach unten nicht
nachweisbar ist. Zwar sind offizielle Diskontsätze unter 4 Prozent erst im
Laufe der Zeit aufgetaucht, und zwar je nach der wirtschaftlichen Ent-
wicklung des Landes früher oder später. England war in dieser Beziehung
den anderen Staaten weit voraus. Daselbst kam schon im Jahre 1845 der
zweiprozentige Bankdiskont zum erstenmal vor. Bei der Bank von Frankreich
gab es 1852 zum erstenmal einen Zinsfuß von 3 Prozent, 1867 zum ersten-
mal 2 1 / 2 Prozent und 1877 zum erstenmal 2 Prozent. Bei der Berliner Bank
gab es schon in den Zwanziger jähren des vorigen Jahrhunderts Minimalsätze
von 3 Prozent, aber während des Regimes der Preußischen Bank und der
Deutschen Reichsbank ging der Zinsfuß zum erstenmal im Jahre 1880 unter
4 Prozent herunter. Bei der Österreichisch-Ungarischen Bank trat zum
erstenmal im Jahre 1905 ein Zinsfuß von 3 1 / 2 Prozent auf, in der ersten
Depressionsperiode, die die Monarchie nach der Valutaregulierung erlebte.
Es ist also insoweit ein Fortschritt zu erkennen, als mit der technischen Voll-
endung der Bankorganisation und der Währung die Grenze des Zinsfußes
nach unten herabrückt."
Schwoner gibt noch folgende Zahlen:
D
iskontdurch
schnitte dei
fünf letzten Dezennien
Durch-
schnitts-
rli.'.kniit
Bank
von
England
Bank
von
Frankreich
Deutschet
Reichsb&nk
Osten—
Ungar.
Bank
Gesamt-
durch-
schnitt
1S97— 1906
1687— 1886
1877—1886
1867— 187S
1 857— 1860
3,82
3,04
8,18
3,25
4,32
2,85
2,71
2,96
3.39
4,48
4,28
3,59
4.11
4.34
4,33
4,(15
4,21
4,26
4,85
5,06
3,67
S,3S
3,63
4, OB
4,79
„Der Gesamtdurchschnitt ist weitaus am höchsten im Dezennium
1857-1866, wo er 4,79 Prozent beträgt, im Dezennium 1867-1876 fällt er
auf 4,09 Prozent, ist also noch immer sehr hoch, 1877—1886 geht er auf
3,63 Prozent zurück und erreicht im Jahrzehnt 1887—1896 mit 3,38 seinen
Tiefpunkt, für das letzte Jahrzehnt beträgt der Durchschnitt 3,67, ist also
höher als in den beiden vorgehenden Dezennien, dagegen noch viel nied-
riger als in den ersten zwanzig Jahren des industriellen und finanziellen
Aufschwungs (1857-1876)."
Aus alldem geht hervor, daß die Höhe des Zinsfußes bestimmt ist nicht
irgendwie durch die Profitrate, sondern durch die stärkere oder geringere
(illgcroeui auf längere Zeit nicht erreicht wird, so hat diese „Kon-
•■i ilicnmg" gar keine Bedeutung.
I lagegen ist ein anderes Moment wichtig. Da der Zinsfuß in
BDI wickelten kapitalistischen Verhältnissen sich wenig ändert, die
Profil rate dagegen sinkt, so wächst in gewissem Grade der Anteil
tlcis /.inscs am Gesamtprofit gegenüber dem Unternehmergewinn,
il .n der Anteil der müßigen Kapitalisten auf Kosten der funktio-
iim icndcn, eine Tatsache, die zwar mit dem Dogma vom sinkenden
/ in'. lud im Widerspruch steht, dafür aber mit den Tatsachen im
iMiikl.uig und zugleich mit eine Ursache ist des wachsenden Ein-
IIii.m's und der Bedeutung des zinstragenden Kapitals, also der
II .inlii'ii, und ein wichtiger Hebel zur Verwandlung des Kapitals in
I m, m/kapital.
pfoflifnige nach Geldkapital, wie sie die raschere oder langsamere Ent-
UMtlnng, Tempo, Intensität und Ausdehnung der Prosperitätsepochen be-
ll.MJTII
I'.ii Betrachtung ganz anormal hohen Zinsfußes zeigt sich stets, daß
i 1 1 1 s;n-h e in der Ordnung des Geldwesens zu suchen ist. So stieg 1799
.Hin IScispiel der Diskont in Hamburg auf 15 Prozent, und auch zu diesem
ii/ um in nur die besten Wechsel und auch nur in beschränktem Umfang
leibar. (Tooke, I., S. 241.) Die Ursache liegt ebenso in dem Mangel
Indischen Geldsystems, wie bei den enormen Zinssätzen und ihren
/''ii Schwankungen in den Vereinigten Staaten heute; dagegen haben
»i Iils zu tun mit irgendwelchen Änderungen in der Profitrate.
' Dci C.rundsatz Adam Smiths, „daß dort, wo ein großer Gewinn mit
eii in ( leide erzielt werden kann, auch gewöhnlich viel für seine Benützung
£> ..ilili werden wird; und daß dort, wo wenig damit verdient werden kann,
Ii um wenig dafür gegeben werden wird" („Wealth of Nation", Vol. I.,
II, IX),
in liii/'
.1.. I
li.ll.
st zwar sehr einleuchtend, aber nicht bewiesen und auch nicht
132
135
ZWEITER ABSCHNITT
DIE MOBILISIERUNG DES KAPITALS
DAS FIKTIVE KAPITAL
VII. Kapitel
DIE AKTIENGESELLSCHAFT
1. Dividende und Gründergewinn
I >h- bisherige Ökonomie hat den Unterschied zwischen Einzel -
mmIii nehmen und Aktiengesellschaft vornehmlich bloß in der Ver-
8> liiVilciiheit der Organisationsform und dendaraus unmittelbar sich
i i gehenden Folgen gesucht. Sie hat auf die „gute" und „schlechte"
'" iie lieider Unternehmungsformen hingewiesen und dabei teils
Huhjiikl.ive Momente (größere oder geringere unmittelbare Inter-
ilheit und Verantwortlichkeit der Leiter, leichtere oder
(leim 'irrigere Kontrollierbarkeit des Unternehmens), teils objektive
Mniiienle (leichtere Kapitalbeschaffung, größere oder geringere
\ li K ii iniilationskraft) als Unterscheidungsmerkmale hervorgehoben.
Ilnili hal sie es unterlassen, auf die grundlegenden ökonomischen
I Hleiseliiede der beiden Unternehmungsformen einzugehen, ob-
u nlil diese von entscheidender Wichtigkeit sind für das Verständnis
di i in in lernen kapitalistischen Entwicklung, die ohne den Sieg der
Milien^esellschaft und dessen Gründe gar nicht begriffen werden
li min.
I )ie industrielle Aktiengesellschaft, die wir zunächst betrachten,
Inileiilet vorerst eine Änderung der Funktion des industriellen
1 Mieses Gefühl leitete wohl auch Erwin Steinitzer, als er seine Schrift
1)1 im die Aktiengesellschaft „Ökonomische Theorie der Aktiengesellschaft"
II ''i|"i(:, Thincker & Humblot, 1908) nannte. Jedoch sind die grundlegenden
üi ii sehen Besonderheiten der Aktiengesellschaften auch hier nicht er-
I'imhiI I )ie Schrift ist übrigens reich an treffenden und feinen Bemerkungen.
157
Kapitalisten. Denn sie bringt grundsätzlich mit sich, was beim
Einzelunternehmen nur zufällig einmal eintreten kann: die Be-
freiung des industriellen Kapitalisten von der Funktion des indu-
striellen Unternehmers. Diese Funktionsveränderung gibt dem
Kapital, das in die Aktiengesellschaft investiert wird, für den Kapi-
talisten die Funktion des reinen Geldkapitals. Wieder Geldkapitalist
als Gläubiger nichts mit der Verwendung seines Kapitals im Pro-
duktionsprozeß zu tun hat, mag auch in Wirklichkeit diese Ver-
wendung die notwendige Bedingung des Leihverhältnisses sein, so-
fern er nur sein Geldkapital abzutreten und es nach Ablauf einer
bestimmten Zeit mit den Zinsen zurückzuerhalten hat, seine Funk-
tion also sich in einer juristischen Transaktion erschöpft; ebenso
fungiert auch der Aktionär als bloßer Geldkapitalist. Er gibt Geld
her, damit er dafür ein Erträgnis, um zunächst diese ganz allge-
meine Bezeichnung zu gebrauchen, erhalte. Er kann dabei die Höhe
der Summe beliebig bemessen und haftet für nicht mehr als diese
Summe, so wie der Geldkapitalist ebenfalls nur eine bestimmte
Summe in der von ihm gewählten Höhe aufs Spiel setzt. Jedoch
ergibt sich hier bereits ein Unterschied. Der Zinssatz für das in
Aktienform zur Verfügung gestellte Geldkapital ist nicht als solcher
im voraus bestimmt, sondern er besteht nur als Anspruch auf den
Ertrag (Profit) eines bestimmten Unternehmens. Ein zweiter Unter-
schied gegenüber dem Leihkapital besteht darin, daß der Rückfluß
des Kapitals an den Geldkapitalisten nicht direkt - nicht als beim
Eingehen des Verhältnisses selbst vereinbart und aus der Natur des
Leihverhältnisses selbst hervorgehend — bestimmt ist.
Wir betrachten zunächst das erste Moment. Vor allem ist fest-
zustellen, daß das Erträgnis für das in Aktienform zur Verfügung
gestellte Geldkapital keineswegs ein völlig unbestimmtes ist. Ein
kapitalistisches Unternehmen wird gegründet, um Profit abzuwer-
fen. Die Erzielung des Profits, und zwar unter normalen Verhält-
nissen die Erzielung des herrschenden Durchschnittsprofits, ist
Voraussetzung der Gründung. Jedenfalls ist hier der Aktionär in
ähnlicher Lage wie der Geldkapitalist, der ebenfalls auf die produk-
tive Verwertung seines Kapitals rechnen muß, soll sein Schuldner
158
imlil. zahlungsunfähig werden. Im allgemeinen wird die im Ver-
gleich mit dem Geldkapitalisten vielleicht etwas größere Unsicherheit
des Aktionärs demselben eine gewisse Risikoprämie einbringen. Nur
il.ii f man sich nicht vorstellen, daß diese Prämie als solche irgend-
\\ ie fixiert und als bewußter und vor allem meßbarer Anspruch des
Aktionärs erscheint. Vielmehr entsteht sie dadurch, daß das An-
I' rix iL an Geldkapitalien — und an das freie Geldkapital wenden
i H li die Gründer — für die Anlage in Aktien unter sonst gleichen
I nislünden geringer sein wird als für die fest verzinslichen, even-
hirll besonders sicheren Anlagen. Es ist überhaupt diese Ver-
ii hiedenheit im Angebot, was die Verschiedenheit der Zinssätze,
i i'.pcklive die Verschiedenheit im Kurse der zinstragenden Papiere
i i klärt. Die größere Sicherheit oder Unsicherheit wirkt als Motiv
Im das größere oder geringere Angebot. Aber erst aus der Ver-
iti hiedenheit dieses Verhältnisses von Angebot und Nachfrage resul-
IiiiI eine Verschiedenheit des Zinsertrages. Das mutmaßliche Er-
l'ilniis des Ertrages der Aktie ist also bestimmt durch den industri-
i llrn Profit und dieser unter sonst gleichen Umständen durch die
I In 1 1 lischnittsprofitrate.
I )<■!■ Aktionär ist aber nicht industrieller Unternehmer (Kapi-
I iili'.l). Er ist vorerst nur Geldkapitalist. Aber es gehört zu den
»i •. entliehen Unterscheidungsmerkmalen des Leihkapitalisten von
ilrni industriellen Kapitalisten, daß er sein Kapital — Geldkapital —
in i;.in7. anderer Weise frei verfügbar hat. Der industrielle Kapi-
l iliiti legt als solcher sein ganzes Kapital in einem bestimmten
I Hin nehmen an. Voraussetzung dafür ist, daß sein Kapital hin-
ii H hl, in diesem Industriezweig selbständig fungieren zu können,
jtr-i Aktionär dagegen braucht nur über einen geringfügigen
l\ i|iil;ilhc'lrag zu disponieren. Der industrielle Unternehmer hat
in in kapital in seinem Unternehmen fixiert, er wirkt nur produktiv
in diesem Unternehmen und ist mit ihm dauernd verwachsen. Er
li s nicht zurückziehen, außer durch den Verkauf des Gesamt-
niiii'i nrlimcns, was nur heißt, daß die Person des Kapitalisten
»Mi I im- 1 1 , ein industrieller durch einen anderen ersetzt wird. Er ist
im hl ( Jeldkapitalist, sondern industrieller (produktiver, fungieren-
139
der) Kapitalist. Der Ertrag des Unternehmens - der industrielle
Profit - fällt ihm zu. Wenn wir aber den Aktionär als bloßen Geld-
kapitalisten betrachten, so würde für ihn die Erzielung des Zinses
auf sein Kapital genügen, damit er sein Geldkapital zur Verfügung
stellt.
Damit aber der Aktionär Geldkapitalist werde, ist es notwendig,
daß er sein Kapital jederzeit als Geldkapital zurückerhalten kann.
Sein Kapital erscheint aber wie das des Einzelkapitalisten in dem
Unternehmen fixiert. Und dies ist in der Tat so. Das Geld ist weg-
gegeben und dient zum Ankauf der Maschinen, des Rohmaterials,
zur Bezahlung der Arbeiter usw., kurz, es hat sich aus Geldkapital
in produktives Kapital, G < p A m verwandelt, um den Kreislauf als
industrielles Kapital zu beschreiben. Der Aktionär kann dieses ein-
mal weggegebene Kapital nicht mehr zurückerhalten. Er hat darauf
keinen Anspruch, er hat nur Anspruch auf einen aliquoten Tel
des Erträgnisses. In der kapitalistischen Gesellschaft gewinnt aber
jede Geldsumme die Fähigkeit, Zins abzuwerfen; umgekehrt wird
jedes regelmäßig wiederkehrende Einkommen, das übertragbar ist
(und dies ist der Fall, sofern es nicht an eine rein persönliche und
daher vergängliche, unbestimmbare Bedingung geknüpft ist, wie
der Arbeitslohn usw.), als Zins eines Kapitals betrachtet und erhall
einen Preis, der gleich ist dem zum herrschenden Zinsfuß kapitali-
sierten Betrag. 1 Dies erklärt sich ohne weiteres daraus, daß immer
große Geldsummen zur Verwertung frei liegen und diese Ver-
wertung in dem Anspruch auf dieses Erträgnis finden. Der Aktionär
ist daher in der Lage, sein Kapital jederzeit zurückerhalten zu kön-
nen durch den Verkauf seiner Aktien, seines Anspruchs auf den
Profit, und ist damit in derselben Lage wie der Geldkapitalisl.
Diese Verkaufsmöglichkeit wird geschaffen durch einen eigenen
Markt, die Effektenbörse. Erst die Herstellung dieses Marktes gibt
dem Aktienkapital, das nunmehr stets für den einzelnen „realisier-
T^Der Wert des Geldes oder der Waren als Kapital ist nicht bestimmt
durch' ihren Wert als Geld oder Waren, sondern durch das Quantum Mehr-
wert, das sie für ihren Besitzer produzieren." Marx, „Kapital", III., 1., S. 540|
(Neuausgabe S. 589. Die Red.)
140
bar" ist, ganz den Charakter des Geldkapitals. Umgekehrt behält
der Geldkapitalist diesen seinen Charakter auch dann, wenn er sein
kapital in Aktienform anlegt. Das freie Geldkapital konkurriert
ulso als solches, das heißt als zinstragendes Kapital, um die Anlage
in Aktien, wie es in seiner eigentlichen Funktion als Leihkapital
inii die Anlage in festverzinslichen Darlehen konkurriert. Die Kon-
kurrenz um diese verschiedenen Anlagemöglichkeiten nähert den
Preis der Aktie dem Preis der fest verzinslichen Anlagen an und
icduziert für den Aktionär das Erträgnis vom industriellen Profit
;mf den Zins.
Diese Reduktion auf den Zins ist also ein historischer Prozeß,
dar mit der Entwicklung des Aktienwesens und der Effektenbörse
vor sich geht. Solange die Aktiengesellschaft nicht herrschende
Form und die Negotiabilität der Aktie nicht entwickelt ist, wird
auch in der Dividende nicht nur Zins, sondern auch Unternehmer -
l'.cwinn enthalten sein.
Soweit also die Aktienunternehmung reicht, wird jetzt die
Industrie betrieben mit einem Geldkapital, dessen Verwandlung
in industrielles Kapital für diese Kapitalisten nicht den Durch -
m Imittsprofit, sondern nur den Durchschnittszins abzuwerfen
In .nicht.
liier scheint sich aber ein offenkundiger Widerspruch zu er-
l'rlirn. Das als Aktienkapital zur Verfügung gestellte Geldkapital
wird ja in industrielles Kapital verwandelt. Daß es für seinen Be-
ul /.er — also subjektiv — ganz nach Art des Leihkapitals fungiert,
Im n n auf den Ertrag des industriellen Unternehmens sicher nicht
Min Kinfluß sein. Dieses wird nach wie vor unter normalen Um-
stünden den Durchschnittsprofit abwerfen. Daß die Aktiengesell-
iii hilft ihre Ware unter dem Durchschnittsprofit verkauft, freiwillig
mil einen Teil des Profits verzichtet, um ein Erträgnis zu verteilen,
dun nur den Zins den Aktionären abwirft, ist eine unmögliche An-
Ijfilime. Denn jedes kapitalistische Unternehmen sucht den höchst-
glichen Profit zu erzielen, und gerade dieses Bestreben bewirkt
di'ii Verkauf zu Produktionspreisen, das heißt zu Preisen gleich
diin Kostpreis plus dem Durchschnittsprofit. Es scheint daher, als
II llllloiiliiiK, Das Finanzkapital
141
wären die angeführten Momente, die subjektiv dem in Akticnronn
angelegten Geldkapital den Charakter des Leih-, also des zins-
tragenden Kapitals geben, nicht ausreichend, um die Reduktion des
Erträgnisses der Aktie au[ Zins zu erklären. Würde ja dadurch
unerklärt bleiben, wohin der andere Teil des Profits, näm-
lich der Durchschnittsprofit minus Zins, der gleich ist dein
eigentlichen Unternehmergewinn, entschwunden wäre. Sehen wir
näher zu.
Durch die Verwandlung des Privatunternehmens in eine Aktien-
gesellschaft scheint eine Verdoppelung des Kapitals eingetreten zu
sein. Aber das ursprüngliche, von den Aktionären vorgestreckte
Kapital ist definitiv in industrielles verwandelt, existiert als solches
allein in Wirklichkeit fort. Das Geld fungierte als Kauf mittel für
Produktionsmittel, ist für diese ausgegeben und damit definitiv aus
dem Kreislaufprozeß dieses Kapitals geschwunden. Erst die Ver-
wandlung der Produktionsmittel in Waren durch die Produktion
und der Verkauf dieser Waren läßt Geld - ganz anderes Geld - aus
der Zirkulation zurückströmen. Das Geld also, das bei den späteren
Umsätzen von Aktien gezahlt wird, ist durchaus nicht das Geld,
das von den Aktionären ursprünglich hergegeben worden war und
verbraucht ist; es ist kein Bestandteil des Kapitals der Aktiengesell-
schaft, des Kapitals des Unternehmens. Es ist zusätzliches Geld,
erforderlich für die Zirkulation der kapitalisierten Ertragscheinc.
Ebenso ist der Preis der Aktie keineswegs bestimmt als Teil des
Unternehmungskapitals ; er ist vielmehr der kapitalisierte Ertrags -
anteil. Als solcher bestimmt nicht als aliquoter Teil des in der
Unternehmung fixierten Gesamtkapitals und also eine relativ fixo
Größe, sondern nur der zum herrschenden Zinsfuß kapitalisierte
Ertrag. Daher ist der Preis der Aktie abhängig nicht vom Wert
(respektive Preis) des wirklich fungierenden industriellen Kapitals,
denn die Aktie ist nicht Anweisung auf einen Teil des im Unter-
nehmen tatsächlich fungierenden Kapitals, sondern Anweisung auf
einen Teil des Ertrages und daher abhängig erstens von der Größe
des Profits (also einer viel variableren Größe, als es der Preis der
l'roduktionselemente des industriellen Kapitals selbst wäre) und
zweitens von dem herrschenden Zinsfuß. 1
Die Aktie ist also Revenuetitel, Schuldtitel auf künftige Produk-
tion, Ertragsanweisung. Indem dieser Ertrag kapitalisiert wird und
ilies den Preis der Aktie konstituiert, scheint in diesen Aktienpreisen
ein zweites Kapital vorhanden zu sein. Dieses ist rein fiktiv. Was
wirklich existiert, ist nur das industrielle Kapital und sein Profit.
I )as hindert aber nicht, daß dieses fiktive „Kapital" rechnungsmäßig
vorhanden ist und als „Aktienkapital" angeführt wird. In Wirk-
lichkeit ist es kein Kapital, sondern nur der Preis einer Revenue —
ein Preis, der eben dadurch möglich ist, daß innerhalb der kapita-
listischen Gesellschaft jede Geldsumme Revenue abwirft und daher
umgekehrt jede Revenue als Frucht einer Geldsumme erscheint. Ist
bei der industriellen Aktie diese Täuschung noch dadurch erleich-
ii'it, daß ein wirklich fungierendes industrielles Kapital besteht, so
w ird der fiktive, rein rechnungsmäßige Charakter dieses papierenen
Kapitals bei anderen Ertragsanweisungen völlig unzweifelhaft.
Niaatsschuldscheine brauchen in keiner Weise irgendein vornan -
ilines Kapital zu repräsentieren. Das von den Staatsgläubigern
seinerzeit geliehene Geld mag längst in Pulverdampf aufgegangen
(ein. Sie sind nichts als der Preis für einen Anteil an den jährlichen
''li'iicrn, die das Erträgnis ganz anderen Kapitals sind als desjenigen,
eins seinerzeit irgendwie unproduktiv verausgabt worden war.
Der Umsatz von Aktien ist kein Kapitalumsatz, sondern Kauf
mihI Verkauf von Rententiteln; die Schwankungen ihrer Preise
I i?scn das wirklich fungierende industrielle Kapital, dessen Erträg-
iii'. und nicht dessen Wert sie repräsentieren, direkt ganz unberührt.
Iln Preis hängt außer vom Erträgnis von der Höhe des Zinsfußes
üb, /.iL dem sie kapitalisiert werden. Dieser ist aber in seinen Be-
' Der Zusammenhang des Aktienkurses mit dem Wert des produktiven
llnpiials äußert sich nur mehr darin, daß der Kurs nicht tiefer sinken kann,
i'l'i ilir Wertteil beträgt, der beim Bankrott des Unternehmens aus der Masse
Min li HcTnedigung aller anderen Forderungen als aliquoter Teil auf die Aktie
HUfi.:le.
142
143
wegungen ganz unabhängig von den Schicksalen des individuellen
industriellen Kapitals. Schon daraus geht hervor, daß es nicht an-
geht, den Aktienpreis als aliquoten Teil des industriellen Kapitals
anzusehen.
Die Summe des „Aktienkapitals", also die Preissumme der kapi-
talisierten Ertragstitel, braucht daher mit dem ursprünglich in
Industriekapital verwandelten Geldkapital nicht übereinzustimmen.
Es fragt sich nun, wie diese Differenz entsteht und wie groß sie ist.
Nehmen wir ein industrielles Unternehmen mit einer Million Mark
Kapital. Der Durchschnittsprofit sei 15 Prozent, der herrschende
Zinsfuß 5 Prozent. Das Unternehmen wirft einen Profit von
1 50 000 Mk. ab. Die Summe von 150 000 Mk. wird aber als jähr-
liche Revenue zu 5 Prozent kapitalisiert einen Preis von 3 000 000
Mark haben. Zu 5 Prozent würde allerdings das Geldkapital vielleicht
nur festverzinsliche, sichere Papiere übernehmen wollen. Aber setzen
wir eine hohe Risikoprämie ein, sage von 2 Prozent, berücksichtigen
wir weiter die Verwaltungskosten, Tantiemen usw., die aus dem
Profit des Unternehmens bestritten werden müssen und dem Privat-
betrieb im Gegensatz zur Aktiengesellschaft erspart blieben, und
setzen wir dafür eine Verringerung des verfügbaren Profits um
20 000 Mk., so werden 130 000 Mk. verteilt werden können, die
den Aktionären eine Verzinsung von 7 Prozent bieten sollen. Es
ist dann der Preis der Aktien gleich 1 857 143, sage rund 1 900 000
Mark. Um den Profit von 150 000 Mk. zu erzeugen, ist aber nur
ein Kapital von 1 000 000 Mk. nötig, 900 000 Mk. sind frei; diese
900 000 Mk. entspringen aus der Verwandlung des profittragenden
Kapitals in zinstragendes (Dividende tragendes) Kapital. Sie sind,
wenn wir von den höheren, aus der Form der Aktiengesellschaft
entspringenden Verwaltungskosten, die den Profit vermindern, ab-
sehen, gleich der Differenz zwischen dem zu 15 Prozent und dem
zu 7 Prozent kapitalisierten Betrag, also zwischen dem Kapital, das
die Durchschnittsprofitrate, und dem, das den Durchschnittszins ab-
wirft. Es ist diese Differenz, die als „Gründer gewinn" erscheint,
eine Quelle des Gewinns, die nur aus der Verwandlung des profit-
tragenden in die Form des zinstragenden Kapitals entspringt.
Die herrschende Anschauung, die die Kostspieligkeit der Ver-
waltung der Aktiengesellschaft gegenüber dem Privatunternehmen
80 eifervoll hervorhebt, hat das merkwürdige Problem, woher ein
< M-winn bei der Umwandlung aus einer billiger in eine teurer pro-
duzierende Unternehmungsform entsteht, weder gesehen noch er-
klärt, sondern sich mit bloßen Phrasen über Kosten und Risiko
begnügt. Der Gründungsgewinn ist aber weder ein Schwindel noch
'•me Vergütung oder Lohn, sondern eine ökonomische Kategorie
Uui generis.
Die Ökonomen, soweit sie Zins und Unternehmergewinn über-
haupt scheiden, fassen die Dividende einfach als Zins plus Unter-
."■Imiergewinn, also als dasselbe wie den Profit des Individual-
M.ilernehmens. Daß dabei das Spezifische der Aktiengesellschaft
nicht erkannt wird, ist klar. So sagt zum Beispiel Rodbertus: „Ich
«ill zur Verständigung über die Terminologie hier nur noch be-
merken, daß in der Dividende einer Aktie nicht bloß Zins, sondern
auch Unternehmungsgewinn steckt, in dem Zinsfuß eines Dar-
lehen sscheines aber nicht." 1 Eine Erklärung des Gründergewinnes
.»■ claher unmöglich. „Es ist . . . Untemehmungsgewinn, der in der
Ucinebrfonn der Aktienunternehmung, dem Kapitalbesitzer (der,
wnm erseinKapital an einen Einzelunternehmer ausgeliehen hätte
Bnr den laufenden Zins bekommen hätte) auch noch zufließt, und
»war in derselben Bequemlichkeit, wie der Zins es getan hätte,
weshalb auch die Aktienunternehmung für unsere Kapitalisten so
" »ladend und vorauszusetzen ist, daß sich die Aktienform
Immer mehr des Industriegebietes bemächtigen wird. Der soge-
"""'" c Gründungsschwindel ist bloß Schaum respektive Abschaum
wn dem reellen Geschäft.'" Über die moralische Verurteilung ist
öde Erklärung des Gründergewinnes, der kein Schwindel ist son-
Aorn erst den Schwindel möglich macht, unterlassen. Rodbertus
' „Briefe und sozialpolitische Aufsätze von Dr. Rodbertus-Jagetzow"
Hemtiigsgrtwa von Dr. Rudolf Meyer, Berlin 1880, I., S 259
« Dm ut übrigem falsch: Aktiengesellschaft ist keine Betriebs-, sondern
»im« nnternehraungsform.
" Ebenda, I., S. 262.
144
145
faßt die Sache einseitig und deshalb falsch auf, wenn er sagU „D^
frühere Leihkapital hört also ia der Aktieufonn auf, LeürUpU»
zu sein, und wird in den Händen seiner Besitzer selbstwertend, und
zwar in einer Form, die ihnen bei dem göttergleichen Leben äer
Shkapitalisten noch nabeln die **** Kapitalrente (worunter
Rodhertus den Unternehmer gewinn plus Zins versteht) ™det.
Rcdbertus siebt nur den Inhalt des Prozesses, 0» Verwandlung von
Geldkapital in industrielles; er übersiebt aber, daß hier die Form
ae ; Verwandt wesentheh ist, indem das Geldkaprta ^d
fiktives Kapital wird und damit für seine Besser <he *orm von
Geldkapital beibehält. 2
l "ie'-^lnie^de Bedeutung der Aktiengesellschaft bat de,
taJ^r. Sozialist richtig gefühlt: „Diese ™**T£££J£Z
Unternehmung), die aus tausend Meinen Kaprtalsoueüen d» .Zuflüsse zu «nem
Strom zu verbinden weiß, hat eine Mission zu erfüllen. Siehat Cfcrtte.
Schöpfung zu Supplik, Landengen und L^dcr «—J^^
AlWächtiee es vergessen oder noch nicht an der ieit genauen ,
SX Snn te lite unter de™ Meeresgründe oder Um der Meeres-
Sie L verbinden, Alpen zu durchbohren usw. Der ^f ^« ^ /
pWzischen Quadern reichen nicht an des, was das Aktontap.»! noch «
Schaffen hat." Soweit schwärmt Rodbertus «icht wemger roman -seh al
ztlafsaccard im „L'Argent". Dann aber fahrt er fort: Aber ^ =
Person habe noch einen ganz besonderen ,Schwarm' für sie. Und warum
SeXbern mir meine Straße. Und wie sie sie säubern , ^J™°^
Freihandel ohne Aktienform ist nur ein nuserabler Handbesen der Fm
handel mit Aktienform ist ein Dampfmaschinenbesen, der m zehn Jahren s -
"Igt wie jener San^g^en in tontet Die Hau von der , Aküe -
Unternehmungen! Die Lösung der sozialen Frage bedarf «hewr SwB«-
SrenSTauch ohne Innungen bedarf d. einer Reinheit, als hatten *
Tauben sie zusammengelesen." (Ebenda, I., S. 291.) ., ripnform 6 „
Ebenso ist die Bemerkung sehr lein: „W.e unter der AUenform der
IndSduaunternehmer wird auch der reine Leihkapitalist ton* mehr ver-
^^t 5Ä die S D^iu.ng r» B«r g Us to Handwörterbuch der
Suatswissenschalten, Kapitel Aktiengesellschaften. Au gäbe und ^eck ge-
sellschaftlicher Unternehmungen kann sowohl die Ergänzung und Yerstai-
kung der persönlichen Arbeitskraft, des Wissens und der Erfahrung des
Unternehmers als auch die Verstärkung der Kapitalskraft sein.« Das .st
146
Hfl rächten wir nun die eigentümliche Zirkulationsform des fik-
tiven Kapitals, so finden wir folgendes: Die Aktien (A) werden
»initiiert, also gegen Geld (G) verkauft. Dieses Geld zerfällt in
Mvri Teile; ein Teil (gi) bildet den Gründergewinn, gehört den
< lern, zum Beispiel der Emissionsbank, und fällt aus der Zir-
Iml.iiion dieses Kreislaufes heraus. Der andere Teil (Gi) verwandelt
in li in produktives Kapital und beschreibt den uns bereits bekann-
li-n Kreislauf des industriellen Kapitals. Die Aktien sind verkauft;
»ollen sie selbst wieder zirkulieren, so ist dazu zusätzliches Geld
(( i») ;ils Zirkulationsmittel nötig. Diese Zirkulation A— G2— A findet
Ihre Slätte auf einem eigenen Markt, der Börse.
Es ergibt sich also folgende Zirkulationsfigur:
G ,_ W < Pm
I gl
. P
W— G'i
Einmal geschaffen, hat die Aktie mit dem wirklichen Kreislauf
ili"; industriellen Kapitals, das sie repräsentiert, nichts mehr zu
hm Die Vorgänge und Unfälle, die sie bei ihrer Zirkulation er-
uiihn, lassen direkt den Kreislauf des produktiven Kapitals un-
lui lilirt.
I )cr Handel mit Aktien, allgemeiner mit den fiktiven Kapital-
ncliciiien überhaupt, erfordert neues Geld — Bargeld und Kredit-
l'ilil - zum Beispiel Wechsel. Während aber der Wechsel früher
l'iiliikl war durch den Wert der Ware, ist er jetzt gedeckt durch
■ Im „Kapitalwert" der Aktie, der wieder abhängt von dem Erträg-
n n Dieses wieder hängt ab von der Realisierung der Produkte, die
«In- Aktiengesellschaft herstellt, also von dem Verkauf der Waren
n\ ihren Werten respektive Produktionspreisen. So ist dieses
1 ti.11 '.ci schön, als wenn einer in einem wissenschaftlichen Kochbuch dozierte:
Anl"nl>(' und Zweck des Zwetschkenknödels kann sowohl die Anregung und
(Ina Vrignügen des Gaumens sein als auch der Köchin den Lohn zu ver-
. 1 ... If >
147
Kreditgeld erst indirekt gedeckt durch Warenwert. Ferner: während
der Zahlungsverkehr im Handel in seinem Umfang durch den Wert
der Waren bestimmt ist, so dieser durch den kapitalisierten Betrag
des Reinerträgnisses. Anderseits wird hier das wirklich nötige Geld
sehr beschränkt durch die Fungibilität dieser Papiere.
Betrachten wir nun die Formel für den Gründungsgewinn (Gg),
so ergibt sich die folgende, wenn wir den Durchschnittsprofit = p,
die Dividende=d und den Ertrag des Unternehmens gleich E setzen
und uns erinnern, daß das Kapital gleich ist den hundertfachen
Zinsen dividiert durch den Zinsfuß:
100 E 100 E
Gg = —
a p
Sieht man den Ertrag der Aktiengesellschaft als vermindert an
infolge der Kostspieligkeit der Verwaltung, so ist für das erste
E (E — n) zu setzen. Man sieht, die Trennung der Unternehmer-
funktion, die die bisherige Ökonomie rein deskriptiv konstatiert,
ist zugleich eine Verwandlung des industriellen Kapitalisten zum,
Aktionär, zu einer besonderen Sorte von Geldkapitalisten, wobei
die Tendenz besteht, den Aktionär immer mehr zum reinen Geld-
kapitalisten zu machen. Diese Tendenz wird vollendet durch die
stete Verkäuflichkeit der Aktie auf der Börse.
Unsere Auffassung der Ökonomie der Aktiengesellschaft geht
über die von Marx entwickelte hinaus. Marx faßt in seiner genialen
Skizzierung — die Ausführung blieb ihm leider versagt — der Rolle
des Kredits in der kapitalistischen Produktion die Bildung von
Aktiengesellschaften als Folge des Kreditwesens und bezeichnet als
ihre Wirkung:
„1. Ungeheure Ausdehnung der Stufenleiter der Produktion und Unter-
nehmungen, die für Einzelkapitale unmöglich waren. Solche Unternehmun-
gen zugleich, die früher Regierungsuntemehmungen waren, werden gesell-
schaftliche.
2. Das Kapital, das an sich auf gesellschaftlicher Produktionsweise be-
ruht und eine gesellschaftliche Konzentration von Produktionsmitteln und
Arbeitskräften voraussetzt, erhält hier direkt die Form von Gesellschafts-
1 Marx, „Kapital", III., 1., 27. Kapitel, S. 422 ff . (Neuausgabe S. 477/478.
Die Red.)
148
bptta) (Kapital direkt assoziierter Individuen) im Gegensatz zum Privat-
lwpit.nl, und seine Unternehmungen treten auf als Gesellschaftsunterneh-
'£''" ira Gegensatz zu Privatunternehmungen. Es ist die Aufhebung des
jWunls als Privateigentum innerhalb der Grenzen der kapitalistischen
Produktionsweise selbst.
B Verwandlung des wirklich fungierenden Kapitalisten in einen bloßen
I Urgenten, Verwalter fremden Kapitals, und der Kapitaleigentümer in bloße
I 'grntümer, bloße Geldkapitalisten. Selbst wenn die Dividenden, die sie be-
<•• ■Im, den Zins und Unternehmergewinn, d. h. den Totalprofit einschließen
Wenn das Gehalt des Dirigenten ist, oder soll sein, bloßer Arbeitslohn einer
S mv, SSen Art geschickter Arbeit, deren Preis im Arbeitsmartt reguliert wird,
n r ' eder andren Arbeit), so wird dieser Totalprofit nur noch bezogen
In ,I,t Form des Zinses, d. h. als bloße Vergütung des Kapitaleigentums, das
' >"" n7 so von der Punktion im wirklichen Reproduktionsprozeß getrennt
' wie diese Funktion in der Person des Dirigenten vom Kapitaleigentum.
I Im Profit stellt sich so dar (nicht mehr nur der eine Teil desselben, der Zins,
''"' "" me Rechtfertigung aus dem Profit des Borgers zieht) als bloße An-
»iKii.ing fremder Mehrarbeit, entspringend aus der Verwandlung der Pro-
"""'mittel in Kapital, d. h. aus ihrer Entfremdung gegenüber den wirk-
i'.l.mi Produzenten, aus ihrem Gegensatz als fremdes Eigentum gegenüber
"Um, wirklich in der Produktion tätigen Individuen, vom Dirigenten bis
1 '" Im letzten Taglöhner. In den Aktiengesellschaften ist die Funktion
'"' " l vom Kapitaleigentum, also auch die Arbeit gänzlich getrennt vom
I rmilnni an den Produktionsmitteln und an der Mehrarbeit. Es ist dies
!V-nl[„i der höchsten Entwicklung der kapitalistischen Produktion ein not-
>"" r Durchgangspunkt zur Rückverwandlung des Kapitals in Eigentum
ilm Produzenten, aber nicht mehr als das Privateigentum vereinzelter Pro-
lin-,, |,.„, sondern als das Eigentum ihrer als assoziierter, als unmittelbares
" U..II», linftseigentum. Es ist andrerseits Durchgangspunkt zur Verwandlung
" '"' <lem Kapitaleigentum bisher noch verknüpften Funktionen imRepro-
'l»lii„„,s|,rozeß in bloße Funktionen der assoziierten Produzenten, in gesell-
ii Imliliilie Funktionen.
IWor wir weitergehn, ist noch dies ökonomisch Wichtige zu bemerken:
1 ' IVofit hier rein die Form des Zinses annimmt, sind solche Unter-
"" "K ,M1 noch möglich - ,n sie bloßen Zins abwerfen, und es ist dies
" '"' Gründe , di e das Fallen der allgemeinen Profitrate aufhalten, indem
ll """ " rnehmungen, wo das konstante Kapital in so ungeheurem Ver-
'" """ variablen steht, nicht notwendig in die Ausgleichung der all-
R ni-n Profitrate eingehn."
Wa» Marx hier betrachtet, sind vor allem die wirtschaftspoli-
IL.I.m Wirkungen der Aktiengesellschaften. Die Dividende faßt
149
er noch nicht als besondere ökonomische Kategone und laßt deshalb
auch den Gründergewinn unanalysiert. Was die letzte Bemerkung
über den Einfluß auf die Bildung der Durchschnittsprofitrate und
den Fall der Profitrate anlangt, ist es klar, daß mit der Verbreitung
der Aktiengesellschaft der Profit der Aktiengesellschaft genauso
in die Ausgleichung der allgemeinen Profitrate eingehen muß wie
der von Privatunternehmungen. Wir haben übngens schon oben
gesehen, daß auch das Produkt der Aktiengesellschaft unter nor-
malen Umständen genau den gleichen Preisgesetzen unterliegt wie
das von Privatunternehmungen. Marx schwebten die Eisenbahn-
aktiengesellschaften seiner Zeit vor, und in dieser Beziehung mag
seine Bemerkung vielleicht teilweise zutreffen; nur teilweise , d s-
wegen weil auch dort der Gründergewinn bereits einen Teil des
Profits vorweggenommen hat, der in den Eisenbahnpreisen zum
Ausdruck gelangen mußte.
2. Finanzierung der Aktiengesellschaften
Aktiengesellschaften und Banken
Bei Gründung einer Aktiengesellschaft wird also das Aktien-
kapital so bemessen, daß der Profit des Unternehmens hinreicht,
auf dieses Kapital eine Dividende zu verteilen, die für den einzelnen
Aktienbesitzer den Zins auf sein ausgelegtes Kapital abwirft.
Tritt eine Hochkonjunktur ein oder erlauben sonst gunstige Um-
stände, später eine höhere Dividende zu verteilen, so wird der Kur.
der Aktien steigen. Gesetzt, die Aktien eines Unternehmens stehen
-TI in Beispiel für die im Text gegebene -^^^^X
Berliner Tageblatt" berichtet in der Abendausgabe vom 16 Mai 1908. ^„ln
dfesen Tagen wurden die Aktien der Köpenicker ™»1*ta* - -* «J
K Z*J Agio an der Börse eingeführt. Vom Jahre 1901 bis zum Jahre 1906
bestand dieseT Unternehmen als Gesellschaft mit beschrankter Haftung mit
dm beschienen Kapital von 300 000 Mk. Nach einigen Verlusten
STren erzielte die Gesellschaft mit beschränkter Haftung emm 1 m.»
Bruttogewinn von 100 000 Mk., ein zweitesmal emen solchen von 300 000 Mk.
^d zlte 15 000 respektive 75 000 Mk. an Dividenden. Damrt seinen S1 e d«,
150
uil 100 bei einer Dividende von 6 Prozent, so werden sie auf 150
iiifcn, wenn die Dividende 9 Prozent beträgt. In der Vcrschieden-
ln ii der Dividenden spiegeln sich also die verschiedenen Geschicke,
diu die individuellen Unternehmungen in ihrem weiteren Verlauf
■ il, ihren. Anderseits werden diese Verschiedenheiten ausgelöscht
Im die Neuerwerber von Aktien in der Erhöhung oder Erniedri-
gung des Kursstandes. 1
Im Verlauf des Lebens einer Aktiengesellschaft kann die Diffe-
H n/. /.wischendem wirklich fungierenden Kapital und dem (fiktiven)
\ K l icnkapital weiterwachsen. Wirft das Unternehmen viel höheren
nl'. ilcn Durchschnittszins ab und ergibt sich die Notwendigkeit
n'lri auch nur die Gelegenheit zu einer Kapitalserhöhung, so wird
'Iiim'i' höhere Ertrag bei der neuen Kapitalisierung zugrunde
i.iiinilcrn prädestiniert für eine Aktiengesellschaft mit 1 Million Mark
i .i iinclliapital, in die die 300 000 Mk. Anteile der Gesellschaft mit beschränk-
ii i I In Thing zu einem Preise von 900 000 Mk. wanderten. Um die Aktiva und
I' <i vii der neuen Aktiengesellschaft balancieren zu lassen, mußten die
Oi iinilstücke, die bei der Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit
9(1111)0 Mk. zu Buch standen, von der Aktiengesellschaft mit 210 000 Mk.
Hliiniiiiinmen werden, der Gebäudewert wurde von 45 000 Mk. auf 140 000 Mk.
I >li'i- Maschinen-, Apparate- und Utensilienwert von 246 000 Mk. auf
IHM Hill) Mk. erhöht. Die neue Aktiengesellschaft hat jetzt zwei Geschäfts-
juliir hinter sich, für die sie 15 respektive 16 Prozent Dividende verteilte,
ijlnvnlil das Grundstückskonto — ohne Berücksichtigung der Neuerwerbun-
li i ii noch immer eine Belastung von 200 000 Mk. und das Gebäudekonto
eini' llclastung von 150 000 Mk. zeigt. Nur beim Maschinen- und Utensilien-
küiiln, dessen Werterhöhung am bedenklichsten erschien, ist eine Herab-
ii liiriliiing bis auf 250 000 Mk. vorgenommen worden. Die Fabrikation der
liini'llM'liaft basiert auf zwei Patenten, von denen las eine bereits in einem
liilur nlilüuft, das andere von seinem Erfindei »ur 50 000 Mk. an die Aktien-
jj : ii»i'llsi liaft verkauft wurde. Und diese Grundlagen genügten den Emissions-
liilii'iri n, um einen Preis von 180 Prozent zu stipulieren, das heißt, sie ließen
• i> Ii l'ur die ehemaligen 300 000 Mk. Anteile, die zuzüglich einer Barzahlung
V"ii Uli) (100 Mk. das Fundament der Aktiengesellschaft bilden,l 800 000 Mk.
mlili'ii 1 " Der Gründergewinn ist hier noch vermehrt, weil das Unternehmen
iIiiii Ii ilic Ausbeutung der Patente Extraprofit macht, der natürlich gleichfalls
d«|iiliili'.nTl wird.
' llnll das in Aktien ausgelegte Kapital seinem Besitzer bei der ersten
inli'i lii-i Neuanlage eine Dividende bringt, die nur wenig über den durch-
151
gelegt und das nominelle Aktienkapital weit über das fungierend«
Kapital hinaus vermehrt. Umgekehrt ist es auch möglich, das fun-
gierende Kapital SU vermehren, ohne das nominelle Aktienkapilnl
zu erhöhen. Das wird zum Beispiel der Fall sein, wenn der Rein-
gewinn, statt als Dividende an die Aktionäre ausgeschüttet zu wer-
den, ganz oder teilweise für den Betrieb des Unternehmens ver-
wendet wird. Da eine solche Verwendung Steigerung des künftigen
Ertrages verspricht, wird gleichzeitig eine Erhöhung im Kurswert
des Aktienkapitals eintreten.
Abgesehen davon werden Änderungen im Kurswert unabhängig
von Änderungen im Ertrag und in der Vermehrung oder Vermin
derung des wirklich fungierenden Kapitals sich ergeben durch
Änderungen in der allgemeinen Zinsrate. Ein länger dauernd.-
niedriger Zinsfuß läßt den Kurswert des Aktienkapitals ceterii
paribus anschwellen, ein hoher ihn kontrahieren.
Aus der Bildung der Dividende geht bereits hervor, daß es keino
Durchschnittsdividende weder nach Art der Zinsrate noch nach Art
schnitt.lich.en Zinssati sich erhebt, beweist folgende Tabelle, die wir dem
„Berliner Tageblatt" vom 1. Juni 1907 entnehmen. Der Diskont der Reichi-
bank betrug damals 5 1 /» Prozent.
Berliner Handelsgesellschaft . . .
Darmstädter Bank
Deutsche Bank
Diskontogesellschaft
Dresdner Bank
Nationalbank
Bochumer Gußstahl
Laurahütte
Harpener Bergbau
Gelsenkirchner Bergwerk
Phönix Bergbau
Rombacher Hüttenwerke
Donnersmarckhütte
Eisen weilt Kraft .........
Eisenhütte ThnJe, Vorzugsaktien .
Allgemeine ElektrtiitätigfBclbxfaaft
Lahmeyor Elektrizität
Hofmann Waggonfabrik
GaRgenauor Eiienwerk ......
Schering Chemische Fabriken . ■
Chottifscho Fabrik Oranienburg .
Schultheiss' Brauerei
Vereinsbrauerei, Aktien
Kuri vom SO. Mal
Dividend«
RentabilllHI
Prozent
Prozent
Prozent
150,75
9
5,97
129,30
8
6,18
223,60
12
5,36
189,—
9
5,32
141,—
8%
6,02
121,50
V/i
6,17
224,25
15
6,68
225,30
12
5,32
207,60
11
5,29
195,50
11
5,62
205,30
15
7,30
204,50
14
6,84
264,50
14
5,29
166,—
11
6,62
123,—
9
7,31
198,50
11
5,54
122,—
8
8,55
335,—
22
6,56
105,—
8
7.61
263,—
17
6,46
134,50
10
5,42
288,50
18
6,23
210,50
12
5,70
«li i Profitrate gibt. Die Dividende ist ursprünglich gleich dem Zins
pltiii einer Risikoprämie, kann im Lauf der Entwickhing aber so-
unlil geringer als höher werden und dauernd so bleiben, da ja hier
■ In- Ausgleichung durch die Konkurrenz nicht wie bei der Zins-
I Profitrate bei dem Erträgnis, sondern nur beim Aktienkurs
• Irnctzt.
I )er Kurswert des Aktienkapitals ist also stets größer als der Wert
ilc; unter normalen Bedingungen fungierenden, das heißt den
Dun lischnittsprofit bringenden Kapitals. Anderseits den Ertrag des
I iili-inehmens und den Zinsfuß gegeben, hängt der Kurswert des
Ulienkapitals ab von der Menge der ausgegebenen Aktien. Das
l'i ■'i.-iinte Aktienkapital eines Unternehmens, in dem das produktive
K.ipiial 1 Million Mark beträgt und das 200 000 Mark Profit bringt,
»ml einen Kurswert von 4 Millionen Mark haben, wenn der Zins-
lull r i Prozent beträgt. Der Kurs einer Aktie von 1000 Mk. Nomi-
niilwert wird aber 4000 Mk. betragen, wenn 1 Million Mark Aktien,
iOüO, wenn 2 Millionen, 1000, wenn 4 Millionen, 500, wenn 8 Mil-
liniien Mark Aktien ausgegeben werden.
1 .1 das nominelle Aktienkapital so groß, daß sein Kurs bei der
I (Mission unter den Nominalwert, unter pari, fällt, so spricht man
\i<\\ Verwässerung des Aktienkapitals. Es ist klar, daß diese Ver-
»iiv.enmg zunächst etwas rein Rechnungsmäßiges ist. Gf eben
Ul 'las Krträgnis, und dieses bestimmt den Kurs des Gesamt. Ktien-
l(i|iil,ils; aus je mehr einzelnen Stücken sich dieses zusammensetzt,
c in desto kleinerer aliquoter Teil entfällt natürlich auf das einzelne
''im lt. Die Verwässerung hat nichts zu schaffen mit dem Gründer -
i;i wmii, der vielmehr bei jeder Aktiengesellschaftsgründung aus
ili i Verwandlung von produktivem, profittragendem Kapitell in fik-
I I \ es, zinstragendes Kapital entsteht. In der Tat ist die Verwässerung
im liis Wesentliches und kann daher in der Regel durch Gesetz ge-
I lert werden, im Gegensatz zum Griindergewinn. Die Bestim-
liniiig des deutschen Aktiengesetzes, daß das Agio der Aktie den
lle.eiven zufallen muß, hat nur bewirkt, daß dieAktiepari oder mit
l'.i i ni|;em Agio an ein Bankkonsortium begeben wird und von diesem
inii Gewinn (Gründergewinn) an das Publikum verkauft wird.
152
153
Die Verwässerung ist aber unter Umständen ein gecignoliiS
finanztechnisches Mittel, um den Anteil der Gründer über iluij
Gründergewinn hinaus zu steigern. In den Vereinigten Staaten 7.11m
Beispiel werden bei den großen Gründungen gewöhnlich zweierlei
Arten Aktien ausgegeben, die preferred shares (Vorzugsaktien) und
die common shares (gewöhnliche Aktien). Die preferred shares sind in
ihrer Verzinsung limitiert, sie tragen meist 5 bis 7 Prozent. Sin
sind zugleich häufig kumulativ, das heißt, wenn in einem Jiilirn
nicht die ganze Dividende, auf die sie Anspruch haben, gcznltll
wird, so haben sie das Recht auf Nachzahlung aus den Erträgnissen
der folgenden Jahre. Erst nach Befriedigung der preferred slinrn»
können Dividenden auf die commons verteilt werden. Der Beim«
der preferred shares wird bei der Gründung gewöhnlich so bemessen,
daß er größer ist als das wirklich zur Funktion benötigte Kapilnl.
In den preferred shares steckt schon der größte Teil des Gründer-
gewinnes. Dazu kommen dann die common shares meist in 11 11-
nähernd gleichem Betrag. Ihr Kurswert ist gewöhnlich ursprünglich
sehr gering; preferred und commons zusammen stehen meist clwm
über pari. Aber diese commons bleiben einmal zum großen Teil in
den Händen der Gründer und erleichtern ihnen die Sicherung der
Majorität. 1 Zweitens: die preferred werden bei den solideren Grün-
1 Dasselbe auch bei englischen Gründungen. Bei Schilderung einer Inlm
essengemeinschaft zwischen einem gemischten Roheisenwerk und ein »Hl
Stahlwerk sagt Macrosty: „It is to be observed, that while \he aid «1 tl
public was called in to assist in the extension of the business (seil, ihn
Ausgabe von Obligationen, Vorzugsaktien), control lay solely withthe vendoi ■
(die Firma Bül bros. and Durmsn Long & Co.) so long eis debenture inti
and preference dividend were maintained. This is qnite a common realm
British flotarions, and it demands from the cautious änvestor n coi
serutiny of the pnrehase conditions." Henry W. Macrosty, „The Trust M.
ment in British Industry", London 1907, S. 27. „In many cases the ordinär]
stock is held largely or solely by the original vendors in order that they nmy
retain control, in which case the amount of the ordinary dividend is of lall
consequence to the public." Ebenda, S. 54.
Eine ähnliche Funktion wie die common shares - die Monopolisierung
der günstigen Ergebnisse der Entwicklung der Aktiengesellschaft für (IU
Gründer - hatten die sogenannten Gründerrechte des früheren deutirJion
154
Jungen so ziemlich verzinst; der Anteil der commons dagegen ist
■iillig unbestimmt, in ihnen vor allem kommt die Gestaltung der
Konjunktur zum Ausdruck; ihr Ertrag schwankt außerordentlich;
Mi- sind daher beliebtes Spekulationspapier; die Kursschwankungen
In innen aber von den eingeweihten Großaktionären, denen sie nichts
gekostet haben, zu gewinnreicher Spekulation ausgenützt werden.
Iliillens aber sichert diese Finanzierungsmethode den durch die
• Mündung zu erwartenden Extraprofit und den Ertrag aller künf-
(iiimI österreichischen) Aktienrechts. Die Gründer bedangen sich gewisse Vor-
ii'c hie, zum Beispiel hei Neuemissionen von Aktien aus, die ihnen etwa stets
Ulm Parikurse angeboten werden mußten. Diese Festlegung geriet aber mit
• In Funktion der Mobilisierung des Kapitals in Widerspruch und wurde daher
I" ■iriligt. Das „Berliner Tageblatt" vom 24. September 1907 schreibt dar-
nhi'i : „Wie ein Denkmal einer längst vergangenen Periode ragt in unsere
V'-ii die Institution der Gründerrechte hinein, die noch bei einer Beihe von
M, iii'iigesellschaften besteht. Die Gründerrechte stammen aus einer Zeit, in
(joi das Aktienrecht noch nicht die Entwicklung erreicht hat, auf der es heute
Stuhl Früher galt es als zulässig, den Gründern eines Unternehmens dauernde
1 Icivorteile zu sichern, ein Zustand, der bei dem mobilen Charakter, der
• I ■ 1 Aktie innewohnt, als drückend und ungerechtfertigt empfunden werden
Hie. Bereits die Aktiermovelle von 1884 legte Bresche in das System der
1 11 iinili-rrechte, völlig beseitigt werden diese für Neubildungen von Gesell-
|i Im Ihn durch das Pfandelsgesetzbuch, das seit dem 1. Jänner 1900 Gültigkeit
hui h'reilich hatte das neue Handelsgesetz keine rückwirkende Kraft, und so
In nirlii'ii unverändert die Gründerrechte aus alter Zeit weiter und bringen
■ 11 li, soweit sie nicht durch freiwillige Vereinbarungen abgelöst worden sind,
(11 hv'i'iillich den Aktionären von mit Gründerrechten , gesegneten' Gesell-
•1 Inil ii'u recht unangenehm in Erinnerung . . . Bei den Berliner Elektrizitäts-
Ai n — um eines der Schulheispiele der Wirkung von Gründerrechten zu
iMMihnrn — bestehen Vorrechte der Allgemeinen Elektrizitätsgesellschaft
ihiliui, daß diese jeweils die Hälfte der neu zu emittierenden Aktien zu pari
flliin iirhmeu kann. Der Gewinn, der durch dieses Vorrecht der Allgemeinen
I h In iv.ilätsgesellschaft allein hei der Aktienemission der Berliner Elektrizi-
iviki- in den Jahren 1889, 1890, 1899 und 1904 zufloß, wird auf etwa
!'• Millionen Mark geschätzt. Daß die Gründer respektive ihre Erben ihre
II nlih'i wo ebenen Rechte geltend machen, wird man ihnen nicht verübeln
l 11 Aber es hat sich doch gezeigt, daß die moderne Auffassung vom
Aliiirnwi'sen mit Recht die Beseitigung der ewigen Gründervorteile ver-
lmi/ji "
15c
tigert Errungenschaften und günstigen Konjunkturen den Grün-
dern, den Besitzern der common shares, während der Gewinn dp.«
Publikums, das die preferred besitzt, auf eine feste, den Zins nicht
allzu hoch überschreitende Grenze gesetzt ist. Schließlich wird da-
durch bis zu einem gewissen Punkte der wirkliche Stand des Unter-
nehmens verhüllt, und dieses Dunkel kann leicht zu Schwindel -
haften Operationen ausgenützt werden. Doch hat die Überkapitali-
sierung keineswegs einen Einfluß auf die Preise. Es ist eine merk-
würdige Vorstellung, daß, weil das fiktive Kapital nominell an-
geschwollen ist, die Preisgesetze irgendwie alteriert sein können.
Daß ein großes Aktienkapital den Wunsch erzeugt, hohe Preis«
möchten seine Verzinsung gestatten, ist selbstverständlich. Aber das
Kapital kann auch auf abgeschrieben sein, und kein Kapitalist
wird billiger verkaufen, als er muß, sei er Gebieter eines Prival-
unternehmens, einer einfachen Aktiengesellschaft oder eines Trusts.
1 Das beste und größte Beispiel bietet die Geschichte des amerikanischen
Stahltrusts. (Siehe „Report of the Industrial Commission 1901", vol. XIII,
S. XIV und XV.) Er vereinigte bereits überkapitalisierte Gesellschaften. Der
Report berechnet den „wirklichen Wert", indem er nur die preferred shnrm
der konstituierenden Gesellschaften addiert, was in Wirklichkeit ein Aktien-
kapital ergäbe, das den Paristand einnehmen könnte, und kommt zu dem
Resultat, daß 598 918 111 Dollar nur für „good will" gerechnet sind. Noch
bessere Vorstellung von der „Überkapitalisation", genauer von der Differem
des wirklich fungierenden Kapitals und des Aktienkapitals, gibt folgend»
Angabe der „Frankfurter Zeitung" vom 29. März 1909: „Die Werke in Gnry
werden etwa 100 Millionen Dollar kosten und über 2 Millionen Tonnen Stahl
liefern. Die anderen Werke des Trusts sind mit fast 1500 Millionen Dollur
kapitalisiert und haben eine Leistungsfähigkeit von 10 Millionen Tonnon.
Das Mißverhältnis springt in die Augen." Selbst wenn man berücksichtigt,
daß in dieser Kapitalisation wertvoller Erzbesitz und andere Objekte ein-
geschlossen sind, bleibt das Mißverhältnis noch kolossal.
Das hat aber nicht gebindert, daß der Stahltrust stets die 7 Prozent Divi-
dende auf die preferred shares zahlen konnte und daß auch die common
shares in steigendem Maße Dividenden tragen. Der Trust wurde im Früh-
jahr 1901 gegründet. 1901 bis 1903 war günstige Konjunktur, und die common
shares erhielten 4 Prozent Dividende; 1903 sank die Dividende auf 3 Prozent,
1904 und 1905 fiel die Dividende aus. Jedoch setzte 1905 bereits die Besserung
in der Konjunktur ein, und der Stahltrust hätte gegen 43 Millionen Dollar
IJie Aktiengesellschaft ist eine Gesellschaft von Kapitalisten. Sie
wird konstituiert durch die Einzahlung des Kapitals; der Grad, in
dem jeder Kapitalist an der Konstituierung teilhat, ist gegeben
durch die Größe des von ihm beigesteuerten Kapitals; sein Stimm-
recht respektive seine Verfügungsgewalt richtet sich daher natur-
gemäß nach der Größe seiner Einzahlung. Der Kapitalist ist ja
(Kapitalist nur, soweit er Kapital hat, unterscheidet sich nur quan-
lilaliv von jedem anderen Kapitalisten. Damit ist aber die Ver-
liiKimgsgewalt über das gesamte Unternehmen in die Hand der
llcsitzer der Majorität des Aktienkapitals gegeben. Um über die
Aktiengesellschaft verfügen zu können, ist also nur die Hälfte des
Kapitals notwendig, nicht wie bei der Verfügung über das Privat-
imicrnehmen der Besitz des Gesamtkapitals. Dies verdoppelt die
Macht großer Kapitalisten. Ein Kapitalist, der sein Privatunter-
nilimen (vom Kredit abgesehen) in eine Aktiengesellschaft ver-
<nr Dividendenverteilung übrig gehabt, was die Ausschüttung von8J£ Prozent
Dividende gestattet hätte. Aber der Trust verwendete diesen Betrag zu Ab-
m lin-ibungen, Neuinvestitionen und Reservebildung. 1906 wurden dann
« '«der 2 Prozent gezahlt.
'/.ii den Gewinnen des Stahltrusts stand aber diese Dividende in keinem
inliligen Verhältnis, denn das Jahr 1906 war sehr fett gewesen, und für
I iiviilcnden standen dem Stahltrust fast 100 Millionen Dollar zur Verfügung.
I in von beanspruchte die Auszahlung auf die preferred shares etwa 25 Millio-
iiiii Dollar. Was rechnerisch übrigblieb, waren 14,4 Prozent für die common
ghnres. Während nun die Aktionäre nur 10 166 000 Dollar erhielten, wurden
MI Millionen Dollar für Neubauten auf gewandt (darunter figurierte die zweite
Unii' für das Garystahlwerk mit 21 % Millionen Dollar), und außerdem wurde
ilii Surplusfonds mit 13 Millionen Dollar bedacht. Die gleiche Politik schlu-
l{in die Direktoren auch im Jahre 1907 ein. Es wurde noch mehr verdient als
Im Inlire 1906. Für die Besitzer der common shares stand ein Betrag zur
V ri higung, der 15,6 Prozent Dividende entsprach. Wieder erhielten die
Aliiiuiiiire nur 2 Prozent per Jahr, also ein halbes Prozent per Quartal.
'i I 1 Millionen Dollar wurden für Neubauten verwandt, davon 18% Millionen
I Mlnr für das Garywerk ausgesetzt. Das Surplus erhielt 25 Millionen Dollar.
I Ina Inlir 1907 fiel nun wesentlich dürftiger als seine Vorgänger aus. Immer-
hin wurden auf die common shares des Stahltrusts noch etwas über 4 Prozent
fuji Inlir verdient; die Besitzer erhielten tatsächlich nur 2 Prozent. Für Neu-
l.iniiii'ii wurde nichts ausgeworfen, dagegen dem Surplus über 10 Millionen
156
• ■• 1 1 1 1 1 1 < i ri i ng, Das Finanzkapital
157
wandelt, braucht, um die volle Verfügungsgewalt zu behalten, nur
sein halbes Kapital. Die andere Hälfte wird frei und kann aus din-
sem Unternehmen zurückgezogen werden. Freilich geht dann dlo
Dividende auf diese Hälfte verloren. Jedoch ist die Verfügungi-
gewalt über das fremde Kapital von größter "Wichtigkeit und dl*
Beherrschung des Unternehmens, abgesehen von allem anderen,
von größter Bedeutung für die Beeinflussung der Eigentum»-
bewegung der Aktien auf der Börse.
In der Praxis ist aber der Kapitalbetrag, der zur Beherrschung
der Aktiengesellschaft ausreicht, gewöhnlich noch geringer, bo-
trägt bloß ein Drittel bis ein Viertel des Kapitals und weniger. Dor
Beherrscher der Aktiengesellschaft verfügt aber über das andern,
fremde Kapital wie über sein eigenes. Diese Art der VerfügttB|
deckt sich keineswegs mit der Verfügung über fremdes Kapital
überhaupt. Ist in der kapitalistischen entwickelten Geselle hui I
jedes eigene Kapital durch die Entwicklung des Kredits zugleich
Exponent fremden ausgeliehenen Kapitals - und von der Groß«
des eigenen Kapitals hängt unter sonst gleichen Umständen all
Größe des Kredits ab, die noch rascher wächst als die Größe d«
DoTkr^ugefuhrt, so daß dieses bei Jahresschluß 1908 auf zirka 153% MilMo
neu Dollar angewachsen war. Für das erste Quartal 1909, das im Vergl«ri< N
mit der entsprechenden Vorjahrszeit wieder eine Besserung aufwies, gcgwi
Über den beiden letzten Quartalen 1S0S hauptsächlich infolge des M
Februar am amerikanischen Eisenmarkt erfolgten Preissturzes dagegen
Verschlechterung zeigte, wurde auf die common shares wie seit 190l
halbes Prozent Qnartalsdivider.de gezahlt und über 3 Millionen Dollnt d
Surplnsbestande überwiesen. (Siehe „Berliner Tageblatt" vom 28. Juli 1909 |
Für das zweite Quartal 1909 erklärte der Stahltrust eine QuartalsdivUleni»«
von % Prozent, was einer drei prozenti gen Verzinsung entspricht, und f n,
dritte Quartal eine solche von 1 Prozent, also eine vieiprozentige Verziti
auf die common shares. Da die common shares zu einem großen Teil in
Händen der Gründer geblieben oder aber, soweit sie in die Hände der Spoktl
lation übergegangen waren, su deren beliebtesten Spielpapieren sie züi.U
während und bald nach der Panik von 1907 zu niedrigsten Kursen von dtA
Finanzgruppen zurückgekauft worden waren, ist diese Dividendcnpolilil. I
auf Kosten der Aktionäre den Gewinn jahrelang zurückhielt, um ihi
geeigneten Moment plötzlich auszuschütten, eine ungeheure Bereicherung!«
cpieUe für die den Stahltrust beherrschenden Finanzgruppen gewesen.
158
I i^cnkapitals — , so wird das Eigenkapital des Großaktionärs in
doppelter Hinsicht ein solcher Exponent. Sein Kapital hat die Ver-
lni;ui]g über das der übrigen Aktionäre, und die gesamte Kapitals-
l'i.ill des Unternehmens wird wieder die Attraktion für fremdes
Kapital, Leihkapital, das das Unternehmen aufnimmt.
Von noch viel größerer Wucht aber wird das eine Aktiengesell-
'" h.i 1 1 beherrschende Großkapital, wenn es sich nicht mehr um eine
im/eine Aktiengesellschaft, sondern um ein System voneinander
(IthJin giger Gesellschaften handelt. Gesetzt, Kapitalist N beherrsche
um r > Millionen Aktienbesitz die Aktiengesellschaft A, deren
Uillc.-nkapital 9 Millionen betrage. Diese Gesellschaft gründe eine
I cii hleigeseilschaft B mit 30 Millionen Aktienkapital, von denen
ii I ("i Millionen im Portefeuille behält. Um das Geld für diese
Mi Millionen einzahlen zu können, gäbe A für 16 Millionen fest-
' ii /msliche Obligationen aus, die kein Stimmrecht besitzen. N be-
lli 1 1 .1 hl jetzt mit seinen 5 Millionen beide Gesellschaften, also ein
iwi|iii,-il von 39 Millionen. A und B können jetzt nach denselben
i'i invi|iicn neue Gesellschaften gründen, so daß N mit einem ver-
li.iliniMii.ißig geringen Kapital das Kommando über außerordent-
lii Ii i'iulSr fremde Kapitalssummen erhält. Mit der Entwicklung des
A Ii i mii wesens bildet sich eine eigene Finanztechnik aus, deren Auf-
Ijjilir i ■■; ist, möglichst geringem eigenem Kapital die Beherrschung
iiuiflii hsl großen fremden Kapitals zu sichern. Ihre Vollendung hat
illi'ii Technik bei der Finanzierung amerikanischer Eisenbahn-
et Kinne erfahren.
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ili'laillierte Darstellung der Finanzierungstechnik fällt außerhalb
irns vorliegender Arbeit. Doch wird folgendes typische Beispiel das
.vi-anschaulichen, das die Finanzierung des Bock-Island-Bahnsystems
(Siehe „Frankfurter Zeitung" vom 6. Oktober 1909.) An der Spitze
■ms sieht eine Kontrollgesellschaft (Holding Companj', das heißt
i eine Aktien anderer Gesellschaften besitzende Gesellschaft), die
iml Company, ohne feste Verschuldung mit einem autorisierten
..ii 34 Millionen Dollar preferred und 96 Millionen Dollar common
von ■19,129 Millionen Dollar beziehungsweise 89,733 MillionenDollar
■.iml. Die preferred Aktien allein besjtzen das Stimmrecht. Diese Ge-
hoifiui das gesamte Aktienkapital von 145 Millionen Dollar der Chi-
159
Mit der Entwicklung der Aktiengesellschaften einerseits, mit der
wachsenden Eigentumskonzentration anderseits wächst die Zahl
der Großkapitalisten, die ihr Kapital in verschiedenen Aktiengesell-
schaften angelegt hahen. Starker Aktienbesitz gibt aber die Macht,
sich in der Leitung der Gesellschaft vertreten zu lassen. Als Mit-
glied des Auf sichtsrates erhält der Großaktionär in Form der Tan-
tiemen erstens einen Anteil am Profit 1 , zweitens Gelegenheit, auf
cago Rock Island und Pacific Railroad Company, die außerdem eine feste Vor-
schuldung von 70,199 Millionen Dollar 4prozentiger Collateral Trust Bond«
und 17,361 Millionen Dollar 5prozentiger Collateral Trust Bonds besitzt.
Dies sind Schuldscheine, zu deren Sicherheit andere Effekten bei Treu-
händern als Pfand hinterlegt sind. (Siehe über die Collateral Trust Bondi
Thomas L. Greene, „Corporation Finance", New York 1906.) Diese Railroad
Company erst besitzt zwei Bahngesellschaften: 1. Chicago Rock Island und
Pacific Railway Company. Deren fundierte Schuld beträgt 197,850 Millionen
Dollar; das Aktienkapitel 74,859 Millionen Dollar, wovon 70,199 Million«!
Dollar bei Treuhändern als Unterlage für die erwähnte Emission der 4pro-
zentigen Collateral Trust Bonds der Railroad Company hinterlegt sind.
2. Die St. Louis und San Francisco Railroad Company mit einer fundierlnn
Schuld von rund 227 Millionen Dollar. Das Aktienkapital besteht aus: 5 Mil-
lionen Dollar I. preferred stock, 16 Millionen Dollar II. preferred stock,
29 Millionen Dollar common stock, wovon 28,940 Millionen Dollar von
der Rock Island Company erworben wurden. Diese gab für je 100 Dollor
in Aktien 60 Dollar in eigenen Aktien und 60 Dollar in fünfprozentignn
Collateral Trust Bonds der Chicago Rock Island und Pacific Railroad Com-
pany. Beide große Bahngesellschaften haben nun wieder ihre eigenen Untor-
gesellschaften.
Der Zweck dieser kunstvollen Finanzierung ist klar. Die Kontrolle d»l
ganzen gewaltigen Bahnsystems Hegt bei den allein stimmberechtigten
preferred shares der Rock Island Company. Zur Zeit ihrer Gründung 1902
betrug der Kurswert dieser Titres zwischen 40 und 70 Prozent. Für dl«
27 Millionen Dollar preferred shares, die zur Kontrolle nötig waren, brauch«
ten die Gründer höchstens etwa 15 Millionen Dollar. Dieses Geld genügtt (
um sie zu Beherrschern des ganzen Bahnnetzes zu machen.
1 Die Einnahmen aus Aufsichtsratsstellungen in Deutschland hat
E. Loeb (Das Institut des Aufsichtsrates usw., Jahrbuch für Nation»!«
Ökonomie und Statistik, 3. Folge, XXIII. Bd., 1902) für 1900 auf i
60 Millionen Mark geschätzt. In einer sehr eingehenden Untersuchung üb»!
die Aufsichtsräte der deutschen Aktiengesellschaften in der genannten Ztlt«
tili Verwaltung des Unternehmens Einfluß zu nehmen oder aber
■ I" Kenntnis von den Vorgängen im Unternehmen auszunützen,
«i i rs zu spekulativen, sei es zu anderen geschäftlichen Trans-
fillllmien. Es bildet sich ein Kreis von Personen heraus, die vermöge
ilmi eigenen Kapitalsmacht oder aber als Vertreter der konzen-
ii i'i len Macht fremden Kapitals (Bankdirektoren) als Aufsichtsräte
Im einer großen Anzahl von Aktiengesellschaften vertreten sind. Es
• ni'ilelii so eine Art von Personalunion , einmal zwischen den ver-
«i liieclenen Aktiengesellschaften untereinander und sodann zwischen
iliien und den Banken, ein Umstand, der für die Politik dieser
I ii illschaften von größtem Einfluß sein muß, weil zwischen den
I I in liiedcnen Gesellschaften ein gemeinsames Besitzinteresse sich
l.llilel
Hm ilic Konzentration der Kapitale in einem Unternehmen durch -
«iiluliieii, sammelt die Aktiengesellschaft ihr Kapital aus einzelnen
»lnili (">. Folge, XXXII. Bd., 1906, S. 92ff.) schätzt Franz Eulenburg diese
"■ mif zirka 70 Millionen Mark für 1906. Jede Aktiengesellschaft ver-
ii.ili iliueliscJmittlich e /io Prozent ihres Nominalkapitals als Tantieme, mithin
uliiili </ 1/ rch schnittlich jedes Aufsichtsratsmitglied Vio Prozent. Bei großen
1 1. -.'II',. Imflen ist natürlich dieser Betrag absolut größer, etwa 6000 bis
«mihi Mjuk und mehr. So verteüten die Dresdner Bank 21 000, Feiten & Guil-
Im ".4 000, Dürkopp 10 000, Deutsche Bank 32 000, Hörder Bergwerke
liililil, < ielsenkirchen 8700, Bayrische Hypothekenbank 13 000 Mk. als
I HMlli'inen.
1 I !lo 1 Vrsonalunion ist Anfang oder Ende von zusammengehörigen Ver-
» 1 1 1 1 |i ■ ■ ■ i •• i ■ 1 1 , die aus äußeren Gründen organisatorisch und institutionell ge-
in hui nein müssen, die aber nur in der Zusammenfassung ihrer Kräfte in
Hin i iilieisten gemeinsamen Leitung ihre volle Wirksamkeit entfallen kön-
iii'ii I lie I Vrsonalunion zwischen Osterreich und Ungarn ist der Rest, der aus
ilm '/.eil der ehemaligen Verbindung beider Länder zurückgeblieben, und
• teilen hl nur so weit bedeutungsvoll, als er der Ausgangspunkt einer anders-
Hiiiji.ii Verbindung werden könnte. Die Vereinigung der wirtschaftlichen
liml |inhhselien Organisationen der Arbeiterklasse durch Personalunion in
ilm i nlii-rston Leitung gestattet beiden erst volle Machtentfaltung. Dieselbe
| i«i ln-iiimig der Verbindung wirtschaftlicher und politischer Organisation
fliiilnii wir beim deutschen Grundbesitz im Bund der Landwirte und be-
inmli'ig vollkommen ausgebildet bei den Organisationen der preußischen
I'hIi.ii
160
161
Kapitalstücken, jedes für sich genommen vielleicht zu klein, um
industriell — sei es überhaupt, sei es namentlich in den Industrie-
zweigen, deren Domäne die Aktiengesellschaft ist — zu fungieren.
Es ist aber zu beachten, daß in den Anfängen der Aktiengesellsdiiil'l
diese Sammlung meist durch direkten Appell an die Einzelkap itnli
sten geschieht. Im Fortgang der Entwicklung aber sind die Einzel
kapitale bereits gesammelt und konzentriert in den Banken. Der
Appell an den Geldmarkt geht daher durch die Vermittlung der
Banken.
Keine Bank kann daran denken, das Kapital eines Privatuni er-
nehmers aufbringen zu wollen. Diesem kann sie in der Regel
wesentlich nur „Zahlungskredit" leisten. Anders bei der Aktien-
gesellschaft. Hier das Kapital aufbringen, heißt für die Bank nicht«
anderes als es vorschießen, in Anteile zerlegen und durch Verkauf
dieser Anteile das Kapital zurückerhalten, also ein der Form nach
reines Geldgeschäft G— G 1 machen. Es ist die Ühertragbarkeit und
Negotiabilität dieser Kapitalscheine, die das Wesen der Aktien-
gesellschaft ausmacht, die dann der Bank die Möglichkeit der
„Gründung" und damit der schließlichen Beherrschung der Aktien-
gesellschaft gibt. Ebenso ist hier die Möglichkeit der Bankschulden
viel größer als im Privatbetrieb. Dieser muß im allgemeinen dieso
Schulden aus den Erträgnissen decken können, und diese Schuldon
haben daher eine enge Grenze. Gerade deswegen, wegen ihrer rela-
tiven Kleinheit, lassen sie aber den Privatunternehmer ziemlich
unabhängig. Bei der Aktiengesellschaft besteht aber die Möglich-
keit, diese Bankschulden nicht nur aus den laufenden Erträgnissen,
sondern durch Vergrößerung des Kapitals decken zu können, durch
Emission von Aktien oder Obligationen, deren Ausgabe für diö
Bank dann noch den Gründungsgewinn abwirft. Die Bank kann
daher der Aktiengesellschaft mit größerer Sicherheit wie dem
Privatunternehmen größeren Kredit einräumen, vor allem aber
andersartigen Kredit, Kredit nicht nur zur Zahlungsvermittlung,
also Zirkulationskredit, sondern zur Ergänzung fehlenden Betrieb»-
kapitals, also Kapitalkredit. Denn die Bank vermag, falls es ihr
nötig erscheint, diese Kreditgewährung dadurch einzuschränken,
162
■I 'II 'lern Unternehmen durch Neuemission von Aktien oder Obliga-
i '"Neu neues Kapital zugeführt wird. 1
Nie Bank kann aber der Aktiengesellschaft nicht nur in höherem
Maß« Kredit gewähren als dem Privatuntenehmen, sie kann auch
" ' "" UlTes Geldkapitals für kürzere oder längere Zeit in Aktien
-»■«'Ben. In allen Fällen aber entsteht ein dauerndes Interesse
flw Jtank an der Aktiengesellschaft, die einerseits von der Bank
kontrolliert werden muß, um die richtige Verwendung des Kredits
> JTvvnhrleisten, anderseits von der Bank möglichst beherrscht wer-
j«l -u,ß, um all die gewinnbringenden finanziellen Transaktionen
mi Hank zu sichern.
Aus diesen Interessen der Banken entspringt das Bestrehen die
Ulli™ Seilschaften, an denen sie interessiert sind, dauernd zu
»bi rwachen, was am besten durch die Vertretung im Aufsichtsrat
»ichchen kann. Diese Vertretung gewährt zugleich die Garantie
■' ■<■ »he Gesellschaft auch alle übrigen finanziellen Transaktionen,
I mit dem Emissionsgeschäft zusammenhängen, durch die Bank
n läßt Anderseits sucht die Bank, um das Risiko zu ver-
I Rj n und ihren Geschäftskreis zu erweitern, mit möglichst viel
' ■' ""scharten zu arbeiten und damit zugleich auch in deren Auf-
'"•" Vertreten zu 8ehl - Bk Verfügung über Aktienbesitz gibt
Mifl Möglichkeit, eventuell auch in ursprünglich widerstreben-
'■"sehnen eine Vertretung durchzusetzen. So entsteht
■ eine Tendenz zur Kumulierung solcher Aufsichtsrats-
|,; '" 1(lere Rolle spulen die Vertreter der Industrie m den Auf-
tl.l.i.r..ien; hier handelt es sich um Anknüpfung von Geschäft»-
!W/.el...i. S en zwischen zwei Gesellschaften. So wenn der Vertreter
.Stark* Bankschulden Am PriTatuntemelunens sind daher oft die Vor-
1 N »mer Umwandlung in B ine Aktiengesellschaft
'■.roßten suchen „ihre Verbindungen mit industriellen Unter-
-.. nach Ort und Gewerbeart nächst Welse.tig „ gesta l ten , die
■-» «•■ « >n der örtlichen nnd gewerblich Vm.ih.ng die aid / aus
■»■■hie der einten Institute erklärt, m ehr und Jl m hesttg^
' '""<* ^ « *« B ~*eben, die Indus tri eWiehnngen „ W
f ' "^ Iare <*—' ^ Geschäftsverbindung und ihnen Ausdruck
163
eines Eisenwerkes im Aufsichtsrat einer Kohlenzeche sitzt und dar-
auf hinwirkt, daß das Eisenwerk seine Kohle von dieser Zecbii
bezieht.
Diese Personalunion, die zugleich eine Kumulierung von Auf-
sichtsratsstellen in der Hand einer kleinen Anzahl von Großknpi-
talisten bedeutet, wird wichtig, sobald sie Vorläufer oder Beförderer
engerer organisatorischer Verbindung zwischen bisher voneinander
unabhängigen Gesellschaften wird.
und die Möglichkeit der Erweiterung und Vertiefung zu geben durch ein
vereinigtes System der Besetzung von Aufsichtsratsstellen". Jeidels, a. a. O.,
S. 180.
Jeidels gibt folgende Tabelle (für 1903): Es waren bei Aktiengesellschaften
vertreten:
Die
Deutsche
Bank
mit
Di*-
konto-
Gesell-
ichaft
Daim-
städter
Bank
Dresd-
ner
Bank
Schaaff-
hausenscher
Bankverein
Berliner
Handels-
gesell-
schaft
durch
Direktoren
durch eigene
Aufsichtsräte
101
130
ei
51
50
53
SO
60
40
34
221
101
133
130
74
92
Im ganzen verfügten also die sechs Berliner Großbanken allein über
751 Aufsichtsratsstellen.
Nach dem neuesten Adreßbuch der Direktoren und Aufsichtsratsmit-
glieder (1909) gibt es in Deutschland 12 000 solche Stellen. 2918 Aufsichti-
ratsstellen aber sind in der Hand von nur 197 Personen. Den Rekord hiilt
Herr Karl Fürstenberg von der Berliner Handelsgesellschaft mit 44 Man-
daten; Herr Eugen Gutmann von der Dresdner Bank hat 35 Stellen innn.
Überhaupt ist von den verschiedenen Berufen, die unter den Auf sichtsra ti-
mitgliedern vertreten sind, der Bankberuf am stärksten vertreten, und auf
diesen fällt daher die stärkste Kumulierung. Detaillierte Angaben darüber bnl
Eulenburg 1. c.
Dieselbe Erscheinung natürlich in den Vereinigten Staaten. 1906 war die
Firma J. P. Morgan & Cie. vertreten im Board von 5 Banken, 50 Bahnen,
3 Schiffahrtsgesellschaften, 8 Trustgesellschaften, 8 Versicherungsgesell-
schaften und 40 industriellen Unternehmungen. Steinitzer, a. a. O., S. 158.
1 Dagegen spielt die Aufsichtsführung im Sinne der juristischen Fiktion
gar keine Rolle. So sagte der Vorsitzende in der Generalversammlung der
„Elektrische Licht- und Kraftanlagen-Aktiengesellschaft in Berlin" gerade-
zu: „Die Idee, daß irgendein Aufsichtsrat oder das Mitglied eines Aufsichli-
164
>'. Aktiengesellschaft und Individualunternehmung
I l!ü Aklicngesellschaft appelliert also bei ihrer Gründung nicht
'"' n ' laliv schmale Schicht der fungierenden und funktions-
1 '■ " Kapitalisten, die die Eigentumsfunktion mit der Unter-
en Im,,, Funktion vereinigen müssen. Sie ist von diesen persönlichen
'' " ilen im v °rWin unabhängig und bleibt es während ihres
l»' »lohuns. Tod, Erbteilung usw. ihrer Besitzer üben auf sie keinen
I ■'"ll-iM. Aber dies ist kein entscheidender Unterschied gegenüber
•I" Imlividualunternehmung, die von einem gewissen Grad der
Kai wi, kJung an die persönlichen Qualitäten, die ihrem Eigentümer
»ülH, ft „, durch die bezahlter Angestellter ersetzen kann. Praktisch
■■"""gdos ist auch ein anderer Gegensatz, der in der Literatur
- h ,h hm Aktiengesellschaft und Privatunternehmen gemacht wird ;
'' sd,alte einmal ein subjektiv voll verantwortlicher, ganz un-
«W.NiiKiger Unternehmer, der aber auch voll interessiert sei, wäh-
,(,s «nderemal eine Menge wenig unterrichteter, einflußloser
' ""' ,,mer (Aktionäre) gebiete, die nur zum Teil interessiert
Mm und nichts von der Leitung verstünden. Denn die Aktien-
1 Ihdl;l - rte n, und gerade die wichtigsten, erträgnisreichsten und
'" '" '''lindsten, werden von einer Oligarchie oder sogar nur von
'" ' ; '"ßkapitalisten (oder einer Bank) beherrscht, die in Wirk-
I" l.lu-ii «henfaUs voll interessiert und von der Masse kleiner Aktio-
D»r, ii„,-,l,l,ängig sind. Dazu kommt, daß die Leiter, die Spitzen der
""lH..l,„llon Bürokratie, sowohl durch die Tantiemen als auch, und
• hl.
Im
iwl,
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I du* l,m könne, was das Gesetz ihnen vorschreibe, sei irrig. Die Gesetz-
! »■ Milien nicht, was sie taten, als sie dieses Gesetz machten. Man stelle
>•■', .1,0 ein Mitglied des Atifsiditsrates oder der Aufsichtsrat überhaupt
"",-, „„serer großen Gesellst f tPn die sämtlichen Zweige des Unter-
'"■"•• "„ch nur an einem Tag verfolgen solle. Während der Mann an
i »loMe kontrolliere, könnten an zehn anderen die größten Fehler be-
P » Wrfcn, Der Aufsichtsrat könne die großen Richtlinien angeben
« ' I' !"■', e,ne Gesellschaft geleitet werden soll. Er könne die Direktion
'•'•U ,«en, daß sie nichts gegen Gesetz und Statuten tue. Die Einzei-
" dar Revision seien Sache der Revisionsgesellschaften." („Berliner
BloU" vom 28. November 1908.)
165
vor allem, durch in der Regel ausgedehnten Aktienbesitz an dein
Unternehmen interessiert sind.
Viel wichtiger ist der sachliche Unterschied: der Appell an den
Geldmarkt ist ein Generalappell an alles, was Geld hat, Geld hier
zugleich als Verfügung über Kredit genommen. Die Aktiengesell-
schaft ist unabhängig von der Größe des Einzelkapitals, das in einer
Hand erst vereinigt sein muß, um als Industriekapital eines Privnl-
unternehmens fungieren zu können. Es ist nicht nur der Kreis der
Personen erweitert - Geldkapitalist kann jeder sein, der Geld hat -,
sondern es ist jetzt auch jede Geldsumme über ein gewisses Mini-
mum hinaus (das bekanntlich bloß ein paar Schillinge zu betragen
braucht) befähigt, in einer Aktiengesellschaft mit anderen vereinigt
und als industrielles Kapital angewendet zu werden. Das gibt der
Aktiengesellschaft von vornherein eine ganz andere Leichtigkeit
der Gründung als dem Privatunternehmen und der schon bestehen-
den eine viel größere Expansionskraft.
In dieser Eigenschaft der Zusammenfassung von Kapital erfüllen
die Aktiengesellschaften eine ähnliche Funktion wie die Banken.
Der Unterschied ist der: Das in den Banken angesammelte Kapitr.1
behält die ursprüngliche Form von Geldkapital bei und wird durch
den Kredit nach seiner Zusammenfassung der Produktion zur Ver-
fügung gestellt. Bei den Aktiengesellschaften wird das zersplitterte
Geldkapital vereinigt in der Form des fiktiven Kapitals. Man darf
übrigens nicht meinen, daß die Zusammenfassung kleiner Kapita-
lien die nur Bruchstücke großer zu sein brauchen, dasselbe ist wie
die Beteiligung kleiner Kapitalisten. Die kleinen Kapitale können
recht großen Kapitalisten gehören. Kleine Kapitalien kleiner Kapi-
talisten werden mehr durch die Banken als durch die Aktiengesell -
schaft vereinigt. .
Zu der Leichtigkeit der Kapitalbeschaffung geseUt sich die Leich-
tigkeit der Akkumulation. Beim Privatunternehmen muß die Akku-
mulation aus dem Profit bestritten werden. Ein Teil des Profiti,
der nicht konsumiert wird, was von vornherein eine gewisse Groß«
des Unternehmens voraussetzt, wird als latentes Geldkapital an-
gesammelt, bis seine Größe zur Neuanlage und Erweiterung dci
166
Mi I liebes ausreicht. Demgegenüber wird in der Aktiengesellschaft
allerdings die Dividende zunächst an die Aktionäre weggezahlt.
Alu t auch hier ist die Möglichkeit vorhanden, Teile des Profits,
iiiiiiirntlich bei hohen, über den Durchschnittszinssatz erheblich
Inii.'iiisgchenden Dividenden, zu akkumulieren. Aber vor allem wird
ihr Kr Weiterung unabhängig von der eigentlichen Akkumulation
Hut den eigenen Erträgnissen des Betriebes und kann direkt durch
I. i| ii l.ils Vermehrung vollzogen werden. Die Schranke des Wachs-
liiin:; des Privatbetriebes — die Größe des im Betriebe selbst erzeug-
ii n Profits — ist gefallen. Die Wachstumsenergie der Aktiengesell-
ili.ill ist damit eine bedeutend größere als die der Privatunter-
iH'lniiimg. Der Aktiengesellschaft steht für ihre Vergrößerung
i Im iimi wie für ihre Gründung das gesamte freie Geldkapital zur
Verfügung. Sie vergrößert sich nicht bloß aus der Akkumulation
iIh o« eigenen Profits. Das gesamte akkumulierte und nun nach Ver-
itniiing strebende Geldkapital ist das Wasser, das sie auf ihre
Mühle leiten kann. Die Schranken, die aus der individuellen Zer-
■ |iliiliTimg des Kapitals unter seine gleichgültigen und zufälligen
I i fi'fji'i- entspringen, sind aufgehoben. Die Aktiengesellschaft appel-
ln 1 1 unmittelbar an das vereinigte Kapital der Kapitalistenklasse.
I )ie Unabhängigkeit vom Einzelkapital macht die Größe der
I hiiei nehmung unabhängig von der Größe des bereits in einer
i mi/i;m'ii Hand akkumulierten Reichtums und erlaubt ihr — ohne
Um li:;i<ht auf den bereits eingetretenen Grad der Vermögens-
I /inlration — , das Unternehmen auszuweiten. So werden durch
ihr Akliengesellschaft Unternehmungen erst möglich oder wenig-
(IlrtiiM in dem erforderlichen Umfang möglich, die durch die Größe
lliir.'i K.ipitalerfordernisses dem Privatunternehmer unzugänglich
hui im, daher entweder unterblieben oder vom Staate ausgeführt
im ■ i «I i -ii mußten, also dem direkten Einfluß des Kapitals entzogen
lilnlieii. Das bedeutendste Beispiel bilden hier bekanntlich die
I I inenhalmen, die am mächtigsten die Verbreitung der Aktiengesell-
mlnilieii gefördert haben. Diese Bedeutung der Aktiengesellschaft,
illo |iei sönliche Schranke des Eigentums zu sprengen, gleichsam nur
iliinh die Größe nicht des persönlichen, sondern des gesellschaft-
167
liehen Kapitals in ihrem Umfang beschränkt zu sein, hat nament-
lich in ihren Anfängen die größte Wichtigkeit.
Die Expansion des kapitalistischen Unternehmens, das Aktien-
gesellschaft geworden ist, kann jetzt, losgelöst von der Fessel dos
individuellen Eigentums, rein nach den Anforderungen der Technik
erfolgen. Die Einführung neuer Maschinerie, die Aufnahme ver-
wandter Produktionszweige, die Ausnützung von Patenten erfolgt
nur mehr nach dem Gesichtspunkt ihrer technischen und ökono-
mischen Angemessenheit. Die Sorge um Aufbringung des nötigen
Kapitals, die beim Privatunternehmen eine Hauptrolle spielt, seine
Expansionskraft einschränkt, seine Schlagfertigkeit und steto
Kriegsbereitschaft vermindert, tritt zurück. Konjunkturen können
hesser, gründlicher und rascher ausgenützt werden, ein wichtiger
Gesichtspunkt namentlich dann, wenn die Dauer günstiger Kon-
junkturen sich verkürzen sollte.
1 Wenn hier von gesellschaftlichem Kapital gesprochen wird, so ist die»
in diesem Sinne gemeint: Der Privatunternehmer ist beschränkt durch die
Größe des Einzelkapitals, die Aktiengesellschaft durch die Größe des ganzen
in der kapitalistischen Gesellschaft vorhandenen, zu neuer Verwertung freien
Geldkapitals.
* „Die Aktiengesellschaft ist die schärfste und sicherste und deshalb
bevorzugteste Waffe, welche die kapitalistische Wirtschaftsordnung zur
Durchfechtung ihrer Konzentrationstendenzen zur Verfügung hat. Stellt
doch schon die Aktiengesellschaft selbst eine vollendete Konzentration dar:
eine Zusammenfassung kleiner und zersplitterter, an sich von produktiver
Verwertung mehr oder weniger ausgeschlossener Vermögensteile in einor
Gesamtkapitalmasse, welche als solche unter einheitlicher Leitung wirt-
schaftliche, also produktive Zwecke zu verfolgen bestimmt und geeignet ist.
Die Aktiengesellschaft übt denn aber auch infolge der leichten Veräußerlich-
keit und Vererblichkeit der Anteile, ferner infolge der durch die fast völlige
Loslösung von der Person des Unternehmers in viel höherem Grade als bei
den anderen Unternehmungsformen gewährten Wahrscheinlichkeit längerer
Lebensdauer, endlich infolge der (theoretischen) Unbegrenztheit der auf du»
zusammengefaßte Kapital zu erwartenden Dividende eine ungemein stark«
Attraktionskrajt auf verfügbare Kapitalien aus. Sie besitzt also in höherem
Grade als jede aridere Untemehmungsform die Möglichkeit, ihre Kredit-
und Erweiterungsbedürfnisse durch Kapitalerhöhungen zu befriedigen. Di«
Leichtigkeit der Kapitalbeschaffung aber ruft naturgemäß wieder die Tendern
Die angeführten Momente werden von Bedeutung im Kon-
Uuenzkampf. Wir haben gesehen, wie bei der Aktiengesellschaft
•Im- I .eichtigkeit der Kapitalbeschaffung eine ganz andere ist als bei
'l-ni Privatunternehmer!. Die Aktiengesellschaft hat so die Möglich-
I" il, die Einrichtung ihres Betriebes nach rein technischen Rück-
en hten zu treffen, während der Individualunternehmer dabei fort-
während an die Schranke stößt, die ihm die Größe seines Kapitals
( lebt. Dies gilt auch dann, wenn er Kredit benützt, da dessen Größe
' ll, " h die Größe seines Eigenkapitals begrenzt ist. Die Aktiengesell -
'" haft dagegen ist sowohl bei der Gründung als auch namentlich bei
•I. i Krweiterung und bei Neuanlagen an diese Schranke des persön-
Uchao Eigentums nicht gebunden. Sie kann daher die besten und
neuesten Errungenschaften sich aneignen und ist auch in dem Zeit-
punkt, in dem sie Neuanlagen macht, viel unabhängiger als der
l'i iv.il Unternehmer, der warten muß, bis sein Profit akkumulations-
1 ff° Größe erreicht hat. Die Aktiengesellschaft kann also tech-
'"•■'h überlegen eingerichtet werden und, was fast ebenso wichtig
Ut, diese technische Überlegenheit stets festhalten. Das bedeutet
'' ; " lch > daß si e imstande ist, technische Errungenschaften,
arhcil sparende Methoden anzuwenden, bevor sie allgemein ge-
u (ii den sind; die Aktiengesellschaft kann so gegenüber dem Privat-
'"»'limen erstens auf größerer Stufenleiter, zweitens mit ver-
'""•■-I ler und neuerer Technik arbeiten und wird so diesem gegen-
über einen Extraprofit erzielen können.
I hzu kommt die große Überlegenheit, die die Aktiengesellschaft
in der Benützung des Kredits vor dem Individualunternehmer vor-
.(,, Kupitalvergrößerung hervor, und zwar deshalb in immer steigendem
V " is > weil es sowoh l auf dem Gebiete der Industrie wie des Handels
' '""'' des Bankwesens ein wirtschaftliches Gesetz zu sein scheint, daß
'"rr'-ltes Kapital mehr als doppelte Produktion beziehungsweise mehr
S/i 'loppellen Umsatz (Anmerkung: Aber nicht ohne weiteres auch doppelte
,( '" ilHt ) ermöglicht und daß schon deshalb die Tendenz zur Kapital-
>■,,■, „{Irrung sich verstärkt mit dem Wachstum dieses Kapitals und somit
!••' K rolleren Kapitalien relativ weit bedeutender ist als bei kleineren."
" r ' " Zur Entwicklungsgeschichte der deutschen Großbanken"
'i 1.52 '
168
169
aus hat und auf die in diesem Zusammenhang noch kurz verwiesen
werden muß.
Der Privatunternehmer wird in der Regel nur Kredit im Höchst -
betrag seines zirkulierenden Kapitals in Anspruch nehmen können.
Jede weitere Kreditgewährung würde das kreditierte Kapital in
fixes industrielles Kapital verwandeln und ihm damit auch für den
Leihkapitalisten de facto den Charakter von Leihkapital nehmen.
Der Leihkapitalist würde einfach verwandelt sein in einen indu-
striellen Kapitalisten. Daher kann der Kredit an Privatunternehmer
auch nur gewährt werden von Personen, die mit allen Verhältnissen
und Geschäftsgebarungen der Industriellen vertraut sind. Der
Kredit an das Privatunternehmen unterstellt den kleinen lokalen
Bankbetrieb, den Privatbankier, als genauen Kenner der Geschäfts-
beziehungen seiner Kunden.
Die Aktiengesellschaft erhält leichter Kredit, weil die Art ihrer
Organisation die Überwachung außerordentlich erleichtert durch
einfache Delegierung eines Vertrauensmannes der Bank. Hier ist
der Privatbankier auszuschalten durch einen Bankbeamten. Dann
aber ist die Kreditgewährung an die Aktiengesellschaft in viel
größerem Umfang möglich, da die Aktiengesellschaft sich leicht
Kapital beschaffen kann. Es besteht nicht die Gefahr, daß der in
Anspruch genommene Kredit immobilisiert wird. Selbst wenn er in
der Tat von der Aktiengesellschaft zur Anschaffung von fixem
Kapital benützt würde, kann die Aktiengesellschaft doch bei gün-
stiger Gelegenheit ohne Rücksicht auf den wirklichen Rückfluß
des fixen Kapitals durch Ausgabe von Aktien das Kapital mobilisie-
ren und es zur Rückzahlung der Bankschulden verwenden. In der
Tat auch ein alltäglicher Umstand. Beide Umstände aber, die leich-
tere Beaufsichtigung und der Wegfall der Kreditbeschränkung auf
das zirkulierende Kapital, geben der Aktiengesellschaft die Mög-
lichkeit weit stärkerer KreditbenüLzung und damit eine neue Über-
legenheit im Konkurrenzkampf.
Die ökonomische Überlegenheit der leichteren Kapitalbeschaf-
fung bei der Gründung und der leichteren Ausdehnungsfähigkeit
bringt so eine technische Überlegenheit mit sich.
Die Aktiengesellschaft ist aber vermöge ihrer Konstitution auch
uliorlcgen im Preiskampf.
Wir haben gesehen, daß der Aktionär den Charakter des Geld-
li.i|iiialisten hat, von seinem angelegten Kapital nur Zins erwartet.
Trotz des Gründergewinnes, trotz Verringerung des Profits durch
Ol liölite Verwaltungskosten, Tantiemen usw. mag im Verlauf einer
l',n listigen Entwicklung das Erträgnis den Zins weit übertreffen.
Dies gesteigerte Erträgnis braucht, wie wir gesehen haben,
durchaus nicht immer den Aktionären zugute zu kommen. Ein Teil
desselben mag zur Stärkung des Unternehmens, zur Reserven-
liiMung verwendet werden, die dann in Krisenzeiten der Aktien-
i;i";cllschaft einen stärkeren Rückhalt verschafft gegenüber dem
l'uv.it unternehmen. Gleichzeitig ermöglichen hohe Reserven eine
Blüligcre Dividendenpolitik und erhöhen dadurch den Kurs der
Aktien. Oder es kann aus diesem Erträgnis ein Teil akkumuliert,
das wirklich fungierende, Profit produzierende Kapital also erhöht
uii den ohne Erhöhung des Nominalkapitals. Auch das steigert, und
in noch höherem Maße als die Reservenbildung, den wirklichen
Will der Aktie. Diese Steigerung, die sich vielleicht erst in einem
"l'.ilrn.'n Zeitpunkt manifestiert, kommt den großen und bleibenden
A li I ionären zugute, während die kleinen und häufig ausscheidenden
I li-.il /er dazu mit dem Verlust eines Teiles ihres Gewinns beitragen
mußten.
Tritt aber eine ungünstige Konjunktur ein und verschärft sich
«li t Konkurrenzkampf, so kann eine Aktiengesellschaft, bei der
iIhmIi eine solche Dividendenpolitik die ursprüngliche Differenz
mv im hon Aktienkapital und wirklich fungierendem Kapital stark
ui mindert oder völlig geschwunden ist, ihre Preise unter den Pro-
tluklionspreis k + p reduzieren auf einen Preis =k + z (Kostpreis
I /ins) und wird dann noch immer eine Dividende gleich oder
\M'ni;; unter dem Durchschnittszins verteilen können.
I >ic Widerstandskraft der Aktiengesellschaft ist dadurch viel
ijmßiT. Der Einzelunternehmer wird das Bestreben haben, den
I »um lisehnittsprofit zu realisieren. Produziert er weniger, so wird
i'i dm, -inf bedacht sein, sein Kapital zurückzuziehen. Dies Bestreben
170
171
ist bei der Aktiengesellschaft gar nicht in diesem Maße vorhanden,
wenigstens nicht hei der Leitung, aber auch nicht bei den Besitzern.
Der Privatunternehmer muß aus dem Erträgnis seinen Leben» •
unterhalt bestreiten; sinkt sein Profit unter eine gewisse Grcna«,
so werden ihm die Betriebsmittel ausgehen, da er einen Teil sein«,
Kapitals zu seinem Unterhalt verbraucht. Er macht Bankrott.
Anders die Aktiengesellschaft. Sie hat das Bestreben, das Aktion-
kapital zu verzinsen. Aber die Aktiengesellschaft kann überhaupt
so lange bestehen, als sie nicht mit Verlust arbeitet. Der Zwang, mit
Reinertrag zu arbeiten, besteht für sie überhaupt nicht 1 , nämlich
ein unmittelbar zur Katastrophe führender Zwang, der für den
Einzelkapitalisten in der Verringerung seines Kapitals durch seinen
Konsum und dem Unzureichendwerden seines Kapitals exist.ort.
Dieser Zwang wirkt vielleicht auf den Aktionär und zwingt ihn,
die Aktie zu verkaufen. Aber dieser Verkauf läßt das fungierend«
Kapital unberührt. Ist der Reingewinn nicht verschwunden, son-
dern nur geschmälert, so kann die Aktiengesellschaft auch auf dlo
Dauer weiterbestehen. Ist der Reingewinn unter den Durchschnitt! •
satz der Dividende gefallen, so wird der Preis der Aktie fallen. Dlo
neuen Käufer ebenso wie die alten Besitzer berechnen jetzt das Er-
trägnis auf ein niedrigeres Kapital. Der Kurswert der Aktie i.t
gesunken, aber das Unternehmen, das vom Standpunkt des mdu-
striellen Kapitalisten unrentabel geworden, da es nicht mehr den
Durchschnittsprofit erzeugt, ist für die neuen Käufer durcliaui
rentabel und die alten Besitzer würden bei völliger Einstellung nur
noch mehr verlieren. Aber auch die mit Verlust arbeitende Aktion-
" r~ Namenüi ch über die Konkurrenz der Aktiengesellschaften hat dl»
Kommission von 1886 besonder* viele Klagen zu hören bekommen; mM
Zeunn beuteten, die Hauptursache der niedrigen Warenpreise be.t.llt
darin daß in vielen Produktionszweigen Aktiengesellschaften eine üb.r-
mäßige Verbreitung gefunden lüill«. Diese könnten zu arbeiten ^fahr...,
selbst ohne einen Profit, da im Interesse der Leute, welche die Geschäft«
leiten (des Vorstandes, des Aufsichtsrates usw.), eine Weiterfuhrung d.f
Produktion ohne Rücksicht auf ihre Rentabilität hege." Tugan-Baranow.W,
„Studien zur Theorie und Geschichte der Handelskrisen m England ,
Jena 1901, S. 162.
172
8 füc II schaft ist widerstandsfähiger. Während der Privatunter-
nehmer in diesem Falle gewöhnlich verloren, der Bankrott
Unausbleiblich ist, kann die Aktiengesellschaft verhältnismäßig
Wahl „reorganisiert" werden. Denn ihr macht es die Leichtigkeit
ili-i Kapitalsbeschaffung eher möglich, die Summen aufzubringen,
■ I ii- zur Fortführung und Sanierung nötig sind. Die Aktionäre müs-
rn in der Regel zustimmen. Im Aktienpreis ist ja dieser Stand des
I 'nlrinehmens ausgedrückt. Sie müssen den tatsächlichen Verlust
Uni- ;iuch nominell ausdrücken. Das Aktienkapital wird herab -
Ci'M'lv.l; das heißt, das Erträgnis verteilt sich auf ein geringeres
Knpitiü, ist diesem alsdann angemessen. Oder wenn kein Erträgnis
il.i ist, so wird neues Kapital aufgebracht, das, mit dem minderbe-
\\ i-i Löten alten zusammengenommen, nunmehr genügenden Ertrag
iiliwiiTt. Nebenbei sei bemerkt, daß diese Sanierungen und Reorga-
ii r.,it innen für die Banken von doppelter Bedeutung sind: erstens als
fr wiii abringendes Geschäft und zweitens als eine Gelegenheit,
<<<>!< 1 1 4- notleidenden Gesellschaften von sich in Abhängigkeit zu
In Ingen.
Die Trennung des Kapitaleigentums von seiner Funktion ist auch
nnl die Führung des Betriebes von Einfluß. Für die Leiter der
Milirngcsellschaft können bis zu einem gewissen Grade die Inter-
i mifii des Eigentümers auf Erzielung eines möglichst großen und
i im hui Profits, der Drang zum Raubbau, der in jeder Kapita -
liNhnsede schlummert, zurücktreten hinter die rein technischen
Im Inidcrnisse, die der Betrieb stellt. Sie werden in energischerer
Am, ;ils es der Privatunternehmer tut, die Ausgestaltung des Be-
ll nhrs, die Modernisierung veralteter Einrichtungen, auch die
liihiuiig des Konkurrenzkampfes um Eroberung neuer Gebiete
Ijni reiben, trotz der Opfer, die die Befriedigung ihrer Forderungen
ihr Aktionäre kostet. Es wird bei der Verwaltung des fremden
Kn|iil.'ils ein energischerer, kühnerer und rationellerer, von persön-
hi hin Hücksichten freierer Zug sich geltend machen, um so mehr,
hIm lim: solche Politik auch die Zustimmung der großen, herrschen-
den Alilionäre in der Regel finden wird, die die vorübergehenden
I ihm hiänkungen ihres Profits leicht ertragen können, während sie
i ( Mllfoifjing, Das Finanzkapital
175
schließlich in erhöhtem Kurs und erhöhtem Profit auch die Frucht.«
der Opfer einheimsen, die die kleinen Aktionäre, die schon längst
ihren Besitz veräußert haben, gleichfalls bringen mußten.
Die Aktiengesellschaft ist darin dem Individualunternehmen
überlegen, daß bei ihr die rein ökonomischen Bedingungen
und Bedürfnisse sich durchsetzen auch gegen die Bedingungen
des individuellen Eigentums, die unter Umständen in Wider-
spruch zu den technisch-ökonomischen Erfordernissen geraten
können.
Die Konzentrationsbewegung des Kapitals wird ständig begleite!
von der Loslösung von Kapitalteilen, die als neue selbständige
Kapitale fungieren. „Eine große Bolle spielt dabei unter anderm
die Teilung des Vermögens in Kapitalistenfamilien . . . Die Akku-
mulation und die sie begleitende Konzentration sind also nicht nu r
auf viele Punkte zersplittert, sondern das Wachstum der funk-
tionierenden Kapitale ist durchkreuzt durch die Bildung neuer und
die Spaltung alter Kapitale. Stellt sich die Akkumulation daher
einerseits dar als wachsende Konzentration der Produktionsmittel
und des Kommandos über Arbeit, so andrerseits als Repulsion vieler
individueller Kapitale voneinander."
Mit der Ausdehnung des Aktienwesens löst sich so die ökono-
mische Entwicklung los von den individuellen Zufälligkeiten der
Eigentumsbewegung, die in dem Schicksal der Aktien, nicht der
Aktiengesellschaft, erscheint. Die Konzentration der Unternehmun ■
gen kann also rascher erfolgen als die Zentralisation des Eigentum:).
Beide Bewegungen haben ihre eigenen Gesetze. Doch ist die Kon-
zentrationstendenz bei beiden vorhanden. Bei der Eigentums-
bewegung erscheint sie nur zufälliger und weniger zwingend und
wird auch in der Tat oft durch Zufälligkeiten durchkreuzt. Es ist!
dieser Schein, der manche veranlaßt, von einer Demokratisierung
des Eigentums durch die Aktie zu reden. Die Trennung der indu-
striellen Konzentrationsbewegung von der Eigentumsbewegung ist
wichtig, weil dadurch die erstere nur mehr den technisch-ökonomi-
schen Gesetzen zu folgen braucht, unabhängig von der Schranke doi
»~Marx, „Kapital", I., S. 589 ff. (Neuausgabe S. 658/659. Die Red.)
174
Individuellen Eigentums. Diese Konzentration, die nicht zugleich
I' il'iiiliimskonzentration ist, muß unterschieden werden von der
Konzentration und Zentralisation , die durch Eigentumsbewegung
iinil mit ihr zugleich erfolgt.
I )nrch die Verwandlung des Eigentums in Aktieneigentum wird
doi Eigentümer zum Eigentümer minderen Rechts. Als Aktien-
bi Ml/er ist er abhängig von den Entschlüssen aller anderen Aktien-
I" mI /er; er ist nur ein Glied (wenn auch nicht gerade immer ein
dienendes) einer Gesamtheit. Mit der Ausdehnung des Aktien-
vmm'ms wird so das kapitalistische Eigentum immer mehr zu sol-
chem beschränkten Eigentum, das dem Kapitalisten nur einen
bloßen Mehrwertstitel gibt, ohne ihm zu erlauben, entscheidend in
iliu Gang der Produktion einzugreifen. Diese Beschränkung gibt
iiln i zugleich dem Besitzer der Aktienmajorität die unumschränkte
1 1' 1 1 schaft über die Minorität, und so wird das Eigentum der größ-
Imi Zahl der kleinen Kapitalisten immer mehr beschränkt, die un-
iini \c h rankte Verfügung über die Produktion beseitigt, der Kreis
d'.'i I 'i oduktionsbeherrscher stets enger; die Kapitalisten bilden eine
• li tellschaft, in deren Leitung die meisten von ihnen nichts drein-
■HMilin haben. Die wirkliche Verfügung über das Produktions-
li i|nl.il steht Leuten zu, die nur einen Teil desselben wirklich bei-
I r.hiicrt haben. Die Besitzer der Produktionsmittel existieren nicht
mein- als einzelne, sondern sie bilden eine Gesellschaft, von der der
i m/eine nur die Forderung auf den aliquoten Teil des Erträg-
ihv.cs hat.
4. Die Emissionstätigkeit
A Is Vermittler des Wechselverkehrs substituieren die Banken
II i ii k k rcrlit dem kommerziellen Kredit. Als Vermittler der Ver-
w Ilimg von brachliegendem Geld in Geldkapital führen die Ban-
I" n den produktiven Kapitalisten neues Kapital zu. In einer dritten
I iinklion führen die Banken gleichfalls den Produktiven Kapital
1 Slclio über den Unterschied dieser beiden Begriffe Marx, „Kapital", I.,
'. VH II. (Neuausgabe S. 660/661. Die Red.)
175
zu, aber nicht, indem sie es ihnen leihen, sondern indem sie Geld
kapital in industrielles Kapital und in fiktives Kapital verwandeln
und diese Umwandlung seihst vornehmen. Einerseits führt die Eni -
wicklung immer mehr dazu, daß alles Geld in den Banken zu-
sammenströmt und nur durch ihre Vermittlung in Geldkapital ver-
wandelt werden kann. Anderseits hört durch die Verwandlung de*
Bankkapitals in industrielles das Kapital auf, in Geldform zu exi-
stieren, und hört damit auf, geeigneter Bestandteil des Bankkapital«
zu sein. Diesen Widerspruch löst die Mobilisierung des Kapitals,
seine Verwandlung in fiktives Kapital, in kapitalisierte Erträgnis-
anweisungen. Da gleichzeitig mit dieser Verwandlung sich der
Markt für diese Anweisungen entwickelt, sie damit jederzeit in
Geld verwandelbar werden, können sie Bestandteil des Bankkapitals
selbst werden. Die Bank geht hier kein Kreditverhältnis ein, sie
realisiert auch keinen Zins. Die Bank stellt nur das zur Verwand-
lung in industrielles Kapital bestimmte Geldkapital in Fot.ii di
fiktiven Kapitals dem Markt zur Verfügung. Dort wird das fikth I
Kapital verkauft, und die Bank realisiert den Grimdergewiim, äex
aus der Umwandlung des industriellen in fiktives Kapital entspring!
Der Ausdruck „Emissionskredit" bezeichnet also kein Kretin
Verhältnis, sondern bedeutet nur das mehr oder weniger begründe!«
Vertrauen des Publikums, von der Bank nicht beschwindelt zu
werden.
Diese Funktion der Bank, die Mobilisierung des Kapitals durch-
zuführen, entspringt aus ihrer Verfügung über das gesamte Geld
der Gesellschaft. Zugleich bedingt diese Funktion ein großes eigen«
Kapital der Bank. Das fiktive Kapital, der Schuldtitel, ist eine War«
sui generis, die erst durch Verkauf in Geld rückverwandelt wird
Dazu ist eine gewisse Zirkulationszeit nötig, während der das K npl
tal der Bank in dieser Ware festliegt. Zudem mag der Verkauf ni; M
in jedem Zeitpunkt möglich sein, während die Verpflichtungen der
Bank stets in Geldform zu erfüllen sind. Es muß daher für dien«
Transaktionen stets der Bank Kapital zur Verfügung stehen, für du»
sie nicht verpflichtet ist, also eigenes Kapital; zugleich wächst mit
der Entwicklung der industriellen Unternehmung die Größe der
176
I i tti'isalctionen und damit die Notwendigkeit der Vergrößerung des
llimkkapitals.
Ja stärker die Bankenmacht, desto vollständiger gelingt die
Hnliiktion der Dividende auf den Zins, desto vollständiger fällt der
' nlergewinn der Bank zu. Umgekehrt wird es starken und ge-
I' .1 igten Unternehmungen gelingen, bei Kapitalserhöhungcn selbst
i ii ic n Teil des Gründergewinns dem eigenen Unternehmen zu
' M Iiii n. Es entspinnt sich dann eine Art Kampf um die Verteilung
fli i ( iriindergewinnes zwischen der Gesellschaft und der Bank und
■ I imil ein neues Motiv für die Bank, ihre Herrschaft über dasUnter-
iM lunrn zu sichern.
IIa versteht sich von selbst, daß Gründergewinn nicht nur ge-
rn ii hl wird bei Gründungen im eigentlichen Sinne des Wortes,
ii es völlige Neugründungen oder Umwandlungen bestehender
l'i n .ilunlcrnehmungenin Aktiengesellschaften. Gründergewinn im
i.kiimiinisclien Sinne des Wortes kann ebenso bei jeder Kapitals-
• i linliimg bestehender Aktiengesellschaften erzielt werden, voraus-
|! m i/l, daß ihr Erträgnis mehr abwirft als bloßen Zins.
/.hui "Feil ist das, was als Sinken des Zinsfußes imponiert, nur
■ In 1 l'olge der fortschreitenden Beduktion der Dividende auf Zins,
VStlnvnd im Gründergewinn immer mehr der gesamte Unter -
in liini'i gewinn kapitalisiert erscheint, ein Prozeß, der zur Voraus-
ii i / ii ng hat eine verhältnismäßig hohe Entwicklung der Banken
I ihrer Verbindung mit der Industrie sowie eine entsprechende
I I ni u ii Uimg des Marktes des fiktiven Kapitals, der Börse. Wenn
' ii
, In. I
Ihn,
i ■ II'.,
,,„!„.
,.,l,,lr
Irl
i. I,i
, i «n
,,. I',
llll ,1
,'si' Tendenz zur Vergrößerung des Bankkapitals kann durch gesetz-
ngi ilTe noch gesteigert werden. So hat die Bestimmung des deutschen
,'si'Lzcs, daß bei Umwandlung von Privatimtemehmungen in Aktien-
linrion die Aktien erst ein Jahr nach der Gründung zum Börsenhandel
m'ii werden, die Folge, daß das Bankkapital ein Jahr hindurch nicht
uil werden kann, während dieses Jahres also in industrielles ver-
l bleibt und nicht wieder Geldform annehmen kann. Dadurch wurde
inliingslätigkeit besonders für große Unternehmungen das Monopol
i. großen Banken mit hohem Eigenkapital. Zugleich wurde dadurch
li'iiy. zur Konzentration im Bankwesen gefördert. Diesen Großbanken
im mich der Gründungsgewinn zu.
177
in den siebziger Jahren in den Vereinigten Staaten der Zins für.
Eisenbahnobligationen 7 Prozent betrug gegen 3V2 Prozent heute 1 ,
so deswegen, weil heute der Teil, der in den 7 Prozent als Unter-
nehmergewinn steckte, von den Gründern kapitalisiert wird. Dies
ist auch deswegen wichtig, da es bedeutet, daß der GründergcwiTin
steigende Tendenz hat, weil der Ertrag für Aktien und Obligationen
immer mehr auf den bloßen Zins reduziert wird. Dieser steigenden
Tendenz des Gründergewinnes wirkt entgegen der Fall der Profi I-
rate, doch darf man annehmen, daß dieser so oft unterbrochene Fall,
dem so viele den Profit steigernde Gegenwirkungen gegenüber-
stehen, in seinem schließlichen Ergebnis die steigende Tendenz des
Gründergewinnes nicht aufheben konnte, dieser also bis in die
neueste Zeit steigende Richtung hatte, und zwar in den Ländern
am stärksten, wo die Entwicklung von Bank und Börse am rasche-
sten vor sich ging und der Einfluß der Banken auf die Industrie
seine größte Vollendung erfuhr.
Während der Geldkapitalist durch Verleihen des Kapilals Zins
erhält, erhält die Aktien emittierende Bank, die in diesem Fall
nichts ausleiht, auch keinen Zins. Den Zins erhalten vielmehr die
Besitzer der Aktien als Dividende. Der Bankfließtder Unternehmer-
gewinn zu; aber nicht als jährliche Revenue, sondern kapitalisiert
als Gründergewinn. Der Unternehmergewinn ist eine fortlau-
fende Einnahme, die aber der Bank im Gründergewinn ein für alle-
mal ausbezahlt ist. Die Bank hat die kapitalistische Verteilung des
Eigentums als ewig und unabänderlich gesetzt und eskomptiert im
Gründergewinn diese Ewigkeit. Sie ist damit auch ein für allemal
abgefunden und hat keinen Anspruch auf Entschädigung für die
Aufhebung dieser Eigentumsverteilung. Sie hat ihren Lohn bereits
dahin.
1 Siehe Edward Sherwood Meade, „Trust Finance", New York 1907,
S. 245.
178
Vlll. Kapitel
DIE EFFEKTENBÖRSE
1. Die Börsenpapiere. Die Spekulation
I )ic Börse ist der Markt für die Effekten. Darunter verstehen wir
) 1 1 ■ ■ i zunächst ganz allgemein „Wertpapiere", die Geldsummen
i i|n »sentieren. Sie zerfallen in zwei Hauptgruppen: Geldanweisun-
P n, die nichts anderes darstellen als Schuldscheine, also Kredit-
Bapierc, die auf die Geldsumme lauten, auf die sie ausgestellt sind;
(leren I lauptrepräsentant ist der Wechsel. Die zweite Gruppe wird
iliiil'cslellt von Papieren, die nicht die Geldsumme, sondern deren
1* im r-fi fr repräsentieren; sie zerfallen wieder in zwei Unterabteilun-
I'im, in die festverzinslichen Papiere — Staatsschuldscheine und
i ilili[;,iiiiincn — und in die Dividendenpapiere, Aktien. In der kapi-
inlr.lisclien Gesellschaft wird aber, wie wir bereits wissen, jeder
ir/'clinäliig (jährlich) wiederkehrende Ertrag als Revenue eines
I'. iipihils aufgefaßt, dessen Größe gleich ist dem zu dem herrschen-
den Zinsfuß kapitalisierten Ertrag. So repräsentieren diese Wert-
l'ii j ml i- gleichfalls Geldsummen. Der Unterschied gegenüber der
li iihiicii Gruppe ist jedoch der: bei den Kreditpapieren ist die Geld-
fijini las Primäre; Geld oder Wert von gleicher Größe ist wirklich
* •■ i lirlieu worden und trägt nun Zinsen. Diese Papiere zirkulieren
ihm eine bestimmte Zeit — sie finden ihr Ende, wenn das Kapital
«in in kp'/.ahlt wird. Damit ist der Wechsel verfallen. Daß ständig
VVi'i li.'.rl im Umlauf sind, hindert nicht, daß der einzelne Wechsel
»tiiinli|; verfällt und damit das ausgeliehene Kapital an den Ausleiher
im im K fließt. Dieser hält dann die Geldsumme wieder in Händen
179
und kann sie von neuem ausleihen. Der Verfall des Wechsels, also
der ständige Rückfluß des Kapitals zu seinem Eigentümer, ist hier
die Bedingung der ständigen Erneuerung des Prozesses.
Anders in der zweiten Gruppe : Hier ist das Geld definitiv weg
gegeben; bei den Staatspapieren kann es längst unproduktiv ver-
zehrt sein, also gänzlich verschwunden sein, bei den Industriepapieren
ist es im Ankauf von konstantem und variablem Kapital aus-
gegeben, es hat als Kauf mittel gedient, sein Wert ist nun vorhanden
in denElementen des produktiven Kapitals, dieGeldsumme ist in. den
Händen der Verkäufer und kehrt nicht mehr zu ihrem Ausgang»
punkt zurück. Die Aktien können dieses Geld schon deshalb niclil
mehr repräsentieren, weil dieses Geld in die Hände der Waren -
Verkäufer (der Verkäufer der Elemente des produktiven Kapitals)
übergegangen ist, deren Eigentum es damit wurde. Sie repräsen-
tieren aber auch durchaus nicht das produktive Kapital selbst. Denn
erstens haben die Aktienbesitzer keinen Anspruch auf irgendeinen
Teil des produktiven Kapitals, sondern nur auf das Erträgnis, und
zweitens repräsentiert die Aktie nicht irgendeinen konkreten Ge-
brauchswert nach Art der Warrants oder Ladescheine, wie es sein
müßte, wenn die Aktie wirklich einen Anteil an dem produktiv
fungierenden Kapital darstellte, sondern sie gibt nur Anspruch aul:
eine Geldsumme. Daß sie das tut, macht ja die „Mobilisierung" du*
industriellen Kapitals aus. Diese Geldsumme ist aber nichts andenj*
als der zum jeweiligen Zinsfuß kapitalisierte Ertrag. Hier ist also
der Ertrag, die jährliche Revenue, der Ausgangspunkt für die Be-
wertung des Papieres, und erst nach dem Ertrag wird die Geld-
summe berechnet.
Die festverzinslichen Papiere nähern sich der ersten Gruppe in-
sofern, als jederzeit in einem bestimmten Moment einem festen
Erträgnis eine bestimmte Geldsumme entspricht. Aber sie gehören
zur zweiten Gruppe, weil das Geld, das sie ursprünglich repräsen-
tierten, definitiv fortgegeben ist und nicht an den Ausgangspunkt
zurückzukehren braucht, das Kapital, das sie darstellen, also fiktiv,
seine Größe nur aus dem Ertrag berechnet ist. Der Unterschied der
festverzinslichen Paniere von den anderen Ertragspapieren erscheinl
180
I , daß, von den zufälligen Bestimmungsgründen abgesehen,
■ nu ri; in ihren Preisen abhängen von dem Zinsfuß, letztere von
'I und der jeweiligen Höhe des Ertrages. Der Preis der ersteren
ml somit verbal Inismäßig nur geringen Schwankungen unter-
U'i'rn, Schwankungen zudem, die allmählich vor sich gehen mit
l' n leichter vorauszusehenden allgemeinen Schwankungen des
in lnlii's. Dagegen ist die Höhe des Ertrages bei der zweiten
i 'flippe unbestimmt, mannigfachen, nicht immer vorausberechen-
I i \ mlerungen unterworfen, die starke Preisschwankungen
il i Papiere bewirken. Diese bilden damit das hauptsächliche
i ll'iji Kl der Spekulation.
\ ii'. dem Bisherigen folgt bereits, daß die allgemein übliche Be-
■ • Ii liiiuiig der Börse als „Kapitalmarkt" ihr Wesen nicht trifft.
I tu' l\i|iiere der ersten Gruppe sind Schuldscheine. Sie sind ihrer
iiln i «*icganden Mehrheit nach entstanden aus Akten der Zirku-
liiiHi, uns Warenübertragung ohne Dazwischenkunft des Geldes,
il i i Iijci nur als Zahlungsmittel fungiert hat. Sie haben als Kredit-
M' Itl dsis liare Geld ersetzt. Ihr Handel auf der Börse bedeutet nur
ili. 1 1 Ihm l ragung der Kreditgewährung von dem einen auf den
Mini' im I )ie Zirkulation des Kreditgeldes hat aber, wie wir bereits
i'ii.iii, zur Voraussetzung und zur Ergänzung die Zirkulation
" ii Mm licn Geldes. Da das Kreditgeld, das hier zirkuliert, nicht nur
il. n ml. indischen, sondern auch den ausländischen Zahlungsverkehr
! Hill, so muß der Börse nicht nur das inländische Kreditgeld,
• l'Tn .in ch das ausländische Kreditgeld und Hartgeld zur Ver-
lii| c flehen. Als Ergänzung des Kreditgeldverkehrs findet daher
Hinli (Irr llandel in ausländischer Valuta und der Geldhandel auf
ili i f Hirse sein Zentrum. Hier strömt das jederzeit verfügbare Geld-
pCpllnl zusammen, um Anlage zu suchen und sie in den Kredit-
|iii|>ni in zu finden. In dieser Tätigkeit konkurriert die Börse mit
il :riil liehen Kreditinstituten, den Banken. Der Unterschied ist
hIm i unwohl quantitativ als qualitativ. Quantitativ, da hier nicht
8 h In i den Banken die Sammlung aus den verschiedensten kleinen
IJin Hm rine Rolle spielt, sondern von vornherein große angesam-
iiii III Kapitalien nach Anlage suchen. Die Konzentration der
181
Gelder, die bei den Banken eine so wichtige Funktion ausmacht, im
hier schon vollzogen. Qualitativ ist der Unterschied der, daß es sich
nicht um verschiedene Arten der Kreditgewährung handelt. Hier
wird nur das Geld zur Verfügung gestellt, das zur Erhaltung der
Kreditgeldzirkulation nötig ist. Das Geld wird angelegt in großen
Beträgen, erstklassigen Wechseln. Sowohl bei der Nachfrage «In
bei dem Angebot handelt es sich um große Summen, Angebot und
Nachfrage stehen sich konzentriert gegenüber. Hier ist es, wo clor
Marktpreis des Leihkapitals, der Zinsfuß, sich bildet. Es ist dt»
reine Zins - befreit von jeder Risikoprämie -, handelt es sich doch
um die besten Papiere, die in dieser schlechten kapitalistischen Well
zu haben sind, an deren Güte ein Zweifel weit unmöglicher ist nl»
ein Zweifel an der Güte des lieben Gottes. Der Zins auf diese fein-
sten Wechsel - fein natürlich nicht im Sinne des schnöden Ge-
brauchswerts, auch Primawechsel werden nicht auf Büttenpapier
geschrieben - scheint unmittelbar aus dem bloßen Eigentum an
Geldkapital herzurühren. Das Geld scheint gar nicht fortgegeben;
denn es kann jeden Moment durch die stets mögliche Weiter-
begebung des Wechsels realisiert werden. Auf alle Fälle wird es nur
vorübergehend angelegt, stets bereit zu anderer Verfügung. Die
Sicherheit und die kurze Fälligkeit bedingen die Niedrigkeit (Ich
Zinses für diese Anlagen, zu denen nur ganz große, oft nur momen-
tan verfügbare Kapitalien geeignet sind. Es ist der Zins, der den
Ausgangspunkt bildet für die Berechnung des Zinses für die ande-
ren Anlagezweige. Seine Höhe bestimmt auch die Wanderungen
der freien, schwebenden, flottierenden Geldkapitalien von und zu
den verschiedenen Börsenplätzen. Diese Gelder treten in beständig
wechselndem Umfang in die Zirkulation des Weltgeldes ein und au».
Die Börse bildet hier den Markt für den Geldverkehr der großen
Banken und Großkapitalisten untereinander. Die Wechsel, um dio
es sich handelt, tragen die Unterschrift eines der ersten Bankhäuser.
Die Banken des In- und Auslandes oder sonstige Großkapitalien
legen in diesen Wechseln flüssige Gelder zu zinstragender und ab-
solut sicherer Verwendung an. Umgekehrt bringen die großen
Kreditinstitute diese Wechsel an die Börse, um sich die nötigen
182
Miiicl /.ii verschaffen, wenn die an sie gestellten Ansprüche ihre
1 1 1 1 Miliaren Kapitalien überschreiten.
I lio ( i eidsummen, die dieser Verkehr erfordert, expandieren und
1 1 1 aliieren sich, aber sie sind immer in einem gewissen Minimal-
fang vorhanden. Mit ihnen werden die Wechsel gekauft, und die
i .1 hier kehren zurück, wenn der Wechsel verfällt. Durch diese be-
ul Inilige Rückkehr des Geldes zu seinem Ausgangspunkt, durch
i Funktion als bloßer Vermittler des Kreditverkehrs, unter -
ii IiiiiIi-i sich die Zirkulation des Geldes, das in dieser ersten Gruppe
den lli nsenpapiere angelegt wird, sofort von der Anlage des Geldes
in ilei /.weiten Gruppe, zum Beispiel von der Anlage in Aktien.
II H i wird das Geld definitiv fortgegeben, in produktives Kapital
v'frvviinilüll und wandert in die Hände der Warenverkäufer. Es
In In I nicht, wie im ersten Fall, zur Börse zurück. Statt des Geldes
' ni'l |il/,l die kapitalisierten Zinstitel vorhanden. Hier wird wirklich
tli in < »Md markt Geld entzogen.
\ul dem Wechselmarkt konkurriert die Börse mit den Banken.
I lii- Knl wicklung der letzteren nimmt der Börse einen Teil der
A'.'i li'il; die Beziehungen zwischen den industriellen Kapitalisten
I der Itörse als Vermittlerin des Zahlungskredits, die in der Ent-
Eli liiiiij;s/.eit der Börsen deren wichtigste Funktion war, werden von
d' ii Hanken zum größten Teil ihr abgenommen. Es bleibt ihr nur
In Vermittlung zwischen denBanken selbst und derDevisenhandel,
ili i ilie ausländischen Zahlungen vermittelt und den Wechselkurs
I I i'iihei -|. Aber auch hier vollzieht sich ein großer Teil des Ver-
II ■ 1 1 1 ■. direkt durch die Banken, die zu diesem Zwecke ihre aus-
ii .ii 1 1 ■ >. i ■ 1 1 Filialen unterhalten. Die Entwicklung der Banken wirkt
iii iln|i|ielter Hinsicht auf die Einschränkung dieses Teiles des
lliii'n nverkehrs. Zunächst direkt dadurch, daß die Banken ihre stets
> ii leanden Gelder in immer größerem Maße ohne Vermittlung
il< i Hm se in Wechseln anlegen. Sodann dadurch, daß durch die Ent-
S'iililuiig der Banken der Wechselkredit zum Teil durch andere
H i ' dii I nrmen ersetzt wird.
' Vei -fliehe die instruktive Schrift von W. Prion, „Das deutsche Wechsel-
ili-l i;;.-srliäft", Leipzig 1907.
185
Der Wechsel ist Kredit, der von einem produktiven Kapitalisten
(darunter wird jeder Kapitalist, der Profit macht, verstanden, iiInd
auch der Kaufmann) dem anderen an Zahlungs Statt gegeben wird,
Der Kapitalist, der ihn empfängt, läßt ihn von der Bank diskon
tieren, die somit jetzt den Kredit gewährt. Haben beide Kapitalisten
ein Depot oder einen offenen Bankkredit bei der Bank, so können
sie statt des Wechsels mit einem Scheck auf die Bank oder durch
Überschreibung in den Büchern der Bank ihre Zahlung regeln. Der
Wechsel ist überflüssig geworden. An seine Stelle ist eine TraiiN-
aktion in den Büchern der Bank getreten, die nach außen im Gegen ■
satz zum Wechsel, der weiterbegeben werden kann, gar nicht in
Erscheinung tritt. Dadurch, daß die Banken in immer größerem
Maße die Zahlungen ihrer Kunden regeln, findet eine Einschrän-
kung des Wechselverkehrs statt, von der auch der Börsenmarkl für
Wechsel betroffen wird. Dazu kommt in Ländern mit Notenbank -
monopol die beherrschende Stellung der Notenbank auf dem
Devisenmarkt, eine Stellung, die nicht zugunsten der Börse, sondern
nur zugunsten der Großbanken erschüttert wird. Eine spezifische«
Börsentätigkeit findet auf diesem Gebiete des Kreditgeldumsalzes
nicht statt, mit Ausnahme der Valutaspekulation. Die Börse ist hier
nur der zusammenfassende Markt für die Geldsummen, die dem
Kreditgeldverkehr zur Verfügung gestellt werden.
Das Gebiet der eigentlichen Börsentätigkeit ist der Markt der
Zinstitel oder des fiktiven Kapitals. Hier findet zunächst die Anlaß«
des Geldes als Geldkapital statt, das in produktives umgewandelt
werden soll. Das Geld wird definitiv im Ankauf der Zinstitel fort-
gegeben und kehrt nicht wieder zurück. Der Börse strömt nur all ■
jährlich der erzielte Zins zurück, also anders als bei der Geldanla^o
für Kreditpapiere, wo das Kapital selbst gleichfalls zurückkehrt .
Vielmehr ist für den Kauf und Verkauf der Zinstitel weiteres Gold
nötig, das der Zirkulation an der Börse selbst dient. Diese Geld-
summen sind im Verhältnis zu den umgesetzten Summen gering,
Da die Zinstitel Geldanweisungen darstellen, so können sie un-
mittelbar miteinander kompensiert werden, und es ist stets nur cino
kleine Bilanz auszugleichen; durch eigene Anstalten zur Abrech -
184
;: dieser Differenzen wird dafür gesorgt, daß tatsächlich nur der
Hiii ng der Bilanz mit Bargeld beglichen werden muß. Absolut ge-
innen sind aber die für Börsenzwecke erforderlichen Zirkulations-
miMrl namentlich in Zeiten starker Spekulation bedeutend, da
I ■ i.nle in erregten Spekulationszeiten die Spekulation meist ein-
i iiij; gerichtet ist und daher die Bilanz, die auszugleichen bleibt,
tftrlt anwächst.
I '■'■ en l steht nun die Frage nach der Art der Börsentätigkeit und
ilini Ki inktion. Wir haben gesehen, daß die Börsentätigkeit auf
■ I' in Wechselmarkt mit der Tätigkeit der Banken übereinstimmt.
I In ir.n ist der Kauf von Wertpapieren zu Anlagezwecken keine
"I" / ilia he Funktion der Börse. Die Wertpapiere können ebensogut
hiI iIi.t Bank gekauft werden wie auf der Börse und werden es auch
in ili i Tnl in immer höherem Maße. Die spezifische Börsentätigkeit
i i \ lehn ehr die Spekulation.
I in- Spekulation erscheint zunächst als Kauf und Verkauf. Es ist
kil.ii i nicht Kauf von Waren, sondern von Zinstiteln. Damit der
1 1 ii K live Kapitalist seinen Profit realisiert, muß sein Waren-
I i|niil in Geld verwandelt werden, also seine Ware verkauft sein.
i i 1 1 1 1 1 1 1 1 ihm die Verkaufsfunktion ein anderer Kapitalist ab, so muß
ll ler Industrielle einen Teil seines Profites abtreten. Der ganze
in il'n Ware steckende Profit wird erst beim Verkauf an den Kon-
i niin definitiv realisiert. Die Ware wird dabei vom Produ-
ii iii< ii /um Konsumenten bewegt, wobei es natürlich unsinnig ist,
il ilni .in die örtliche Bewegung zu denken (man denke nur an den
I I in, ri kauf) und den Handel mit dem Transport zu verwechseln.
Ili i Kauf und Verkauf handelt es sich nicht um Lokalereignisse,
■ iniilii ii nm ökonomische Vorgänge, Eigentumsübertragungen. Bei
illi ii nicht intensiven Vorgängen handelt es sich auch um räum-
Inlir Veränderung. Aber wer sieht das Wesen des Theaterver-
|iMii;;riis im Aufsuchen des Theaterraumes?
I lic Ware fällt schließlich der Konsumtion anheim und ver-
tu Invnnlel damit vom Markt. Der Zinstitel ist dagegen seiner Natur
um Ii ewig. Er fällt nie in dem Sinne aus der Zirkulation wie die
W Selbst wenn er zu Anlagezwecken dem Markt momentan
185
entzogen ist, kann er doch jederzeit auf den Markt zurückkehren
und kehrt tatsächlich nach längerer oder kürzerer Zeit in größerer
oder geringerer Anzahl dorthin zurück. Für die Spekulation selbst
ist aber die Entfernung des Zinstitels vom Markte und damit aus
der Zirkulation weder Zweck noch Wirkung. Das eigentliche Spe-
kulationspapier ist beständig auf der Börse in Zirkulation. Es ist
ein Hin- und Herbewegen, ein Kreisen und keine Fortbewegung.
Der Warenkauf und -verkauf ist ein gesellschaftlich notwendiger
Vorgang. Durch ihn erfüllt sich in der kapitalistischen Wirtschaft
die Lebensbedingung der Gesellschaft, er ist eine Conditio sine qi»<
non dieser Gesellschaft. Die Spekulation ist dies keineswegs in
gleicher Weise. Sie betrifft nicht das kapitalistische Unternehmen,
weder den Betrieb noch sein Produkt. Der Besitzwechsel, die stete
Zirkulation, ist für das einmal gegründete Unternehmen ohne Ein-
fluß. Die Produktion und ihr Ertrag wird nicht dadurch berührt,
daß die Anweisungen auf den Ertrag die Hände wechseln; ebenso-
wenig wird der Wert des Ertrages geändert durch die Preisänderun-
gen der Aktien. Umgekehrt ist es caet. par. der Wert des Ertrages,
der diese Prcisändcrungen bestimmt. Der Kauf und Verkauf dieser
Zinsanweisungen ist also ein rein wirtschaftliches Phänomen, eine
reine Verschiebung in der privaten Eigcntumsverteihing, ohne jedß
Einwirkung auf die Produktion oder die Realisierung des ProfiU
(wie heim Warenverkauf). Die Gewinne oder Verluste der Speku-
lation entstehen also nur aus den Differenzen der jeweiligen Be-
wertungen der Zinstitel. Sie sind nicht Profit, nicht Anteil am
Mehrwert, sondern entspringen nur aus Schwankungen der Be-
Wertungen des Mehrwerlanlcilcs, der aus dem Unternehmen auf dio
Aktienbesitzer entfällt, Schwankungen, die, wie wir noch sehen
werden, durchaus nicht aus Veränderung im wirklich realisierten
Profit zu entstehen brauchen. Es sind reine Differenzgewinnc 1 .
« Wohlgemerkt: Wir sprechen liier durchaus nicht von den sogenannt™
Differcnzgeschäiten, wobei die talsäcl.luhe Lieferung der Effekten niclil
erfolgt und die Spekulation durch Zahlung der Kursdifferenz obgeschlo^-,,
wird. Vielmehr ist jeder Spekulationsgewinn Differenzgewinn in ökonowd
scliem Sinne. Die Technik des zugrunde liegenden Börsenges.-hiilea ist dafül
186
W.ihrend die Kapitalistenklasse als solche sich einen Teil der Arbeit
fl(iS Proletariats ohne Äquivalent aneignet und so ihren Profit erzielt,
|.',i'w innen die Spekulanten nur voneinander. Der Verlust des einen
[fl der Gewinn des anderen. Les affaires, c'est l'argent des autres.
1 )ie Spekulation besteht in der Ausnützung der Preisänderung.
A her nicht in der Ausnützung der Preisänderung der Waren. Dem
'<|H'luilanten ist es im Gegensatz zum produktiven Kapitalisten
gleichgültig, ob die Preise sinken oder steigen. Ihm handelt es sich
ni<lil um Warenpreise. Diese kommen für ihn nicht in Betracht,
Mindern nur die Preise seiner Zinstitel. Diese hängen aber ab von
dir ( iröße des Profits, einer Größe, die steigen oder fallen kann, bei
l'lciclibleibenden, sinkenden oder steigenden Preisen. Denn für den
I 'i nlil entscheidend ist nicht die absolute Preishöhe der produzierten
W.iic, sondern das Verhältnis ihres Kost- zu ihrem Verkaufspreis.
\ln-i' es ist dem Spekulanten auch nicht wesentlich, ob der Profit
1 loigt oder ob er fällt; es kommt ihm nur auf die Veränderung an
und darauf, diese vorauszusehen. Sein Interesse ist durchaus ein
iiimIitcs als das des produktiven Kapitalisten sowohl, als auch des
i fölilkupitalisten, der einen möglichst stabilen, sich womöglich stets
ii Nullenden Ertrag wünscht. Die Warenpreiserhöhungen haben nur
dorm Einfluß auf die Spekulation, wenn sie Index eines erhöhten
l'inlils sind. Es sind die Veränderungen im Profit, die vorausgehen
skcn, respektive erwartet werden, die die Spekulation bestimmen.
I )n- l'rofit aber, der da produziert wurde, wird verteilt ohne Rück-
imi lil auf die Spekulation. Der Profit verteilt sich ja auf die Eigen-
liinici- des produktiven Kapitals oder auf die Eigentümer der Profit -
lihl Der Spekulant aber als solcher zieht seinen Gewinn durchaus
nulil ,'ius dem erhöhten Profit; er kann ebenso gewinnen durch
ii hall des Profits; er rechnet überhaupt nicht auf die Profit-
i'i linliiing, sondern nur auf die Preisveränderungen der Profittitel
liilcilj'C der Profitsteigerung oder -Senkung. Er behält nicht die
i'Ih'M'hi gleichgültig wie der Umstand, daß den Kapitalisten und zum Teil
um Ii den Ökonomen aller kapitalistische Gewinn als Differenz erscheint,
gmi/ «li'ich, ob es sich um industriellen oder kommerziellen Profit, Grund-
iiTnii', '/ins oder Spekulationsgewinn handelt.
187
Profittitel in der Hoffnung, erhöhte Profite einzustecken - das .,,
der Anlagekapitalist -, sondern er sucht zu gewinnen durch Knui
und Verkauf seiner Profittitel. Sein Gewinn Desteht aber nicht in
irgendeiner Anteilnahme am Profit - er gewinnt ja eventuell auch
bei fallendem Profit -, sondern an der Preisveränderung daran , d, ß
er in einem gegebenen Zeitpunkt billiger kaufen kann, als er früh« .
verkauft, o/e/teurer verkaufen, als er früher gekauft hat. Wurf«
alleTeilnehmer der Spekulation in gleicher Richtung handeln, wu, -
den also alle gleichzeitig die Profittitel höher oder niedriger be-
werten 1 , so könnten überhaupt keine Spekulationsgewinne ent-
stehen. Sie entstehen nur dadurch, daß entgegengesetzte Bewertun-
gen sich bilden, von denen nur eine sich als richtig herausste e
kann. Die Differenz, die zwischen den Bewertungen der Profit Ut
zu einem gegebenen Zeitpunkt zwischen Käufern und Verkaufern
verlust des andern. Der Gewinn des einen ist hier der ^Verlust s
Widern ganz im Gegensatz zum Profit des produktiven Kapitalisten,
^Profit derlapitalistenklasse ist kein Verlust der Arbeiter-
klasse, die unter normalen kapitalistischen Verhaltnissen nicht meh,
als den Wert ihrer Arbeitskraft zu erhalten hat.
Esld nun die Momente zu untersuchen, die die Spekula^
bei ihren Operationen berücksichtigt. Das Hauptob.ekt der Speku-
lation sind die nicht festverzinslichen Papiere. Hier hangen die
Preisveränderungen im wesentlichen von zwei Fak oren ab ^ Von
der Höhe des Profits und von der Höhe d« -Zinsfußes . Der P h
ist zwar im allgemeinen theoretisch gegeben durch die Durch
cLittsprofitrate Aber diese ist nur der Ausdruck einer unzahligen
Reihe von Einzelprofiten, deren Höhe von dem ^«
niveau durchaus abweichen kann. Die Höhe des ^viduellen
Profits ist aber für den Außenstehenden völlig unerkennbar. Neben
"T^ d nicht nur in gleich« Richtung, sonder, auch in gleicher Zeit «ml
R ,e,chem Grade. Denn W^^wh.n — ** «* ^Z *
7nvllr ^n einen, höheren Preise io em«» saueren Zeitpunkt k«rft, .«
TmZ anderer verkauft, oder weun einer einen höheren Preis <pbt ab «
zweiter, der zu diesem Preise schon verkauft.
188
'lin ,i]lgemeinen Bestimmgründen der Profitrate: Größe des Mehr-
wrris und Größe des vorgeschossenen Kapitals, spielen hier alle
/u Billigkeiten der Variationen der Marktpreise, der Ausnützung
der Konjunktur durch individuelles Geschick der Unternehmer eine
entscheidende Rolle. Nach außen tritt nur der Marktpreis der Ware
in Krscheinung; das entscheidende Moment, das Verhältnis des
Marktpreises zum Kostpreis, bleibt nach außen unerkennbar, ist
i > M den Unternehmern selbst erst am Schluß einer Umschlagsepoche
nicli genauer Berechnung bekannt. Abgesehen von der wirklichen
< iniße des Profits, spielen eine Reihe von mehr oder weniger will-
liiu lieben Momenten eine Rolle, die auf den Ertrag einwirken, der
wirklich zur Verteilung auf die Zinstitel gelangt: Höhe der Ab-
i lncibungen, der Tantiemen, Bemessung der Reserven usw. Die
li l /.leren Momente geben zugleich der Leitung des Unternehmens
du- Macht, die Höhe des Ertrages bis zu einem gewissen Umfang
*\ illkiirlich festsetzen zu können und so die Kurse zu beeinflussen.
A ber jedenfalls ist der eine Faktor der Preisbestimmung und der in
l'i.ivi entscheidende für die Masse der Spekulanten durchaus un-
liricclienbar. Bei den geringfügigen Preisdifferenzen, um die es
mi li manchmal handelt, und bei der Größe des Ausschlages, den
• 'ine Veränderung des Profits durch seine Kapitalisierung im Kurse
In- wirkt, ist mit einer allgemeinen, mehr oder weniger oberfläch -
Inlicu Kenntnis des Unternehmens noch sehr wenig getan. Um-
i:< kehrt gibt die intime Kenntnis den Eingeweihten eine große
,'.ii lii'iheit und die Befähigung, ihre Kenntnis fast risikolos zu
'>l>r1uilalionsgewinnen auszunützen.
Anders steht es mit dem zweiten Preisbestimmungsgrund, dem
/■insliiß. Wir haben gesehen, daß zur Betätigungsmöglichkeit der
'•|n kulation eine Divergenz der Meinungen über die voraussicht-
ln ho Kursgestaltung bestehen muß, wie sie sich etwa aus der Un-
gavvißheit über den künftigen Profit ergibt. Der Zinsfuß ist da-
i;i'i;c-n iihnlich wie der Marktpreis der Ware in jedem gegebenen
Moment eine gegebene Größe, also allen Spekulanten gleich be-
ll iumt Aber auch seine Veränderung läßt sich in ihrer Richtung
w <• 1 1 1 (> s l imis mit annähernder Wahrscheinlichkeit vorausbestimmen,
li Itllli'iiling, Das Finanzkapital
189
abgesehen von plötzlichen, mehr oder weniger starken Perturbatw-
nen wie sie außerordentliche, direkt auf de« Geldbedarf em-
wirkende Ereignisse, Kriegs- oder Revolutionsau.bruch, kosmisch.
Katastrophen, mit sich bringen. Zudem tritt die Intensität der Wir-
kung von Zinsfußveränderungen auf die Kurse zurück; niedriger
Zinsfuß herrscht gewöhnlich in Zeiten der Depression, wo die
Spekulation matt, das Vertrauen gering ist und das Kursniveau der
Industriepapiere trotz des niedrigen Zinsfußes tief steht. Umgekehrt
wird zur Zeit der Hochkonjunktur und der entfesselten Spekulation
der hohe Zinsfuß durch die Erwartung gesteigerter Kursgewinne
überwunden. Ist somit der Zinsfuß und seine Gestaltung ein siche-
reres Moment als dieVorausberechnung des Profits, so ist es imWesen
die Gestaltung des letzteren, die die Richtung der Spekulation an-
gibt und ihre Intensität bestimmt. Es ist also gerade das unsichere,
unberechenbare Moment, das die Spekulanten in Rechnung ziehen
sollen Mit anderen Worten: irgendeine sichere Voraussicht ist der
Spekulation unmöglich, sie tappt bei ihren Operationen im Dunkeln.
Die Börsenspekulation hat den Charakter von Spiel und Wette.
Aber diese Wette wird zur Wette a coup sur für die Eingeweihten.
Wie bei allen Preisen kann man auch bei den Kursen neben den
eigentlichen Bestimmgründen des Preises jene gelegentlichen
unterscheiden, die im veränderten Verhältnis von Nachfrage und
Angebot zum Ausdruck kommen. Für die Spekulation, der es nur
auf die Preisänderung und nicht auf deren Gründe ankommt, sind
diese natürlich gleichgültig. Anderseits liegt es im Wesen der
Spekulation, mit ihren stets wechselnden Stimmungen und Erwar-
tungen - ein Wechsel, der aus ihrer Unsicherheit notwendig sich
ergibt - selbst ein stets wechselndes Verhältnis von Angebot und
Nachfrage zu schaffen, das wieder preisändernd wirkt; jede Preis-
änderung aber ist auf diesem Gebiet wieder der Anstoß für neue
Spekulationen, neue Engagements und Positionsänderungen, mit
neuem Wechsel für Nachfrage und Angebot. So schafft die Speku-
lation in den Papieren, deren sie sich bemächtigt, einen stets auf-
nahmebereiten Markt, gibt so die Möglichkeit für andere kapita-
listische Kreise, ihr fiktives Kapital in wirkliches zu verwandeln,
190
schafft also den Markt für den Umsatz des fiktiven Kapitals und
damit die Möglichkeit des steten Wechsels der Anlagen im fiktiven
Kapital und seiner steten Rückverwandlung in Geldkapital.
Die Unsicherheit der Spekulation schafft aber auch ein anderes
Phänomen, die Möglichkeit der Beeinflussung der Spekulations-
richtung, des „Mitnehmens" der kleinen Spekulanten durch die
großen. Da der Spekulant nichts weiß (oft im allgemeinen, aber
jedenfalls nichts im besonderen) , so folgt er äußeren Anzeichen,
der Stimmung, der allgemeinen Strömung des Marktes. Diese Stim-
mung kann aber erzeugt werden und wird in der Tat erzeugt von
den großen Spekulanten, die zudem mit mehr oder minderem Recht
als eingeweiht gelten. Ihre Spekulationen werden von den Kleinen
nachgemacht. Sie befestigen durch umfangreiche Käufe den Markt
und erhöhen das Kursniveau, indem ihre gesteigerte Nachfrage die
Preise hinauftreibt. Ist die Bewegung im Gange, so steigert sich die
Nachfrage durch die Käufe aller jener, welche in ihrem Gefolge zu
spekulieren glauben, und die Preise erhöhen sich weiter, obwohl die
Beteiligung der Großen bereits aufgehört hat. Diese können jetzt
1 Dafür nur ein schlagendes Beispiel: „Dieser Tage tauchte die Meldung
auf, der Phönix habe einen recht bedeutenden Auftrag auf Stahlröhren für
amerikanische Rechnung erhalten; genannt wurde ein Wert von mehreren
Millionen Mark. Leichten Herzens schenkte die Börse der Meldung Glauben
und setzte die Kurse unserer heimischen Montanpapiere, vor allem aber
Phönixaktien in die Höhe. Wußte sie doch, daß es in den Vereinigten Staaten
zur Zeit nicht unwesentlich hesser aussieht als vor Monaten . . . Aber draußen
im Lande, in den Industrierevieren, da wird man sich wohl eins ins Fäustchen
über jene abenteuerliche Meldung gelacht hahen, die an der Berliner Börse
eine so gute Stimmung auslöste, und besonders wohl im Direktorium des
Phönix. Wird da einem Unternehmen ein Auftrag, ja ein Millionenauftrag
und obendrein noch für amerikanische Rechnung angedichtet, das überhaupt
keine Tonne Stahlröhren produziert, ja nicht einmal eine Beteiligungsziffer
für Röhren im deutschen Stahlwerksverband besitzt. Also ein plumper
Schwindel." „Berliner Tageblatt" vom 15. Juli 1909.
Wenn also Herr Amhold (Deutsche Börsenenquete, Teil I, S. 444) von
spekulativer Denktätigkeit spricht, so ist das mehr eine Spekulation auf die
Denkuntätigkeit der Zuhörer. Übrigens muß er selbst das Zufällige und die
Regellosigkeit der Spekulation für die Masse der Kleinen und der Mitläufer
aus dem Publikum zugeben.
191
je nach ihrem Zweck ihren Gewinn allmählich realisieren oder das
erhöhte Kursniveau mehr oder minder lang Behaupten. Hier er-
zeugt die Verfügung über das größere Kapital unmittelbar die
Überlegenheit auf dem Markt, da die Marktrichtung selbst durch
die Anwendungsart dieses Kapitals bestimmt wird. Während auf
dem Gebiet der Produktion der Vorteil des größeren Kapitals in
der billigeren Produktion, also in der Senkung des Preises besteht,
wird hier die Preisäuderung direkt durch die Einwirkung des Kapi-
tals hervorgerufen. Diesen Umstand können die Großhändler in
Effekten, die Banken, benützen, um die Spekulation in eine be-
stimmte Richtung zu drängen. Sie geben ihrer zahlreicher l Klientel
Winke für Kauf und Verkauf bestimmter Wertpapiere und erzielen
somit gewöhnlich eine ihnen im voraus bekannte Verschiebung des
Verhältnisses von Angebot und Nachfrage, was für sie, wie ein ]cdes
Vorauswissen der Spekulationsrichtung, gewinnbringend ist Zu-
gleich aber zeigt sich die Wichtigkeit dieser Mitgeher, der Außen-
seiter oder des Publikums. Für die berufsmäßige Spekulation mögen
sich Gewinne und Verluste gegenseitig aufheben; das große Publi-
kum aber, das nur der Richtung folgt, die die großen Spekulanten
anzeigen, und in dieser Richtung verharrt, wenn sich jene bereits
mit ihrem realisierten Gewinn zurückgezogen haben, djese Naiven,
die glauben, daß für sie jetzt der Moment gekommen sei, um teil-
zunehmen an den Früchten der Hochkonjunktur, sie sind es, die
die Verluste zu tragen haben und bei jedem Umschlag der Konjunk-
tur oder auch nur bei jedem Umschlag der Börsenstimmung die
Differenzen zahlen müssen, deren Einsackung die „produktive
Tätigkeit" der Spekulation ausmacht.
Aber daß die Spekulation unproduktiv ist, daß sie den Charakter
von Spiel und Wette trägt und in der Volksmeinung ganz richtig so
eingeschätzt wird, dies alles sagt nichts gegen die Notwendigkeit
der Spekulation auf Basis der kapitalistischen Gesellschaft oder zum
mindesten in einer bestimmten Epoche der kapitalistischen Ent-
wicklung. Es ist überhaupt ein apologetischer Kniff, alles, was in
der kapitalistischen Gesellschaft notwendig ist, als produktiv aus-
zugeben; vielmehr schließt die kapitalistische Produktion infolge
192
ihrer Anarchie, infolge des Antagonismus zwischen den Eigen-
tümern der Produktionsmittel und ihren Anwendern, in der Art
ihrer Distribution von vornherein eine große Summe von Ausgaben
und Aufwendungen ein, die keine Erhöhung des Reichtums be-
deuten, in einer organisierten Gesellschaft in Wegfall kommen und
in diesem Sinne unproduktiv 1 sind. Ihre Notwendigkeit in der
kapitalistischen Gesellschaft zeugt nicht für ihre Produktivität,
sondern nur gegen die Organisation dieser Gesellschaft.
Die Spekulation ist aber notwendig für die Erfüllung der Funk-
tionen der Börse, die nun näher zu betrachten sind.
2. Die Funktionen der Börse
Die Funktion der Börse ändert sich im Laufe der wirtschaftlichen
ftntwicklung. In ihren Anfängen diente die Börse dem Umsatz von
Geldsorten und Wechseln. Dazu war nur nötig die Ansammlung
freier Geldkapitalien, die in diesen Wechseln angelegt werden.
Später wird sie zum Markt des fiktiven Kapitals. Dieses entwickelt
sich zuerst mit der Entwicklung des Staatskredits. Die Börse wird
mm Markt der Staatsanleihen. Aber umwälzend wirkt erst die
Verwandlung von industriellem Kapital in fiktives Kapital, also das
immer stärkere Eindringen der Aktiengesellschaft in die Industrie.
Kinerseits dehnt sich damit das der Börse zur Verfügung stehende
Material rasch und unbegrenzt aus, anderseits ist das Vorhanden-
sein der Börse als stets aufnahmebereiter Markt die Voraussetzung
dir die Verwandlung von industriellem in fiktives Kapital und der
Reduktion der Dividende auf Zins.
Mit der Entstehung dieses Marktes des fiktiven Kapitals ist die
Möglichkeit der Spekulation gegeben. Anderseits ist die Spekulation
nötig, um diesen Markt stets aufnahmebereit zu machen und da-
durch erst dem Geldkapital als Geldkapital die Möglichkeit zu
j;nben, sich stets in fiktives Kapital und aus fiktivem Kapital wieder
1 Über den Begriff der produktiven Arbeit im engeren Sinne siehe Marx,
„Theorien über den Mehrwert", I. Bd., S. 407 ff.
195
in Geldkapital zu verwandeln. Denn dadurch, daß durch Kaufen
und Verkaufen Differenzgewinne gemacht werden können, ist der
fortwährende Anreiz zum Kaufen und Verkaufen gegeben, ist also
das beständige Dasein eines aufnahmebereiten Marktes verbürgt.
Es ist die wesentliche Funktion der Börse, diesen Markt für die
Anlage des Geldkapitals herzustellen. Denn dadurch wird die An-
lagemöglichkeit des Kapitals als Geldkapital erst in weitem Umfang
gegeben. Denn damit Kapital als Geldkapital fungieren kann, muß
es erstens eine ständige Revenue — Zins — abwerfen, zweitens muß
die Hauptsumme selbst zurückfließen oder, falls sie nicht tatsäch-
lich zurückfließt, doch jederzeit gegen Verkauf der Zinsforderung
zurückfließbar gemacht werden können. Die Börse erst hat die
Mobilisierung des Kapitals möglich gemacht. Diese Mobilisierung
ist juristisch nichts anderes als eine Umwandlung und zugleich
eine Verdoppelung des Eigentumsrechts. 1 Das Eigentum an den
wirklichen Produktionsmitteln geht über von den Einzelpersonen
an eine juristische Gesellschaft, die zwar aus der Gesamtheit dieser
Einzelpersonen besteht, in der aber die Einzelperson als solche
durchaus nicht mehr das Eigentumsrecht an deren Vermögen hat.
Die Einzelperson hat vielmehr nur einen Anspruch auf den Ertrag;
ihr Eigentum, das einst tatsächliche, unumschränkte Verfügung
über die Produktionsmittel und damit die Leitung der Produktion
bedeutete, ist jetzt in einen bloßen Ertragstitel umgewandelt und
ihr die Verfügung über die Produktion genommen. Ökonomisch
aber besteht die Mobilisierung in der Möglichkeit für den Kapita-
listen, sein angelegtes Kapital jederzeit in der Form von Geld zu-
rückziehen und auf andere Sphären übertragen zu können. Je höher
die organische Zusammensetzung des Kapitals wurde, desto weniger
konnte dieser Wechsel sich durch tatsächliche Veränderungen der
Anlage des produktiven Kapitals in seinen stofflichen Elementen
vollziehen. Die Tendenz zur Ausgleichung der Profitrate findet in
stets höherem Maße Widerstand an der steigenden Unmöglich-
keit, das produktive Kapital, dessen Hauptbestandteil vom fixen
1 Nach der Terminologie Karners liegt Funktionswandel eines Rechts-
instituts ohne gleichzeitigen Normwandel vor.(Siehe „Marxstudien", I.,S. 81.)
194
Kapital gebildet wird, aus einem Produktionszweig zurückzuziehen.
Die tatsächliche Bewegung der Ausgleichung vollzieht sich nur
langsam, allmählich und annähernd, hauptsächlich durch die An-
lage des neu zu akkumulierenden Mehrwerts in den Anlagesphären
mit höherer Profitrate und der Unterlassung von Neuanlagen in
solchen mit niedrigerer Rate. Umgekehrt ist die Zinsrate im Gegen-
satz zur Profitrate in jedem gegebenen Moment gleich und all-
gemein. Die Gleichheit alles Kapitals — und diese besteht für den
individuellen Kapitalisten nicht in der Gleichheit der Wertsumme,
sondern in der Gleichheit des Ertrages gleich großer Werte — findet
ihren adäquaten Ausdruck erst in der Allgemeinheit und Gleich-
heit der Zinsrate. Die Gleichgültigkeit des Kapitalisten gegen den
Gebrauchswert, gegen die jeweilige konkrete Anlagesphäre seines
Kapitals, die Tatsache, daß das Kapital nichts ist als Mehrwert
heckender Wert, nur in diesem Quantitätsverhältnis in Betracht
kommt, nur Profittitel ist, führt bei tatsächlicher Verschiedenheit
des Ertrages (Profits) zu einer verschiedenen Bewertung der glei-
chen Kapitalwerte. Von zwei Kapitalien vom Wert 100, von denen
das eine 10, das andere 5 Profit abwirft, wird das erste doppelt so
hoch bewertet als das zweite. Die Verschiedenheit des Profits, den
das individuelle Kapital abwirft, führt einerseits durch das Streben
des individuellen Kapitalisten nach möglichst hohem Profit für
sein Kapital zur Konkurrenz der Kapitalien um die Anlagesphären
und damit zur Tendenz der Ausgleichung der Profitraten (und vor-
her der Mehrwertraten) und zur Herstellung der allgemeinen
Durchschnittsprofitrate, und anderseits, da diese Ungleichheit der
individuellen Profitraten ständig sich neu erzeugt und ständig die
Bewegung der Kapitalien hervorruft, wird diese Ungleichheit stän-
dig für den individuellen Kapitalisten überwunden durch die Be-
wertung seines Kapitals nach dem zum Zinsfuß kapitalisierten
Ertrag. Damit diese Bewertung praktisch wird, die Kapitalisten qua
Kapitalisten wirklich gleich sind, die Gleichheit alles dessen, was
Profit trägt, endlich verwirklicht werde, muß dieses Kapital auch
jederzeit nach diesem Bewertungsmaßstab realisiert werden können,
und zwar realisiert werden in der gesellschaftlich gültigen Form —
195
als Geld. Erst dann ist die Gleichheit der Profitrate für jeden indivi-
duellen Kapitalisten verwirklicht. Diese Verwirklichung ist zugleich
die Umkehrung des tatsächlichen Verhältnisses. Das Kapital erscheint
nicht mehr als hestimmte Größe und diese als entscheidend ühcr di«
Größe des Profits. Vielmehr erscheint der Profit als bestimmte
Größe fixiert und danach die Größe des Kapitals bestimmt; eine IJe-
stimmung, die bei der Gründung der Aktiengesellschaft praktisch
wird, die Erzielung des Gründungsgewinnes ermöglicht und dessen
Höhe bestimmt. Die wirklichen Verhältnisse erscheinen auf den Kopf
gestellt. Was Wunder, daß jenen Ökonomen, die die ökonomischen
Verhältnisse mit Börseaneraugen ansehen, umgekehrt die Dar-
stellung der wirklichen Verhältnisse als Verkehrtheit erscheintl
Die Gleichheit alles Kapitals realisiert sich so in seiner Bewertung
nach seinem Ertrag. Realisiert aber und damit wirklich werden
diese so bewerteten Kapitalien eben auf der Börse, dem Markte der
kapitalisierten Zinstitel, des fiktiven Kapitals. Treibt so die inncro
Gesetzmäßigkeit des Kapitalismus, sein Bedürfnis, alle in der Ge-
sellschaft vorhandenen Werte als Kapital in den Dienst der Kapitn-
listenklasse zu stellen und für jeden Kapitalsteil den gleichen Ertrag
zu erhalten, zur Mobilisierung des Kapitals und damit zu seiner
Bewertung als bloßes zinstragendes Kapital, so erfüllt die Börse
die Funktion, diese Mobilisierung zu ermöglichen, indem sie den
Ort für die Übertragung und den Mechanismus derselben schafft.
Die Mobilisierung des Kapitals verwandelt in steigendem Maße
das kapitalistische Eigentum in Ertragsanweisungen und macht
dadurch den kapitalistischen Produktionsprozeß in wachsendem
Umfang unabhängig von der Bewegung des kapitalistischen Eigen-
tums. Denn der Handel mit diesen Ertragstiteln, der auf der Börse
vor sich geht, bedeutet eine Eigentumsbewegung. Diese Eigentums-
übertragung kann aber jetzt unabhängig von der Bewegung der
Produktion und ohne Einfluß auf diese vor sich gehen. Die Eigen-
tumsbewegung ist jetzt verselbständigt und wird nicht mehr durch
Produktionsvorgänge bestimmt. Während früher Eigentums -
bewegung zugleich Übertragung der kapitalistischen Unternehmer-
funktion bedeutete und anderseits Wechsel der Unternehmerfunk-
196
Wechsel dos Eigentums bedingte, ist das jetzt nicht mehr der
I "II Und während früher der Hauptgrund zur Änderung der
1 T 1 ' 1 nsverleilung geänderte Produktionsergebnisse waren, die
I >i" nt Minsverteilung ein Produkt der industriellen Konkurrenz,
ii'i'ii z,u diesen fortwirkenden Ursachen andere, die aus dem
M«i li.mismus der Zirkulation der Zinstitel fließen und Eigentums-
I" woßungen hervorrufen können, die ohne jeden Einfluß auf die
l'ii'ilnklion bleiben, wie sie ohne Änderung in den Produktions-
I I ili.illnissen entstanden sind.
In ritt Warenzirkulation gehen Güterübertragung und Eigen-
1 nlierlragung Hand in Hand. In der einfachen Warenproduk-
"•scheint die Güterübertragung als das Wesentliche, als der
\ nii ich des Prozesses der Eigentumsübertragung, diese nur als das
Ml Hol, jene zu vollziehen. Denn bestimmendes Motiv der Produk-
ten ist noch der Gebrauchswert, die Bedarfsdeckung. In der kapita-
'"' Il( ' 11 Warenzirkulation bedeutet die Güterzirkulation zudem
'in I Ionisierung des Profits, der in der Produktion entstanden ist und
'Ion Ti ieb des ökonomischen Handelns bildet. Innerhalb der kapita-
liülii» hon Gesellschaft bedeutet zugleich die Übertragung der Ware
\i li.il sluaft auf den Kapitalisten Vermehrung des kapitalistischen
l'i|"ni,i,iis durch Mehrwerterzeugung. Bei der Zirkulation der
I ll'lihn aber handelt es sich um Eigentumsübertragung, Zirku-
I 'iM'ii hlnßer Eigentumstitel ohne gleichzeitige Güterübertragung.
I »io Kiventumsbewegung findet hier statt ohne gleichzeitige Güter -
I" 'Mf:"ng. Hier hat das kapitalistische Eigentum jeden unmittel-
1 '" /'iisammenhang mit dem Gebrauchswert verloren. Der Markt
liii iliese 7Arkulation des Eigentums an sich ist die Börse.
I >i<- Mobilisierung selbst, die Schaffung des fiktiven Kapitals,
151 im miil für sich bereits eine wichtige Ursache der Entstehung
l"i|iii,ilislischen Eigentums außerhalb des Produktionsprozesses.
I iiM.iml früher kapitalistisches Eigentum wesentlich durch Akku-
h'l'mn von Profit, so gibt jetzt die Schaffung des fiktiven Kapitals
>!l" Möglichkeit des Gründungsgewinnes. Damit wird der Profit zu
■■in' 'Mi Kroßen Teil in die Hände der konzentrierten Geldmächte
I" leitet, ilie allein imstande sind, dem industriellen Kapital die
197
Form von fiktivem Kapital zu verleihen. Dieser Profit fließt ihnen
aber nicht, wie die Dividende der Aktionäre, als jährliche, zer-
splitterte Revenue zu, sondern kapitalisiert als Griindungsgcwinn,
als eine relativ und absolut betrachtet große Summe, die in Geld-
form sofort als neues Kapital fungieren kann. Ein jedes neue Unter-
nehmen zahlt so von vornherein einen Tribut an seine Gründer,
die nichts dafür getan haben und nie etwas mit ihm zu tun haben
brauchen. Es ist ein Vorgang, der in der Hand der großen Geld-
mächte aufs neue große Geldsummen konzentriert.
Und ein Konzentrationsprozeß des Eigentums, unabhängig von
dem Konzentrationsprozeß in der Industrie, geht auch an der Börso
vor sich. Es sind die großen Kapitalisten, die die Kenntnis besitzen
von den Vorgängen in den Aktiengesellschaften, die die Gestaltung
der Geschäftsergebnisse übersehen und daher die Richtung der
Kursentwicklung vorauswissen können. Ihnen erlaubt es auch ihro
große Kapitalsmacht, durch entsprechende Käufe und Verkäufe dio
Kursgestaltung selbst zu beeinflussen und daraus den entsprechen-
den Gewinn zu ziehen. Ferner gestattet ihnen ihre Kapitalsmacht
die Interventionen, wofür sie sich noch so preisen lassen, die Auf-
nahme der Papiere zu Zeiten einer Krisis oder einer Panik, die sie
dann, sobald normale Verhältnisse wieder eingetreten sind, mit Ge-
winn verkaufen können. 1 Kurz, sie sind es, die Bescheid wissen, und
1 Vielleicht das bedeutendste Beispiel aus neuester Zeit ist die Aufnahme
der Tennessee Steel & Goal Company während der Panik im Herbst 1.007
durch den Stahltrust, dessen bedeutendste Konkurrentin diese Kompanie
war. Im „Berliner Tageblatt" vom 17. November 1907 schreibt darüber einn
entrüstete Feder: „Von gut informierter Seite wird jetzt bestätigt, daß din
beiden vor einigen Tagen nach Washington gesandten Vertreter J. Pierpont
Morgans - E. H. Gary (Steel Trust) und H. C. Frick — dem Präsidenten
Boosevelt folgendes Ultimatum stellten: entweder die Aufsaugung der
Tennessee Steel & Coal Company durch den Morganschen Trust ruhiß
gewähren zu lassen und zu versprechen, daß von der Begierung keine prä-
ventive Aktion vorgenommen werde in Gemäßheit der bestehenden Anli-
trustgesetze, oder — die schlimmste Panik zu erleben, die sich je im Land«
abgespielt hat, mit wahrscheinlicher Suspendierung jeder Bank.
Diese waghalsig im erregtesten und bedrohlichsten Moment der wirt-
schaftlichen Katastrophe auf den Staatspräsidenten gerichteten Feuerwaffen
■ 1 1er Schwankungen des Geschäfts sind vorteilhaft für den, der
Ui»acliftid weiß", wie schon der schlaue Bankier Samuel Gurney
• I ■■ 1 1 1 Komitee des Oberhauses versicherte.
l'Vir die Funktion der Börse, dem industriellen Kapital durch
\ ' i Wandlung in fiktives Kapital für den individuellen Kapitalisten
ili ii Charakter von Geldkapital zu verleihen, ist die Größe des
M.iiklcs wesentlich, da ja der Geldkapitalcharakter davon abhängt,
• I i II die Aktien und Obligationen jederzeit wirklich und ohne größe-
i'-ii Kursverlust verkauft werden können. Daher die Tendenz zur
glichst großen Konzentration aller Geschäfte an einem einzigen
M i rli t ; so werden die Bank- und Börsengeschäfte immer mehr im
.'• niialpiinkt des wirtschaftlichen Lebens, in der Hauptstadt, kon-
riiiiicrl, während die Provinzbörsen immer mehr an Bedeutung
v ■ i Herein. In Deutschland überragt die Berliner Börse weit alle
Im-n. Neben Berlin kommen nur noch die Börsen in Hamburg
null Frankfurt in Betracht, deren Bedeutung aber im Rückgang
I" lniillich ist.
Wahrend nach der kleinbürgerlichen TheSrie die Aktien die
I Vinokratisierung des Kapitals" bedeuten sollen, sucht die klein-
lniii-ri liehe Praxis — immer noch vernünftiger — den Aktienbesitz
niil diu Kapitalisten zu beschränken. Die Vertreter der großkapita-
lr i lachen Praxis schließen sich bereitwilligst diesen Warnungen an,
in ih'iii angenehmen Bewußtsein, daß sie nicht allzuviel nützen
I hu naturgemäß ihre Wirkung nicht verfehlen. Der Präsident mußte,
rl> i IViil gehorchend, der Börse seine Macht ausliefern. Er wurde brutal
i" nviiNjjen, selbst seine höchsten Pflichten als erster Staatsbeamter augen-
I'ImIIhIi abzuschwören und die bestehenden Gesetze außer acht zu lassen.
I in' lii'n liste Exekutivgewalt war unschädlich gemacht, und — der brave Mor-
i I, minie für die , Rettung' der Trust Company of America und der Lincoln
I i'niti Company das Monopol für Eisen und Stahl in der Union für seinen
■ -I ••!■ I Ti nst einstreichen. Wenige Tage später ist ihm in seiner Rettertätigkeit
'in ni'ili'iTr Coup gelungen, er nahm C. W. Morses Coastwise Steamship
' Ivimilion.
Hie, kennzeichnet die augenblickliche Lage der von selbstlosen Patrioten
>> ii' (ii'iiige Washington, Benjamin Franklin, Jefferson und anderen hervor-
i inli.'ii Männern begründeten Republik der United States of America."
' Miu-x, „Kapital", III., 1., S. 406. (Neuausgabe S. 459. Die Red.)
198
199
werden. „Wer festen Zins zum Leben braucht", meint der Sach-
verständige Arnhold, „der darf keine Aktien kaufen." 1 Die schwan-
kenden Erträgnisse einer Aktie, wird dann im folgenden ausgeführt,
sind für den, der seine Zinsen zum Leben braucht, nur eine Quelle
von Kapitalverlusten, weü ihn hohe Dividenden meist zu einer Er-
höhung seines Etats veranlassen; er benützt hohe Kurse nicht zum
Verkauf, sondern tut das in der Regel erst dann, wenn er durch
kleine Dividenden und niedrige Kurse ängstlich geworden ist (und
das wird er immer, weil er keinen Einblick in die wirkliche Lage
des Geschäftes hat und daher dem Kurs, dem „Urteil" der Börse,
glauben muß) oder aus sonstweichen Anlässen verkaufen muß.
3. Die Börsengeschäfte
Börsengeschäfte sind Kauf- und Verkaufgeschäfte, die sich von
anderen essentiell unterscheiden durch die Ware, mit der, und nicht
durch die Weise, in der gehandelt wird. Nicht die Technik der Ge-
schäfte, sondern ihr Inhalt ist ökonomisch entscheidend, und die
Beschreibung dieser technischen Einzelheiten gehört in ein Hand-
buch für praktische Kaufleute mehr als in eine theoretische Ab-
handlung. Nur insofern die Art der Abwicklung der Geschäfte
gewisse Resultate erleichtert, die aus dem Inhalt der Geschäfte sich
ergeben, wird sie auch allgemein von Wichtigkeit und Interesse.
Die eigenartigen Bestimmungen über die Abwicklung der
Börsengeschäfte - die Börsenusancen - verfolgen vor allem die Er-
möglichung weitestgehender Kreditbenützung, der Begrenzung des
Risikos und der größten Beschleunigung der Umsätze.
Die Kreditbenützung ist im weitesten Maße schon ermöglicht
durch die Natur der „Waren", mit denen gehandelt wird. Diese sind
im vorhinein Geldanweisungen entweder direkt wie die Wechsel
usw. oder indirekt wie die kapitalistischen Profitanweisungen. Als
solche Geldanweisungen sind die Börsenwerte einander gleich, fun-
gibel, nur quantitativ verschieden. Auch sogenannte qualitative
1 Stenographischer Bericht der deutschen Börsenenquete 1893, I., S. 190.
200
Unterschiede der Börsenpapiere, wie die zwischen festverzinslichen
Papieren und den Aktien, ebenso wie Unterschiede in der Sicherheit
der Papiere, werden durch den Börsenhandel stets in quantitative
Unterschiede verwandelt und können auch gar nicht anders als in
Verschiedenheiten der Bewertung zum Ausdruck kommen. Nur daß
hier die Verschiedenheit des Preises nicht wie bei verschiedener
Qualität derselben Ware sich in erster Linie aus der Verschieden-
heit der Produktionskosten erklärt, sondern ausschließlich zustande
kommt durch ein verschiedenes Verhältnis von Nachfrage und An-
gebot. Wenn meinethalben eine Zuckeraktie und eine Eisenbahn-
aktie gleichen Ertrag liefern, so mag der Kurs der Eisenbahnaktie
höher sein, weil mehr Leute die Eisenbahnaktie kaufen wollen, die
nach ihrer Meinung größere Stabilität in ihrem Erträgnis ver-
sprechen mag. Der qualitative Unterschied der Sicherheit des Er-
trages ist in der Verschiedenheit des Kurses quantitativ ausgedrückt.
Diese Fungibilität der Börsenwerte läßt nun die Möglichkeit zu,
daß die Kauf- und Verkaufgeschäfte durch gegenseitige Kompen-
sation zum größten Teil erledigt werden und nur ein geringer Teil
durch Bezahlung der Differenzen beglichen zu werden braucht. Mit
dem Abschluß des Geschäftes ist so zugleich Kreditgewährung ver-
bunden, das Geld fungiert nur als Rechengeld, und nur ein geringer
Betrag ist dann zur Barzahlung nötig. Damit aber diese Zahlungen
auf das geringste Maß reduziert werden können, sind eigene An-
stalten zur Kompensation der aus den Kauf- und Verkauf geschäften
resultierenden Forderungen vorhanden. 1 Dazu ist aber nötig, daß
die Preise, zu denen die Börsengeschäfte abgeschlossen werden, be-
kannt sind; die Kursfestsetzung ist daher öffentlich. Zugleich wird
1 So besteht zum Beispiel in London „seit 1874 das Stock Exchange
Clearing, durch welches für die bedeutendsten Effektengattungen die jeweili-
gen Umsätze so weit als möglich kompensiert werden, so daß nur für den etwa
verbleibenden Rest ein Scheck ausgestellt wird. Für die Umsätze auf der
Fondsbörse ist das Ergebnis, daß nur zirka 10 Prozent derselben per Scheck
zu bezahlen sind, während 90 Prozent der gegenseitigen Verpflichtungen
sich durch einfachen Ausgleich erledigen." (Jaff6, „Das englische Bank-
wesen", Leipzig 1904, S. 95.) Ähnliche Einrichtungen existieren auch an den
anderen Börsenplätzen.
201
durch diese öffentliche Kursfestsetzung erst die Funktion der Börse
erfüllt, der Markt zu sein, wo jederzeit zu einem bekannten Preis
diese Börsenwerte gehandelt werden können. Da so der jederzeit
realisierbare Preis festgesetzt wird, ist auch die andere Form der
Kreditgewährung, die eigentliche Belehnung im Gegensatz zur
früheren Form der Zahlungskompensation wesentlich erleichtert,
da der Kreditgeber genau den Preis des Objekts, das er belehnt,
kennt. Der Spekulant verpfändet dem Geldgeber die Papiere, die
er mit dem geliehenen Geld bezahlt. Zugleich entsteht so eine neue
und sichere Art der zinstragenden Verwendung von Geldkapital in
der Lombardierung der Börsenpapiere.
Die Kreditgewährung gestattet dem Spekulanten, schon gering-
fügige Preisschwankungen auszunützen, indem er so seine Opera-
tionen weit über sein eigenes Vermögen ausdehnen kann und da-
mit auch kleine Preisschwankungen durch den Umfang seiner Ge-
schäfte lukrativ macht. Umgekehrt wieder dadurch, daß der Speku-
lation durch den Kredit gestattet wird, ihre Geschäfte auszudehnen,
jederzeit die Marktlage auszunützen, bewirkt sie, da die spekulativen
Operationen stets von Gegenoperationen begleitet werden, eine Ver-
ringerung der Preisschwankungen. Die Kreditausnützung steigert
gleichzeitig die Überlegenheit des großen Spekulanten; die Wucht
seines Vermögens wird ums Vielfache vermehrt durch die Aus-
nützung des Kredits, der viel rascher wächst als das Vermögen.
Eine weitere Eigentümlichkeit der Börsengeschäfte ist die
Schnelligkeit, mit der sie geschlossen werden, die eine gewisse Form-
losigkeit des Geschäftsabschlusses bedingt. Diese Schnelligkeit ent-
springt wesentlich aus dem Bedürfnis der Spekulation, geringe, kurz
dauernde Preisschwankungen ausnützen zu können. Bei dem schnel-
len Wechsel des Verhältnisses von Nachfrage und Angebot und der
Schnelligkeit der Kursvariationen ist diese möglichste Beschleuni-
gung des Geschäftsabschlusses von großer Wichtigkeit. Denn für
die Spekulation bedeutet jeder neue Umschlag eine neue Ver-
wertungsmöglichkeit, neuen Kursgewinn; deshalb wird jede zeit-
raubende Formalität perhorresziert, denn hier gilt tatsächlich für
viele das Wort: Zeit ist Geld. Daher auch die Abneigung gegen jede
gesetzliche Fristbestimmung, gegen jede gesetzliche Intervention
überhaupt, die stets mit Zeitverlust verbunden ist.
Die Vorteile des Kredits werden am besten ausgenützt durch den
Terminhandel. Das Termingeschäft verlegt die Erfüllung aller
Geschäfte auf den gleichen Zeitpunkt. Da diese Geschäfte vor allem
von der Spekulation gemacht werden, stehen sich Kauf- und Ver-
kaufgeschäfte gegenüber, die sich zum größten Teil gegenseitig
kompensieren. Geld ist nur nötig zum Ausgleich der Differenzen
(und auch diese Zahlungen finden statt zum großen Teil durch
Kreditgeld oder Überschreibungen in den Büchern der Banken) oder
zur Begleichung einseitiger Käufe und Verkäufe, die aber der
großen Menge der sich kompensierenden Geschäfte gegenüber
relativ gering sind. Auch hier entfaltet der Kredit seine markt-
erweiternde Wirkung. Der Terminhandel erlaubt eine große Aus-
dehnung der Operationen; die Papiere, die auf Termin gehandelt
werden, finden jederzeit ihren Markt; es ist daher jederzeit möglich,
durch Kauf oder Verkauf seine Spekulation zu beendigen, seinen
Gewinn zu realisieren oder seinen Verlust zu begrenzen, außer im
Zeitpunkt katastrophenartiger Erschütterungen des Marktes. Da es
ferner bei der Terminspekulation nicht auf den Besitz der Papiere
ankommt, sondern auf die Erzielung des Differenzgewinns, und
die Papiere jederzeit verkauft werden können, so ist die Größe des
Engagements begrenzt nicht durch den Preis der Papiere, sondern
nur durch die Summe der Differenzen, die aus der Spekulation ent-
stehen können. Zugleich sind die wirklich existierenden, am Markte
vorhandenen Papiere nur nötig, soweit sich die Spekulations-
geschäfte — Kauf und Verkauf — nicht gegenseitig aufheben. Die
Größe des eingegangenen Engagements ist also auch unabhängig
von der Größe der Preissumme der wirklich vorhandenen Papiere
und kann diese um das Vielfache übertreffen. Zugleich ist durch die
typische Beschaffenheit der Schlußbedingungen für die Schnellig-
keit der Geschäftsabwicklung in vollkommenster Weise gesorgt.
Die größere Vereinfachung auf dem Terminmarkt, die erhöhte
Möglichkeit der Kompensation verringert das Kapital, das für das
Eingehen der Spekulation nötig ist. Es erweitert damit den Kreis
202
203
der Personen, die sich an der Spekulation beteiligen können, und
vergrößert den Umfang der einzelnen Engagements. Der Termin-
markt wird gegenüber dem Kassenmarkt erweitert. Zugleich aber
absorbiert er weniger Mittel zur Aufrechterhaltung und Fort-
führung der Spekulation und wirkt dadurch weniger intensiv auf
den Zins des der Spekulation zur Verfügung gestellten Kapitals.
Da aber stets ein großer Teil der Spekulation mit geliehenem Kapi-
tal gemacht wird, für die Weiterführung der Spekulation der Zins
auf dieses Kapital bestimmend einwirkt, wird der Terminmarkt im
allgemeinen die Tendenz zur stetigeren Fortführung der Speku-
lation haben. Aus dieser größeren Stetigkeit folgt wieder eine ge-
ringere Variation im Verhältnis von Nachfrage und Angebot und
damit ein geringerer Ausschlag der Kursschwankungen. Zugleich
genügen bei dem größeren Umfang der Transaktionen auch viel
geringere Schwankungen, um die Spekulanten zu ihren Aktionen
zu veranlassen. In gleicher Richtung wirkt der Umstand, daß durch
den Terminhandel auch der Verkauf der Papiere zu Spekulations-
zwecken ermöglicht ist und dadurch einem einseitigen Zunehmen
des Angebots besser entgegengewirkt werden kann als auf dem
Kassenmarkt.
Der Terminhandel gibt die Möglichkeit, erst später fällige Kapi-
talien schon früher zu vorher feststehenden Kursen anzulegen oder
1 „Die Formen des Börsenverkehrs sind aber nicht nur für die Ermittlung
der Preise von Bedeutung; die Bedingungen für die Eingehung und Abwick-
lung von Börsengeschäften sind mehr als bloße juristisch-technische Hilfs-
mittel des Börsenverkehrs, sie sind auch Faktoren der Preisbildung selbst,
deren "Wichtigkeit nicht verkannt werden darf, wenn auch in letzter Linie
Bedarf und Vorrat, Angebot und Nachfrage entscheiden. Ob ein Effekt oder
eine Ware bloß per Kasse oder auch auf Termin, ob auf längere oder kürzere
Termine, in welchen Schluß einheiten, in welcher Type eine Ware, in welcher
Börsengruppe: Kulisse oder Schranken, ein Wertpapier gehandelt wird und
andere formale Einrichtungen mehr: das sind sehr einflußreiche Momente,
nicht bloß für die richtige Ermittlung der Preise, sondern auch für ihre
Bildung, und jede Veränderung in ihnen beeinflußt die Kurve, in der die
Preise auf einem organisierten Markt zeitlich verlaufen." Landesberger, „Die
Reform der landwirtschaftlichen Börsen in Deutschland", „Zeitschrift für
Volkswohlfahrt, Sozialpolitik und Verwaltung", XL Bd. (1902), S. 56.
die erst später benötigten Kapitalien sich zu günstigen Umständen
vorher zu beschaffen. Dazu kommt die bereits erwähnte Erweite-
rung des Marktes, die der Terminhandel durch die Leichtigkeit der
Kreditgewährung und des Geschäftsabschlusses überhaupt gewährt.
Er ist aufnahmefähiger als der Kassenmarkt. Er erleichtert so das
Emissionsgeschäft, indem die Emissionshäuser ihre Bestände all-
mählich und ohne Kursrückgang veräußern können. Der Termin-
handel ist auch für die Funktion der Arbitrage, des Ausgleiches von
Kursdifferenzen an verschiedenen Börsenplätzen die gegebene Form.
Die Spekulation verlangt einen gewissen Vorrat von Papieren,
der für ihre Zwecke zur Verfügung gestellt ist. Ist ein Papier über-
wiegend in „festen" Händen, das heißt, ist es als Anlagepapier dem
Markt dauernd entzogen, so ist es für die Spekulation ungeeignet.
Ebenso sind Papiere, deren Gesamtbetrag gering ist, ungeeignete
Objekte der Spekulation. Kleine Käufe und Verkäufe können das
Kursniveau sehr stark beeinflussen und geben einigen wenigen
Kapitalisten die Möglichkeit, durch Aufkauf en des gesamten „Mate-
rials" ihren Gegenspekulanten Monopolpreise diktieren zu können.
Die Spekulation setzt eben einen großen, nicht allzu leicht zu beherr-
schenden Markt voraus ; das Monopol ist der Tod der Spekulation.
Mit den Spekulationsgeschäften sind, wie wir gesehen haben,
immer auch Kreditgeschäfte verbunden. Bei der Spekulation steht
ja nicht die Gesamtsumme des Kurswertes der angekauften Papiere
in Frage, sondern nur die Größe der möglichen Kursvariationen.
Der Kreditgeber wird bei Verpfändung des Papiers bis zu einem
solchen Betrag mit der Kreditgewährung gehen können, daß er
gegen Kursveränderungen gedeckt ist. Ist der Kurs eines Papiers,
in dem verhältnismäßig geringe Schwankungen vorkommen, 110,
so wird beispielsweise der Spekulant jederzeit gegen Verpfändung
des Papiers 90 erhalten können und braucht daher nur 20 selbst
vorzuschießen.
Diese Form der Kreditgewährung ist die gewöhnlichste Art, in
der Börsenkommissionsgeschäfte, Bankiers und Banken ihren Kun-
den die Beteiligung an den Börsengeschäften ermöglichen. Die Ent-
1 Deutsche Börsenenquete, L, Bericht der Kommission, S. 75 ff.
204
16 Hilferding, Das Finanzkapital
205
ziehung oder Erschwerung dieses Kredits ist ein beliebtes Mittel,
diese Kunden „aus ihren Engagements zu werfen", den Fortgang
ihrer Spekulationen unmöglich zu machen, sie zu zwingen, zu jedem
Preis ihre Papiere loszuschlagen und so durch dieses plötzliche An-
gebot die Kurse zu werfen, zugleich ein Mittel für die Kreditgeber,
diese Papiere zu billigen Preisen sich zu verschaffen. Auch hier ist
die Kreditgewährung ein Mittel zur Expropriation der kleinen
Schuldner.
Anders ist die Kreditgewährung für die eigentliche große Speku-
lation geregelt. Hier verschaffen sich die Spekulanten die nötigen
Gelder auf dem Wege des Reports. Formell besteht das Report-
geschäft in einem Kauf- und Verkaufgeschäft. Will der Hausse-
spekulant seine Papiere über den Ultimo hinaus halten bis zum
nächsten Termin, weil er hofft, daß in der Zwischenzeit die Papiere
weiter steigen werden, so verkauft er diese Papiere an einen Geld-
kapitalisten und kauft sie für den nächsten Termin zurück. In dem
Unterschied des Verkauf- und Kaufpreises ist für den Geldgeber
die Verzinsung seines Geldes enthalten. Das ist aber nur nominell,
in Wirklichkeit hat einfach der Geldgeber für diese bestimmte Zeit
das Papier aufgenommen und ist an Stelle des Spekulanten getreten;
er unterscheidet sich aber von ihm dadurch, daß er kein Risiko über-
nimmt, auch keinen Spekulationsgewinn machen will, sondern sein
Geld für diese Zeit angelegt hat und dafür den Zins realisiert. Es
ist aber hier die Form, in welcher dieser Vorschuß geleistet wird,
von Wichtigkeit. Denn dadurch, daß hier das Kreditgeschäft die
Form eines Kaufgeschäftes hat, geht in der Zwischenzeit das Eigen-
tum an den Papieren auf den Kreditgeber über. Dies ermöglicht
ihm, in der Zwischenzeit die Papiere nach Gutdünken zu benützen.
Dies kann wichtig werden, sobald es sich um industrielle Aktien
handelt. Es kann sich bei einer Bank darum handeln, sich zur Zeit
einer Generalversammlung durch großen Aktienbesitz entscheiden-
den Einfluß auf deren Beschlüsse zu sichern. Durch den Report ist
sie imstande, sich vorübergehend in den Besitz der Aktien zu setzen
und damit die Aktiengesellschaft zu beherrschen. Indem eine Bank
die Reportierung durch Herabsetzung des Reportsatzes erleichtert,
wird es ihr ein leichtes, von der Spekulation diese Papiere zu er-
halten. Die Banken pflegen dabei sich oft gegenseitig zu unter-
stützen, indem sie die Konkurrenz um die Reportierung bei einem
bestimmten Papier in einem gegebenen Zeitraum ausschalten. Da-
durch gewinnen die Aktien gleichsam doppelte Funktion. Sie dienen
einerseits als Objekt der Spekulation und Unterlage für ihre Diffe-
renzgewinne. Gleichzeitig dienen sie auch den Banken in ihrem
Bestreben, sich in den Aktiengesellschaften beherrschenden Einfluß
zu verschaffen und ihren Willen in den Generalversammlungen zur
Geltung zu bringen, ohne dabei genötigt zu sein, dauernd ihre
Gelder in den betreffenden Aktien festlegen zu müssen.
Die Größe der Börsenspekulationen ist unter sonst gleichen Um-
ständen wesentlich abhängig von der Größe des den Spekulanten zur
Verfügung stehenden Geldes. Denn wie oft die Papiere umgesetzt
werden — und jeder dieser Umsätze bringt Differenzgewinne — , ist
von der Zahl der vorhandenen Papiere natürlich unabhängig.
1 Dies kann auch zu anderen Zwecken geschehen. „Auf dem Kontinent
wird (von den Banken) nicht selten eine eigene Reportpolitik getrieben. Es
kommt vor, daß Banken, wenn sie zum Beispiel eine größere Emission vor-
bereiten, den Report herabsetzen, um Haussestimmung zu erzeugen, sie
können ja den Verlust, den sie dadurch erleiden, durch Kursgewinne bei der
Emission kompensieren." Philippovich, „Grundriß der politischen Ökonomie",
II. Bd., 2. Teil, S. 181.
2 Vergleiche Deutsche Börsenenrpiete, III., S. 1950, die Aussage des
Sachverständigen Königs. Er hält den Terminhandel für die Industrie für
unerwünscht und begründet dies folgendermaßen: „Alle diese Papiere, die
im Ultimohandel sind, schwimmen an der Börse herum, zum großen Teil
in Händen, die sich dauernd nicht für die Sache selbst interessieren, sondern
nur ein Interesse haben an den Aktien, aber nicht an den Werken als Werken,
die ein Interesse daran haben, die Aktien von oben nach unten oder von unten
nach oben zu bringen; bei den Einrichtungen, die bei dem Ultimohandel
bestehen, ist es außerordentlich leicht für jemand, auf die Werke einzuwirken
und an dem Ultimo desjenigen Monats, wo eine Generalversammlung statt-
finden soll, sich ein großes Quantum Aktien zu sichern im Wege des Reports.
Man tritt als Eigentümer von ein paar Millionen Aktien auf, die einem gar
nicht gehören, tritt auf einmal vor die soliden Aktionäre, die gar nichts
ahnen; auf einmal werden sie überrumpelt und ihnen die schönsten Sachen
oktroyiert, von denen sie gar nichts geahnt haben."
206
207
Daher der Einfluß der Banken auf die Börsenspekulation, die durch
Gewährung oder Versagen des Kredits den Umfang der Spekulation
in hohem Maße beeinflussen können. Die größte Inanspruchnahme
des Kredits erfolgt nun auf dem Wege des Reportgeschäftes. In
diesem werden meistens bedeutende flottante Kapitalien angelegt 1 ,
und diese Anlagen sind von Einfluß auf die Bildung der Sätze für
tägliches Geld und — in Zeiten geringerer Geldflüssigkeit — auf die
Diskontsätze und damit auf die Goldbewegung. Durch die Ein-
schränkung der Kreditgewährung können daher die Banken un-
mittelbaren Einfluß auf die Höhe des Zinses nehmen. Es ist dies
möglich, weil hier die Kreditgewährung in ganz anderem Maße
in dem Belieben der Banken steht. Es handelt sich hier um rein
finanzielle Transaktionen, die wegfallen können, ohne auf den Gang
der Volkswirtschaft von entscheidendem Einfluß zu sein. Anders
bei der Kreditgewährung an die Kommerziellen und Industriellen,
wo eine plötzliche und übertriebene Kreditentziehung zum Zu-
sammenbruch und zur akutesten Krise führen muß.
Mit der Entwicklung des Bankwesens geht eine Änderung in der
Struktur des Handels in Wertpapieren vor sich. Anfangs ist der
Bankier nur Kommissionär, der für den Kunden das Geschäft be-
sorgt. Je mehr aber die Kapitalskraft und das Interesse der Bank
an den Aktienkursen wächst, desto mehr geht sie zum Eigenhandel
über. Ein großer Teil der Umsätze wird jetzt nicht mehr auf der
Börse vollzogen, sondern die Bank gleicht die von ihren Kunden
an sie gelangenden Aufträge untereinander aus, und nur der Be-
trag, der sich nicht ausgleicht, wird auf der Börse besorgt oder aus
den eigenen Beständen der Bank gedeckt. Es steht also bis zu einem
gewissen Grade im Belieben der Bank, welche Summen sie auf der
Börse zum Kauf oder Verkauf bringt; die Bank hat darin ein Mittel,
die Kursentwicklung zu beeinflussen. So hört die Bank auf, bloße
Vermittlerin des Effektenhandels zu sein, und treibt Eigenhandel.
1 Siehe die Aussage von Meier (Börsenenquete, II. Bd., S. 1608), der die
starke Entwicklung des Termingeschäftes in England darauf zurückführt,
daß dort jederzeit bedeutende flottante Kapitalien für das Reportgeschäft
zur Verfügung stehen.
„Das Bankgeschäft ist heute tatsächlich kein Kommissionsgeschäft
mehr, es ist das Geschäft des Eigenhandels geworden." 1
Zugleich entzieht die Großbank der Börse einen Teil ihrer Funk-
tion und wird selbst zum Markt für die Effekten; der Börse bleibt
nur ein Restbetrag übrig, der bei den Banken nicht zum Ausgleich
kommt. „Eine Großbank stellt in sich ein Quantum von Angebot
und Nachfrage dar, wie es früher ein bedeutender Börsenplatz allein
repräsentierte."
Mit der fortschreitenden Konzentration des Bankwesens wächst
die Macht der Großbanken über die Börse außerordentlich, beson-
ders in den Zeiten, wo die Beteiligung des großen Publikums an
der Börsenspekulation geringer ist. „Wie sich die Verhältnisse
an der Börse entwickelt haben, muß man ja heute, statt von einer
Tendenz der Börse, viel eher von einer Tendenz der Großbanken
reden, weil diese die Börse immer mehr zu ihrem abhängigen Werk-
zeug gemacht haben und deren Bewegungen nach ihrem eigenen
Belieben lenken. Wie im vergangenen Frühjahr die viel erörterte
ungünstige Konjunkturprognose einer Großbank den äußeren An-
1 Die Börsenenquete, I. Bd., S. 347. Aussage von Amhold.
5 Vergleiche zum Beispiel folgende Äußerungen eines „hervorragenden
Mitgliedes der Berliner Bankwelt", die das „Berliner Tageblatt" vom
25. Februar 1908 wiedergibt: „Vergessen Sie nicht, daß zu dem offiziellen
Kassakurs nur ein relativ kleiner Teil der Gesamtumsätze getätigt wird. Die
Konzentration im deutschen Bankgewerbe hat es mit sich gebracht, daß ein
wesentlicher Teil der Kauf- und Verkauforders in den Büros der Groß-
banken zur Kompensation gelangt. An der Berliner Börse werden eigentlich
nur noch die ,Spitzen' reguliert."
Die gleiche Erscheinung auch in Osterreich: In der Generalversammlung
des Wiener Giro- und Kassenvereins klagt ein Aktionär: „Infolge des Um-
standes, daß das kommerzielle Leben der Monarchie sich immer mehr bei den
Banken konzentriert, so daß alle schwächeren Privathäuser verschwinden
müssen, benötigt der Umsatz an der Börse in sehr vielen Fällen gar nicht die
Vermittlung des Arrangementbüros. Jede Bank ist ein Giro- und Kassen-
verein ohne Spesen und Beamten. Das Prosperieren des Effektengeschäftes bei
den Banken ist verbunden mit einer Einschränkung der Vermittlung des
Arrangements durch den Giro- und Kassenverein." „Neue Freie Presse" vom
1. Februar 1905.
' Berliner Jahrbuch für Handel und Industrie 1905.
208
209
stoß zu dem damaligen plötzlichen Kursrückgang gegeben hatte,
dessen innere Ursachen allerdings natürlich viel tiefer lagen, so
sind es in dieser Woche umgekehrt Stimulationen und Beruhigungs-
versuche der Haute-banque gewesen, die die Stimmung der Börse
ausgewechselt und sie, die bisher nur für die ungünstigen Momente
Aufmerksamkeit hatte, jetzt auch für die günstigen empfänglich
gemacht haben."
Zu diesem starken Einfluß auf die Kursentwicklung kommt aber
hinzu, daß die Banken durch ihre zunehmende Verbindung mit der
Industrie die Verhältnisse der einzelnen Unternehmungen genau
kennen, die Ergebnisse voraussehen, eventuell unter Umständen
deren Höhe nach ihren Wünschen beeinflussen können, alles
Momente, die den Banken gestatten, bei ihren Spekulationen mit
großer Sicherheit zu operieren.
Mit dieser Entwicklung der Großbanken ist natürlich ein Rück-
gang in der Bedeutung der Börsen verbunden.
1 „Frankfurter Zeitung" vom 21. Juni 1907.
2 So schreibt die „Frankfurter Zeitung" am 28. Jänner 1906 :
„Von einer wirklichen Ultimo-Liquidation ist heutzutage kaum die Rede.
Es werden allerdings noch Prolongationssätze bekanntgegeben, aber die
Mehrzahl der Schiebungen wird innerhalb der großen Banken reguliert, die
auch ihre eigenen Sätze notieren dürften. Über die Höhe der schwebenden
Engagements läßt sich überhaupt kein Urteil abgeben, weil, wie gesagt, in
der Börsenliquidation nur der kleinste Teil aller Engagements zur Verrech-
nung gelangt."
Anders steht es zum Teil mit den auswärtigen Börsen. Namentlich die
New- Yorker Börse hat als Mittel der Eigentumsübertragung, das heißt der
Expropriation, größere Bedeutung als die europäischen Börsen. Hier wirkt
auch die eigentümliche Geldverfassung in Verbindung mit der Börsentechnik
mit. Die New-Yorker Börse kennt nur das Kassengeschäft, in der Art, daß
die Differenzen täglich reguliert werden müssen. Bei stärkeren Kursbewe-
gungen, besonders wenn diese sich in ein und derselben Richtung bewegen,
entsteht so eine starke Nachfrage nach Geld. Ist der Geldmarkt angespannt,
so ist die amerikanische Notenbankgesetzgebung mit ihrer mangelnden
Elastizität ein ausgezeichnetes Mittel, exorbitante Zinssätze zu produzieren,
die die kleinen Spekulanten nicht bezahlen können. Dies ist der Moment für
die großen Geldgeber, sie „aus der Spekulation zu werfen" und bei der Zwangs-
liquidation die Papiere billig zu erwerben.
210
Auf der Börse erscheint das kapitalistische Eigentum in seiner
reinen Form als Ertragstitel, in den das Ausbeutungsverhältnis, die
Aneignung der Mehrarbeit, begriffslos verwandelt ist. Das Eigen-
tum hört auf, irgendein bestimmtes Produktions Verhältnis aus-
zudrücken, und wird eine Ertragsanweisung, die ganz unabhängig
erscheint von irgendeiner Tätigkeit. Das Eigentum ist losgelöst von
jeder Beziehung zur Produktion, zum Gebrauchswert. Der Wert
jedes Eigentums erscheint bestimmt vom Wert des Ertrages, eine
rein quantitative Beziehung. Die Zahl ist alles und die Sache nichts.
Die Zahl allein ist das Wirkliche, und da das Wirkliche keine Zahl
ist, so ist der Zusammenhang mystischer als der Glaube der Pytha-
goräer. Alles Eigentum ist Kapital und Nichteigentum, Schulden
sind, wie jede Staatsanleihe beweist, ebenso Kapital, und alles Kapi-
tal ist gleich und verkörpert sich in den bedruckten Papierzetteln,
die auf der Börse hoch- und niedergehen. Die wirkliche Wertbildung
ist ein Vorgang, der ganz der Sphäre der Eigentümer entrückt bleibt
und auf völlig rätselhafte Weise ihr Eigentum bestimmt.
Die Größe des Eigentums scheint nichts zu tun zu haben mit
der Arbeit; ist schon in der Profitrate der unmittelbare Zusammen-
hang von Arbeit und Kapitalertrag verhüllt, so vollends in der Zins-
rate. Die scheinbare Verwandlung alles Kapitals in zinstragendes
Kapital, das die Form des fiktiven Kapitals mit sich bringt, löscht
vollends jede Einsicht in den Zusammenhang aus. Es erscheint
absurd, den Zins, der stets wechselt und in der Tat unabhängig von
den unmittelbaren Vorgängen in der Produktion wechseln kann,
in Zusammenhang mit der Arbeit zu bringen. Er erscheint als Folge
des Kapitaleigentums als solchen, als töxos , Frucht des mit Produk-
tivität begabten Kapitals. Er ist wechselnd, unbestimmt, und mit
ihm wechselt der „Wert des Eigentums", eine verrückte Kategorie.
Dieser Wert erscheint ebenso rätselhaft, unbestimmt, wie die Zu-
kunft. Der bloße Zeitablauf scheint Zinsen zu bringen, und Böhm-
Bawerk macht aus diesem Schein seine Theorie des Kapitalzinses.
211
IX. Kapitel
DIE WARENBÖRSE
Für den Effektenhandel ist die Börse die Geburtsstätte. Mit ihr
entwickeln sich die Effektenbanken, die einerseits Konkurrenten
der Börse sind, anderseits die Börse als ihr Vermittlungsorgan ge-
brauchen. Für den Effektenhandel ist das Termingeschäft un-
wesentlich, es erleichtert ihn, hat aber keinen entscheidenden Ein-
fluß auf die Höhe des Preises. Anders steht es beim börsenmäßigen
Warenhandel. 1
Auf der Effektenbörse vollzieht sich der Umsatz von Effekten;
diese Umsätze erfüllen die Funktion der Mobilisierung des Kapi-
tals. Im Verkauf der Aktien vollzieht sich für den individuellen
Kapitalisten die Rückverwandlung fiktiven Kapitals (das seinerzeit
einmal in industrielles Kapital verwandelt worden war) in Geld-
kapital. Es sind Umsätze eigener Natur, die mit dem Warenhandel
nichts gemeinsam haben als die Form von Kauf und Verkauf, die
allgemein ökonomische Form von Wert- und Eigentumsüber-
tragung. Ganz anders der Warenhandel: hier vollzieht sich dj e
Realisierung des in der Produk tion erzeugten industriellen un d
kommerziellen Profits; zugleich erfüllt sich durch die Waren-
zirkul ation der Stoffwechsel der Gesellschaft. Warenbörse und
Effektenbörse unterscheiden sich daher von vornherein schon so
wie Waren und Effekten. Ihre Zusammenwerfung als „Börse" muß
1 Herr Rüssel von der Diskontogesellschaft definiert: „Das Wesen der
kaufmännischen Spekulation liegt darin, eine entsprechende Änderung der
Konjunktur wahrzunehmen und unter Umständen dieselbe sich durch den
Terminhandel schon im voraus zu sichern." Börsenenquete, I., S. 417.
212
Verwirrung stiften, wenn man diesen grundlegenden Unterschied
außer acht läßt und noch dazu Spekulation und Handel identifiziert.
Der Begriff des börsenmäßigen Warenhandels, also der spezifischen
Eigenschaften der Warenbörse, zum Unterschied von anderem
„Handel" bedarf daher näherer Prüfung.
Gewöhnlich nennt man allen Handel börsenmäßtg, der an einer
Börse , einem vo n zahlreichen Kaufleuten bes uchten Ort, vor sich
jpli t Doch ist es klar, daß es nur einen han d eist echni sehen, aber
keinen ökonomischen Unterschied ausmachen kann, ob die Kauf-
leute ihr Geschäft auf ihren Kontors erledigen oder an einem dritten
Ort, eben der Börse. Die Schnelligkeit der Geschäftsabschlüsse, die
Übersicht der Marktlage können dadurch vermehrt werden; doch
s ind d ies bloß handelstechnische und. nicht ökonomische Unte r-
schiede-
Der Unterschied bleibt selbst dann ein bloß handelstechnischer,
wenn eine sonst wichtige Funktion des Kaufmanns dadurch über-
flüssig wird, daß die Prüfung und Feststellung des Gebrauchswertes
für das einzelne Geschäft in Wegfall kommt, indem nur Waren
einer festgesetzten Qualität geliefert werden dürfen. Ob diese Liefe-
rungsbedingungen erfüllt sind oder nicht, darüber haben dann in
Streitfällen eigene sachverständige Börsenorgane zu befinden.
Jedoch bleibt der Wegfall dieser Funktion eine Vorbedingung des
Börsenwarenhandels, der aber nur dann gegeben ist, wenn andere
ökonomische Kriterien hinzutreten.
Die Ware geht also in den Börsenhandel ein als Ware bestimmter
Qualität. Sie ist_bojaeam.äßig_.als festgesetzter Gebrauchswert, als
Standard wäre, .'Vis solche is1 jedes Quantum durch das andere gleich
große ersetzbar, als Quantum von gleichem Gebrauchswert ist die
Ware fungibles Gut geworden. Die Warenmengen unterscheiden
sich innerhalb des Börsenhandels nur quantitativ. Je nach der Natur
der Ware und den Bestimmungen der Börse gilt ein bestimmtes
Quantum — soundso viel Kilogramm, soundso viel Sack — als Ein-
heit bei den Geschäftsabschlüssen. Für den börsenmäßigen Handel >
g eeignet sind also nur Waren, die v on Natur aus oder durch ver -
h ältnismäßig einfache, wenig kostspielige Maßregeln fungibel sind.
213
I
Daß ab erWa ren. fungibel sind, ist eine natürliche F.i genschjffi
des Gebrauchswertes, weicht- die eine Ware nart besitzt, d ie andere
nicht: Zumoofsenmäßigcn Handel gehört aber mehr. Beim ge-
wöhnlichen Handel geht die Ware zum Produktionspreis des Fabri-
kanten an den Kaufmann über und wird von ihm — um den Handels-
profit vermehrt — an den Konsumenten verkauft. Börsenmäßig wird
der Handel erst dann, wenn außer dem Handel noch Raum bleibt
für Differenzgewinn, für Gewinn aus Spekulation. Voraussetzung
aber für die Spekulation sind häufige PreisnirfprpnTPn Pi-^jg .
fluktuati onen, Z u m_bö r s en mäßigen Handel geeignet sind also solc he
Waren, die größer e n Preisschwankung en - !! ! verhältnismäßig kür-
zeren Zeilräume n unterlie gen. Dies sind vor allem Bo denfrücht e,
Getre ide, Baumwolle, dann Halb- und eventuell auch Ganz-
f abrikate, bei denen das Rohmate.riaI-£tarken-P-reisschwa nkungen
imicrliegt und den Preis des Pr o dukts ents cheidend b ecinfl u ßt, zum
Beispiel Zucker.
Nach den Angaben von Robinow 1 hat sich der Terminhandel zu-
erst in England in Metallen, Talk usw. entwickelt. Erst mit der
Einführung des Telegraphen und der Dampferlinien dehnte sich
der Terminhandel aus auf überseeische Produkte, deren Gewinnung
sich nicht über ein ganzes Jahr hinaus erstreckt, sondern nur wenige
Monate dauert, die mit einem Male auf den Markt geworfen wer-
den, während der Konsum sich über das ganze Jahr verteilt. Ursache
des Terminhandels ist also die kurze Dauer der Prn duk ti0ns2e . fr
gegenüber der Lä nge der Z^irkulatipnszeit, die durch den ununtejv
brochenen Konsum erzeugt wird. Zur Einführung des Termin-
handels im Effektengeschäft drängt die Fungibilität der umgesetz-
ten Objekte, die an sich als kapitalisierte Ertragsanweisungen, also
Repräsentanten von Geld, fungibel sind. Die Einführung des
Warenterminhandels ist bedingt durch spezifische Umschlags-
bedingungen, zum Beispiel durch die Differenz zwischen Zirku-
tations- und Produktionszeit. Erst das Bedürfnis de s Termin -
ha ndeis führt zu der oft nur durch künstliche Mittel erreichbaren
Herstellung von völlig fungiblen. Waren, das heißt Waren , von
1 Börsenenquete, II., S. 2072.
denen jedes Oj^™*»™ rUnaalhop fw-lM-:. u nwert wie jedes andere^
hat/
Hören die Preisschwankungen auf, etwa durch Kartellierung,
wie zum Beispiel bei Petroleum, so hört auch der Börsenhandel in
diesen Produkten auf oder wird rein nominell.
Ein drittes Moment von Wichtigkeit, das mit den vorigen un-
mittelbar zusammenhängt, ist dies, daß die Preisschwankungen
durch ein Anpassen des Angebots an die Nachfrage nicht in jedem
Moment ausgeglichen werden können. Auch hier ist die Anpassung
am schwierigsten bei den Ernteprodukten. Ist einmal geerntet, so
ist damit das Angebot bestimmt und kann erst nach längerer Zeit
der Nachfrage angepaßt werden. Ein letzter Umstand, der noch zu
erwähnen bleibt, ist der, daß die Warenmengen, die in den Börsen-
handel eingehen, groß genug sein müssen, um die Gefahr einer
Ringbildung, eines Corners, der Regel nach auszuschließen, da die
Herstellung eines Monopolpreises die Preisänderung und damit die
Spekulation stillsetzt.
Die Eigenheit des börsenmäßigen Handels ist nun die, daß die
Festlegung des Gebrauchswertes der Ware diese Ware für jeder-
mann zur reinen Verkörperung des Tauschwertes, zum bloßen
Preisträger macht. Jedes Geldkapital ist unmittelbar in der Lage,
sich in diese Ware zu verwandeln. Es können daher Kreise außer-
halb des bisherigen berufsmäßigen, sachverständigen Handels zum
Kauf und Verkauf dieser Waren herangezogen werden. Diese Waren
sind unmittelbar geldgleich ; die Prüfung ihres Gebrauchswertes ist
dem Käufer abgenommen; sie unterliegen nur beständigen, mehr
oder weniger geringen Schwankungen ihres Preises. Da sie Welt-
1 Diese Künstlichkeit ist Quelle vieler Mißbräuche und Hemmungen, die
dort wegfallen, wo wirkliche und stets leicht konstatierbare Fungibilität vor-
handen, wie zum Beispiel beim Spiritus (Alkoholgrad) und zum Teil beim
Zucker (Polarisationsgrad).
s „Diese spezielle Form des Termingeschäftes ist also nicht nur zur Er-
leichterung des effektiven Handels geschaffen, sondern sie dient im letzten
Grunde dazu, den Kapitalisten oder Spekulanten, das heißt dem Besitzer von
zur Zeit anderweitig ungebundenem Kapital, die Möglichkeit zu geben, dies
vorübergehend (oder dauernd) in der betreffenden Warenbranche anzulegen,
214
215
marktwaren sind, ist ihre Absatzfähigkeit und daher ihre Rück-
verwandelbarkeit in Geld jederzeit gesichert; es handelt sich immer
nur um Gewinn oder Verlust der Preisdifferenzen. Sie sind daher
ebenso geeignete Spekulationsobjekte geworden wie sonstige Geld-
anweisungen, zum Beispiel Effekten. Beim Terminhandel gilt so
die Ware nur als Tauschwert. Sie wird zum bloßen Repräsentanten
von Geld, während sonst Geld Repräsentant des Warenwertes ist.
Der Sinn des Handels, der Warenzirkulation, ist verlorengegangen
und damit auch die Charaktere und der Gegensatz von Ware und
Geld. Dieser Gegensatz erscheint erst wieder, wenn die Spekulation
zu Ende, weil sie ein Corner verhindert und plötzlich an Stelle der
profanen Ware, die nicht zu haben ist, Geld treten muß. Wie das
Geld in der Zirkulation nur eine verschwindende Rolle spielt, so
innerhalb der Warenspekulation die Ware. Wie in der Zirkulation
viel mehr Geld rechnungsmäßig umgesetzt wird, als vorhanden ist,
so setzt die Spekulation weit größere Warenmengen um, als in
Wirklichkeit existieren. 1
Damit beim Warenterminhandel schließlich eine wirkliche Fort-
bewegung vom Produzenten zum Konsumenten vor sich gehe, also
wirklich Handels- und nicht bloß Spekulationsoperationen erfolgen
- und für die Möglichkeit der Spekulation ist der Handel die not-
wendige Voraussetzung — , ist es notwendig, daß am Anfang der
auch wenn ihm Kenntnis der Ware und der äußeren Technik dieses Handels-
zweiges fehlt. Dieser Kapitalist . . . unterscheidet sich also von dem Getreide-
händler prinzipiell durch das Motiv seiner Tätigkeit." Letzterer will Getreide
umsetzen, ersterer an den Schwankungen des Preises gewinnen. Der Kapitalist
nimmt dabei zugleich das Risiko auf sich. (Fuchs, „Der Warenterminhandel"
in Schmollers „Jahrbuch für Gesetzgebung usw.", 1891, 1. Heft, S. 71.) Dazu
ist jedoch zu bemerken, daß das Gewinnstrehen natürlich gemeinsames Motiv
aller kapitalistischen Aktionen ist, verschieden ist nur die Art, wie der Ge-
winn erzielt werden kann.
1 So berichtet Offermann von der Wollbörse in Havre, daß dort 1892
2000 Ballen effektiv und 16 300 Ballen auf dem Terminmarkt verkauft
wurden. Desgleichen sei auch in Baumwolle der Terminhandel zehnmal
größer als der Effektivhandel. Bei einer Ernte von 8 bis 9 Millionen Ballen
wurden zirka 100 Millionen auf dem Terminmarkt umgesetzt. (Börsen-
en<juete, S. 3568.) >
216
Kette der Zeitgeschäfte der Produzent (oder der Kaufmann als
dessen Repräsentant) und am Ende der Konsument (zum Beispiel
der Müller) stehe. Man kann die Sache so betrachten, daß ein Teil
der Ware stets zur Verfügung der Spekulation bleibt. Es ist das nichts
anderes als ein gewisser Vorrat, dessen Zusammensetzung natür-
lich beständig wechselt; dieser müßte sonst anderswo gelagert und
unter Verfügung anderer kapitalistischer Agenten, nicht der
Spekulanten, sondern der Produzenten oder Kaufleute, eventuell
auch der Konsumenten stehen. Dieser Vorrat muß stets eine ge-
wisse Größe haben, um die Gefahr eines Corners, einer Ring-
bildung, zu vermeiden.
Indem die Spekulation sich dieser Waren bemächtigt, entsteht
eine große Reihe neuer Transaktionen von Käufen und Verkäufen.
Diese Kette von Kauf- und Verkauf geschäften ist rein spekulativ;
ihr Zweck ist die Erzielung von Differenzgewinn. Es sind keine
Handelsoperationen, sondern Spekulationsumsätze. Die Kategorien
von Kauf und Verkauf haben hier nicht die Funktion der Waren-
zirkulation, nicht die Aufgabe, die Ware von der Produktion zur
Konsumtion gelangen zu lassen, sondern sie sind gleichsam
imaginär geworden. Der Zweck ist die Erzielung eines Differenz-
gewinnes. Die Ware erreicht die Börse bereits mit dem Aufschlag
des normalen Handelsprofits. Denn der Händler verkauft sie an der
Börse. Hat es der Fabrikant getan, so hat er eben selbst zugleich
als eigener Kaufmann fungiert und den Handelsprofit selbst ein-
gesteckt. Die Börse kauft und verkauft nur spekulativ, die Speku-
lanten machen nicht Profit, sondern Differenzgewinn. Der Gewinn
des einen ist der Verlust des anderen. Aber diese Kette beständiger
Transaktionen sichert die beständige Verwandelbarkeit der börsen-
mäßigen Ware in Geld, gestattet daher bis zu einem gewissen Grad,
das Geld in dieser Ware anzulegen und es jederzeit durch ihren
Verkauf zu realisieren. Die börsenmäßige Ware wird also zum ge-
eigneten Pfandobjekt vorübergehend freiliegender Gelder. Die
Banken können also diese Waren bis zu einem gewissen Grad ihres
Preises belehnen oder sie reportieren. Dadurch ergibt sich eine neue
Verwendungsart des Bankkapitals. Das Bankkapital beteiligt sich
217
am Handel; aber es tut dies nur in der ihm eigenen adäquaten Form
als zinstragendes Kapital. Die Waren, in die es sein Geld verwandelt
hat, sind jederzeit in Geld rückwandelbar. Und eine gut geleitete
Bank wird nie mehr Geld in diesen Waren festlegen, als sie jeder-
zeit, auch im ungünstigsten Fall, realisieren kann. Das Vorhanden-
sein einer Börse, einer unaufhörlichen Kette von Käufen und Ver-
käufen, die die Spekulation ausmachen, sichert der Bank jederzeit
die Möglichkeit, ihr Geld zu realisieren. Das Geld ist also nicht fest-
gelegt, ist für die Bank Geldkapital, bankmäßig angelegtes Kapital
geblieben und bringt daher nur Zinsen. Das Eingreifen des Bank-
kapitals aber gibt wieder der Spekulation sowohl als dem Handel
die Möglichkeit zur Ausdehnung ihrer Operationen. Um die Ware
zu kaufen, ist jetzt der Besitz des vollen Geldpreises nicht nötig.
Man braucht nur soviel Geld, als ausreicht, alle etwa im Bereich der
Möglichkeit liegenden Differenzen decken zu können, den Rest
stellt die Bank. Für die Spekulation bedeutet das nur Ausdehnung
ihrer Operationen. Da aber infolge des Wachsens der gehandelten
Massen schon geringe Differenzen genügen, um Kauf und Verkauf
dem Spekulanten nahezulegen, wird sich die Zahl der Umsätze
einerseits vermehren, anderseits aber die Größe der jedesmaligen
Differenzen verringern.
Anders und interessanter liegt die Frage des Einflusses des Bank-
kapitals auf den Handel. Auch der Handel kann jetzt die Ware
belehnen lassen. Für dieses Kapital hat er nur Zins zu zahlen. Durch
den Handel selbst aber entsteht kein Profit. Der Handel realisiert
nur soviel Durchschnittsprofit, als der Größe des angewandten
Kapitals entspricht. Er braucht aber jetzt, da ihm nun Kredit in
größerem Umfang zur Verfügung steht, nur mehr ein geringeres
Eigenkapital, um dieselben Mengen umzusetzen. Der Handelsprofit
auf dieses Kapital wird sich also jetzt auf eine größere Warenmenge
verteilen. Der durch den Handel verursachte Aufschlag auf die
Ware wird sich also vermindern. Da der Handelsprofit aber nur
Abzug ist vom industriellen Profit, so wird dieser um das gleiche
steigen. Der Preis der Ware für den Konsum wird derselbe bleiben.
Das Eingreifen des Bankkapitals hat zur Folge also erstens Steigen
218
des industriellen Profits, zweitens Sinken des Handelsprofits in
seiner Gesamtheit und berechnet auf die einzelne Ware und drittens
Verwandlung eines Teiles des Handelsprofits in Zins. Das letztere
ist die notwendige Folge davon, daß ein Teil des Handelskapitals
ersetzt ist durch Bankkapital. Möglich gemacht aber hat diese Er-
setzung der börsenmäßige Warenhandel.
Der Zins — dies sei hier eingeschaltet — ist — Konsumtionskredit
ausgenommen — immer ein Stück Profit oder Bodenrente. Jedoch ist
folgendes noch zu merken. In der Produktion tätiges Leihkapital
wirkt als industrielles Kapital, produziert also Profit. Es erhält nur
Zins und vermehrt daher den Profit des industriellen Kapitalisten
um die Differenz zwischen dem Durchschnittsprofit und dem Zins
auf den Betrag des ausgeliehenen Kapitals. Im Handel, wo kein
Profit produziert wird, sondern nur für das Handelskapital die
Durchschnittsprofitrate aus der allgemeinen Profitmasse bezahlt
werden muß, wirkt das Bankkapital anders. Es erhält seinen
Zins, aber es produziert keinen Profit für den Händler. Dieser
erhält vielmehr jetzt den Durchschnittsprofit für sein um den
Betrag des Bankkapitals verringertes Handelskapital plus dem
Zins, den er an das Bankkapital weiterzahlt. Zur Besorgung des
Handels ist jetzt weniger kommerzielles Kapital nötig, daher
auch weniger Profit auf dieses Kapital. Dieser ersparte Profit
bleibt seinem Erzeuger, dem industriellen Kapital. Das Bank-
kapital wirkt hier so wie irgendein Fortschritt, der Handels-
kosten erspart. Der Unterschied in der Wirkung rührt einfach
daher, daß industrielles Kapital Mehrwert erzeugt, kommerzielles
nicht.
In derselben Richtung wirkt ein anderer Umstand. Der börsen-
mäßige Terminhandel schafft für die von ihm ergriffenen Waren
einen stets aufnahmebereiten Markt. Der Produzent oder der Im-
porteur kann daher jederzeit die Ware verkaufen. Das bedeutet aber
eine Verkürzung der Zirkulationszeit seines Kapitals. Wir wissen
aber bereits, daß jede Verkürzung der Zirkulationszeit Freisetzung
von Kapital bedeutet. So vermindert der Terminhandel auch auf
diese Weise das zur Zirkulation der Ware, also zu Handelsopera-
219
tionen erforderliche Kapital, das nicht zur Produktion, sondern nur
zur Realisierung des Profits diente.
Die adäquate Form jeder Spekulation ist der Terminhandel. Da
jede Spekulation die Ausnützung von Preisdifferenzen ist und diese
sich in der Zeit abspielen, anderseits aher für jede Spekulation die
Zeit, in der sie keine Käufe oder Verkäufe macht, bloßer Verlust
ist, da die Spekulation nicht Produktion ist, so muß sie jede Preis-
differenz, auch die künftige, sofort benützen können. Sie muß also
in jedem Augenblick für jeden künftigen Augenblick kaufen oder
verkaufen können, eben das, was das Wesen des Terminhandels
ausmacht. Indem die Spekulation dies tut, schafft sie einen Preis
für jeden Moment des Jahres. Damit aber gibt sie dem Fabrikanten
und Händler die Möglichkeit, die zufälligen Folgen der Preis-
entwicklung für sich auszuschalten, sich gegen die Preisschwankun-
gen zu versichern, das Risiko für die Preisänderungen auf die
Spekulation abzuwälzen. Der Rohzuckerfabrikant, der heute Rüben
kauft, weiß, daß er für dieselben sage 100 000 Mk. zahlen kann,
wenn er den Rohzucker bereits heute an der Börse für denjenigen
Termin, an dem er den Rohzucker wird liefern können, sage um
130 000 Mk. wird verkaufen können. Verkauft er also heute den
Rohzucker um diesen Preis, so ist er von allen unterdes erfolgenden
Preisschwankungen unabhängig, er hat seinen Profit sichergestellt.
Der Terminhandel ist so das Mittel für die Industriellen und
Kommerziellen, sich auf ihre reine Funktion zu beschränken.
Ein Teil des Reservekapitals, das zur Sicherung gegen diese
Schwankungen notwendig war und in der industriellen, respektive
kommerziellen Sphäre festlag, wird hiermit frei. Ein Teil da-
von dient jetzt zur Börsenspekulation. Hier aber ist es konzen-
triert, und infolgedessen kann es geringer sein, als das Kapital
war, das in den Händen der einzelnen Industriellen und Kaufleute
zersplittert war.
Der kapitalistische Profit entsteht in der Produktion; er wird
realisiert durch die Zirkulation. Es ist das naturgemäße Streben
der Produzenten sowohl als der Händler, sich diesen Profit zu
sichern gegen die Zufälle, die aus den Preisschwankungen während
220
der Zirkulation entstehen, wenn die Produktion längst abgeschlossen
und der Profit damit für den Produzenten, respektive den Händler,
der die Ware bereits gekauft hat, eine gegebene Größe ist. Diesem
Streben dient in einem bestimmten Stadium der Entwicklung und
für jene Waren, bei denen infolge natürlicher Ursachen (zum Bei-
spiel infolge der Abhängigkeit des Ausfalles der Produktion von
Witterungsverhältnissen) diese Schwankungen besonders groß und
unübersehbar sind, der Terminhandel. Er gleicht die aus der Speku-
lation stammenden Schwankungen möglichst aus, kann dies aber
nur durch Erzeugung kleinerer und häufigerer Oszillationen, die
die Spekulation hervorbringt. Diese Spekulation - gänzlich sinnlos
vom gesellschaftlichen Standpunkt aus - erscheint notwendig, weil
sie für den notwendigen Umfang der Beteiligung von Käufern und
Verkäufern sorgt, so daß immer die nötigen Warenquanta gehandelt
werden können. Diese Versicherung gegen Preisschwankungen
bringt den Marktpreis in stetig größere Annäherung zum Produk-
tionspreis. Es bildet sich eine eigene Klasse von Kapitalisten, die
Spekulanten, heraus, die diese Preisschwankungen auf sich nehmen.
Die Frage ist, wie verwertet sich deren Kapital?
Wir haben bei der Effektenspekulation gesehen, daß dieses Kapi-
tal Differenzgewinn erzielt. Der Gewinn des einen ist der Verlust des
andern. Es sind dabei in der Regel die Großen, die warten können
und selbst Einfluß auf die Kurse nehmen, und die Eingeweihten 1 ,
die Bescheid wissen, die den Gewinn machen auf Kosten der Kleinen
und der Outsiders. Das Problem ist nur, ob der Spekulation außer-
dem eine Risikoprämie zufällt.
1 Allerdings darf man sich von den Eingeweihten beim Warentermin-
handel keine besonderen Vorstellungen machen. „Wenn es so wäre, daß man
aus den Berichten ersehen könnte, wie der Markt ferner gehen wird und
welcher Preis angemessen ist, so wäre das eine herrliche Sache. Ich kann
aus alter Erfahrung nur sagen: Gefühl ist alles. Informiert sein ist gani
wundervoll, ein Schlagwort, nur es wird nichts daraus, und die Kaufleute
irren sehr häufig . . . Der Kaufmann ist so unwissend wie der Landwirt, und
wenn er alle Berichte studiert, ist er erst recht dumm geworden, und es
kommt gewöhnlich anders", gesteht der aufrichtige Händler Damme.
(Deutsche Börsenenquete, II., S. 2858.)
17 Hilferding, Das Finanzkapital
221
Die Risikoprämie ist zwar sehr häufig berufen, aber um so
weniger untersucht worden. Festzuhalten ist zunächst, daß die
Risikoprämie nicht Entstehungs- und daher auch nicht Erklärungs-
grund des Profits sein kann. Der Profit ist in der Produktion
erzeugt und ist gleich dem Mehrwert, der in dem Mehrprodukt der
Arbeiter, das der Kapitalistenklasse nichts gekostet hat, enthalten
ist. Verschiedenes Risiko, das heißt verschiedene Sicherheit, den in
der Produktion erzeugten Profit durch die Zirkulation realisieren
zu können, kann nur eine verschiedene Verteilung des Profits be-
wirken, so daß Zweige mit höherem Risiko, das sich aber auch wirk-
lich in höherem Verlust ausdrücken muß, höhere Preise erzielen, so
daß die Profitrate auf ihr Kapital doch schließlich gleich der Durch-
schnittsprofitrate ist. Es ist klar, daß, soweit in einem Produktions-
zweig mit besonderen Umständen, die den Ertrag vermindern, zu
rechnen ist, diese Umstände ausgleichend in die Höhe der Preise
eingehen müssen, damit die Gleichheit der Profitrate gewahrt werde.
In den Preis optischer Linsen gehen auch die Kosten für jene Gläser
ein, die beim Guß durchschnittlich verderben. Sie gehören eben zu
den Produktionskosten. Ebenso gehen Beschädigungen oder Verderb,
die Waren auf ihrer Reise zum Markt durchschnittlich erfahren,
in den Preis ein. Anders steht es aber mit dem Risiko, das aus Vor-
gängen entspringt, die nur zufällig während der Zirkulation vor-
gehen, aber die Produktionskosten selbst alterieren. Ist zum Bei-
spiel ein Produkt noch auf dem Markte, das mit alten Maschinen
hergestellt wurde, während neue erlauben, es in der Hälfte
der Zeit herzustellen, so existiert für dieses „Risiko" kein Aus-
gleich. Der Verkäufer dieses Produkts wird den Verlust zu tragen
haben.
Ähnlich sind nun die Bedingungen für die Produkte, die zumeist
auf dem Börsenterminmarkt gehandelt werden. Die Unsicherheit
rührt daher, daß für den Preis zum Beispiel des deutschen Getreides
nicht nur der Ausfall der deutschen Ernte, also die deutschen
Produktionskosten, die sich im Preise unmittelbar ausdrücken
würden, bestimmend sind, sondern ebenso die amerikanischen,
indischen, russischen usw. Produktionskosten. Für diese Preis-
gestaltung aber gibt es keinen Ausgleich im Preis des deutschen
Getreides.
Sofern aber in der Zirkulation große, unvorhergesehene Schwan-
kungen auftreten, muß in einem solchen Produktionszweig ein
Reservefonds von den Kapitalisten gehalten werden, um Verluste
aus Preisschwankungen ausgleichen und die Produktion konti-
nuierlich fortführen zu können. Dieser Reservefonds ist ein Teil
des notwendigen Zirkulationskapitals, und für ihn wird der Durch-
schnittsprofit berechnet. Der auf ihn entfallende Profit kann als
Risikoprämie bezeichnet werden. Dieser Reservefonds wird aber
auch durch den Terminhandel für die produktiven Kapitalisten nicht
überflüssig. Denn der Terminhandel beseitigt durchaus nicht die
Schwankungen der Preise, die aus Wechsel der Produktionsbedin-
gungen folgen. Die Wirkung des Weltmarktes auf den inländischen
Preis muß der Produzent tragen.
Die Versicherung der Börse bezieht sich nur auf Schwankungen,
die während der Zirkulation auftreten. Der Müller sichert sich den
Preis, zu dem er heute sein Mehl verkauft hat, indem er heute Ge-
treide kauft. Der Getreidehändler sichert sich seinen Gewinn,
indem er das Getreide, das er heute gekauft hat, an der Börse für
einen bestimmten Termin verkauft. Die Versicherung besteht
darin, daß er sich den bestimmten, den bestehenden Preis sichert für
einen späteren Termin, an dem er seine Verpflichtung effektiv
erfüllen wird. Mit anderen Worten: Kauf und Verkauf haben sich
für den Händler oder Produzenten Zug um Zug vollzogen, statt daß
nur einseitig Kauf oder Verkauf stattgefunden hätte. Dies setzt
aber einmal einen stets bereiten, großen, aufnahmefähigen Markt
voraus, wie ihn der Terminhandel schafft; sodann aber Agenten, die
ihrerseits diese Sicherung nicht vornehmen, sondern die Gestaltung
des späteren Termines abwarten, eben Spekulanten, die dem sich
versichernden Händler das Risiko abnehmen. Ihr Gewinn ist also
keine Risikoprämie, sondern nur Differenzgewinn, dem ein ent-
1 Der Schutzzoll gleicht diesen Preis nicht aus, sondern erhöht nur den
deutschen um einen Betrag über den Weltmarktpreis, der dem Getreide-
produzenten auch bei niedrigem Weltmarktpreis noch •'Profit bringen soll.
222
223
r\
sprechender Verlust entgegenstehen muß. Eben dieser Charakter
des Spekulationsgewinnes hat zur Folge, daß die Berufsspekulation
nur gedeiht, wenn zahlreiche Außenstehende teilnehmen, die die
Verluste tragen. Ohne Beteiligung des „Publikums" gedeiht die
Spekulation nicht.
Die fortschreitende Konzentration macht diese Versicherung all-
mählich unnötig. Einen gewissen Umfang des Handelsgeschäftes
gegeben, gleichen sich günstige und ungünstige Chancen aus. Das
große Handelshaus macht die „Versicherung in sich" und verzichtet
auf den Terminmarkt. Dazu kommt, daß die kleinen Spekulanten
allmählich sich zurückziehen müssen, da sie immer öfter die Zeche
zahlen mußten. Die Entwicklung des Aktienwesens und die Effek-
tenspekulation entzieht sie der Warenbörse. Schließlich machen die
Syndikate und Truste der Spekulation in jenen Waren, die sie be-
herrschen, radikal ein Ende.
Fragt man, für welche Schichten der Terminhandel nötig ist, so
kann man sagen, daß seine Notwendigkeit für den mittleren Hand -
ler wohl am dringendsten ist. Für den Produzenten trifft die Not-
wendigkeit so weit zu, als dieser wichtige Handelsfunktionen sonst
selbst vollziehen müßte. Dieses wird dann der Fall sein, wenn die
Weiterver arbeitung schon großkapitalistisch ist, während die Er-
zeugung des Rohmaterials noch stark zersplittert ist. Hier vollzieht
die Börse die notwendige Konzentration der Produkte. Dies gilt zum
Beispiel für die Zeit der Entwicklung dermodernen Handelsmüllerei.
1 über die Beteiligung am Terminhandel überhaupt, sagt Herr Kämpf,
Vorsitzender der Berliner Handelskammer: „Wenn die Wogen hochgehen,
die ganze Welt. Wenn sie nicht hochgehen, dann sind es die reicheren Leute,
die derartige Geschäfte machen." (Börsenenquete, II., S. 813.)
2 Köstlich ist das Zwiegespräch zwischen Herrn v. Gamp und Herrn Horwitz
über den Schmerz, den der Kaufmann bei dem Gedanken an die Verluste der
kleinen Leute zu empfinden sittlich verpflichtet sei: Das liegt nicht in der
Natur des Kaufmannes. Schaffen sie entweder den Kaufmann ab oder lassen
sie ihm die Natur, die ihm nun einmal eigen ist. (Börsenenquete, III., S. 2459.)
Für die ethische Nationalökonomie erfüllt die Börse überhaupt nur die
Funktion einer moralischen Bedürfnisanstalt. Ihre sonstigen Funktionen
bleiben ihr verborgen.
Die Warenbörse vollzieht rascher und radikaler diese Konzentration,
alswenn sich erst ein Großhandel entwickeln müßte. Für den Handel
ist der Terminmarkt besonders in jenen Produkten erwünscht, wo
die Zirkulationszeit lang, die Produktion über einen großen Kreis
von schwer übersehbaren Produktionsstätten zersplittert, ihre
Ergebnisse schwer vorauszusehen und inkonstant, die Zirku-
lationsschwankungen der Preise daher bedeutend und unregel-
mäßig sind.
Ist der Terminhandel einmal etabliert, dann wird die Beteiligung
sowohl für die Händler als auch für die Produzenten immer mehr
zur Notwendigkeit, weil der Terminmarkt für die Preisgestaltung
maßgebend wird. Dagegen nimmt die Einschränkung des Termin-
handels auf die Berufshändler dem Terminhandel seine wich-
tigste Funktion: die Versicherungsmöglichkeit durch Abwälzen der
Verluste aus Preisschwankungen auf die Spekulation.
Da die Spekulanten das Spekulationsobjekt nicht dauernd be-
halten wollen, so geht schon daraus hervor, daß jeder Spekulant
immer sowohl Käufer als Verkäufer ist. Der Baissespekulant, der
Verkäufer einer Ware, wird ihr Käufer, um sich zu decken. Er ist
aber Käufer und Verkäufer zu einem verschiedenen Zeitpunkt und
nützt die Preisschwankungen innerhalb dieses Zeitpunktes aus,
während die Versicherung des Effektivgeschäftes gerade darin
besteht, diesen Schwankungen auszuweichen und daher den
Käufen die Bewertung desselben Zeitpunktes durch gleichzeitigen
Verkauf und den Verkäufen durch gleichzeitigen Kauf zugrunde
zu legen.
Der Spekulant nützt zunächst die Preisschwankungen aus, die
nicht er, sondern der Effektivverkehr geschaffen hat. Diese Preis-
schwankungen können sowohl aus zufälligem Verhältnis von An-
gebot und Nachfrage als auch aus tief erliegenden Veränderungen
der Produktionskosten der Ware hervorgegangen sein. Die Nach-
frage und das Angebot der Spekulation verändert sodann selbst
wieder dieses Preisniveau und bewirkt Schwankungen, die sich aber
schließlich stets kompensieren müssen, eben weil jeder Spekulant
sowohl Käufer als Verkäufer ist. Das hindert natürlich nicht, daß
224
22c
eine Zeitlang eine Spekulationsrichtung, zum Beispiel Kauf, also
Haussespekulation, überwiegen kann; solange diese Einseitigkeit an-
hält, steht der Preis über dem Niveau, das aus dem bloßen Effektiv-
geschäft sich ergeben würde. So bewirkt die Spekulation häufigere
und deshalb vielfach auch geringere Preisoszillationen, die sich auf
die Dauer gegenseitig kompensieren.
Der Terminhandel konzentriert das ganze Geschäft an einem
Ort und gibt den dortigen Großhändlern das Übergewicht über die
Provinzialhändler, die allmählich verschwinden. 1 Aber an dem
Börsenplatz selbst gibt er die Möglichkeit des Eindringens früher
außenstehender Elemente, die den alten Häusern Konkurrenz
machen. Daher begegnet die Neueinführung des Terminhandels
oft dem Widerstand der alten Berufshändler. Der Terminhandel
ist bis zu einem gewissen Grade weniger qualifiziert als der alte
Berufshandel, und die Beteiligung des Bankkapitals erlaubt kapitals-
schwächeren Elementen die Teilnahme. Aber auch hier findet auf
der neuen Basis eine Konzentration statt; im allgemeinen hat man
den Eindruck, daß die Beteiligung der reinen Spekulation und der
außenstehenden Elemente an den Terminmärkten eher im Ab-
nehmen begriffen ist.
Umgekehrt bedeutet die Abschaffung des Terminhandels die Ver-
stärkung der Position der Großhändler, die das Versicherungs-
geschäft entbehren können.
Eine Gefahr des Terminhandels besteht in der Möglichkeit des
„Schwänzens". Der Käufer hat das Recht, sich die Ware auf Rech-
nung des Verkäufers auf der Börse zu kaufen, wenn der Verkäufer
am Lieferungstage die Ware nicht abgeliefert hat. Ist diese Ware
1 Siehe Börsenenquete, Bericht der Kommission. S. 90.
2 „Aus dem Kaffeehandel hahen sich die kleinen und unberufenen Ele-
mente zurückgezogen, er steht unter Führung großer Konsortien." (Börsen-
enquete, S. 2065.) Dies aus der Erfahrung erklärlich, die der Sachverständige
van Gülpen in die Worte faßt: „Es läßt sich mit großer Kapitalsgewalt außer-
ordentlich viel ausrichten, wenn sie auf vereinzelte Artikel dirigiert wird."
Die großen Londoner Getreidefirmen sind Gegner der Einführung des
Terminhandels, durch den der Handel demokratisiert und ihre beherrschende
Stellung aufgehoben würde. (Ebenda, S. 3542.)
226
nicht in genügendem Verhältnis zur Nachfrage vorhanden, weil
der Käufer die verfügbaren Vorräte bereits früher hat ankaufen
lassen, so entstehen sehr hohe, fiktive, vom Willen der Käufer ab-
hängige Preise; die Verkäufer sind dann den Käufern völlig preis-
gegeben. Die „Schwänze" ist um so leichter, je geringer der Vorrat
der Ware. Dies kann auch künstlich herbeigeführt werden, wenn
die Lieferungsbedingungen für den Terminhandel hohe Ansprüche
an die Qualität der Ware stellen. Umgekehrt ist die Herabsetzung
der Lieferungsqualitäten ein Mittel, das „Schwänzen" zu erschwe-
ren. Die „Schwänze" läßt sich gewöhnlich nur unter besonderen
Umständen und für kurze Zeit herbeiführen, zum Beispiel wenn
die Getreidevorräte gering sind, weil die neue Ernte noch nicht
stattgefunden, die alten Vorräte aber bereits zumeist verkauft sind.
Die außerordentlichen Preise bewirken aber gewöhnlich das Er-
scheinen von Vorräten, die man schon der Konsumtion anheim-
gefallen glaubte, auf dem Markte. Übersteigen die neuen Zufuhren
die Aufnahmefähigkeit der Käufer, so bricht die „Schwänze" zu-
sammen. Im allgemeinen bedeuten aber auch gelungene „Schwän-
zen" nur die Expropriation der außenstehenden Spekulantengruppen
und beeinflussen den effektiven Handel und die wirklichen Preise
der Ware in geringem Maße.
Das deutsche Börsengesetz vom 22. Juni 1896 hat bekanntlich
den Terminhandel zum Teil aufgehoben, zum Teil erschwert. Der
Getreidehandel erfuhr, namentlich seit die Rechtsprechung auch
das handelsrechtliche Lieferungsgeschäft bedrohte, eine starke Ein-
schränkung. So wurde „der Kreis der am Lieferungshandel be-
teiligten Personen ein immer kleinerer, und zwar so klein, daß er
für die Zwecke des Lieferungshandels kaum mehr ausreicht". Da-
durch wurden nun auch die Versicherungsgeschäfte wesentlich
erschwert. Was waren nun die Folgen? „Es gibt nun schon einige
sehr große Firmen, die wegen der Schwierigkeiten, welche damit
verbunden sind, eine Preissicherung an der Terminbörse ganz
entbehren zu können glauben, und dieselben haben dabei, unter-
stützt durch einige Jahre stabilerer, ja sogar steigender Preise,
nicht unerhebliche Gewinne erzielt. Im allgemeinen halten jedoch
227
die soliden Firmen ein solches Verfahren für eine sehr gefährliche
Spekulation und begnügen sich lieber mit einem kleineren, aber
sicheren Gewinn ... Es ist ganz unverkennbar, daß bei der heutigen
Sachlage die oben erwähnten zwei bis drei großen Firmen auch
einen immer wachsenden Anteil des ganzen Geschäftes an sich
reißen. Durch die Gesetzgebung wird hier die Konzentration
ebenso begünstigt, wie eine solche im Bankgewerbe auf dieselbe
Weise zutage getreten ist. Es ist sehr zu bezweifeln, ob diese Ent-
wicklung denjenigen, welche das Gesetz als einen so großen Erfolg
preisen, wirklich auf die Dauer gefallen wird. Für die Erzielung
möglichst günstiger Preise wird wohl jedenfalls eine vielseitige
Konkurrenz den Landwirten weit bessere Garantien bieten, als
wenn schließlich ein paar Riesenfirmen die Preise diktieren
können."
„Die Provinzhändler sind um so mehr am Lieferungsgeschäft
interessiert, als sich ihnen durch den Terminverkauf die Möglich-
keit bietet, die Ware günstig zu lombardieren, da dieselbe schon
zu einem festen Preise verkauft ist und daher nicht mehr durch
einen Preissturz an Wert verlieren kann. So wird dann der Händler
wieder kapitalkräftig und imstande, neue Posten Getreide den Pro-
duzenten zu guten Preisen abzunehmen."
Durch Verkürzung der Zirkulationszeit für die produktiven
Kapitalisten und Abnahme des Risikos durch die Spekulation
können auch Rückwirkungen auf die Produktion erfolgen. Vor Ein-
führung des Terminhandels war es hauptsächlich ein Teilproduzent,
1 H. Ruesch, „Der Berliner Getreidehandel unter dem deutschen Börsen-
gesetz"; Conrads Jahrbuch für Nationalökonomie und Statistik", III. Folge,
XXXIII. Bd., 1907, 1. Heft, S. 53.
- Ebenda, S. 87. Vergleiche auch die Voraussage dieser Entwicklung bei
Landesberger: „Die allergrößten Getreidehäuser beteiligen sich bezeichnen-
derweise am Terminhandel nicht, sie machen die Versicherung in sich. Die
Aufhebung des Termbihandels muß daher mit derselben Notwendigkeit dazu
führen, den Getreidehandel in den Händen der kapitalslärksten Häuser zu
konzentrieren, mit der das Verbot des Terminhandels in gewissen Sorten
von Wertpapieren diesen Zweig des Effektenhandels in die Hände der
deutschen Großbanken gespielt hat." (L. c, S. 45.)
der das Risiko zu tragen hatte; fällt dies und die Notwendigkeit der
Lagerung der Ware, die jetzt ebenfalls an dem Börsenplatz konzen-
triert ist, fort, so genügt die reine Produktionsfunktion nicht mehr;
der Teilnehmer wird Vollunternehmer durch Kombination seines
Betriebes mit einem zweiten. Er kann das um so eher, da ja jetzt
ein Teil seines Zirkulations- und Reservekapitals frei geworden ist.
So werden die Wollkämmer überflüssig, weil das Risiko, das sie
früher trugen, nun auf den Terminhandel überwälzt ist. Sie werden
nun selbst Spinner; oder die Spinner gliedern sich umgekehrt Woll-
kämmereien an.
Der Terminhandel erspart den Produzenten Zirkulationskapital
erstens durch Verkürzung ihrer Zirkulationszeit, zweitens durch
Reduzierung der Selbstversicherung (Reservefonds) gegen Preis-
schwankungen. Das verstärkt die Kapitalskraft der großen Unter-
nehmungen, die vor allem die Vorteile des Terminmarktes genießen.
Das so frei gewordene Kapital wird zu Produktionskapital.
Bei der Arbeitsteilung der Unternehmungen ist nicht allein der
technische Gesichtspunkt ausschlaggebend, sondern auch der kom-
merzielle; manche Teilprozesse, zu denen vor allem die Verarbei-
tung von Rohstoffen zu Halbfabrikaten gehört, bleiben nur deshalb
als solche verselbständigt, weil die Teilproduzenten zugleich wich-
tige kommerzielle Funktionen erfüllen. Sie übernehmen die Roh-
stoffe vom Produzenten oder von den Importeuren, mit denen sie
das Risiko der Preisschwankungen teilen. Die Selbständigkeit wird
überflüssig, wenn sich der Fabrikant auch ohne diese Vermittlung
durch den Terminmarkt vor Risiko schützen kann. Er gliedert dann
seinem eigenen Betrieb diese Verarbeitung des Rohstoffes an. Es
ist der Wegfall der kommerziellen Funktion, der die technische
Selbständigkeit überflüssig macht. Es liegt auch hier die Tendenz
nach Ausschaltung des Zwischenhandels vor. Die Warenbörsen
scheinen allerdings zunächst die Handelsoperationen noch zu ver-
mehren, jedoch wissen wir bereits, daß diese Käufe und Verkäufe
Umsätze nicht des Handels, sondern der Spekulation darstellen.
Wir haben gesehen, daß der Terminhandel Mittel ist, um Bank-
1 Börseneucpete, III., S. 3373 ff. Aussage Offermanns.
228
229
kapital sich am Warenhandel beteiligen zu lassen, zunächst durch
Kreditgewährung, sei es in Form der Lombardierung oder des
Reportgeschäftes. Die Bank kann aber ihre große Kapitalsmacht
und ihre Übersicht über den Markt auch ausnützen, um mit ziem-
licher Sicherheit sich an der eigentlichen Spekulation zu beteiligen.
Ihre umfassenden, sich über eine Reihe von Terminmärkten er-
streckenden Verbindungen geben ihr außer besserer Übersicht über
den Markt zunächst Gelegenheit zu sicheren Arbitrageoperationen,
die bei dem großen Umfang, in denen sie ausgeführt werden, erheb-
lichen Gewinn bringen. Die Bank wird solche Spekulationsgeschäfte
um so sicherer ausführen können, in je größerem Umfang sie über
die Ware verfügt und damit Einfluß auf die Größe der Zufuhr
nehmen kann. So entsteht das Streben, über die Waren, die auf dem
Terminmarkt gehandelt werden, immer mehr die Verfügung zu
bekommen. Die Bank sucht die Ware direkt vom Produzenten unter
Ausschluß anderer Händler zu erhalten. Sie läßt sich entweder
kommissionsweise den Verkauf übertragen - und sie kann für diesen
Verkauf in Konkurrenz mit dem Händler einen viel geringeren
Profit beanspruchen als dieser, weil sie noch Spekulationsgewinn
machen kann und weil sie mit Kredit in viel höherem Maße arbeiten
kann - oder sie kauft die Ware für eigene Rechnung. Die Bank
benützt dabei den Einfluß, den sie durch ihre sonstigen geschäft-
lichen Beziehungen auf die Industrie besitzt, um sich an Stelle des
Kaufmannes dem Industriellen darzubieten. Ist die Bank einmal
im Besitz des Absatzes, so werden dadurch die gegenseitigen Be-
ziehungen der Bank zur Industrie enger. Die Bank ist an der Preis-
gestaltang der Ware nicht nur als Spekulant interessiert, ein hoher
Preis ist ihr erwünscht im Interesse des Unternehmens, zu dem sie
auch Kreditbeziehungen aller Art hat. Zugleich sucht sie, da sie ja
Interesse an möglichst großer Verfügung über die Ware hat, mit
möglichst viel Unternehmungen Verbindung und wird so an dem
ganzen Industriezweig interessiert. Dir Interesse aber ist es, diesen
Industriezweig möglichst gegen Depressionen zu schützen ; sie wird
ihren Einfluß benützen, um die Kartellierung zu beschleunigen,
die ja allerdings die spekulative Tätigkeit der Bank auf dem inneren
250
Markt (nicht auf dem Weltmarkt) überflüssig macht, sie aber durch
Anteilnahme am Kartellprofit, in verschiedener Form dafür reich-
lich entschädigt. Es ist eine Entwicklung, die sich namentlich dann
vollzieht, wenn aus historischen Ursachen die Bildung eines starken
und leistungsfähigen Großhandels, sei es überhaupt, sei es in dem
betreffenden Produktionszweig, ausgeblieben ist. So sind in Öster-
reich die Banken auf dem Wege des Handels in die Zuckerindustrie,
mit geringerem Erfolge in die Petroleumindustrie eingedrungen
und Träger der Kartellierungsbestrebungen in diesen Industrie-
zweigen geworden, die stark in ihrer Abhängigkeit stehen. So wird
hier durch den Terminhandel eine Entwicklung, die ja allgemeine
Tendenz ist, begünstigt, um schließlich den Terminhandel selbst
wieder aufzuheben.
Die monopolistischen Verbände beseitigen die Warenbörsen voll-
ständig. Das ist ja selbstverständlich, da sie die Preise für längere
Zeit festsetzen und daher die Ausnützung der Preisschwankungen
unmöglich machen. Die „Verteilung in der Zeit" geht natürlich
ohne weiteres vor sich, was höchstens Herrn Professor Ehrenberg
überraschen kann. Das deutsche Kohlensyndikat und der Stahl-
werksverband haben die Börsennotierungen von Essen und Düssel-
dorf zu rein nominellen gemacht. „So besteht die Essener Kohlen-
börse lediglich in — einer Mappe mit Kohlennotierungen, die jedes-
mal vom Kohlensyndikatsgebäude zum Essener Saalbau getragen
wird, während die ganze sogenannte Düsseldorfer Produktenbörse
in — einem Schreibebrief besteht, den ein Industrieller regelmäßig
dem Vorstand der Düsseldorfer Börse zugehen läßt."
Das gleiche gilt für das Termingeschäft in Spiritus. „Es ist hier
ganz richtig bemerkt, daß ein Teil des Handels durch die Zentrale
(für Spiritusverwertung) seine Bedeutung verloren hatte und daß
ein Teil des Zwischenhandels in dem Syndikat keinen Raum mehr
fand. Es ist das der Teil, der sich in der Hauptsache mit dem Börsen-
geschäft befaßt. Das Kommissionsgeschäft, die Makler, alle die
Händler, die nicht direkt mit Produzenten in Verbindung stehen,
sind allerdings durch das Zustandekommen des Syndikats überflüssig
1 „Berliner Tageblatt" vom 19. Oktober 1907.
231
geworden und sind dadurch ausgeschaltet." Die effektiven Händler
werden vom Spiritussyndikat in Agenten verwandelt, mit fester
Provision (30 bis 40 Pf.), und ihre Zahl, wie es scheint, ziemlich
stabil gehalten— 1906 waren es 202 — , die 40 Prozent der Erzeugung
absetzten.
Soweit die Gewinne der Produktenbörse aus Handelsprofit stam-
men, fallen sie bei Ausschaltung der Börse den Produzenten zu.
Dies ist auch der Fall bei jenen Gewinnen, die aus der Verschieden-
heit der Produktionszeit (der „Dauer der Kampagne") und der
Konsumzeit entstehen. So sind zum Beispiel für Spiritus die
Sommerpreise höher als die Winterpreise. Die Produktion geht am
Ende der Kampagne in die Hände des Handels über. Die Sommer-
preise sind schon deswegen höher, weil Lagerungskosten, Zinsver-
luste usw. berechnet werden müssen. Aber die Brenner müssen am
Ende der Kampagne möglichst bald verkaufen. Das Angebot ist hier
drängend. Umgekehrt findet während des Sommers keine Produk-
tion statt. Das Angebot kann hier nicht mehr vermehrt werden, und
die Händler sind kapitalskräftig genug, um die Ware nicht in un-
günstigen Zeiten loszuschlagen. Hier spielt der Unterschied der
Kapitalskraft der Händler einerseits, denen auch hier das Bank-
kapital für Reportierung oder Lombardierung zur Verfügung steht,
und der Kapitalskraft der oft kleinen Produzenten eine Rolle in der
Preisbestimmung, allerdings nicht für den Preis, den der Konsum
zu zahlen hat, sondern für den, den der Händler dem Produzenten
zahlt. Auch diese Verhältnisse werden durch ein Kartell der Pro-
duzenten zuungunsten der Händler und zugunsten der Produzenten
geändert. Sehr prägnant drückt dies Herr Stern, der Geschäftsführer
der Zentrale für Spiritusverwertung, aus, wenn er sagt: „Das Syn-
dikat läßt die Preissteigerung nach Schluß der Brennkampagne den
Brennern zugute kommen, der freie Markt der Spekulation."
Gerade auf dem Gebiete der landwirtschaftlichen Produktion hat
die Kartellierung — und die landwirtschaftlichen Produktions-
1 Kontradiktorische Verhandlungen der deutschen Kartellenquete über die
Verbände in der deutschen Spiritusindustrie. Aussage des Geschäftsführers
der Zentrale für Spiritusverwertung, BourzutscKky.
252
„genossenschaften" sind häufig nichts anderes als Kartellkeime oder
Kartelle im kleinen - große Vorteile, weil gerade für die landwirt-
schaftliche Produktion die kapitalistische Regelung durch den Preis
am unangemessensten ist, die Anarchie der kapitalistischen Gesell-
schaft mit den natürlich-technischen Bedingungen gerade der land-
wirtschaftlichen Produktion unvereinbar ist, wie ja der Kapitalis-
mus überhaupt das Ideal einer rationellen Landwirtschaft im
Gegensatz zur Industrie nicht durchsetzen kann. Dieser Wider-
spruch, in den die kapitalistische Preisgestaltung zu den natürlich-
technischen Bedingungen landwirtschaftlicher Produktion gerät,
wird aber durch das Vorhandensein eines Terminmarktes, der die
Preisänderungen kontinuierlich macht, auf die Spitze getrieben.
Was Schuld der kapitalistischen Produktionsweise überhaupt, wird
so dem Terminhandel mit seinen oft dramatischen, durch die Speku-
lation hervorgerufenen oder doch übertriebenen Änderungen der
Preisrichtung angekreidet. Demagogisch ausgenützt, kann daher
leicht bei den landwirtschaftlichen Produzenten eine heftige Be-
wegung gegen den Terminhandel hervorgerufen werden. 1
1 Sehr richtig sagt Landesberger: „Der Kampf der Landwirtschaft gegen
den Terminhandel findet seine Erklärung auch in wichtigen Tatsachen der
Wirtschaft. Die Landwirtschaft steht mehr als irgendein anderer Produktions-
zweig im Banne zeitlich und örtlich gegebener Produktionsbedingungen. Das
heißt, der Faktor Produktionskosten ist bei ihr weniger veränderlich als in
anderen Wirtschaftszweigen. Es hängt dies zusammen mit der Bindung des
Kapitals in der Landwirtschaft, mit der Bodenverschuldung, mit der natür-
lichen Schwierigkeit, die wichtigsten Defensivwaffen anderer Produktions-
zweige gegen ungünstige Konjunkturen: Spezialisierung der Produktion,
temporäre Ausdehnung und Einschränkung des Betriebes, auch nur an-
nähernd im gleichen Umfang oder mit gleichem Erfolg anzuwenden. Der
außerpersönliche Faktor alles Wirtschaftslebens, die Konjunktur, hat in
keinem anderen Produktionszweige ein gleiches Übergewicht über den per-
sönlichen Faktor: Produktionskosten. Und die Konjunktur ist für die mittel-
europäische Landwirtschaft seit mehreren Jahrzehnten überwiegend ungün-
stig. Die Konjunktur aber wird durch den Terminhandel vermittelt. Der
Handel, der die Konjunktur nicht umgehen kann, der an beiden Polen seines
Wirtschaftsprozesses, bei Anschaffung und Veräußerung von der Konjunktur
ergriffen wird, ist gezwungen, auf sie mit einer spezifischen Funktion zu
233
Soweit ein Kartell imstande ist, die Anarchie einzuschränken,
soweit wirkt es gerade auf landwirtschaftlichem Gebiet besonders
günstig. Es liegt im Charakter der Landwirtschaft, daß die Produk-
tionsmengen der einzelnen Jahre je nach den natürlichen Bedingun-
gen außerordentlich variieren. Diese Produktionsmengen beein-
flussen aber unmittelbar den Preis. Eine überschüssige Produktions-
menge übt starken Preisdruck und vermehrt in diesem Jahr die
Konsumtion. Infolge der gedrückten Preise wird im nächsten Jahr
die Produktion beschränkt. Tritt dazu etwa eine schlechte Ernte, so
tritt Mangel ein, der Preis schnellt in die Höhe, die Konsumtion
wird stark eingeschränkt. Die zersplitterte Produktion ist gegen
diese Erscheinungen ziemlich machtlos. Das Kartell aber hat auf
die Preisgestaltung viel größeren Einfluß, da es die Möglichkeit
hat, rechtzeitig Vorräte anzulegen und in Verbindung mit der
Produktionskontingentierung allzu starken Schwankungen vorzu-
beugen. Freilich benützt das kapitalistische Kartell diese Macht,
um dauernd Höchstpreise zu erzielen durch eine dementsprechende
Einschränkung der Produktion. Aber für die landwirtschaftliche
Produktion schafft es stabilere Verhältnisse.
reagieren. Das Organ für diese Funktion ist der Terminhandel, seine Auf-
gabe, die Weltkonjunktur ökonomisch erfaßbar zu machen, sie möglichst klar
zu vermitteln. Der Terminhandel in seiner vollkommensten Gestalt, von
allen Irrungen und Mißbräuchen befreit, müßte die Konjunktur getreulich
widerspiegeln. Aber in diesem Spiegel würde die Landwirtschaft überwiegend
eine ihr ungünstige Konjunktur erblicken. Und daher das natürliche Be-
streben, den Spiegel zu zertrümmern." (Landesberger, 1. c, S. 44 ff.)
Daß das Verbot des Terminhandels in einem Staate durch Ausnützung
des Terminhandels in einem anderen für die kapitalskräftigen Händler und
Spekulanten umgangen wird, ist bekannt. So sagt zum Beispiel der Baumwoll-
industrielle Dr. Kuffler: „In Bremen, wo fast das ganze Baumwollimport-
geschäft für Zentraleuropa gemacht wird, hesteht kein Terminhandel, und
doch wird jeder einzelne Abschluß auf Termin basiert, nämlich in Liverpool
oder in New York." (Siehe den Bericht über die Verhandlungen der Gesell-
schaft österreichischer Volkswirte in „Zeitschrift für Volkswirtschaft, Sozial-
politik und Verwaltung", XI. Bd., S. 83.) Ebenso hat das Verbot des Getreide-
terminhandels in Osterreich nur die Übertragung der Spekulation nach Buda-
pest hewirkt.
So sagt der eben angeführte Geschäftsführer Stern: „Das Syn-
dikat kann die Überschüsse bis zu einem sehr weitgehenden, wenn
auch nicht unbeschränkten Maße aufbewahren. Der freie Markt
läßt, sowie die Überschüsse zu stark werden, sofort einen Preissturz
eintreten und hört damit erst auf, wenn das Produkt weit unter den
Herstellungswert sinkt. Das Syndikat kann den Auslandspreis vom
Inlandspreis trennen, der freie Markt ist, wenn Überschüsse vor-
handen und auf Ausfuhr angewiesen sind, in der Preislage für das
gesamte Erzeugnis vom Erlös für den Export abhängig. Ein Bei-
spiel: 1893/94 ist ein Überschuß von 20 Millionen Liter vorhanden
gewesen, keineswegs ein bedrohlicher Überschuß, der aber den
Durchschnittspreis des Jahres auf 31 Mk. drückte. Das Syndikat
hätte in diesem Jahre 10 Millionen mehr exportiert, und wenn es
auf diese 10 Millionen 5 oder 8 Mk. im Preise, gleich 500 000 bis
800 000 Mk. verloren hätte, so hätte es dem Brennergewerbe
eine große Entwertung erspart; denn wenn ich annehme, daß die
Preise dann 5 Mk. auf die ganze Produktion höher gewesen wären,
so hätten wir mit 500 000 bis 800 000 Mk. Verlust die ganze Pro-
duktion von etwa 300 Millionen Liter um 15 Millionen Mk. im
Werte gehoben.
Die Börse hat wesentliche Bestände nicht aufkommen lassen und
sehr schnell ein etwaiges Plus durch ein Minus der Produktion aus-
geglichen. Die Bestände, die am Schluß einer Kampagne (am
50. September eines Jahres) vorhanden waren, betrugen während
der Dauer des freien Marktes in Spiritus regelmäßig zirka 30 Mil-
lionen; mehrere Male bleibt der Bestand darunter, und zwar am
weitesten einmal um 9 Millionen; ein einziges Mal aber steigt
diese Ziffer wesentlich, nämlich um 1 5 Millionen im Jahre 1893/94.
Diese Ziffern, diese 10 Millionen hin und her, sie sind nur 3 bis
5 Prozent der Produktion, und diese 3 bis 5 Prozent genügen, um
den Preis auf das äußerste zu drücken. Selbst kleine Bestände
machen den Spekulanten nervös; er stößt sie ab, wenn er glaubt,
daß eine gute Ernte bevorsteht. Das scheinbare Gleichmaß der Börse
war nichts anderes im Grunde als Ängstlichkeit und Nervosität."
Den Grund, warum ihm der Ausgleich durch die Börse nicht recht
234
235
•
ist, gibt er gleich darauf an: „Der Ausgleich wird von der Börse
durch billige Preise erzielt." Seine Auftraggeber, die kartellierten
Brenner und Spritfabrikanten, können aber nur einen Ausgleich zu
hohen Preisen brauchen.
Manche Verfechter des Terminhandels behaupten auch, daß er
eine Gewähr für eine genauere Preisbestimmung sei. Der Termin-
markt umfasse eine größere Zahl von sachverständigen Interessen-
ten, die Besultante so vieler sachverständiger Meinungen müsse im
allgemeinen richtiger sein als die einer geringeren Anzahl. Aber die
Eigenschaft, Getreidehändler zu sein, verleiht dem Menschen noch
nicht die mystische Fähigkeit, den künftigen Ernteertrag voraus-
sehen zu können, und diese Fähigkeit besitzt weder einer noch un-
endlich viele Getreidehändler. Mag also für Börsenbesucher das
Wort „Verstand ist stets bei wenigen nur gewesen" nicht gelten, so
besitzen sie doch — so viele alttestamentarische Eigenschaften sie
sonst haben mögen - sicher nicht die Prophetengabe. In Wirklich-
keit sind Terminpreise nur spekulativ. Selbst ein Syndikat wie das
Spiritussyndikat, das auf die inländische Preisbestimmung ja un-
mittelbaren Einfluß hat und daher viel eher in der Lage wäre,
Terminofferten abzugeben, gibt sie nur ungern ab. So sagt der Ge-
schäftsführer der Spirituszentrale, Untucht: „Mit den Termin-
offerten hat es immer gewisse Schwierigkeiten gehabt. Wenn es
nach uns gegangen wäre, wären wir lieber mit den Terminofferten
zurückhaltender gewesen . . . Wenn jemand ein Produkt offeriert,
muß er, um den Preis normieren zu können, vorher wissen, welche
Mengen ihm zur Verfügung stehen. Wir können das natürlich erst
wissen, wenn die Kampagne schon etliche Monate vorgeschritten ist,
Auch dann sind wir Täuschungen nicht ganz enthoben, denn erst
die Produktion der Frühjahrsmonate gibt immer den Ausschlag
dafür, ob die Produktion der Kampagne groß oder klein ist;
dies namentlich, wenn die Situation etwas unübersichtlich ist."
Man wird aber zugeben, daß die Informationen der Zentrale, die
1 Anderseits zeigt dies aber auch, wie unvollkommen die Börse ihre angeb-
liche Funktion des zeitlichen Ausgleichs erfüllt.
236
die ganze Produktion übersieht und der zirka 80 Prozent der
Produktion unterstehen, ganz anders geartet sind als die der Börsen-
besucher.
Der Grund, der zum Verlangen nach Terminpreisen führt, ist
der, daß die weiterverarbeitende Industrie in dem Moment, wo sie
Offerten abzugeben hat, dazu die Preise des Rohmaterials kennen
muß. Wenn nun der Zeitpunkt der Kampagne des Rohmaterials
nicht zusammenfällt mit den Bestellungsterminen der weiterver-
arbeitenden Industrie, so entsteht bei Waren mit stärkeren Preis-
schwankungen das Bedürfnis nach Terminpreisen. Der Weiter-
verarbeiter wälzt damit das Risiko auf seinen Rohmateriallieferan-
ten ab. Syndikate aber benützen ihre Stärke, um das Risiko wieder
von sich abzuwälzen, sei es, daß sie die Preise stabil halten oder daß
sie die Terminpreise so hoch ansetzen, daß für sie ein Risiko gleich-
falls in Wegfall kommt. Herr Untucht spricht es auch direkt aus:
„Da wir uns ungewissen Verhältnissen gegenüber befinden, haben
wir die Vorsicht (siel) beobachtet, daß wir die Preise eher etwas zu
hoch griffen als zu niedrig." Und in der Denkschrift des Syndikats
wird bemerkt: „Während solche Terminofferten in den ersten vier
Jahren des Syndikats zeitig zu Beginn des neuen Geschäftsjahres
ausgegeben wurden, wird seit 1904/05 der Grundsatz befolgt, die
aUgemeinen Lieferungspreise erst zu notieren, sobald ein gewisser
Anhalt für die Entwicklung der Produktion vorliegt."
In der deutschen Börsenenquete halten die außerhalb der Ge-
schäftswelt stehenden Mitglieder (wie Geheimrat Wiener und der
freikonservative Abgeordnete v. Gamp) das Effektivgeschäft für
legitim, das Börsendifferenzgeschäft für illegitim; eine Unter-
scheidung, die ebenso regelmäßig von den Geschäftsleuten zurück-
gewiesen wird. Die ersten können eben nicht begreifen, daß bei
allen kapitalistischen Transaktionen der Gebrauchswert völlig
gleichgültig und nur meistens eine traurige Notwendigkeit (conditio
sine qua non) ist. Das reine Differenzgeschäft ist in Wirklichkeit
der vollendetste Ausdruck der Tatsache, daß für den Kapitalisten
nur der Tauschwert wesentlich ist. Gerade das Differenzgeschäft ist
18 Hilferding, Das Finanzkapital
237
so das legitimste Kind der kapitalistischen Grundstimmung; es ist
das Geschäft an sich, bei dem von der profanen Erscheinungsform
des Wertes — dem Gebrauchswert — abstrahiert ist; es ist nur natür-
lich, daß dieses ökonomische Ding an sich den nichtkapitalistischen
Erkenntnistheoretikern schlechthin als transzendent erscheint und
sie es dann in ihrem Ärger als Schwindel bezeichnen. Sie sehen
nicht, daß hinter der empirischen Realität eines jeden kapitalisti-
schen Geschäfts die transzendentale Tatsache eines solchen Geschäfts
an sich steht, die erst jene empirische Realität erklärt. Das merk-
würdige dabei ist, daß den Verteidigern des Gebrauchswertes,
sobald sie mit der Börse zu tun bekommen, der Begriff des Ge-
brauchswertes selbst verlorengeht. Als effektiv gilt ihnen jetzt jedes
Geschäft, ob es sich um Umsatz von Ertragstiteln oder Waren han-
delt, in gleicher Weise, wenn nur die Papiere oder die Waren wirk-
lich abgeliefert werden. Sie übersehen dabei vollkommen, daß die
Effektenzirkulation für den Stoffwechsel der Gesellschaft völlig
gleichgültig ist, während die Warenzirkulation ihre Lebensbedin-
gung ist.
1 Es ist also ganz richtig, wenn der Sachverständige Simon meint (Börsen-
enquete, II., S. 1584): „Der Wunsch nach Differenz ist der eigentliche Be-
gründer jedes gewerblichen Unternehmens." Wenn dagegen der Reichsbank-
präsident Koch einwendet, bei Kaufgeschäften liege zum Unterschied von
Differenzgeschäften die Absicht zugrunde, eine Ware aus einer Hand in die
andere gehen zu lassen, so trifft diese Erwiderung vollständig daneben und
wird auch von Simon gar nicht verstanden. Denn der Unterschied zwischen
den beiden Geschäften besteht nur darin, daß diese Differenz einmal durch
den Durchschnittsprofit, das andere Mal durch Differenzgewinn im katego-
rischen Sinn gebildet wird.
Die bürgerliche Ökonomie verwechselt fortwährend die gesellschaftlichen
Punktionen der wirtschaftlichen Handlungen mit den Motiven der Handeln-
den und schiebt die Erfüllung dieser Punktionen den Handelnden als deren
Motiv unter, wovon diese natürlich nichts wissen. Sie sieht also gar nicht das
spezifische Problem der Ökonomie: diesen funktionellen Zusammenhang der
wirtschaftlichen Handlungen, durch dun sich das gesellschaftliche Leben er-
füllen muß, als Ergebnis ganz anderer Motive aufzudecken und aus der not-
wendigen Funktion selbst die Motivation der kapitalistischen Produktions-
agenten zu verstehen.
238
Zu welchen Verrücktheiten die Gleichgültigkeit gegenüber dem
Gebrauchswert führen kann, dafür ein Beispiel. Um die Ware fun-
gibel zu machen, muß sie bestimmte festgesetzte Bedingungen er-
füllen, also in bestimmter Menge ein bestimmtes Gewicht besitzen,
bestimmte Farbe, bestimmten Geruch usw. aufweisen. Nur dann
entspricht sie dem „Typ", der zur Erfüllung der Lieferung geeignet
ist. Beim Kaffeetermingeschäft in Hamburg war der Typ ein ziem-
lich schlechter. Bessere Sorten wurden also durch Zusatz von
schwarzen Bohnen, Steinen usw. verschlechtert. In Berlin war der
Typ besser. Die Zusätze, die in Hamburg gemacht wurden, mußten
in Berlin erst mühsam entfernt werden, um den Kaffee lieferbar zu
machen. Wohl das merkwürdigste Beispiel von kapitalistischen Un-
kosten. Es kommt aber noch besser. In Hamburg hatte sich ein
Corner gebildet. Es trat Mangel an lieferbarer Ware ein. Lieferbar
war aber nur der mit Steinen usw. versetzte Kaffee. Bessere Sorten
bedangen daher, da sie nicht der Lieferungsqualität entsprachen,
ein Aufgeld. Mit anderen Worten, man mußte für die Lieferung
besserer Qualität Strafe zahlen. Es entspricht das aber nur konse-
quent angewandter kapitalistischer Logik; denn es handelt sich
dem Käufer, dem Mitglied des Corners, gar nicht um den Ge-
brauchswert, sondern nur um den Tauschwert. Dieser bestimmt
die ganze wirtschaftliche Aktion, die eben nicht Gebrauchs -
werterzeugung oder Vermittlung ist, sondern nur Erzielung von
Gewinn.
Die Apologeten der kapitalistischen Produktionsweise suchen die
Notwendigkeit ihrer einzelnen Erscheinungen zu beweisen, indem
sie die aus der kapitalistischen Produktion folgende spezifisch
ökonomische und daher historische Form identifizieren mit dem
technischen Inhalt, der gegenüber der transitorischen Form dauernd
notwendig ist, und aus dieser falschen Identifizierung dann auf die
Notwendigkeit der Form zurückschließen. So betonen sie emphatisch
1 Börsenenquete, II. Bd., S. 2079.
* Börsenenquete, S. 2135. Im folgenden noch ähnliche Beispiele für Ge-
Ireide und Spiritus, wo zum Beispiel rektifizierter Spiritus nicht an Stelle
von rohem geliefert werden kann.
239
die Notwendigkeit der Oberleitung und Beaufsichtigung jedes
gesellschaftlichen Arbeitsprozesses, um daraus sofort die Not-
wendigkeit der kapitalistischen Leitung, die aus dem Privateigen-
tum an den Produktionsmitteln entspringt, und damit die Not-
wendigkeit dieses Privateigentums überhaupt zu beweisen. So fassen
sie den Handel nicht als spezifischen Zirkulationsakt, sondern als
Verteilung der Güter an die Konsumenten auf. So erklärt Ehren-
berg den Handel als Verteilung über den Raum, die Spekulation
als Verteilung über die Zeit. Und da die Verteilung natürlich bei
einem gewissen Grade der technischen Entwicklung immer not-
wendig ist, so ist Handel und Spekulation immer notwendig, ihre
Beseitigung eine Unmöglichkeit, eine Utopie. Identifiziert man noch
dazu „notwendig" mit „produktiv", so kommt man mit Ehrenberg
zu dem grotesken Resultat, daß die Spekulation ebenso ein Produk-
tionszweig ist wie die Landwirtschaft. Warum auch nicht, da der
Boden und eine Aktie in gleicher Weise Geld tragen! Es wird da-
bei der Handel einfach mit dem Transport und der Arbeit des Ein-
packens, Zerteilens usw. verwechselt, die Spekulation mit der Lage-
rung identifiziert, Operationen, die natürlich bei jeder technisch
entwickelten Produktionsweise nötig sind. Aber auch ein ganz
anders als Ehrenberg ernst zu nehmender und scharfsinniger Mann
1 „Handel und Spekulation sind besondere Produktionsarten, gleich der
Urproduktion und dem stoffbearbeitenden Gewerbe: Der Handel ist die-
jenige Produktionsart, welche die Aufgabe hat, die örtliche Knappheit der
Natur an wirtschaftlichen Gütern zu überwinden. Die Spekulation dagegen
hat die gleiche Aufgabe hinsichtlich der zeitlichen Güterknappheit. Privat-
wirtschaftlich betrachtet, nützt der Handel örtliche, die Spekulation zeitliche
Preisunterschiede aus."
„Die Börsenmeinung beeinflußt die Preise auf Grund von Nachrichten
aller Art, die an der Börse zusammenströmen, wahren und falschen Nach-
richten, solchen über schon erfolgte und solchen über erst erwartete Tat-
sachen. Letztere werden schon im voraus von der Börsenmeinung auf ihre
Tragweite abgeschätzt (,eskomptiert'). Wenn sie auf solche Weise niedrige
Preise benützt, um Vorräte für die Zukunft zu schaffen, hohe Preise, um
die Verfügung über künftige Vorräte wie über gegenwärtige zu ermöglichen,
so wirkt sie produktiv, anderenfalls nicht." Richard Ehrenberg: Artikel
„Börsenwesen" im „Handwörterbuch der Staatswissenschaften", 2. Auflage.
wie Professor Lexis 1 gerät bei seinen Aussagen über den Termin -
handel in Verlegenheit; denn auch er übersieht die spezifisch öko-
nomische Formbestimmtheit des börsenmäßigen Warentermin-
handels zum Unterschied vom Warenhandel. Er übersieht die
spezifische Rolle der Spekulation und sucht den Terminhandel als
Notwendigkeit zu erweisen, indem er ihn als wirklichen Handel
nachzuweisen sucht.
Sein Gegner Gamp hat dann leichtes Spiel, darauf hinzuweisen,
daß der Terminhandel eine Unsumme von Warenumsätzen schafft,
die für die Verteilung vom Produzenten zum Konsumenten gar
nichts leisten. Lexis weist darauf hin, daß es beim Terminhandel
leichter sei, Käufer zu finden. Das ist richtig, nur ist dieser „Käufer"
gewöhnlich nicht der Konsument, sondern selbst wieder „Ver-
käufer", nämlich selbst Spekulant. Es ist aber falsch, den Handel
und gar den Termin„handel", die Terminspekulation, aus einem
absoluten Distributionsbedürfnis herleiten zu wollen; der Handel
erfüllt nur das Distributionsbedürfnis in einer kapitalistischen Ge-
sellschaft, und seine Notwendigkeit ist nur transitorisch selbst inner-
halb der kapitalistischen Gesellschaft, wie die Ausschaltung des
Handels durch die Syndikate und Truste beweist. Wer nun gar den
Handel als „produktiv", das heißt als Profit nicht bloß realisierend,
sondern erzeugend ansieht, gerät vollends in Verlegenheit : er preist
als einen Vorzug der Kartellierung die Ersparung von Handels-
kosten, was ja nur Vorteil sein kann, wenn die Handelsoperationen
Unkosten darstellen, also unproduktiv sind.
Die Notwendigkeit des Terminhandels besteht in Wirklichkeit
einmal darin, daß er den produktiven Kapitalisten, Industriellen
und Kommerziellen erlaubt, ihre Zirkulationszeit auf Null herab-
zusetzen und sich damit gegen die Preisschwankungen während der
Zirkulationszeit zu versichern, diese auf die Spekulation, die diese
spezifische Funktion zu erfüllen hat, abzuwälzen. Zweitens erlaubt
der Terminhandel, einen Teil der Handelsfunktionen statt von
kommerziellem Kapital von Geld-(Bank-)kapital erfüllen zu lassen;
für diesen Teil der Operationen wird nicht Durchschnittsprofit, son-
1 Siehe Börsenenquete, II., S. 3523 ff.
240
241
dem Zins erzielt; um die Differenz steigt der industrielle Profit
(Unternehmergewinn). Drittens gestattet der Terminhandel, was
ja mit dem zweiten Punkt zusammenhängt, die Verwandlung von
Geldkapital in Handelskapital unter Beibehaltung des Geldkapital-
charakters und eröffnet so dem Bankkapital die Möglichkeit,
sein Herrschaftsgebiet über Handel und Industrie zu erweitern
und einem immer größeren Teil des produktiven Kapitals den
Charakter von Geldkapital, das in der Verfügung der Bank ist, zu
erhalten.
242
X. Kapitel
BANKKAPITAL UND BANKGEWINN
Die Mobilisierung des Kapitals eröffnet den Banken ein neues
Gebiet ihrer Tätigkeit: die Emission und die Spekulation. Theore-
tisch ist es dabei nicht von Belang, ob diese Tätigkeiten mit der der
Zahlungs- und Kreditvermittlung in einer Bank verbunden sind
oder von verschiedenen Bankinstituten besorgt werden. Wichtig ist
nur die Unterscheidung der einzelnen Funktionen nach ihrer ökono-
mischen Bedeutung. Die moderne Entwicklung führt übrigens über-
all in immer steigendem Grade zur Zusammenfassung dieser Funk-
tionen, sei es in einem Unternehmen, sei es durch die Beherrschung
mehrerer, verschiedene und also sich ergänzende Funktionen erfül-
lender Unternehmungen durch denselben Kapitalisten oder dieselbe
Kapitalistengruppe. Das Moment, das zur Zusammenfassung führt,
ist in letzter Instanz dies, daß in allen diesen Funktionen das Kapi-
tal als Geldkapital im spezifischen Sinn auftritt, als Leihkapital, das
stets wieder aus seiner jeweiligen Anlage als Geld zurückgezogen
werden kann. Aber auch wo diese Zusammenfassung in einem Unter-
nehmen nicht erfolgt ist, ist es zum Teil dasselbe Geldkapital, das
alle verschiedenen Funktionen erfüllt, indem es von der einen dieser
Unternehmungen den anderen zur Verfügung gestellt wird.
Erst nach der Analyse dieser verschiedenen Funktionen ist es
möglich geworden, zu untersuchen, aus welchen Quellen der Ge-
winn des Bankkapitals fließt und welche Gestaltung in der Sphäre
des Bankkapitals das Verhältnis zwischen Gewinn und Kapital — so-
wohl dem eigenen der Bank als dem ihr zur Verfügung stehenden
fremden — annehmen muß.
243
Wir wissen, daß der Profit in der Produktion entsteht und in der
Zirkulation realisiert wird; ebenso wissen wir, daß die Ausführung
der Zirkulationsoperationen, der Kauf und Verkauf der Waren, zu-
schüssiges Kapital erfordert. Ein Teil dieser Operationen wird den
Industriellen von den Kommerziellen abgenommen und zur selb-
ständigen Funktion einer Abteilung des gesellschaftlichen Kapitals,
des Warenhandlungskapitals. Das von den Kaufleuten angewandte
Kapital wirft Durchschnittsprofit ab, der nichts anderes ist als ein
Teil des von den Industriellen in der Produktion erzeugten Profits,
also pro tanto Abzug von dem Profit bildet, der sonst den Industriel-
len zufiele. 1 Ebenso erfordert die Zirkulation eine Reihe von Geld-
transaktionen, Vorrathaltung, Bereitstellung und Versenden von
Geld, Einziehen und Auszahlung von Rechnungen usw. Diese Ope-
rationen, also die Kassenführung, können konzentriert und durch
diese Konzentration Arbeit, die Zirkulationskosten darstellt, erspart
werden. Infolge der Konzentration wird zur Ausführung dieser
Arbeit auch ein geringeres Kapital nötig sein. „Die rein technischen
Bewegungen, die das Geld durchmacht im Zirkulationsprozeß des
industriellen Kapitals und, wie wir jetzt hinzusetzen können, des
Warenhandlungskapitals (da dies einen Teil der Zirkulations-
bewegung des industriellen Kapitals als seine eigne und eigentüm-
liche Bewegung übernimmt) — diese Bewegungen, verselbständigt
zur Funktion eines besondren Kapitals, das sie, und nur sie, als ihm
eigentümliche Operationen ausübt, verwandeln dies Kapital in
Geldhandlungskapital. Ein Teil des industriellen Kapitals, und
näher auch des Warenhandlungskapitals, bestände nicht nur fort-
während in Geldform, als Geldkapital überhaupt, sondern als Geld-
kapital, das in diesen technischen Funktionen begriffen ist. Von
dem Gesamtkapital sondert sich nun ab und verselbständigt sich ein
bestimmter Teil in Form von Geldkapital, dessen kapitalistische
Funktion ausschließlich darin besteht, für die gesamte Klasse der
industriellen und kommerziellen Kapitalisten diese Operationen
1 Über das Nähere siehe „Kapital", III., 1., 4. Abschnitt: „Verwandlung
von Warenkapital und Geldkapital in Warenhandlungskapital und Geld-
handlungskapital" .
244
auszuführen. Wie beim Warenhandlungskapital, trennt sich ein
Teil des im Zirkulationsprozeß in der Gestalt von Geldkapital vor-
handnen industriellen Kapitals ab und verrichtet diese Operationen
des Reproduktionsprozesses für das gesamte übrige Kapital. Die
Bewegungen dieses Geldkapitals sind also wiederum nur Bewegun-
gen eines verselbständigten Teils des in seinem Reproduktionsprozeß
begriffnen industriellen Kapitals." „Der Geldhandel in der reinen
Form, worin wir ihn hier betrachten, d. h. getrennt vom Kredit-
wesen, hat es also nur zu tun mit der Technik eines Moments der
Warenzirkulation, nämlich der Geldzirkulation und den daraus
entspringenden verschiednen Funktionen des Geldes ... Es ist
augenscheinlich, daß die Masse des Geldkapitals, womit die Geld-
händler zu tun haben, das in Zirkulation befindliche Geldkapital
der Kaufleute und Industriellen ist und daß die Operationen, die
sie vollziehn, nur die Operationen jener sind, die sie vermitteln. Es
ist ebenso klar, daß ihr Profit nur ein Abzug vom Mehrwert ist, da
sie nur mit schon realisierten Werten (selbst wenn nur in Form von
Schuldforderungen realisiert) zu tun haben." 2 Die Kassenführung
fällt im Laufe der Entwicklung den Banken zu. Die Größe des dazu
erforderlichen Kapitals ist durch die technische Natur der Opera-
tionen und ihre jeweilige Ausdehnung jeweils gegeben. Auf dieses
Kapital realisieren die Banken ebenso wie die Händler auf das
Warenhandlungs- und die Industriellen auf das Produktionskapital
den Durchschnittsprofit. Dies ist aber auch der einzige Teil des
Bankkapitals, dessen Gewinn Durchschnittsprofit im kategorischen
Sinn darstellt. Der Gewinn auf das übrige Bankkapital ist davon
w esensverschieden .
1 Marx, „Kapital", III., 1., S. 299. (Neuausgabe S. 346. Die Red.)
2 Ebenda, S. 306. (Neuausgabe S. 353 und 354. Die Red.)
3 Zur Veranschaulichung diene folgende schematische Berechnung. Ge-
setzt das Produktionskapital sei gleich 1000. Es erzeuge einen Profit von 200.
Das Warenhandlungskapital betrage in übertriebener Proportion 400, das
Geldhandlungskapital 100. Der Profit verteilt sich auf ein Gesamtkapital von
1500; die Durchschnittsprofitrate beträgt daher 15 Prozent. Den Industriellen
fällt vom Gesamtprofit von 200 zu: 150, den Kommerziellen 40 und den
Geldhändlern 10.
245
Als Vermittlerin des Kredits arbeitet die Bank mit dem ganzen
ihr zur Verfügung stehenden eigenen und fremden Kapital. Ihr
Bruttogewinn besteht aus dem Zins für das ausgeliehene Kapital;
ihr Reingewinn — nach Abzug der Unkosten — aus der Differenz der
ihr bezahlten Zinsen und der Zinsen, die sie ihrerseits für die
Depositen zahlt. Dieser Gewinn ist also nicht Profit im kategori-
schen Sinn und seine Höhe ist nicht durch die Durchschnittsprofit-
rate gegeben. Er stammt ebenso wie der eines anderen Geldkapitali-
sten aus dem Zins. Die vermittelnde Stellung der Bank im Kredit-
verkehr erlaubt ihr nur, nicht wie ein anderer Geldkapitalist, bloß
an dem eigenen Kapital, sondern auch an dem ihrer Gläubiger zu
gewinnen, denen sie einen niedrigeren Zins zahlt, als sie selbst von
ihrem Schuldner verlangt. Dieser Zins ist nur ein Teil oder ein Ab-
zug von dem in seiner Höhe bereits gegebenen gesellschaftlichen
Durchschnittsprofit. Dieser Gewinn geht aber keineswegs wie der
des Kaufmanns- und Geldhandlungskapitals selbst in die Bestim-
mung der Höhe der Durchschnittsprofitrate ein.
Die Höhe des Zinses hängt von Angebot und Nachfrage nach
Leihkapital im allgemeinen ab, von dem das Bankkapital nur ein
Teil ist. Diese Höhe des Zinses bestimmt den Bruttogewinn. Um
möglichst große Verfügung über das Geldkapital zu erhalten, ver-
güten die Banken ihrerseits Zins auf die Depositen. Caeteris paribus
hängt die Verfügung einer Bank über das Geldkapital ab von der
Höhe des von ihr auf die Depositen gezahlten Zinses. Die Konkur-
renz um die Depositen zwingt so die Banken, einen möglichst hohen
Zins zu vergüten. Die Differenz zwischen dem Zins, den sie als
Gläubiger erhalten, und dem Zins, den sie als Schuldner vergüten,
bildet den Reingewinn der Banken.
Der Vorgang ist also der : Primär setzt sich durch Nachfrage und
Angebot des Leihkapitals überhaupt der Zinsfuß fest, und dieser
bestimmt den Bruttogewinn der Banken, den sie durch das Ver-
leihen der ihnen zur Verfügung stehenden eigenen oder fremden
Gelder erhalten. Dabei ist es sowohl für die Bildung der Höhe der
Zinsrate als auch für die Größe des Bruttogewinns völlig gleich-
gültig, in welchem Verhältnis die eigenen zu den fremden Mitteln
246
der Bank stehen. Nur daß von den fremden Geldern bloß ein Teil
wirklich den Banken zur Verfügung steht, ■während ein anderer als
Reserve gehalten werden muß, wobei diese Reserve, die keine
Zinsen trägt, im Vergleich zu der gesamten Summe minimal ist.
Die Konkurrenz der Banken untereinander bestimmt die Höhe der
Zinsen, die die Banken ihrerseits für die Depositen vergüten müssen,
und von dieser Höhe hängt dann bei gegebenem Bruttogewinn und
gegebenen Unkosten der Reingewinn ab. Man sieht, das Gegebene
ist hier nicht das eigene Kapital der Banken. Denn nicht vom Eigen-
kapital, sondern von dem ihnen überhaupt zur Verfügung stehen-
den Leihkapital hängt der Gewinn der Banken ab. Dieser ist also
das Gegebene, und nach ihm muß sich das Ausmaß des Eigen-
kapitals der Banken richten. Die Banken können von dem gesamten
Leihkapital so viel in ihr eigenes umwandeln, als ihr Gewinn er-
laubt. Für das Kapital ist aber der Bankbetrieb eine Anlage wie
jede andere. Es wird in diese Sphäre nur strömen, wenn es in dieser
die gleiche Verwertungsmöglichkeit finden wird wie in einer
industriellen oder kommerziellen Sphäre. Sonst würde Kapital aus
dieser Sphäre abfließen. Anderseits ist aber der Gewinn der Bank
das Gegebene. Das Eigenkapital der Bank muß also so bemessen
werden, daß der Gewinn, auf das Eigenkapital berechnet, gleich dem
Durchschnittsprofit auf dieses Kapital ist. Gesetzt den Fall, eine
Bank habe die Verfügung über ein Leihkapital von 100 Millionen
Mark. Sie macht damit einen Bruttogewinn von 6 Millionen und
einen Reingewinn von 2 Millionen. Das Eigenkapital der Bank
kann dann bei einer Profitrate von 20 Prozent 10 Millionen be-
tragen, während ihr 90 MiUionen als Depositen zur Verfügung
stehen werden.
Dies erklärt auch, warum bei Gründung oder Kapitalvermehrung
von Aktienbanken Raum für Gründergewinn bleibt, während doch
das Bankkapital nicht Unternehmergewinn (industriellen Profit)
erzeugt, sondern nur Zins realisiert. Denn da der Bankgewinn gleich
ist der Durchschnittsprofitrate, die Aktionäre aber bloß Zins zu
erhalten brauchen, so ergibt sich die Möglichkeit von Gründer-
gewinn. Hat die Bank auf dem Geldmarkt eine beherrschende
247
Stellung, so kann sie den Gründergewinn ganz oder teilweise selbst
machen. Er verstärkt dann ihre Reserven. Die Reserven sind natür-
lich Eigenkapital, der Bank, nur daß buchmäßig sich der Gewinn
auf das geringere' Nominalkapital verteilt. Die Reserven erlauben
der Bank wieder, einen größeren Teil ihres Kapitals industriell zu
fixieren.
Der Umstand, daß die Teilung in eigenes und fremdes Kapital
hier für den Gewinn gleichgültig ist, ein festes Verhältnis zwischen
der Größe des eigenen und des durch das Eigenkapital attrahierten
fremden Kapitals nicht existiert, läßt das Ausmaß des eigenen
Kapitals zunächst willkürlich erscheinen und gibt die Möglichkeit,
es so zu bemessen, daß der Gewinn, obwohl nicht selbst Durch-
schnittsprofit, doch gleich dem Durchschnittsprofit wird. Ist das
Bankwesen bereits stark entwickelt und das freie Leihkapital bereits
in der Verfügung der Banken, so ist die Neugründung von Banken
sehr erschwert, da diesen nicht genügend fremdes Kapital zur Ver-
fügung stehen würde oder dieses erst nach einem heftigen
Konkurrenzkampf mit der Gesamtheit der anderen Banken — eine
Konkurrenz, deren Erfolg sehr zweifelhaft wäre — herangezogen
werden müßte.
Es verhält sich eben mit dem Bankkapital ganz anders als mit
dem Industrie-, aber auch anders als mit dem kommerziellen und
Geldhandlungskapital. In diesen Sphären ist das Ausmaß des Kapi-
tals technisch gegeben, durch die objektiven Bedingungen des
Produktions- und Zirkulationsprozesses bestimmt. Die Größe des
industriellen Kapitals hängt ab von der Entwicklung des Produk-
tionsprozesses überhaupt, von dem Ausmaß der vorhandenen
Produktionsmittel, wozu auch die Naturkräfte und ihre Aus-
nützungsmöglichkeiten gehören, und der vorhandenen Arbeiter-
bevölkerung. Ihre Anwendung und der Ausbeutungsgrad der
Arbeiterschaft bestimmt die Größe des Profits, der sich in gleicher
Weise auf das industrielle, kommerzielle und Geldhandlungs-
kapital verteilt, wobei das Kapital in den beiden letzteren Sphären
gleichfalls technisch durch die Bedingungen der auszuführenden
Zirkulationsoperationen gegeben ist. Da die Zirkulation nicht
248
Profit erzeugt, also Unkosten darstellt, besteht zugleich die Tendenz,
das hier verwandte Kapital auf sein Minimum zu reduzieren. Da-
gegen ist das Bankkapital, das eigene und das fremde, nichts anderes
als Leihkapital und dieses Leihkapital in Wirklichkeit nichts an-
deres als Geldform des produktiven Kapitals, wobei es wichtig ist,
daß es zum größten Teil bloße Form ist, also rein rechnungsmäßig
existiert.
Das gleiche Verhältnis zwischen Bankgewinn und Größe des
Eigenkapitals finden wir bei der Betrachtung des Gewinnes, der aus
der Emissions- und der Spekulationstätigkeit fließt.
Der Gründungs- oder Emissionsgewinn ist weder Profit noch
Zins, sondern kapitalisierter Unternehmergewinn. Seine Voraus-
setzung ist die Verwandlung des industriellen in fiktives Kapital.
Die Höhe des Emissionsgewinnes ist bestimmt erstens durch die
Durchschnittsprofitrate und zweitens durch den Zinsfuß. Durch-
schnittsprofit minus Zins bestimmen den Unternehmergewinn,
der zum herrschenden Zinsfuß kapitalisiert den Gründungsgewinn
bildet; in keiner Weise ist der Gründungsgewinn abhängig von der
Höhe des Eigenkapitals der Bank. Die Verwandelbarkeit von indu-
striellem in fiktives Kapital hängt nur ab von der Menge des ver-
leihbaren Kapitals überhaupt, das unter Beibehaltung der Form von
zinstragendem Kapital zur Umwandlung in produktives Kapital
bereit ist. Es muß genügend Geld vorhanden sein zur Anlage in
Aktien. Dabei ist zu unterscheiden: Verwandlung bereits vorhan-
denen industriellen Kapitals in Aktienkapital bindet nur soviel
Geld, als zur Zirkulation der Aktien auf dem Effektenmarkt not-
wendig ist; dies hängt selbst wieder davon ab, ob diese Aktien mehr
als Anlagepapiere in „festen Händen" bleiben oder alsSpekulations-
papiere rege umgesetzt werden. Oder aber die Ausgabe von Aktien-
kapital bedeutet zugleich die Neugründung oder Erweiterung der
Unternehmung. Dann braucht es soviel Geldkapital als nötig, um die
Umsätze G — < p ™ — P . . . W — G zu vollziehen und zweitens, um
die der Aktien selbst auszuführen. Die Menge des vorhandenen
Leihkapitals bestimmt zugleich die Höhe des Zinsfußes, der ent-
scheidend ist für die Kapitalisierung, und damit die Größe des
249
Emissionsgewinnes. Dieser ist also unabhängig von der Höhe des
Eigenkapitals der Bank. Die Summe des Emissionsgewinnes muß
aber auf die Dauer gleich sein der Durchschnittsprofitrate auf das
eigene Kapital der Bank. Anderseits wird die Bank die Tendenz
haben, ihr Eigenkapital auszudehnen, weil damit einmal ihr Kredit,
sodann ihre Sicherheit wächst.
Analog verhält es sich bei dem Spekulationsgewinn. Auch die
Beteiligung an der Spekulation hängt nicht von der Teilung des
den Banken zur Verfügung stehenden Kapitals in eigenes und
fremdes ab, sondern von der Größe der Gesamtsumme.
Wir wissen aber bereits, daß sowohl aus der Tätigkeit der Kredit-
vermittlung als aus der Finanzierung und Spekulation Tendenzen
zur Konzentration erwachsen und mit diesen zugleich das Streben,
einen möglichst großen Teil des Kapitals als Eigenkapital zu halten.
Denn das eigene Kapital kann nicht wie das ausgeliehene jederzeit
zurückverlangt werden, kann also mit viel größerer Sicherheit in
industriellen Anlagen fixiert werden. Namentlich das Gründungs-
geschäft bedeutet ja Festlegung des Geldkapitals für kürzere oder
längere Zeit in der Industrie, bis durch Verkauf der Aktien das
Geldkapital wieder der Bank zurückgeflossen ist. Sodann bedeutet
Vergrößerung des Eigenkapitals die Möglichkeit größerer dauern-
der Beteiligung und schließlicher Beherrschung der Industrie-
unternehmungen und stärkerer Beeinflussung der Waren- und
Effektenspekulation. Die Bank hat daher die Tendenz, sobald es
der Gewinn aus Zins und Emissionsgewinn erlaubt, ihr Kapital
beständig zu vergrößern.
Die Möglichkeit der Umwandlung des fremden in eigenes Kapital
steht aber auch, abgesehen von der Notwendigkeit, das vergrößerte
Kapital entsprechend zu verwerten, durchaus nicht im Belieben der
Bank. Die Bank sucht ihr Eigenkapital zu vergrößern, um es in-
dustriell fixieren zu können, um Emissionsgewinn zu machen und
die Industrie beherrschen zu können. Denn für die Vermittlung des
Zahlungskredits allein wäre die Vergrößerung des Eigenkapitals
über eine gewisse Grenze hinaus unnötig, da hier die Verfügung
über die fremden Gelder ausschlaggebend bleibt, die Bank das zur
250
Zahlungsvermittlung dienende Kapital stets in schlagfertiger Form
halten, anderen als Zinsgewinn darauf nicht machen kann. Allein
es ist nicht so, daß, weil die Bank jetzt einen größeren Teil des
überhaupt verleihbaren Geldes als eigenes Kapital hält, sie deshalb
allein schon ein größeres Kapital industriell festlegen kann. Sondern
umgekehrt. Weil nur ein Teil des verfügbaren Leihkapitals über-
haupt für die Zahlungsvermittlung (den Zirkulationskredit) not-
wendig ist, steht der andere Teil für industrielle Anlagen (Kapitals-
kredit) zur Verfügung. Diese Teilung des überhaupt verfügbaren
Leihkapitals für die Zwecke des Zirkulationskredits und des
Kapitalkredits besitzt ihre eigenen objektiv bedingten Bestimmun-
gen, die sich aus dem jeweiligen Stand des Produktions- und Zirku-
lationsprozesses ergeben; sind die Grenzen auch elastisch, so dürfen
sie doch nicht von den Banken außer acht gelassen werden, soll nicht
die stete Erhaltung der Geldform des Bankkapitals unmöglich, also
die Zahlungsfähigkeit der Bank gefährdet werden. Dagegen ist diese
Teilung des verfügbaren Leihkapitals davon unabhängig, welcher
Teil als Eigenkapital und welcher als fremdes Kapital den Banken
zur Verfügung steht. Die Bank will aber ihr Eigenkapital ver-
größern, um es industriell fixieren zu können; die Grenze für diese
Umwandlungsmöglichkeit fremden in eigenes Kapital bildet jener
Teil des überhaupt verfügbaren Kapitals, der für Kapitalskredit
zur Verfügung steht. Innerhalb dieser Grenze geht die Tendenz der
Bankentwicklung dahin, einen stets wachsenden Teil des Leih-
kapitals in Eigenkapital der Bank zu verwandeln. Es hängt somit
die Größe des Eigenkapitals durchaus nicht von dem Willen der
Bank allein, auch nicht von der Verwertungsmöglichkeit des ver-
größerten Kapitals allein ab.
Die Vermehrung des Bankkapitals bedeutet zunächst nur eine
juristische Transaktion, keine ökonomische Funktionsänderung. Die
Bank kann ihr Kapital, das ja die Form von Geldkapital haben
muß, nur vermehren, indem sie fremdes Geldkapital in ihr eigenes
verwandelt. Da bei entwickeltem Geldwesen alles verfügbare Geld
bei den Banken gesammelt ist, so bedeutet die Vermehrung des
Bankkapitals zunächst nichts anderes, als daß ein Teil der Depositen,
251
die die Bank zur Verfügung gehabt hat, jetzt, etwa durch den Weg
der Aktienausgabe, in Bankkapital verwandelt wird.
Diese Verwandlung fremden in eigenes Geldkapital der Bank
läßt natürlich Nachfrage und Angebot von Geldkapital ganz un-
verändert und hat daher keine Wirkung auf den Zinsfuß. 1
Vermehrung des industriellen Kapitals hat unter sonst gleichen
Umständen Vermehrung der Profitmasse zur Folge, da ja das
industrielle Kapital im Produktionsprozeß Mehrwert heckt. Ver-
mehrung des Bankkapitals läßt die von den Banken erzielte gesamte
Zinsmasse natürlich ganz unverändert; denn diese hängt bei gleich-
bleibender Nachfrage ab von dem Angebot an Leihkapital, das in
keiner Weise durch die geänderte Verteilung des Leihkapitals
zwischen Banken und Privaten, also durch die bloße Eigentums-
änderung alteriert wird. Was sich ändert, ist nur die Berechnung
des Reingewinnes der Bank, der bei vermehrtem Eigenkapital
prozentual geringer erscheint.
Industrielles, kommerzielles und Geldhandlungskapital sind be-
stimmte Teile des gesellschaftlichen Kapitals, die in einem ge-
gebenen Moment in einem bestimmten Verhältnis zueinander
existieren müssen. Abstrakt genommen, könnte aber alles gesell-
schaftliche Kapital zugleich Bankkapital sein. Denn Bankkapital
bedeutet nur das den Banken zur Verfügung gestellte Kapital, und
es steht an sich nichts im Wege, daß alles Kapital durch die Banken
hindurchgeht. Der größte Teil dieses Bankkapitals ist natürlich
fiktiv, nur Geldausdruck für wirklich produktiv fungierendes
Kapital oder nur kapitalisierter Mehrwertstitel.
Die Vermehrung des Bankkapitals ist also nicht Voraussetzung
der Vermehrung des Gewinns wie in der Industrie. Vielmehr ist
bei der Bank der Gewinn das Gegebene. Steigt der Gewinn, so wird
die Bank ihr Eigenkapital vermehren, weil das vermehrte Kapital
ihr erlaubt, in größerem Umfang sich an der Verwandlung ihres
Bankkapitals in industrielles zu beteiligen, ohne ihre Sicherheit zu
1 Es ist daher eine ganz kindische Vorstellung, zu erwarten, daß die Ver-
mehrung des Eigenkapitals einer Notenbank, zum Beispiel der Deutschen
Reichsbank, eine Verbilligung des Zinsfußes herbeiführen müßte.
252
gefährden. Daß es wesentlich die industrielle Kreditgewährung, die
Beteiligung an Industrieunternehmungen durch Aktienbesitz und
die Emissionstätigkeit ist, die die Vergrößerung des eigenen
Kapitals der Bank veranlassen, beweist die Tatsache, daß die reinen
Depositenbanken Englands ihr Kapital trotz der riesig gestiegenen
Umsätze nicht vermehren und daher sehr hohe Dividenden ver-
teilen.
Man darf sich also die Sache nicht so vorstellen, als ob der Zufluß
oder Abfluß von Bankkapital etwa in der Weise auf den Gewinn
der Banken einwirken würde, daß der Zinsfuß sich veränderte.
Vielmehr verändert sich nur die Verteilung des Gewinns, indem
dieser bald auf ein größeres, bald auf ein kleineres eigenes Kapital
repartiert werden muß.
Es ist dabei von einer gewissen Wichtigkeit, daß die Vermehrung
des Bankkapitals in Form des Aktienkapitals, also des fiktiven
Kapitals vor sich geht.
Wir haben gesehen, daß die Verwandlung von Geld in fiktives
Kapital den Charakter des individuellen Kapitalisten als Geld- oder
Leilikapitalisten unverändert läßt. Das Geld, das jetzt in fiktives
Kapstal verwandelt wird, wird Bankkapital bleiben, daher auch
ökonomisch Geldkapital. Ein Teil dieses Bankkapitals wird in
industrielles Kapital verwandelt, wobei diese Verwandlung auf
doppelte Weise vor sich gehen kann. Die Bank gewährt dem indu-
striellen Unternehmen Kredit, hat also einfach ihr Kapital diesem
geliehen, oder die Bank übernimmt Aktien des Industrieunter-
nehmens, die sie jetzt, da die Größe ihres Kapitals es erlaubt,
dauernd in Besitz behält. In diesem Fall war die Wirkung der Ver-
mehrung des Bankkapitals die, daß das Geldkapital zuerst in Bank-
kapital und erst dieses in produktives verwandelt wird. Statt daß
die privaten Geldkapitalisten direkt ihr Geld in Industrieaktien
anlegen, legten sie es in Bankaktien an, und erst die Bank ver-
wandelte es, indem sie Industrieaktien kaufte, in industrielles
Kapital. Der Unterschied ist aber der, daß die Bank nicht nur Ver-
mittlerin dieser Operation ist, sondern als Eigentümerin des Bank-
kapitals auch Miteigentümerin des Industrieunternehmens geworden
13 Hilferding, Das Finanzkapital
253
ist. Und dieses Eigentumsrecht derBank ist ganz anders wirksam als
das der einzelnen Aktionäre. Und so bestellt eine Tendenz, das verfüg-
bare Geldkapital der Privaten zunächst in möglichst großem Umfang
in Bankkapital und erst dieses in industrielles zu verwandeln. Dabei
hat Verdoppelung des fiktiven Kapitals stattgefunden. Geldkapital
wird fiktiv in das Kapital der Bankaktien umgewandelt und geht
damit in Wirklichkeit über in das Eigentum der Bank; dieses Bank-
kapital wird jetzt fiktiv in Industrieaktien verwandelt und in Wirk-
lichkeit in die Elemente des produktiven Kapitals, Produktions-
mittel und Arbeitskraft.
Die Dividendenpolitik der Banken, die mit großem fremden
Kapital (Depositen) arbeiten, muß stabiler sein als die von Industrie-
unternehmungen. Dies besonders dann, wenn die Depositen von
Kreisen herrühren, die nur aus äußeren Anzeichen, wie es die Sta-
bilität der Dividende ist, auf die gute oder schlechte Leitung
schließen können und bei schwankender Dividendenpolitik ihre
Depositen zurückziehen. Es handelt sich hier also um die Depositen
der nichtkapitalistischen Kreise. Das Industrieunternehmen ist in
der Dividendenpolitik unabhängiger. Einmal, weil seine Kredit-
geber ohnehin meist genauen Einblick in die Zahlungsfähigkeit
haben. Sodann, weil der Kredit, den es beständig in Anspruch nimmt,
der Zahlungskredit, durch die Waren, die es produziert, gedeckt
sein muß, während anderer Kredit nicht beständig wie bei den
Banken, sondern nur in längeren Zeiträumen in Anspruch genom-
men wird. Diese größere Unabhängigkeit erlaubt einmal Beein-
flussung der Aktienkurse und damit für die Eingeweihten Speku-
lationsgewinn auf der Börse, dann aber auch leichtere Anpassung
an Konjunkturschwankungen und die Bedürfnisse der Akkumu-
lation, Schwankungen und Anpassungen, die für das Industrie-
unternehmen mehr ins Gewicht fallen als für die Banken.
Anderseits ist die größere Stetigkeit in der Dividendenpolitik
für die Banken leichter durchzuführen als für die industriellen
Unternehmungen, weil die Konjunkturschwankungen auf die Bank-
gewinne nicht so stark und nicht so einseitig einwirken wie auf den
Profit. Einmal hängt ein großer Teil des Bankgewinns nicht so
254
sehr ab von der absoluten Höhe der Zinsrate, sondern von der
Differenz zwischen dem Zins auf das ausgeliehene und das ge-
schuldete Kapital. Diese Differenz ist aber, besonders wenn die
Bankkonzentration bereits einigermaßen fortgeschritten ist, viel
konstanter als die Schwankungen in der absoluten Höhe des Zinses
Sodann entstehen im Laufe der Konjunktur günstige und ungün-
stige Momente, die sich zum Teil miteinander kompensieren. Am
gunstigsten ist die Periode ansteigender Prosperität mit allmählich
anziehendem Zinsfuß, starkem Kapitalbedarf der Industrie und
daher lebhafter Emissionstätigkeit und hohem Gründergewinn. Zu-
gleich steigen die Gewinne aus der Kassenführung und der Ver-
mittlung des Zahlungskredits sowie der Börsenspekulation. In der
Hochkonjunktur steigt der Zinsfuß und auch die Differenz zwischen
dem erhaltenen und vergüteten Zins. Dagegen nimmt die Emissions-
tatigkeit und der Gründergewinn ab. Der Kapitalbedarf der In-
dustrie wird mehr durch Bankschulden als durch Aktien- oder
Obligationenausgabe befriedigt, zugleich wird die Effektenspeku-
lation gewöhnlich schon einige Zeit vor der Krise durch den hohen
Zinsfuß eingeschränkt. In der ersten Zeit der Depression, wenn der
Zinsfuß am niedrigsten, ist der Zeitpunkt für die Ausgabe von
festverzinslichen Papieren am günstigsten. Der Gewinn der Banken
aus der Übernahme von Staats- und Stadtanleihen usw. nimmt stark
zu, ebenso der Gewinn durch Verkauf festverzinslicher Papiere aus
den eigenen Beständen zu jetzt erhöhten Kursen. Ein Teil der von
der Industrie früher eingegangenen Bankschulden wird in Aktien-
und Obligationenkapital verwandelt, da der Geldmarkt flüssig ist,
und liefert neuen Emissionsgewinn, Momente, die die geringeren
Einnahmen aus dem Zinsgewinn der Kreditvermittlung mehr^oder
weniger kompensieren.
Die Konkurrenz, die die Banken untereinander führen, führen
sie nicht mit ihrem eigenen Kapital allein, sondern mit dem Gesamt-
kapital, das ihnen zur Verfügung steht. Die Konkurrenz auf dem
Geldmarkt ist aber eine wesentlich andere als auf dem Warenmarkt
Der wichtigste Unterschied ist zunächst, daß auf dem Geldmarkt
das Kapital Geldform hat, auf dem Warenmarkt das Kapital erst
255
aus Warenkapital in Geldkapital verwandelt werden muß. Letzteres
schließt aber auch ein, daß diese Verwandlung mehr oder weniger
mißlingen, das Warenkapital also entwertet werden kann und so
statt Profit Verlust entsteht. Bei der Konkurrenz der Waren handelt
es sich um die Realisierung des Kapitals, nicht nur um seine Ver-
wertung. Bei der Konkurrenz des Geldkapitals ist das Kapital als
solches gesichert, es handelt sich nur um seinen Verwertungsgrad,
um die Höhe des Zinses, Der Zins aber wird in einer Weise be-
stimmt, die dem einzelnen Konkurrenten wenig Spielraum läßt. Es
ist vor allem die Diskontpolitik der zentralen Geldinstitute, die
hier für alle anderen ausschlaggebend ist und ihnen nur innerhalb
einer verhältnismäßig engen Grenze Spielraum gibt. Dies ist zu-
nächst wichtig für die reinen Kreditgeschäfte, die aktiven sowohl
als die passiven der Banken. Hier ist die Konkurrenz verhältnis-
mäßig gering. Je geringer aber der Spielraum ist, desto größere
Rolle spielt das quantitative Moment der Größe des Geschäfts-
kreises. Nur wenn dieser sehr groß, kann eine Herabsetzung der
Provisionen, eine Erhöhung des Zinses auf die Depositen gegeben
werden. Bei gleich großen Unternehmungen müssen aber die Be-
dingungen auch annähernd die gleichen sein, Femer fällt auf dem
Gebiete der Kreditvermittlung der Extraprofit fort, außer dem ein-
zigen, der in der Ersparnis und der Leichtigkeit, Verluste zu ver-
meiden und das Risiko zu verteilen, bei sehr großen Unternehmen
gegenüber kleineren liegt. Dagegen spielt hier der Extraprofit, wie
er in der Industrie aus technischen patentierten Neuerungen quillt
und so wichtig für den Konkurrenzkampf ist, keine Rolle.
Eine größere Rolle als bei der Kred «Vermittlung spielt die Kon-
kurrenz bei dem Finanzgeschäft, also den Emissionen. Hier erlaubt
die Größe des Gründergewinns einen weiten Spielraum für die
gegenseitige Unterbietung. Aber auch hier sind keine aüzu weiten
Grenzen. Vielmehr entscheiden hier weniger die Bedingungen der
Banken, als vielmehr der Grad der Abhängigkeit der Industrie durch
vorher gewahrte Kredite.
Bei der Frage der Konkurrenz ist in der Industrie die technische
und die ökonomische Seite zu trennen. Bei den Banken spielt die
256
technische Verschiedenheit eine ganz geringe Rolle, die Technik ist
bei Banken gleicher Art dieselbe. (Banken verschiedener Art kon-
kurrieren direkt überhaupt nicht miteinander.) Es gibt hier im
vorhinein nur einen ökonomischen Unterschied, der rein quantitativ
ist und nur in der Größe des werbenden Kapitals besteht.
Es ist aber dieser ganz eigenartige Charakter der Konkurrenz,
welcher den Banken erlaubt, in so verschiedener und wechselnder
Weise bald miteinander zu konkurrieren, bald zu kooperieren.
Etwas Ähnliches finden wir nur bei gleich großen Unternehmungen
bisweilen auch in der Industrie in der fallweisen Verständigung
für ein bestimmtes Geschäft, zum Beispiel bei Submissionen. Dort
aber ist es viel häufiger Vorläufer des Kartells, also der dauernden
Kooperation unter Ausschluß der Konkurrenz.
Ist der allgemeine Zinsfuß die Schranke für die Konkurrenz in
der Kreditvermittlung, so die Durchschnittsprofitrate auf dem Ge-
biete des Zahlungsverkehrs. Gerade hier ist aber die Größe des
Umsatzes entscheidend für die Höhe der Provision und bedingt
eine starke Überlegenheit der Großbanken.
Das banktechnische Prinzip größter Sicherheit macht die Banken
im vorhinein der Konkurrenz abgeneigt. Der Ausschluß der Kon-
kurrenz in der Industrie durch die Kartelle, die Erzielung eines
„stetigen Gewinns" liegt ihnen daher besonders nahe.
Der Bankgewinn ist nicht Profit. Aber die Summe des Gewinns
muß auf das Eigenkapital der Bank berechnet gleich sein der Durch-
schnittsprofitrate. Ist er geringer, so werden Kapitalien dem Bank-
geschäft entzogen, ist er höher, so werden neue Banken entstehen.
Da das Bankkapital stets Geldform hat oder jederzeit zu einem
großen Teil leicht in Geldform rückverwandelbar ist, so ist hier
eine Ausgleichung am raschesten möglich.
Daher gibt es auch keine „Überproduktion" von Bankkapital.
Vielmehr führt eine zu starke Vermehrung des eigenen Bankkapitals
wieder zu seinem Abfluß und anderer Anlage, aber nicht etwa zu
einem allgemeinen Krach mit Entwertung usw., wie wir es in
industriellen Sphären beobachten. Der Bankkrach ist nur Folge
einer industriellen Überproduktion oder Überspekulation und
257
erscheint als Mangel an Bankkapital in Geldform; darin, daß Bank-
kapital festgeritten ist in einer Form, die nicht als Geld sofort
realisierbar ist.
Mit der Entwicklung des Bankwesens, mit der immer enger wer-
denden Verflechtung der Beziehungen zwischen Bank und Industrie
verstärkt sich die Tendenz, einerseits die Konkurrenz der Banken
untereinander immer mehr auszuschalten, anderseits alles Kapital
in der Form von Gcldkapital zu konzentrieren und es erst durch
die Vermittlung der Banken den Produktiven zur Verfügung zu
stellen. In letzter Instanz- würde diese Tendenz dazu führen, daß
eine Bank oder eine Bankengruppe die Verfügung über das gesamte
Geldkapital erhielte. Eine solche „Zentralbank" würde damit die
Kontrolle über die ganze gesellschaftliche Produktion ausüben. 1
Im Kredit tritt neben die sachliche die persönliche Beziehung, er
erscheint als unmittelbar persönlich-gesellschaftliche Beziehung
gegenüber den dinglich-gesellschaftlichenderübrigen ökonomischen
1 Mit dem Banksystem ist „allerdings die Form einer allgemeinen Buch-
führung und Verteilung der Produktionsmittel auf gesellschaftlicher Stufen-
leiter gegeben, aber auch nur die Form ... Es stellt den industriellen und
kommerziellen Kapitalisten alles disponible und selbst potentielle, nicht be-
reits aktiv engagierte Kapital der Gesellschaft zur Verfügung, so daß weder
der Verleiher noch der Anwender dieses Kapitals dessen Eigentümer oder
Produzenten sind. Es hebt damit den Privatcharakter des Kapitals auf und
enthält so an sich, aber auch nur an sich, die Aufhebung des Kapitals
selbst . . .
Endlich unterliegt es keinem Zweifel, daß das Kreditsystem als ein
mächtiger Hebel dienen wird während des Übergangs aus der kapitalistischen
Produktionsweise in die Produktionsweise der assoziierten Arbeit; jedoch nur
als ein Element im Zusammenhang mit andren großen organischen Um-
wälzungen der Produktionsweise selbst. Dagegen entspringen die Illusionen
über die wunderwirkende Macht des Kredit- und Bankwesens, im sozia-
listischen Sinn, aus völliger Unkenntnis der kapitalistischen Produktionsweise
und des Kreditwesens als einer ihrer Formen. Sobald die Produktionsmittel
aufgehört haben, sich in Kapital zu verwandeln . . ., hat der Kredit als solcher
keinen Sinn mehr . . . Solange andrerseits die kapitalistische Produktions-
weise fortdauert, dauert das zinstragende Kapital als eine ihrer Formen fort
und bildet in der Tat die Basis ihres Kreditsystems." Marx, „Kapital", III/2,
S. 146 ff. (Neuausgabe S. 655/656. Die Red.)
258
Kategorien, dem Geld zumal: der Vulgaris redet vom „Vertrauen".
Und ebenso ist er in seiner Vollendung dem Kapitalismus entgegen-
gesetzt, ist er Organisation und Kontrolle gegenüber der Anarchie.
Er entspringt daher aus dem Sozialismus, der der kapitalistischen
Gesellschaft angepaßt wird, er ist der schwindelhafte, kapitalistisch
adaptierte Sozialismus. Er sozialisiert das Geld der anderen für den
Gebrauch der wenigen. In seinem Beginn eröffnet er dem Kredit-
ritter plötzlich die gewaltigsten Perspektiven: die Schranken der
kapitalistischen Produktion — die Privatvermögen — erscheinen ge-
fallen, die gesamte Produktivkraft der Gesellschaft scheint dem
einzelnen zur Verfügung gestellt. Ihm schwindelt und er schwindelt.
Die ersten Pioniere des Kredits sind die Romantiker des Kapi-
talismus wie Law und Pereire ; es dauert einige Zeit, bis der nüch-
terne Kapitalist die Oberhand gewinnt und Gunderman Saccard
besiegt.
259
DRITTER ABSCHNITT
DAS FINANZKAPITAL
UND DIE EINSCHRÄNKUNG
DER FREIEN KONKURRENZ
XI. Kapitel
HINDERNISSE IN DER AUSGLEICHUNG
DER PROFITRATEN UND IHRE ÜBERWINDUNG
Der Zweck der kapitalistischen Produktion ist der Profit. Die
Erzielung möglichst großen Profits ist Motiv für jeden Einzcl-
kapitalisten, wird die Maxime seines ökonomischen Handelns, die
aus den Bedingungen des kapitalistischen Konkurrenzkampfes mit
Notwendigkeit entspringt. Denn der Einzelkapitalist kann sich nur
behaupten, wenn er ständig danach strebt, seinen Konkurrenten
nicht nur gleich, sondern auch überlegen zu bleiben. Dies kann er
nur, wenn es ihm gelingt, seinen Profit über den Durchschnitt zu
steigern, also Extraprofit zu erzielen.
1 Hobbes faßt dieses Streben allgemein: Die allgemeine Neigung der
Menschheit ist „das beständige und rastlose Begehren von Macht über Macht,
welches nur mit dem Tode aufhört". „Und die Ursache davon ist nicht immer,
daß einer hofft auf ein intensiveres Vergnügen, als er schon erreicht hat, oder
daß er nicht zufrieden sein kann mit einer mäßigen Macht; sondern weil er
nicht die Macht und Mittel zum Wohlleben, welche er zur Verfügung hat,
sichern kann, ohne die Erwerbung von mehr." (Leviathan, eh. XL)
Das kapitalistische Motiv — Profit um des Profits willen — ist von Zola,
dem großen Personifikator sozialer Kategorien, in Gunderman dargestellt,
dessen sämtliche Konsumbedürfnisse auf Milch reduziert sind und der trotz-
dem stets weiter wuchert. Daher auch sein Sieg — der Sieg des kapitalistischen
Prinzips — über Saccard, bei dem die Profitsucht getrübt ist durch dem Kapi-
tal fremden Einschlag — durch Machtstreben, Kulturideen und persönliche
Luxusbedürfnisse. In Gunderman ist der Typus des Kapitalisten in seiner
begriffslosesten Form als Geldarbitrageur und Börsenspekulant am besten ge-
faßt, viel richtiger als bei Ibsens Gabriel Borkmann (wo das gesellschaftliche
Bedürfnis durch den Kapitalismus vergewaltigt wird). Denn Borkmann geht
vom gesellschaftlichen Bedürfnisse aus statt vom Profitinteresse, also von
265
Das subjektive Streben nach möglichst hohem Profit, das alle
individuellen Kapitalisten beseelt, hat aber zum objektiven Resultat
die Tendenz zur Herstellung der gleichen Durchschnittsprofitrate
für alle Kapitale.
Das Resultat wird zu erreichen gesucht durch die Konkurrenz
der Kapitalien um die Anlagesphären, durch das beständige Hin-
strömen von Kapital in Sphären mit überdurchschnittlicher und das
beständige Abströmen aus Sphären mit unterdurchschnittlicher
Höhe der Profitrate. Diese ständige Ab- und Auswanderung findet
aber Hindernisse, die mit der Höhe der kapitalistischen Entwicklung
zunehmen.
Die Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit, der technische
Fortschritt, erscheint darin, daß diesselbe Masse lebendiger Arbeit
eine immer mehr anschwellende Masse von Produktionsmitteln in
Bewegung setzt. Dieser Prozeß spiegelt sich ökonomisch in der
immer höheren organischen Zusammensetzung des Kapitals, in dem
immer größeren Anteil, den der konstante Kapitalteil gegenüber
dem variablen innerhalb des Gesamtkapitals bildet. 2 In dieser Ände-
einem dem Kapitalisten fremden Motiv. In den Kapitalistendramen ist dieser
Widerspruch zwischen Gesellschafts- und Profitinteresse stets das tragische
Motiv und daher so oft ihre unrealistische Wirkung. Der richtige Kapitalist
taugt — anders wie der Geizhals, bei dem das persönliche Elend unter Um-
ständen tragisch wirken kann — nicht zur dramatischen Figur, sondern nur
zur Episode im Roman.
1 Aus den Motiven der handelnden Wirtschaftsobjekte, die selbst aber
durch die Natur der wirtschaftlichen Beziehungen determiniert werden, läßt
sich nie mehr als die Tendenz zur Herstellung der Gleichheit der ökono-
mischen Bedingungen ableiten: gleiche Preise für gleiche Waren, gleicher
Profit für gleiches Kapital, gleicher Lohn und gleiche Ausbeutungsrate für
gleiche Arbeit. Aber zu den quantitativen Beziehungen selbst komme ich auf
diese Weise, ausgehend von den subjektiven Motiven, nie. Ich muß vielmehr
bereits die Größe des gesellschaftlichen Gesamtprodukts kennen, bei dessen
Verteilung jene Gleichheitstendenzen wirksam werden, um die quantitativen
Bestimmungen der einzelnen Teile finden zu können. Aus psychologischen
Faktoren lassen sich nie quantitativ bestimmte Resultate ableiten.
2 Wie stark in modernen Walzwerken der Anteil der lebendigen Arbeit
herabgedrückt worden ist, dafür folgendes: „Durch die Hebetische allein
wurde beim Schienenwalzen die Bedienungsmannschaft von 15 bis 17 auf 4
264
rung der Proportion c:v drückt sich die Änderung des Bildes aus,
das die Manufaktur und frühkapitalistische Fabrik mit ihren in
wenig ausgedehnten Arbeitsstätten um wenige und kleine Arbeits-
maschinen zusammengedrängten Arbeiterscharen darbot, im Ver-
gleich mit dem der modernen Fabrik, wo hinter den riesenhaften
Leibern der Automaten die kleinen Menschen, kaum hie und da
sichtbar werdend, immer wieder zu verschwinden scheinen.
Die technische Entwicklung bringt aber zugleich auch eine Ände-
rung innerhalb der Bestandteile des konstanten Kapitals mit sich.
Es wächst der Bestandteil des fixen Kapitals rascher als der des
zirkulierenden. Als Illustration diene folgendes :
„Die technischen Fortschritte im Hochofenprozeß haben zu immer
größerem Betriebe, zu immer stärkerer Kapitalskonzentration gezwungen.
Nach Lünnann (,Die Fortschritte im Hochofenbetrieb seit 50 Jahren',
Düsseldorf 1902) ist seit 1852 der kubische Inhalt der Hochöfen im Verhält-
nis von 1 : 4,8, die Leistungsfähigkeit pro Hochofen von 1 : 33,3, pro Tonne
des Hochofeninhaltes von 1:7 gestiegen. 1750 produzierten 14 schlesische
Holzkohlenhochöfen zusammen 25 000 Zentner Roheisen, im Jahre 1799
waren die beiden Königshütter Kokshochöfen zusammen auf 40 000 Zentner
im Jahre projektiert. Oechelhäuser rühmt 1852 eine Tagesleistung von 50 000
bis 60 000 preußische Pfund. Die letzten Rekorde per Tag und Ofen sind:
Gewerkschaft Deutscher Kaiser (Thyssen) mit 518 Tonnen; Ohio Steel Co.
No. 3 mit 806 Tonnen; das heißt, der amerikanische Ofen produziert in etwa
30 Stunden das gleiche, was ein schlesischer Ofen früher in einem Jahre
leisten sollte, und in 36 Stunden das Quantum, das vor 150 Jahren 14 schle-
sische Ofen in einem Jahre herstellten.
Dementsprechend sind die Anlagekosten pro Ofen enorm gestiegen. Die
erwähnten Königshütter Ofen waren alles in allem auf 40 000 Taler ver-
anschlagt ; das macht etwa 20 000 Mk. Anlagekapital per Tonne Tages-
produktion. 1887 war man nach Wedding bei Anlagekosten von fast 1 Million
bis 5 Mann herabgesetzt. In Amerika fielen die Löhne pro Tonne Fabrikat
in Cents •
von 1880 bis 1901
für Schienenwalzer von 15 auf weniger als 1
„ Drahtwalzer „ 212 „ 12
„ Wärmer der Drahtknüppel . . . . „ 80 „ " 5
(Hans Gideon Heymann, „Die gemischten Werke im deutschen Großeisen-
gewerbe", Stuttgart 1904, S. 23.)
265
pro Ofen auf 5400 bis 6000 Mk. pro Tonne Tagesproduktion herunter. Neuer-
dings sind die Kosten pro Tonne Tagesproduktion durch die vielen neuen
Apparate und die last vollständige Verdrängung der Handarbeit wieder auf
rund 10 000 Mk. gestiegen, das beiflt, ein normaler 250-Tonnen-Ofen im
Ruhrrevier kostet Mute 2W Millionen Mk., die amerikanischen Riesenöfen
haben schon bis 6 Millionen Mk. verschlungen.
AuOer im Stegerlund und in Oberschlesien finden sich heute in Deutsch-
land kaum noch Ofen mit einer täglichen Leistungsfähigkeit unter 100 Ton-
nen. Die jährliche Minimal Produktion eines neu zu errichtenden Ofens muH
mithin mindestens auf 30 000 bis 40 000 Tonnen veranschlagt werden, aber
der Betrieb mehrerer Ofen bietet große Vorteile, daher das Streben, die Zald
der in einem Hochofenbetrieb gehörigen Ofen stetig zu mehren. Ebenso wie
che Gcneralkosten (Direktion, Laboratorium, Ingenieure) verteilen sich d.c
Kosten der notwendigen Reservemaschinerie (Gebläsemaschinerie, Wind-
erhitzer) aur eine viel gröDere Produktion. Dann kann »an nur bei Ver-
einigung mehrerer Ofen mit einem Ofen jahrein, jahraus die gleiche Roh-
eisensorle herstellen. Dadurch fällt einmal das lästige Umsetzen der Ofen von
einer Robeisensörte auf die andere hinweg, und dann wird es möghch, die
Ofenkonstruktion im Hinblick auf die zu erzeugende Roheisensorte zu spe-
zialisieren. Endlich wird die Ausnützung der modernen Erfindungen (ratio-
nelle Anfuhr der Rohstoffe, Gießmaschine, Mischer, Gichtgasmaschincu) erst
bei hohen Produktionsziffern und mehreren Ofen wirtschaftlich rationell."
(Heymann, a. a. O., S. 15 ff.)
Gegenüber dieser Sphäre mit höchster organischer Zusammensetzung ist
es ganz interessant, eine Industriesphäre zu vergleichen, bei der die Maschinen-
anwendung gleichfalls einen hohen Grad erreicht hat, wo aber infolge der
ganz anderen technischen Bedingungen die organische Zusammensetzung
weitaus niedriger ist. „Die Größe des für die Schuhfabrikation erforderlichen
Kapitals wollen wir uns an dem Beispiel einer Fabrik vor Augen führen, die
täglich 600 bis 800 Paar Schuhe, zur Hälfte randgenäht, zur anderen Hälfte
durchgenäht, herstellt.
„,..-, . . 100 000 Mk.
Gebäude
Grund undBoden 50 00 ° »
Dampfmaschine (50 PS) 21 000 „
Elektrische Anlagen 20 00 ° »
Fabrikationsmaschinen und sonstige Einrichtungen 80 000 „
t ■ . .... 25 000 „
Leisten _ 2—
Stehendes Kapital . . 296 000 Mk.
Nehmen wir nun an, daß das umlaufende (Betriebs-) Kapital etwa zwei-
mal im Jahre umgesetzt wird, so erhalten wir:
266
Rohstoffe für % Jahr 550 000 Mk.
Arbeitslöhne für % Jahr 100 000 „
Sonstige Unkosten für M* Jahr 90 000 „
Umlaufendes Kapital . . 540 000 Mk.
Wir werden also sagen können, daß neben einem stehenden Kapital von
rund 500 000 Mk. ein umlaufendes Kapital von 500 000 Mk. nötig ist, daß
also für diese Fabrik, welche 180 bis 200 Arbeiter beschäftigen würde, etwa
800 000 Mk. Gesamtkapital erforderlich wäre." (Karl Rehe, „Die Deutsche
Schuhgroßindustrie", Jena 1908, S. 54.)
Dagegen: „So würde heute alles in allem ein großes kombiniertes Thomas-
werk von 500 000 bis 400 000 Tonnen Produktion, das in Westdeutschland
neu gegründet werden soll und Mineralfelder wie Grund und Boden kaufen
muß, mindestens kosten:
1000 Hektar Minettef eider , 10 000 000 Mk.
6 Kohlenfelder im Ruhrrevier 5 000 000 „
Kohlengrube mit 1 000 000 Tonnen Förderung, einschließ-
lich Kokereien 12 000 000 „
Hochofenanlage 10 000 000 „
Stahl- und Walzwerke 15 000 000 „
Grund und Boden, Bahnanschlüsse, Arbeiterwohnungen
usw. auf dem Eisenwerk 5 000 000 „
Insgesamt ... 55 000 000 Mk.
Dazu gehören etwa 10 000 Arbeiter. Entsprechend werden in Amerika
20 bis 50 Millionen Dollar Anlagekapital für ein Stahlwerk der doppelten
Leistungsfähigkeit (2500 Tonnen täglich) als notwendig bezeichnet." Da-
gegen steckte in der ganzen Nassauer Eisenindustrie 1852 an Kapital
1 255 000 fl. (Heymann a. a. O., S. 26.)
Dieses riesige Anschwellen des fixen Kapitals bedeutet aber eine
stets erschwerte Übertragbarkeit der einmal gemachten Kapitals-
anlagen. Während das zirkulierende Kapital nach Ablauf jeder Um-
schlagsperiode in Geld rückverwandelt ist und daher in jedem
anderen Produktionszweig angelegt werden kann, ist das fixe Kapital
durch eine größere Reihe von Umschlagsperioden im Produktions-
prozeß fixiert; sein Wert überträgt sich allmählich auf das Produkt
und fließt ebenso allmählich in Geldform zurück. Der Umschlag des
Gesamtkapitals verlängert sich. Je größer das fixe Kapital, je mäch-
tiger sein Umfang, desto gewichtiger fällt es bei Anlagen in die
267
Waagschale, desto größeren Teil des Gesaratkapitals bildet es und
desto größer ist die Schwierigkeit, den darin gebundenen Wert
ohne die größten Verluste zu realisieren und das Kapital dann aut
eine günstigere Sphäre zu übertragen. Dadurch wird aber die Kon-
kurrenz des Kapitals um die Anlagesphären modifiziert. An Stelle
der alten rechüichen Schranken der mittelalterlichen Bevormun-
dung sind neue ökonomische entstanden, die die Freizügigkeit des
Kapitals beschranken, eine Beschränkung freilich, die nur bereits
in Produktionskapital verwandelte Kapitalien trifft, nicht aber erst
neu anzulegende. Eine zweite Schranke besteht darin, daß die tech-
nische Entwicklung zugleich die Stufenleiter der Produktion aus-
dehnt daß der anschwellende Umfang des konstanten und ins-
besondere des fixen Kapitals eine absolut immer größere Kapital-
summe erfordert, um überhaupt die Produktion entsprechend
erweitern oder neue Unternehmen errichten zu können. Die all-
mählich akkumulierten Summen aus dem Mehrwert reichen lange
nicht aus, um in selbständige Kapitalien verwandelt zu werden. Es
wäre so denkbar, daß auch der Zufluß von neuem Kapital unge-
nügend wird oder verspätet kommt. Die Freizügigkeit des Kapitals
ist aber eine Bedingung der Herstellung der gleichen Profitrate.
Diese Gleichheit wird verletzt, wenn Zu- oder Abfluß des Kapitals
nicht ungehindert erfolgen kann. Da die Tendenz nach der Gleich-
heit des Profits zunächst individuelles Streben des Kapitalisten nach
möglichst hohemProfit ist, so muß die Schranke zunächst individuell
beseitigt werden. Dies geschieht durch die Mobilisierung des
Kapitals. .
Das Kapital zu zentralisieren, genügt die Schaffung der Kapital-
assoziation. Durch die Mobilisierung wird aber gleichzeitig der
Kreis des assoziierbaren Kapitals erweitert. Denn sie macht die stete
Rückverwandlung industriellen Kapitals, einschließlich des fixen
Kapitals in Geldkapital möglichst unabhängig von dem wirklichen
Rückfluß nach Ablauf der Umschlagsperiode, während der das fixe
Kapital zu funktionieren hat. Natürlich ist diese Rückverwandlung
nicht möglich auf gesellschaftlicher Stufenleiter, sondern nur ge-
geben für eine Anzahl stets wechselnder Kapitalisten. Diese stete
268
Rückverwandelbarkeit in Geld gibt aber dem Kapital die Rückfluß-
art von Leihkapital — Geldkapital, das, für einige Zeit vorgeschossen,
als um den Zins vermehrte Geldsumme zurückkehrt. Es macht daher
Geldsummen für die industrielle Anlagesphäre geeignet, die sonst
nicht als industrielles Kapital fungiert hätten.
Es sind Geldsummen, die für ihre Besitzer für längere oder
kürzere Zeit brachliegen müßten oder als reines Leihkapital vor-
übergehend angelegt würden. Diese Summen wechseln beständig in
ihrer Zusammensetzung, kontrahieren und expandieren sich, stets
ist aber eine gewisse Summe solch momentan brachliegenden Geldes
vorhanden. Diese kann in industrielles Kapital verwandelt und
damit fixiert werden. Der stete Wechsel dieser Geldsumme drückt
sich aus in dem steten Besitzwechsel der Aktien. Die Verwandlung
in industrielles Kapital geschieht natürlich nur einmal und ein für
allemal. Das brachliegende Geld ist definitiv in Geldkapital, dieses
in Produktionskapital verwandelt worden. Die neuen Geldsummen,
die nunmehr aus diesen Fonds brachliegenden Geldes einströmen,
fungieren als Kauf mittel für die Aktien, dienen jetzt nur mehr als
Zirkulationsmittel für deren Umsatz. Für die Besitzer des ursprüng-
lich in industrielles Kapital verwandelten Geldes bewerkstelligen sie
aber den Rückfluß ihres Geldes, das sie nun wieder anderen Zwecken
zur Verfügung stellen können, nachdem es für sie auch in der
Zwischenzeit als Kapital fungiert hat. Nebenbei ist zu bemerken,
daß mit der Steigerung der Aktienkurse caeteris paribus auch das
zu ihrem Umsatz nötige Geld zunehmen muß und daß dann mehr
Geld in diese Zirkulation eingehen kann, als ursprünglich in indu-
strielles verwandelt wurde. Dabei ist zu beachten, daß in der Regel
der Kurs der Aktien größer ist als der Wert des industriellen Kapi-
tals, in das das Geld verwandelt wurde.
Die Mobilisierung des Kapitals läßt natürlich den Produktions-
prozeß unberührt. Sie berührt nur das Eigentum, schafft nur die
l'orm für die Übertragung des kapitalistischen fungierenden Eigen-
tums, die Übertragung von Kapital als Kapital, als Profit heckende
Geldsumme. Da sie die Produktion unberührt läßt, ist diese Über-
tragung in der Tat nur Übertragung der Eigentumstitel auf den
20 Hilferding, Das Finanzkapital
269
Profit. Dem Kapitalisten handelt es sich aber nur um den Profit.
Die Sphäre, in der der Profit produziert wurde, ist ihm gleichgültig.
Der Kapitalist macht nicht eine Ware, sondern er macht in einer
Ware - Profit. .
Eine Aktie ist somit so gut wie eine andere, wenn sie unter sonst
gleichen Umständen gleichen Profit bringt. Jede Aktie wird somit
bewertet nach dem Profit, den sie bringt. Der Kapitalist, der Aktien
kauft, kauft um dieselbe Geldsumme gleichgroßen Anteil am Profit
wie jeder andere. Individuell ist somit durch die Mobilisierung des
Kapitals für jeden einzelnen Kapitalisten die Gleichheit der Profit-
rate verwirklicht. Aber auch nur individuell, indem die wirklich be-
stehenden Ungleichheiten nur für ihn bei dem Ankauf von Aktien
ausgelöscht werden. In Wirklichkeit bestehen diese Ungleichheiten
fort und ebenso die Tendenz zu ihrer Ausgleichung.
Denn die Mobilisierung des Kapitals läßt die wirkliche Bewegung
des Kapitals zur Ausgleichung der Profitrate unberührt. Es bleibt
ja das Streben des Kapitalisten nach möglichst großem Profit. Dieser
erscheint jetzt in der größeren Dividende und dem erhöhten Kurs-
wert der Aktien. Damit wird dem neuanzulegenden Kapital deutlich
der Weg gewiesen. Die Höhe des erzielten Profits, früher das
Geschäftsgeheimnis des einzelnen Unternehmens, erscheint jetzt
mehr oder minder adäquat ausgedrückt in der Höhe der Dividende
und erleichtert damit für das Anlage suchende Kapital die Ent-
scheidung, welchen Produktionszweigen es sich zuzuwenden habe.
Wird zum Beispiel in der Eisenindustrie mit einem Kapital von
einer Milliarde 200 Millionen Profit gemacht und in einer anderen
Industrie mit demselben Kapital ein Profit von 100 Millionen, so
mag der Kurswert der Eisenaktien - wenn wir eine Kapitalisierung
zu 5 Prozent annehmen - 4 Milliarden betragen, der der anderen
2 Milliarden und damit für die individuellen Besitzer der Unter-
schied ausgelöscht sein. Das hindert aber nicht das neue Kapital,
in der Eisenindustrie Anlage zu suchen, wo es überdurchschnitt-
lichen Profit machen kann. Gerade durch das Aktienwesen wird
der Zufluß in diese Sphären erleichtert. Nicht nur weil, Wie schon
bemerkt, das Hindernis, das aus der Größe des Kapitals entspringt,
dadurch leicht überwunden wird, sondern der Extraprofit dieser
Sphäre verspricht kapitalisiert auch besonders hohen Gründergewinn
und reizt die Banken zur Betätigung in diesem Produktionszweig
an. Die Verschiedenheit der Profitraten tritt hier in der verschie-
denen Höhe der Gründergewinne in Erscheinung; sie wird aus-
geglichen, indem die neu akkumulierten Mehrwertmassen den
Sphären mit höchstem Gründergewinn zuströmen.
Ebenso läßt die Mobilisierung des Kapitals die Schwierigkeiten,
die sich der Ausgleichung der Profitrate entgegenstellen, unberührt.
Dagegen räumt die zugleich mit der Mobilisierung sich entwickelnde
Assoziation des Kapitals die Schranken hinweg, die aus der Größe
des neuanzulegenden Kapitals entspringen; durch die Vereinigung
der Geldsummen wird mit dem wachsenden Reichtum der kapita-
listischen Gesellschaft die Größe des Unternehmens kein Hindernis
für dessen Ausführung. So wird die Ausgleichung der Profitrate
immer mehr nur möglich durch Einwanderung neuen Kapitals in
die Sphären, wo die Profitrate über dem Durchschnitt steht, wahrend
die Abwanderung des Kapitals aus den Produktionszweigen mit viel
fixem Kapital nur schwer möglich ist. Hier vollzieht sich die Ver-
minderung des Kapitals nur durch allmähliches Absterben alter Ein-
richtungen oder aber durch Vernichtung von Kapital im Falle des
Bankrotts.
Zugleich ergibt sich mit der Ausdehnung der Stufenleiter der
Produktion eine weitere Schwierigkeit. Ein neuerrichteter Betrieb
muß in einer hochkapitalistischen Sphäre im vorhinein eine große
Ausdehnung haben; seine Errichtung wird mit einem Schlage die
Produktion dieser Sphäre gewaltig steigern. Die Gebote der Technik
erlauben nicht jene Nuancierung in der Steigerung der Produktion,
die die Aufnahmefähigkeit des Marktes vielleicht erforderte. Die
starke Vermehrung der Produktion überkompensiert die Wirkung
auf die Profitrate; stand diese vorher über dem Durchschnitt, so
sinkt sie jetzt unter ihn.
So entstehen der Tendenz zur Ausgleichung der Profite Hem-
mungen, die sich mit der Entwicklung des Kapitalismus steigern.
Diese Hemmungen wirken verschieden stark auf die verschiedenen
270
:.■■!■
271
1
Sphären ein, je nach der Zusammensetzung des Kapitals, insbeson-
dere ie nach der Größe des Raumes, den das fixe Kapital innerhalb
des Gesamtkapitals einnimmt. Am stärksten wird sich diese Wir-
kung geltend machen gerade in den entwickeltsten Sphären kapita-
listischer Produktion, in den schweren Industrien. Hier spielt das
fixe Kapital weitaus die größte Rolle, hier wird der Abfluß einmal
angelegten Kapitals am schwierigsten.
Wie wirkt dies nun auf die Profitrate in diesen Sphären? Es wäre
folgende Argumentation denkbar: In diesen Industrien ist ein sehr
bedeutendes Anfangskapital nötig, der Besitz so großer Anfangs-
kapitalien ist beschränkt, dalier wird auch die Konkurrenz in diesen
Sphären geringer, der Profit höher sein. Das Argument übersieht,
daß das nur zutrifft für die Zeit, wo das Kapital noch individuell
fungierte. Die Assoziationsmöglichkeit des Kapitals überwindet
spielend diese Schranke. Die Größe des Kapitals ist kein Hindernis
für dessen Aufbringung. Dagegen ist der Ausgleich durch Kapital-
abfluß hier fast ausgeschlossen, und ebenso ist die Kapitalvernich-
tung hier sehr erschwert. Diese entwickelten Industrien sind zu-
gleich diejenigen, in denen die Konkurrenz die kleinen Betriebe
am raschesten ausgemerzt hat oder wo es solche überhaupt nicht
gegeben hat (wie in manchen Zweigen der Elektrizitätsindustrie).
Es herrscht nicht nur der Großbetrieb, sondern diese kapitalstarken
Großbetriebe werden einander immer gleichwertiger, die tech-
nischen und ökonomischen Unterschiede, die einzelnen von ihnen
eine Überlegenheit im Konkurrenzkampf gewähren würden, werden
immer geringer. Es ist kein Kampf von Starken und Schwachen, in
dem diese vernichtet und damit der Überfluß an Kapital in dieser
Sphäre beseitigt würde, sondern ein Kampf zwischen Gleichen, der
lange unentschieden bleiben mag, allen Kämpfenden gleiche Opfer
auferlegt. Diese Unternehmen müssen alle den Kampf auszuhalten
suchen, da sonst das ganze gewaltige Kapital, das in jedem einzelnen
steckt, entwertet würde. Die Entlastung dieser Sphäre durch
Kapitalvernichtung ist so sehr erschwert. Zugleich wirkt hier jedes
neue Unternehmen vermöge der großen Produktionsfähigkeit, die
es von vornherein besitzen muß, mit großer Wucht auf die Zufuhr.
272
Es wird gerade in diesen Sphären sich sehr leicht ein Zustand
herausbilden, in dem durch längere Zeit die Profitrate unter dem
Durchschnitt steht. Dieser Zustand wird um so gefährlicher, je
niedriger die Durchschnittsprofitrate steht. Mit dem Fall der Profit-
rate, der die Entwicklung der kapitalistischen Produktion begleitet,
wird der Spielraum, innerhalb dessen eine Produktion noch profi-
tabel ist, stets verengt. Ist die Profitrate nur 20 Prozent, während sie
früher einmal 40 Prozent war, so reicht schon ein viel geringerer
Preisdruck hin, um den Profit ganz verschwinden zu lassen, den
Zweck der kapitalistischen Produktion zu vereiteln. So werden
gerade diese Industrien mit ihren großen fixen Kapitalmassen immer
empfindlicher gegen die Konkurrenz und den durch sie bewirkten
Fall der Profitrate, während gleichzeitig gerade für sie die
Schwierigkeit wächst, die einmal stattgehabte Verteilung des
Kapitals zu ändern. So wird gerade in ihnen — freie Konkurrenz vor-
ausgesetzt — leicht eine unterdurchschnittliche Profitrate entstehen
können, die nur sehr allmählich, durch stockenden Zufluß neuen
Kapitals, während der Konsum sich allmählich mit dem Wachstum
der Bevölkerung hebt, sich ausgleichen würde. Diese Tendenz kann
noch dadurch verstärkt werden, daß neue Kapitalien (Aktienkapital)
im vorhinein mit unterdurchschnittlichem Profit rechnen können.
Anderseits wird geringerer als der Durchschnittsprofit in jenen
Sphären herrschen, in denen noch das individuelle Kapital dominiert
und das erforderliche Kapital verhältnismäßig gering ist. Hierher
drängen sich die Kapitalien, die in den entwickelteren Sphären nicht
mehr konkurrenzfähig sind, deren geringer Umfang aber ander-
seits ihren Besitzern nicht erlaubt, sie als Zins oder Dividende
tragendes Kapital anzulegen. Es sind das die Sphären des Klein-
handels und der kleinkapitalistischen Produktion mit ihrem erbitter-
ten Konkurrenzkampf, mit ihrer fortwährenden Vernichtung alten
Kapitals, das alsbald wieder durch neues ersetzt wird, Sphären, die
besiedelt sind von jenen Elementen, die immer mit einem Fuß im
Proletariat stehen, in denen der Bankrott eine stete Erscheinung
ist, während nur wenige von ihnen sich allmählich zu größeren
Kapitalisten entwickeln. Es sind das diejenigen Zweige der Produk-
273
tion, welche immer mehr in den verschiedensten Formen vom
großen Kapital in indirekte Abhängigkeit gebracht werden.
Neben der Überfüllung dieser Sphären der Produktion kommt
noch ein anderer Umstand hinzu, um hier die Profitrate zu senken.
Es herrscht erbitterte Konkurrenz um den Absatz, und diese Kon-
kurrenz auszufechten werden große Summen aufgewandt, um den
Umschlag zu beschleunigen und den Absatz zu vergrößern. Eine
große Reklame wird entfaltet, eine große Anzahl von Reisenden
ausgeschickt. Um jeden Kunden kämpfen zehn Reisende. Dies alles
erfordert Geld, das das Kapital dieser Sphären anschwellt, aber, da
es nicht produktiv angewandt wird, den Profit nicht vermehrt, son-
dern die Profitrate, da sie jetzt auf dieses größere Kapital berechnet
werden muß, senkt.
So sehen wir, wie sich an den beiden Polen kapitalistischer Ent-
wicklung aus ganz verschiedenen Ursachen eine Tendenz zur Sen-
kung der Profitrate unter ihren Durchschnitt ergibt. Diese Tendenz
löst nun ihrerseits dort, wo die Kapitalskraft hinreichend stark ist,
die Gegentendenz zu ihrer Überwindung aus. Diese Gegentendenz
führt schließlich zur Aufhebung der freien Konkurrenz und damit
zur Tendenz, die Ungleichheit der Profitrate dauernd zu gestalten,
bis schließlich diese Ungleichheit selbst beseitigt wird durch die Be-
seitigung der Trennung der Produktionssphären.
Die Tendenz, die so innerhalb des industriellen Kapitals gerade
in seinen entwickeltsten Sphären entsteht, wird gefördert durch die
Interessen des Bankkapitals.
Wir haben gesehen, daß die Konzentration in der Industrie
gleichzeitig eine Konzentration der Banken herbeiführt, die aus den
eigenen Entwicklungsbedingungen des Bankgeschäftes heraus noch
1 Die Tendenz zur Ausgleichung der Profitrate ist wichtig, um die Be-
wegung der kapitalistischen Produktion zu verstehen und die Wirkungsweise
des Wertgesetzes als Bewegungsgesetzes zu begreifen. Denn das Wertgesetz
beherrscht nicht direkt die einzelnen Tauschakte, sondern nur ihre Gesamt-
heit, von denen der einzelne Tauschakt nur ein durch die Gesamtheit beding-
ter Teil. Anderseits ist die individuelle Ungleichheit der Profite wichtig für
die Distribution des Gesamtprofits, für die Akkumulation und Konzentration,
schließlich für die Kombination, Fusion, Kartell und Trust.
274
verstärkt wird. Wir sehen ferner, wie das Bankkapital durch das
Aktienwesen den industriellen Kredit erweitern kann und, durch
die Aussicht auf Gründungsgewinn geleitet, immer größeres Inter-
esse an der Finanzierung gewinnt. Der Gründungsgewinn ist aber
unter sonst gleichen Umständen abhängig von der Höhe des Profits.
Das Bankkapital wird so direkt interessiert an dieser Höhe. Mit der
Konzentration der Banken wächst aber zugleich der Umkreis der
industriellen Unternehmungen, an denen die Bank als Kreditgeberin
und Finanzinstitut beteiligt ist.
Während das industrielle Unternehmen, das technisch oder öko-
nomisch überlegen ist, die Aussicht hat, nach einem Konkurrenz-
kampf siegreich den Markt zu behaupten, den eigenen Absatz zu
vergrößern und nach Verdrängung der Gegner für längere Zeit
Extraprofite einzuheimsen, die es für die Verluste des Konkurrenz-
kampfes mehr als entschädigen, sind die Erwägungen der Bank
anderer Natur. Der Sieg dieses Unternehmens ist die Niederlage
anderer, an denen die Bank gleichfalls interessiert war. Die anderen
Unternehmen haben starken Kredit in Anspruch genommen, und
das geliehene Kapital ist jetzt gefährdet. Der Konkurrenzkampf
selbst war eine Zeit des Verlustes für alle Unternehmungen. Die
Bank mußte ihre Kredite einschränken, auf gewinnbringende
Finanzgeschäfte verzichten. Der Sieg des einen Unternehmens ent-
schädigt sie dafür durchaus nicht. Ein so starkes Unternehmen ist
ein Widerpart, an dem die Bank nicht allzuviel verdienen kann.
Sobald die konkurrierenden Werke ihre Kunden sind, hat die Bank
von deren Konkurrenz daher nur Nachteile zu erwarten. Daher ist
das Streben der Banken nach Ausschaltung der Konkurrenz zwischen
Werken, an denen sie beteiligt ist, ein absolutes. Jede Bank aber hat
auch das Interesse an möglichst hohem Profit. Dieser wird unter
sonst gleichen Umständen wieder den höchsten Stand erreichen bei
völliger Ausschaltung der Konkurrenz in einem Industriezweig.
Daher das Streben der Banken nach HersteUung des Monopols. Es
treffen so die Tendenzen des Bankkapitals mit denen des Industrie-
kapitals nach Ausschaltung der Konkurrenz zusammen. Zugleich
aber erhält das Bankkapital immer mehr Macht, dieses Ziel durch-
275
zusetzen, selbst gegen den Willen einzelner Unternehmungen, die,
auf ihre besonders günstige Einrichtung gestützt, den Konkurrenz-
kampf vielleicht noch vorziehen würden. Der Unterstützung des
Bankkapitals hat es so das Industriekapital zu danken, wenn der
Ausschluß der Konkurrenz schon in einem Stadium der ökono-
mischen Entwicklung stattfindet, wo ohne Mitwirkung des Bank-
kapitals die freie Konkurrenz noch weiterbestanden hätte.
Neben diesen allgemeinen Tendenzen zur Einschränkung der
Konkurrenz machen sich Tendenzen geltend, die aus bestimmten
Phasen der industriellen Konjunktur entspringen. Zunächst ist zu
bemerken, daß in der Depressionsperiode der Antrieb, den Profit
zu erhöhen, sich besonders stark geltend machen wird. Während der
Prosperität übersteigt die Nachfrage das Angebot. Man ersieht dies
schon daraus, daß in dieser Zeit die Produktion lange Zeit vor ihrer
Herstellung verkauft wird.
1 Es ist kein Zweifel, daß die andersartige Entwicklung des Bankwesens
in England, das den Banken viel geringeren Einfluß auf die Industrie ge-
wahrt, mit ein Grund ist, der die Kartellierung in England erschwert und
die englischen Kartelle, falls sie zustande kommen, meist nur zu losen Preis-
vereinbarungen werden läßt, die in guter Konjunktur außerordentlich hohe
Preise durchsetzen, um während der Depression zusammenzubrechen. (Siehe
die zahlreichen Beispiele für solche Zusammenbrüche bei Henry W.Macrosty,
„The Trust Movement in British Industry", London 1907, S. 63 ff.) Die Ver-
besserungen in der Organisation der englischen Industrie, namentlich die
Ausdehnung der Kombination in den letzten Jahren, sind zurückzuführen
auf die amerikanische und deutsche Konkurrenz. Das Weltmarktsmonopol
hatte die englische Industrie rückständig gemacht. Der beste Beweis für die
Notwendigkeit der Konkurrenz innerhalb des kapitalistischen Systems.
Übrigens zeitigt die englische Bankentwicklung auch noch ein anderes
Phänomen. In Deutschland und den Vereinigten Staaten sind es zu einem
großen Teil die Bankdirektoren, die durch Personalunion die Interessen-
gemeinschaften der Industrie zum Ausdruck bringen, in England spielt das
geringere Rolle; dort vollzieht sich die Personalunion durch die Direktoren
der industriellen Aktiengesellschaften.
2 So war Mitte Juni 1907 die Produktion deutscher und englischer Spin-
nereien vielfach schon für das I. Quartal 1908 verkauft. Die deutschen
Kohlenverbvaucher haben im Jänner 1907 feste Abschlüsse bis März 1908,
also auf 15 Monate, mit dem Kohlonsyndikat gemacht. („Frankfurter Zei-
tung" vom 16. VII. 1907.)
276
Es sei nebenbei bemerkt, daß die Nachfrage in dieser Zeit häufig
spekulativen Charakter annimmt. Es wird gekauft in Erwartung,
daß die Preise weitersteigen werden. Die Erhöhung des Preises,
die die konsumtive Nachfrage einschränkt, ist umgekehrt ein Stachel
für die spekulative Nachfrage. Übersteigt aber die Nachfrage das
Angebot, so bestimmen die unter den schlechtesten Bedingungen
produzierenden Unternehmungen den Marktpreis. Die unter besse-
ren Bedingungen produzierenden realisieren Extraprofit. Die Unter-
nehmer sind eine geschlossene Einheit auch ohne Vertragsabschluß.
Umgekehrt in der Depression, wo jeder auf eigene Faust zu retten
sucht, was noch zu retten ist, jeder rücksichtslos gegen den an-
deren operiert. „Die Seite der Konkurrenz, die momentan die
schwächere, ist zugleich die, worin der einzelne unabhängig von der
Masse seiner Konkurrenten und oft direkt gegen sie wirkt und
gerade dadurch die Abhängigkeit des einen von dem andren fühlbar
macht, während die stärkre Seite stets mehr oder minder als ge-
schloßne Einheit dem Widerpart gegenübertritt. Ist für diese be-
stimmte Sorte Waren die Nachfrage größer als die Zufuhr, so über-
bietet - innerhalb gewisser Grenzen - ein Käufer den andren und
verteuert so die Ware für alle über den Marktwert, während auf
der andern Seite die Verkäufer gemeinsam zu einem hohen Markt-
preis zu verkaufen suchen. Ist umgekehrt die Zufuhr größer als die
Nachfrage, so fängt einer an, wohlfeiler loszuschlagen, und die
andren müssen folgen, während die Käufer gemeinsam darauf hin-
arbeiten, den Marktpreis möglichst tief unter den Marktwert herab-
zudrücken. Die gemeinsame Seite interessiert jeden nur, solange er
mehr mit ihr gewinnt als gegen sie. Und die Gemeinsamkeit hört
auf, sobald die Seite als solche die schwächere wird, wo dann jeder
einzelne auf eigne Hand sich möglichst gut herauszuwinden sucht.
Produziert ferner einer wohlfeiler und kann er mehr losschlagen,
sich größren Raums vom Markt bemächtigen . . ., so tut er es, und so
lieginnt die Aktion, die nach und nach die andren zwingt, die wohl-
feilere Produktionsart einzuführen, und die die gesellschaftlich not-
wendige Arbeit auf ein neues geringres Maß reduziert. Hat eine
Seite die Oberhand, so gewinnt jeder, der ihr angehört; es ist, als
277
hätten sie ein gemeinschaftliches Monopol geltend zu machen. Ist
eine Seite die schwächre, so kann jeder für seinen eignen Teil
suchen, der stärkre zu sein (z. B. wer mit weniger Produktionskosten
arbeitet) oder wenigstens so gut wie möglich davonzukommen, und
hier schert er sich den Teufel um seinen Nebenmann, obgleich sein
Wirken nicht nur ihn, sondern auch alle seine Kumpane mit be-
rührt." 1
Es entsteht so ein Widerspruch: Die Einschränkung der Kon-
kurrenz ist am leichtesten möglich, wenn sie am wenigsten nötig
ist, weil der Vertrag nur den bestehenden Zustand sanktioniert,
nämlich während der Prosperität. Umgekehrt ist während der
Depression, wo die Einschränkung der Konkurrenz am nötigsten,
der Abschluß des Vertrages zugleich am schwierigsten. Dieser Um-
sland erklärt, warum sich die Kartelle viel leichter in der Prosperi-
tätsepoche oder wenigstens nach Überwindung der Depression
bilden und in der Depression, namentlich wenn sie nicht straff
organisiert sind, so oft zusammenbrechen.
1 Marx, „Kapital", III., 1., S. 174. (Neuausgabe S. 220/221. Die Red.)
Sehr charakteristisch ist auch die nachfolgende Stelle, die Marx zitiert und
die ich hier in Übersetzung folgen lasse: Wenn jeder Mann einer Klasse nie-
mals mehr haben könnte als einen bestimmten Teil oder einen aliquoten Teil
der Gewinne und des Besitzes der ganzen Klasse, so würde er leicht zu Ver-
einbarungen geneigt sein, um die Gewinne zu erhöhen (das tut er, bemerkt
Marx dazu, sobald das Verhältnis von Nachfrage und Zufuhr es erlaubt);
dies bedeutet Monopol. Aber sobald jedermann denkt, daß er irgendwie den
absoluten Betrag seines eigenen Anteils vermehren könnte, obwohl durch ein
Vorgehen, das den Gesamtbetrag vermindert, wird er es oft tun; das bedeutet
Konkurrenz. („An Inquiry into those principles respecting the nature of
demand etc.", London 1811, S. 105.)
Während der Prosperität ist der Anteil (given share) gegeben, er ist gleich
dem ganzen Produkt, das vom Einzehmternehmer erzeugt werden kann. In
der Depression dagegen muß er um seinen Absatz kämpfen.
2 „Die Erfahrung hat gelehrt, daß, wenn auch die Kartelle als ,Kinder
der Not' bezeichnet werden und die Bestrebungen zum Zusammenschluß
der Berufsgenossen zumeist in den Zeiten niedergehender wirtschaftlicher
Konjunkturen oder Krisen ihren günstigsten Nährboden haben, dennoch das
Zustandekommen eines Kartells am leichtesten bei günstiger geschäftlicher
Lage und bei Hochkonjunktur sich ermöglichen läßt, denn die Aussicht auf
278
Ebenso ist klar, daß die monopolistischen Vereinigungen in
Zeiten guter Konjunktur den Markt viel wirksamer beherrschen
werden als in Depressionszeiten.
Neben den Tendenzen, welche dauernde Senkung der Profitrate
unter ihr Durchschnittsniveau hervorrufen und die nur überwunden
v/erden können durch Beseitigung ihrer Ursache, der Konkurrenz,
gibt es auch eine Senkung der Profitrate in einem Industriezweig,
die entsteht durch eine Erhöhung des Profits in einem anderen
Industriezweig. Entspringt jene aus dauernd wirksamen Ursachen,
so diese aus Bedingungen des industriellen Zyklus. Tritt jene
schließlich in allen entwickelten kapitalistischen Produktionszweigen
ein, so betrifft diese nur bcslimmte Produktionszweige. Entsteht
endlich jene aus der Konkurrenz innerhalb eines Industriezweiges,
so diese aus dem Verhältnis von Industriezweigen, von denen der
eine das Bohmaterial des anderen liefert.
die Erhaltung günstiger Preise, verbunden mit starker Nachfrage, bildet die
stärkste Triebfeder zur Vereinigung gemeinsamer Interessen. Das Bestreben
dagegen, um jeden, auch den niedrigsten Preis Aufträge zu erlangen und
diese dem Konkurrenten wegzunehmen, erschwert ein gemeinsames Vor-
gehen." Dr. Völcker in seinem Beferat über den Verband deutscher Druck-
papierfabriken. Kontradikt. Verh.
Siehe auch über die Geschichte der Kartelle Heinrich Cunow, „Die Kar-
telle in Theorie und Praxis"; „Neue Zeit", XXII., 2, S. 210.
1 So sagt auch Levy, nachdem er angeführt hat, daß der Preis der Stahl-
schicnen in den Vereinigten Staaten trotz aller Schwankungen sowohl des
Weltmarktpreises als des Bohmaterials sich vom Mai 1901 bis zum Sommer
1905 unverändert auf 28 Dollar gehalten hat: „Es scheint, als ob diese Or-
ganisation, der Pool, stets in schlechten Zeiten an Macht verloren habe, um
sie in guten Zeiten wieder zu gewinnen."
„So bricht im Jahre 1892 der Bail Pool über Streitigkeiten der Carnegie
und Illinois Steel Company, der beiden Hauptelemente im Pool, zusammen, in
dem Augenblicke, wo die Preise sinken. So bricht weiter im Jahre 1897, nach-
dem sich der kurze Aufschwung von 1896 verlaufen hatte, der zweite Pool
zusammen. Es folgt die allgemeine Demoralisation des Marktes, welche
wieder zu Ende des Jahres 1898 die Produzenten zu einer gemeinschaftlichen
Maßnahme schreiten läßt: der Neugründung des Schienenkartells." (Her-
mann Levy, „Die Stahlindustrie in den Vereinigten Staaten", Berlin 1905,
S. 201.)
279
Während der Properität findet Ausdehnung der Produktion statt.
Diese Ausdehnung wird dort am raschesten erfolgen, wo die Kapi-
talien verhältnismäßig gering, die Ausdehnung der Produktion in
kurzer Zeit und an vielen Punkten vor sich gehen kann. Diese rasche
Steigerung der Produktion wirkt bis zu einem gewissen Grade der
Steigerung der Preise entgegen. Dies ist der Fall in einem großen
Teil der Industrie der Fertigfabrikate. Dagegen ist die Ausdehnung
der Produktion in der extraktiven Industrie nicht ebenso rasch mög-
lich. Die Fertigstellung eines neuen Schachtes, die Anlegung neuer
Hochöfen braucht relativ lange Zeit. In der ersten Zeit der Pro-
sperität wird die steigende Nachfrage durch intensivere Ausnützung
der alten Produktionsmöglichkeiten befriedigt. In der Hochkon-
junktur wächst aber die Nachfrage der Fertigindustrien rascher als
die Produktion der extraktiven Industrien. Infolgedessen steigen
1 Im Ruhrrevier dauert eine Zechenanlage fünf bis sieben Jahre. In den
Vereinigten Staaten die Inbetriebsetzung reiner Stahl- und Walzwerke zwei
Jahre, mit Hochöfen noch länger. (Heymann, a. a. O., S. 221.)
Der hier beschriebene Vorgang ist eine reine Konkurrenzerscheinung.
Seine Analyse fiel daher nicht mehr in das Untersuchungsgebiet des „Kapi-
tals". Doch hatMarx gelegentlich auf eine ganz analoge Erscheinung in einein
anderen Zusammenhang hingewiesen: „Es ist in der Natur der Sache be-
gründet, daß pflanzliche und tierische Stoffe, deren Wachstum und Produk-
tion bestimmten organischen, an gewisse natürliche Zeiträume gebundnen
Gesetzen unterworfen sind, nicht plötzlich in demselben Maß vermehrt wer-
den können wie z. B. Maschinen und andres fixes Kapital, Kohlen, Erze etc.,
deren Vermehrung, die sonstigen Naturbedingungen vorausgesetzt, in einem
industriell entwickelten Land in kürzester Zeit vor sich gehen kann. Es ist
daher möglich, und bei entwickelter kapitalistischer Produktion sogar unver-
meidlich, daß die Produktion und Vermehrung des Teils des konstanten
Kapitals, der aus fixem Kapital, Maschinerie etc. besteht, einen bedeutenden
Vorsprung gewinnt vor dem Teil desselben, der aus organischen Rohstoffen
besteht, so daß die Nachfrage nach diesen Rohstoffen schneller wächst als
ihre Zufuhr und daher ihr Preis steigt." (Marx, „Kapital", III., 1., S. 94 ff.
[Neuausgabe S. 140. Die Red.J) Die hier geschilderte Diskrepanz ist Folge
der verschiedenen Länge der Umschlagszeit. Entspringt sie bei den orga-
nischen Rohstoffen natürlichen Ursachen, so bei den anorganischen der
Größe des Kapitals, besonders seines fixen Bestandteiles.
die Preise des Rohmaterials rascher als die der Fertigfabrikate. In
der extraktiven Industrie steigt so die Profitrate auf Kosten der
weiterverarbeitenden Industrie, und diese kann zudem noch durch
Rohmaterialmangel an der Ausnützung der Konjunktur verhindert
werden.
Umgekehrt in der Depression. Der Abfluß und die Produktions-
cinschränkung ist in den Zweigen, die das Rohmaterial liefern,
schwieriger und verlustreicher als in der Sphäre der Fertigfabrika-
tion. In jenen bleibt daher die Profitrate länger unter ihrem Durch-
schnitt, ein Moment, das auch noch dazu beiträgt, in der weiter-
verarbeitenden Industrie die Profitrate auf ihre Norm zu bringen,
während in der Rohmaterialher Stellung die Depression länger und
schwerer ist.
Wie schwer und langdauernd solche Depressionszustände bei freier Kon-
kurrenz sein können, zeigt die Krise der Eisen- und Stahlindustrie in den
Vereinigten Staaten von 1874 bis 1878. Roheisen in Philadelphia fiel nach
1873 von Dollar 42,75 auf schließlich Dollar 17,63 im Jahre 1878. 1
Die kolossalen Schwankungen der Preise während des Verlaufes eines
industriellen Zyklus illustrieren auch folgende Zahlen, wobei zu bemerken,
daß die Produktionskosten des Roheisens sich während dieser Zeit im all-
gemeinen verbilligt haben:
Base-Erz Nr. I Bessemer-Hämatit fällt von 6 Dollar im Jahre 1890 Jahr
für Jahr bis auf Dollar 2,90 im Jahre 1895. Mesabi-Bessemer wird im Jahre
1894 mit Dollar 2,25, Nicht-Bessemer mit Dollar 1,85 verkauft. Dann kommt
eine kurze Periode des Aufschwungs in der Stahlindustrie . . . Sofort steigen
die genannten Erze auf Dollar 4,—, 3,25 und 2,40. 2
Bessemer-Roheisen in Pittsburg kostete in Dollar 1887: 21,37, 1897: 10,13,
1902: 20,67, 1904: 13,76. Englisches bestes Roheisen 1888: 10,86, 1895:
11,30, 1900: 20,13, 1903: 13,02.»
Für die Gestaltung der Preisverhältnisse der Rohmaterialien zu denen
des fertigen Roheisens beim Rückgang der Konjunktur gibt Levy 4 folgende
instruktive Tabelle:
„Es betrug
1 Levy, ebenda, S. 31.
2 Ebenda, S. 98.
3 Ebenda, S. 121.
* Ebenda, S. 136.
280
281
Preis von
Preis
Preis
Preis von
Differenz des
2240 lbs.
von 2240
von 2000
4122 lbs.
Preises von
Im
Bessemer-
lbs. Lake
Pounds
Erz+2423
Roheisen und
Jahre
Roheisen
Superior-
Koks
lbs. Koks
den Kosten
Erz
von Erz+Koks
Dollar
Dollar
Dollar
Dollar
Dollar
1890
18,8725
6,00
2,0833
13,56
5,31
1891
15,9500
4,75
1,8750
11,01
4,94
1892
14,3667
4,50
1,8083
10,47
3,90
1893
12,8692
4,00
1,4792
9,15
3,72
1894
11,3775
2,75
1,0583
6,34
5,04
1895
12,7167
2,90
1,3250
6,94
5,78
1896
12,1400
4,00
1,8750
9,63
2,51
1897
10,1258
2,65
1,6167
6,84
3,29
Wir sehen aus diesen Zahlen, in welche Lage nach 1890 diejenigen Be-
triebe gerieten, welche ganz auf den Zukauf von Kohle und Erz angewiesen
waren. Der Preis der Rohmaterialien sank nach 1890 zwar beträchtlich, aber
die Differenz zwischen den Kosten derselben und dem Preise des fertigen
Produktes sank noch stärker, so daß sich die Lage der Verbraucher wesent-
lich verschlechterte. Es war die alte Tendenz: die Preise für Roheisen gingen
schneller und stärker herab als die der Rohmaterialien, eben jene Tendenz,
welche, wie wir ausführten, zur Kombinierung der Betriebe führte."
Dieser Unterschied in der Profitrate muß überwunden werden,
und er kann nur überwunden werden durch Vereinigung der extrak-
tiven mit der weiterverarbeitenden Industrie: durch die Kombi-
nation. Der Anstoß zur Kombination wird verschieden sein je nach
der Phase der Konjunktur. In Prosperitätszeiten wird der Anstoß
von den weiterverarbeitenden Werken kommen, die die hohen Roh-
materialpreise oder gar den Rohmaterialmangel dadurch überwin-
den. In der Depression werden die Hersteller des Rohmaterials sich
weiterverarbeitende Werke angliedern, um nicht das Rohmaterial
unter dem Produktionspreis verkaufen zu müssen. Sie werden es
selbst verarbeiten und am Fertigprodukt mit höherem Profit reali-
sieren. Allgemein gefaßt: Es besteht die Tendenz, daß der jeweils
schlechter rentierende Betriebszweig sich den besser rentierenden
angliedert.
i Heymann, a. a. O., S. 223.
In Amerika war es der Eisenbahnbedarf, der selbst wieder vom Ernte-
ausfall abhing, der über die Konjunktur in der Eisenindustrie in den ersten
Stadien ihrer Entwicklung entschied. Daher der rasche Wechsel und die
Größe des Preisausschlages während der Konjunktur und der frühe Drang
zur Kombination in den Vereinigten Staaten. (Vgl. Levy, a. a. O., S. 77.)
282
Je nach der Art und Weise, wie die Kombination entsteht, mag
man also unterscheiden: die aufsteigende Kombination; zum Bei-
spiel ein Walzwerk, das sich Hochöfen und Kohlenzechen angliedert.
Die absteigende Kombination: eine Kohlengrube kauft Hochöfen
und Walzwerke an. Die gemischte Kombination: ein Stahlwerk
gliedert sich einerseits Kohlenzechen, anderseits Walzwerke an.
Es ist also die Verschiedenheit der Profitrate, die zur Kombination
führt. Für das kombinierte Werk sind die Schwankungen der Profit-
rate aufgehoben, während das reine Werk seinen Profit zugunsten
des zweiten Werkes vermindert sieht.
Ein anderer Vorteil der Kombination entspringt aus der Erspa-
rung des Handelsprofits. Dieser kann ausgeschaltet werden, und um
diesen Betrag vermehrt sich der industrielle Profit.
Die Ausschaltung des Handelsprofits ist möglich durch die fort-
geschrittene Konzentration. Die Funktion des Handels, die in den
einzelnen kapitalistischen Betrieben zersplitterte Funktion zu kon-
zentrieren und so den anderen industriellen Kapitalisten die Be-
friedigung ihres Bedarfes in dem ihnen entsprechenden Quantum
zu ermöglichen, ist nicht mehr notwendig. Ein Weber zieht es vor,
beim Garnhändler die verschiedenen Arten Garn in den verschiede-
nen Qualitäten und Quantitäten zu decken, statt mit einer ganzen
Reihe von Spinnern Transaktionen abzuschließen. Ebenso verkauft
der Spinner lieber die ganze Produktion auf einmal an einen Händ-
ler, statt an eine Reihe von Webern. Dadurch werden Zirkulations-
zeit und Zirkulationsunkosten erspart, das Reservekapital ver-
ringert.
Anders, sobald es sich um große konzentrierte Betriebe handelt,
die gleichartige Güter (Massengüter) produzieren, wo die Produk-
tion des einen den Bedarf des anderen deckt. Hier wird der Handel
überflüssig. Der Händler und sein Profit kann beseitigt werden, und
er wird beseitigt durch die Kombination dieser Unternehmungen.
Diese Beseitigung des Handelsprofits ist der Kombination eigen-
tümlich gegenüber der Vereinigung gleichartiger Betriebe, wo
natürlich keine Handelsbeziehungen bestanden haben. Der Handels-
profit ist aber nur Teil des Gesamtprofits. Sein Wegfall erhöht pro
283
tanto den industriellen Profit. Solange die kombinierten Werke mit
den reinen Werken konkurrieren, gibt ihnen der erhöhte Profit eine
Überlegenheit in der Konkurrenz.
Wären die Profitraten beider Werke gleich, und zwar gleich der
Durchschnittsprofitrate, so bedeutete die Kombination zunächst
keine Überlegenheit, da immer nur die Durchschnittsprofitrate
realisiert werden könnte. Aber die Kombination gleicht Konjunktur-
Unterschiede aus und bewirkt daher für das kombinierte Werk eine
größere Stetigkeit der Profitrate. Zweitens bewirkt die Kombination
Ausschaltung des Handels. Drittens bewirkt sie die Möglichkeit
technischer Fortschritte und damit die Erlangung von Extraprofit
gegenüber dem reinen Werk. Viertens stärkt sie die Stellung des
kombinierten Werkes gegenüber dem reinen im Konkurrenzkampf
zur Zeit einer starken Depression, wenn die Senkung der Roh-
materialpreise nicht Schritt hält mit der Senkung der Fabrikats -
preise.
Die Kombination, die zugleich eine Einschränkung der gesell-
schaftlichen Arbeitsteilung bedeutet, während sie neuen Ansporn
gibt für die Arbeitsteilung innerhalb des neuen Gesamtbetriebes,
die auch immer mehr die Arbeit der Leitung erfaßt, begleitet von,.
Anfang an die kapitalistische Produktionsweise. „Endlich kann die
Manufaktur, wie sie teilweise aus der Kombination verschiedner
Handwerker entspringt, sich zu einer Kombination verschiedner
Manufakturen entwickeln. Die größren englischen Glashütten
z. B. fabrizieren ihre irdenen Schmelztiegel selbst, weil von deren
Güte das Gelingen oder Mißlingen des Produkts wesentlich ab-
hängt. Die Manufaktur eines Produktionsmittels wird hier mit der
Manufaktur des Produkts verbunden. Umgekehrt kann die Manu-
faktur des Produkts verbunden werden mit Manufakturen, worin es
selbst wieder als Rohmaterial dient oder mit deren Produkten es
später zusammengesetzt wird. So findet man z. B. die Manufaktur
von Flintglas kombiniert mit der Glasschleiferei und der Gelb-
gießerei, letztre für die metallische Einfassung mannigfacher Glas-
artikel. Die verschiednen kombinierten Manufakturen bilden dann
mehr oder minder räumlich getrennte Departements einer Gesamt -
284
manufaktur, zugleich voneinander unabhängige Produktions-
prozesse, jeder mit eigner Teilung der Arbeit. Trotz mancher Vor-
teile, welche die kombinierte Manufaktur bietet, gewinnt sie, auf
eigner Grundlage, keine wirklich technische Einheit. Diese entsteht
erst bei ihrer Verwandlung in den maschinenmäßigen Betrieb."' 1
Die kolossale Beschleunigung, die die Kombination in der
neuesten kapitalistischen Entwicklungsphase erfährt, ist geschuldet
den starken Antrieben, die aus ökonomischen Ursachen, insbeson-
dere aus der Kartellierung entstanden sind. Dies schließt aber zugleich
ein,daß die aus ökonomischen Ursachen entstandeneKombination sehr
bald Gelegenheit zu technischen Verbesserungen des Produktions-
prozesses bietet, man denke zum Beispiel an die Verbindung der
Hochöfen mit der Weiterverarbeitung, die erst die rationelle Aus-
nützung der Hochofengase als motorischer Kraft gestattet hat. Diese
technischen Vorteile, einmal gegeben, werden wiederum treibendes
Motiv für die Durchführung der Kombination dort, wo die bloßen
ökonomischen Ursachen diese noch nicht herbeigeführt hätten.
Unter Kombination verstehen wir also die Verbindung solcher
kapitalistischer Unternehmungen, von denen das eine das Roh-
material für das andere liefert, und unterscheiden diese Verbindung,
die aus der Verschiedenheit der Profitraten in verschiedenen Indu-
striesphären entspringt, von der Vereinigung von Unternehmungen
in demselben Industriezweig. Diese entsteht zu dem Zweck, durch
die Aufhebung der Konkurrenz die Profitrate in dieser Sphäre über
ihren unterdurchschnittlichen Stand zu erhöhen. Im ersten Fall
werden die Profitraten in den Industriezweigen, denen die Unter-
nehmungen vor ihrer Vereinigung angehört haben, nicht alteriert.
Ihr Unterschied bleibt bestehen und verschwindet nur für das kom-
binierte Unternehmen. Im zweiten Fall erwartet man die Erhöhung
des Profits in diesem Industriezweig infolge Verminderung der
Konkurrenz. Theoretisch tritt diese bereits ein bei Vereinigung
zweier Unternehmungen, sei es, daß das Aufhören der Konkurrenz
nur für die beiden Unternehmungen von Wirksamkeit ist, sei es,
daß die vereinigten Unternehmungen groß genug sind, um auf
1 Marx, „Kapital", I., 4. Auflage, S. 512. (Neuausgabe S. 364. Die Red.)
21 Hilferding, Das Finanzkapital
285
dem Markte eine dominierende Stellung einzunehmen und diese zu
Preiserhöhungen zu benützen, wodurch auch für die übrigen Unter-
nehmungen die Wirkung der Konkurrenz verringert ist. Es kann
allerdings auch der Fall eintreten, daß die vereinigten Unter-
nehmungen ihre verstärkte Position zunächst zur Niederkonkur -
rierung ihrer Gegner benützen und die Erhöhung der Profitrate
erst eintritt, wenn dieses Ziel erreicht ist.
Die Vereinigung der Unternehmungen kann in doppelter Form
stattfinden. Entweder die Unternehmungen behalten formell ihre
Selbständigkeit, und ihre Gemeinsamkeit wird nur durch Vertrag
festgelegt. Wir haben es sodann mit einer Interessengemeinschaft.
zu tun. Gehen aber die Unternehmungen in ein neues Unternehmen
auf, so nennen wir dieses eine Fusion.
Sowohl Interessengemeinschaft als Fusion können nun entweder
partiell sein - sie lassen dann die freie Konkurrenz in dem betreffen-
den Industriezweigbestehen-, oder sie können monopolistisch sein. 1
Eine Interessengemeinschaft möglichst aller Unternehmungen
zum Zweck, durch möglichst vollständige Ausschließung der Kon-
kurrenz die Preise und damit den Profit zu erhöhen, ist das Kartell.
Das Kartell ist also eine monopolistische Interessengemeinschaft.
Eine Fusion mit demselben Zweck, der durch dasselbe Mittel
erreicht werden soll, ist der Trust. Der Trust ist also eine mono-
polistische Fusion.'
Interessengemeinschaft und Fusion können ferner entweder
homogen sein, das heißt Unternehmungen desselben Produktions -
1 Es ist dabei zu beachten, daß man es bereits dann mit einer monopo-
listischen Vereinigung zu tun hat, wenn diese für die Preisbestimmung auf
dem Markte ausschlaggebend ist. Daß daneben noch einige selbständige Unter-
nehmungen existieren, die in ihren Preisen sich immer nach der Preisfest-
setzung der Vereinigung richten, ändert nichts an der Tatsache, daß in die-
sem Produktionszweig die freie Konlcurren'i im theoretiseh.-okonoraisch.Gn
Sinne nicht mehr existiert. Um aber pedantische Bedenken nicht zu ver-
letzen, nenne ich solche Vereinigungen nicht totale Interessengemeinschaften
oder Fusionen, sondern monopolistische. (Siehe auch Liefmann, „Kartelle und
Trusts", 1905, S. 12.)
- Liefmann, a. a. O., S. 13.
zweiges umfassen, oder kombiniert sein, das heißt Unternehmungen
aufeinanderfolgender Produktionszweige umfassen. Wir sprechen
daher von partiellen homogenen oder kombinierten Fusionen und
Interessengemeinschaften oder von homogenen oder kombinierten
Kartellen und Trusts. Dabei ist zu beachten, daß Interessengemein-
schaften heute häufig nicht durch formelle Verträge, sondern durch
Personalunionen, die kapitalistische Abhängigkeitsverhältnisse aus-
zudrücken pflegen, entstehen können. Fusionen und Interessen-
gemeinschaften sind nicht nur in der Sphäre der Industrie möglich,
sondern ebenso im Handel und bei den Banken. Alle diese Ver-
bindungen gehen in einer und derselben Sphäre vor sich, und wir
bezeichnen sie als homosphärische Vereinigungen. Es können aber
auch Vereinigungen geschaffen werden, die zum Beispiel ein
Handelsunternehmen mit einer Bank vereinigen. So wenn eine
Bank eine Warenabteilung einrichtet oder ein Warenhaus eine
Depositenbank eröffnet. Ebenso mag ein Industrieunternehmen
ein Handelsunternehmen errichten; so errichten zum Beispiel häufig
Schuhfabriken in den Großstädten Schuhwarengeschäfte unmittel-
bar für den Absatz an den letzten Konsumenten. Wir sprechen dann
von hetcrosphärischen Vereinigungen.
Dabei ist zu bemerken, daß ebensowenig wie in der Natur die
Arten, so in der Industrie die verschiedenen Zweige etwas Festes
sind. Die Kombination, allgemein durchgeführt gedacht, stellt nur
einen umfassenden Industriezweig aus früher geschiedenen zu-
sammen. Man kann sich sehr gut vorstellen, daß die Eisenindustrie
einen einzigen Industriezweig bilden wird, zu dem die Kohlen- und
Erzförderung ebenso gehört wie die Herstellung von Schienen und
Drahtstiften, da jedes einzelne Eisenwerk all diese Produktions-
arten umfaßt und die reinen Werke verschwunden sind. Innerhalb
dieses Industriezweiges sind dann alle Arten zur Verringerung der
Konkurrenz von der Interessengemeinschaft bis zum Trust möglich.
Die partielle Kombination, sei es in Form der Interessengemein-
schaft oder der Fusion, schränkt die Konkurrenz nicht ein, sie stärkt
das kombinierte Werk nur in der Konkurrenz gegenüber den reinen
Werken ; dagegen hat die homogene Vereinigung immer eine Ver-
286
287
minderung der Konkurrenz zur Folge, wenn es sich um eine par-
tielle, oder eine Aufhebung, wenn es sich um eine totale Ver-
einigung handelt. Kombination, Fusion und Trust gewähren neben
den ökonomischen Vorteilen technische Vorteile, die dem größeren
Betrieh gegenüber dem kleineren innewohnen. Diese Vorteile sind
verschieden, je nach der Natur der Betriebe und der Industrie-
zweige.
Diese technischen Vorteile können auch allein für sich genügend
sein, um zu Kombinationen und Fusionen zu führen; dagegen ent-
springen Interessengemeinschaften und Kartelle nur aus rein
ökonomischen Vorteilen.
Alle diese Vereinigungen von Industrieunternehmungen werden
in der Begel vorbereitet durch das gemeinsame Interesse, das eine
Bank mit den Unternehmungen verbindet. Eine Bank, die zum Bei-
spiel an einer Kohlenzeche stark interessiert ist, wird ihren Einfluß
auf ein Eisenwerk benützen, um dieses zum Kunden der Zeche zu
machen. Der Keim einer Kombination. Oder ihr Interesse an zwei
gleichartigen Unternehmungen, die sich auf verschiedenen Märkten
erbitterte Konkurrenz machen, bewegt die Bank zu dem Versuch,
eine Verständigung herbeizuführen; die homogene Interessen-
gemeinschaft oder die Fusion ist auf dem Wege.
Diese Bankintervention beschleunigt und erleichtert einen Pro-
zeß, der in der Entwicklungsrichtung der industriellen Konzen-
tration gelegen ist. Sie führt ihn aber durch andere Mittel herbei.
Das Besultat des Konkurrenzkampfes wird vorweggenommen.
Einerseits wird dadurch unnütze Vernichtung und Vergeudung von
Produktivkräften erspart. Anderseits aber erfolgt zunächst jene
Eigentumskonzentration nicht, die Resultat des Konkurrenzkampfes
war. Der Besitzer der anderen Fabrik wird nicht expropriiert. Wir
haben Betriebs- respektive Unternehmungskonzentration ohne
Eigentumskonzentration. Wie an der Börse reine Eigentumskonzen-
tration ohne Betriebskonzentration, so geht jetzt in der Industrie
eine Betriebskonzentration ohne Eigentumskonzentration vor sich,
der sinnfällige Ausdruck dafür, daß sich die Funktion des Eigen-
tums von der Funktion der Produktion immer mehr gelöst hat.
288
Dagegen bedeutet für die Bank die Vermittlung dieser Vorgänge
einerseits größere Sicherung ihres kreditierten Kapitals und zwei-
tens Gelegenheit zu gewinnbringenden Transaktionen, Aktien-
umtausch, Neuausgabe von Aktien und dergleichen. Denn die Ver-
einigung dieser Unternehmungen bedeutet für diese erhöhten Profit.
Ein Teil dieses erhöhten Profits wird kapitalisiert von der Bank
angeeignet. Nicht nur als Kredit-, sondern vor allem auch als
Finanzinstitut ist die Bank so an den Vereinigungsvorgängen inter-
essiert.
Die zunehmende Konzentration wird aber auch zugleich zu einem
Hemmnis ihres weiteren Fortschritts. Je größer, stärker und gleich-
artiger die Betriebe, desto geringer die Aussicht, durch Nieder-
konkurrierung des zweiten den eigenen Betrieb vergrößern zu
können. Zugleich hält der niedrige Stand der Profitrate, die Be-
fürchtung, die ohnehin gedrückten Preise durch Vermehrung der
Produktion noch weiter zu senken, von der Ausdehnung, die sonst
aus technischen Rücksichten vielleicht wünschenswert wäre, zu-
rück. Die Vorteile größerer Produktion sind aber bei der gedrück-
ten Lage des Marktes nicht zu entbehren. Da bietet sich der Aus-
weg, den größeren Betrieb zu schaffen durch die Vereinigung bis-
her getrennter Unternehmungen: durch die Fusion.
Wie groß muß der Anteil einer monopolistischen Vereinigung
an der Gesamtproduktion sein, um den Marktpreis beherrschen zu
können? Die Frage läßt sich nicht allgemein für alle Produktions-
zweige beantworten. Doch erhalten wir für die Beantwortung einen
Anhaltspunkt, wenn wir uns das schon früher erwähnte verschiedene
Verhalten der Konkurrenten in Zeiten guter und schlechter Kon-
junktur vergegenwärtigen. In guter Konjunktur, wenn die Nach-
frage das Angebot übersteigt, wird der Preis des Produkts ohnedies
der höchstmögliche sein; in solchen Perioden verkaufen die Außen-
seiter eher über, nicht unter dem Kartellpreis. Anders in Zeiten
schlechter Konjunktur bei überwiegendem Angebot. Dies ist der
Moment, wo es sich zeigen muß, ob die Vereinigung den Markt
beherrscht. Dies wird aber dann der Fall sein, wenn ihre Produk-
tion zur Versorgung des Marktes unbedingt nötig ist. Sie wird erst
289
verkaufen, wenn ihr Preis bewilligt ist, und dieser Preis muß be-
willigt werden, da die Zufuhr durch das Kartell dem Markte eben
unentbehrlich ist. Das Kartell wird zu diesem Preise das dem Markte
fehlende Quantum verkaufen können. Dann aber muß es die Pro-
duktion so stark einschränken, daß es den Markt nicht überlastet,
während die Außenseiter ihre ganze Produktion absetzen könnten.
Eine solche Preispolitik ist am ehesten möglich erstens in jenen
Produktionszweigen, wo die Einschränkung keine allzu schweren
Opfer auferlegt, also besonders dort, wo die lebendige Arbeit einen
Hauptposten bildet - der Verderb des konstanten Kapitals keine
allzu große Rolle spielt. Beides ist der Fall in der extraktiven Indu-
strie. Erz und Kohle nützen sich nicht ab, und die lebendige Arbeit
spielt eine große Rolle. Zweitens dort, wo die Einschränkung der
Konsumtion während der schlechten Konjunktur gering ist.
Wo aber beides nicht möglich, muß das Kartell, um seinen Absatz
aufrechtzuerhalten, Preisermäßigungen gegenüber den Outsidern
machen. Es ist dann der Moment gekommen, wo das Kartell, das
nicht die Gesamtproduktion beherrscht, die Herrschaft über den
Markt verliert und die freie Konkurrenz sich wiederherstellt.
Die Notwendigkeit, die Produktion einzuschränken und damit
die Produktionskosten für das verminderte Produkt zu erhöhen,
die Profitrate zu vermindern, wirkt so der Tendenz entgegen, die
Preise auch in ungünstigen Zeiten zu halten, worin sich ja die Be-
herrschung des Marktes ausdrückt. Diese Einschränkung kann aber
das Kartell vermeiden, wenn es nur die durchschnittliche Nachfrage
befriedigt, die Befriedigung der Konjunkturnachfrage aber den
Outsidern überläßt. Dies ist aber nur dann möglich, wenn diese
erstens nicht mehr produzieren können, als diese zusätzliche Nach-
frage der guten Konjunktur erfordert - denn sonst bestände die
Gefahr, daß der Absatz des Kartells eingeengt wird -, zweitens aber,
daß diese Außenseiter zu höheren Kosten als das Kartell produ-
zieren. Denn nur dann wird eine für das Kartell noch immer
profitable Preisgestaltung diese Konkurrenten aus dem Markte wer-
fen und den Absatz des Kartells sichern. Mit anderen Worten: Die
Outsider sind es wesentlich, auf die alle Lasten der Konjunktur -
290
Schwankungen abgewälzt werden. Das Kartell realisiert während
der Hochkonjunktur hohe Extraprofite, während der Depression
normalen Profit, während die Konkurrenten ausgeschaltet werden.
Unter solchen Bedingungen ist es durchaus im Interesse der mono-
polistischen Vereinigung, das Bestehen von Outsidern nicht völlig zu
verhindern, wozu sie infolge ihrer Überlegenheit oft die Macht hat.
Wann werden aber die dazu erforderlichen Bedingungen un-
günstigerer Produktion für die Outsider erfüllt sein? Dies kann
schon dann der Fall sein, wenn die Größe und technische Einrich-
tung der monopolistischen Vereinigung ihr diese Überlegenheit
sichert. Aber häufig wird diese eine vorübergehende oder nicht
genug große sein. Anders aber, wenn es sich um Kartelle handelt,
die über günstigere natürliche Produktionsbedingungen verfügen,
bei denen also zu dem ökonomischen sich das natürliche Monopol
gesellt, Kartelle also, die besonders günstige Kohlen- oder Erz-
gruben oder Wasserfälle sich gesichert haben, während die Outsider
ungünstiger gestellt sind. Dann werden diese zunächst die Produk-
tion überhaupt nicht in einem Maße ausdehnen können, der dem
Kartell den Absatz seiner Produkte unmöglich macht, sie werden
aber dann überhaupt nur produzieren können, wenn die hohen
Preise der Hochkonjunktur ihnen die Produktion zu ihren höheren
Selbstkosten gestattet.
Ein ausgezeichnetes Beispiel bietet die Politik des StahlLrusts. Die
Corporation könnte ihre Produktion mit Leichtigkeit steigern. Sie
tut es nicht, um nicht während der Depression die Last der Über-
produktion tragen zu müssen. „Den kombinierten Großunter-
nehmungen in der Roheisenindustrie erscheint es wünschenswert,
einen Grundstock in der Produktion zu haben, welcher immer Ab-
satz findet. Um dies zu erreichen, läßt man in Zeiten lebhafter
Nachfrage die nichtkombinierten Outsiders mit hohen Produktions-
kosten sich ruhig vermehren und gibt ihnen durch Zukauf sogar
noch zu tun. Nun werden rückständige Betriebe wieder bei steigen-
den Preisen rentabel, die Spekulationslust führt zur Entstehung
neuer nichtkombinierter Betriebe, kurz, die Produktion wird zu
steigenden Produktionskosten im Vergleich zu den bisher niedrig-
291
sten vermehrt. Dies dauert so lange, bis die steigende Nachfrage
gesättigt ist und die Preise wieder sinken. Nun verschwinden die zur
Zeit der Hochkonjunktur in Betrieb gesetzten Hochöfen, soweit sie
unter hohen Produktionskosten arbeiten, als Verkauf er vom Markte,
da sie bald keine Überschüsse mehr zu verzeichnen haben. Nur die
billigst arbeitenden bleiben noch übrig, weil sie noch mit Über-
schüssen produzieren können: vor allem der Trust, die großen kom-
binierten Unternehmungen und der und jener besonders begünstigte
.reine' Hochofen.
So bilden jene Großunternehmungen, vor allem die Corporation,
den Grundstock einer Produktion, welche in ihrer großen Masse in
schlechten wie in guten Zeiten mit Überschüssen arbeiten kann und
auch Absatz Findet. Das Entstehen einer größeren Outsiderkonkur-
renz schadet der Corporation in guten Zeiten nicht, denn würde sie
den steigenden Bedarf selbst decken wollen, so würde sie beim Rück-
gang desselben die Überproduktion am eigenen Leibe stärker spüren,
wahrend diese so in erster Linie die Outsider trifft."
1 Levy, a. a. O., S. 156 ff.
Levy illustriert dann das Gesagte durch folgende Zahlen der Roheisen-
produktion, in der allerdings auch die Produktion von Gießerei- und Puddel-
eisen eingeschlossen ist, an der die Corporation nur minimal beteiligt ist.
Als Hlustrationsfatam für das oben Ausgeführte sind sie aber schlagend.
Es betrug die Roheisenproduktion:
Im Jahre
19D2
1303
1901
der Corporatioa
gross Ions
T 802 812
T 123 0S3
7 210 248
der In dopenden is
Bioss lons
9 805 Sil
10 693 538
9 266 785
Anteils der
Corporation an der
Gesa mtproduk 1 ion
in Prozenten
44,3
39.9
43.9
Es nimmt im Jahre 1903 die Produktion im Gegensatz zu der von 1902
sogar ab, die der Outsiders dagegen stark zu, so daß der Anteil der Corpo-
ration an der Gesamtproduktion von 44,3 auf 39,9 Prozent sinkt. Im Depres-
sionen- 1904 stieg aber die Produktion der Corporation noch etwas, wäh-
rend die der Outsiders um die enorme Quantität von 1 400 000 Tonnen uad
damit weil unter die Produktion von 1902 fiel.
Im Vorbeigehen sei bemerkt, wie oberflächlich die Ansicht derer ist, die
jeden Outsider eines Kartells als moralisches Scheusal und ökonomischen
Etwas anders liegen die Verhältnisse zum Beispiel beim Bhei-
nisch-Westfälischen Kohlensyndikat. Hier sind die Außenseiter von
keiner großen Bedeutung. Es betrug im Jahre 1900 im Oberberg-
amtsbezirk Dortmund der Anteil an der Gesamtproduktion bei den
Syndikatszechen 87 Prozent, bei den nichtsyndizierten 15 Prozent.
Das Syndikat beherrscht so den Markt und die Preise. Es zog daher
vor, die Hochkonjunkturpreise von 1900 auch während der Krise
von 1901 zu halten und die Produktion einzuschränken. Daher
konnten die Außenseiter 1901 und 1902 ihre Förderung etwas ver-
mehren, während der Anteil des Syndikats, dem die Hochhaltung
der Preise wichtiger war, zurückging.
Anders aber muß sich die Politik der monopolistischen Ver-
einigungen dort gestalten, wo die Vermehrung der Produktion keine
Beschränkung durch natürliche Monopole findet, die Produktion
also weit über das Ausmaß einer zusätzlichen Konjunkturnachfrage
vermehrbar ist und diese Vermehrung zu denselben oder gar ge-
ringeren Kosten möglich ist. Dann wird allerdings die Markt-
beherrschung wesentlich davon abhängen, ob die Vereinigung den
weitaus größten Teil der Produktion beherrscht, soll nicht die
schlechte Konjunktur das Kartell für die Beteiligten wertlos machen
und es eventuell sprengen.
Das Vorhandensein oder Fehlen eines natürlichen Monopols
wirkt so entscheidend auf die Preisbildung und die Produktions-
kosten, damit aber auch auf Bestand und Dauer der monopolisti-
schen Vereinigung, auf den Grad ihrer Macht zur Marktbeherr-
schung. Es bestimmt entscheidend die Größe des Anteils an der
Produktion, den die Vereinigung in ihrer Hand haben muß, um
den Markt beherrschen zu können.
Verbrecher behandeln wollen. Dieser Standpunkt ist sogar vom Profitinter-
esse des Kartells aus lächerlich, geschweige denn vom gesellschaftlichen
Gesichtspunkte aus, weil gerade die Konkurrenz der Außenseiler für die
technische und organisatorische Fortbildung der monopolistischen Vereini-
gung sehr wertvoll sein kann, ganz abgesehen von den Konsumenten-
interessen.
1 Siehe „Kontradiktorische Verhandlungen über deutsche Kartelle", Heft 1,
Berlin 1903, Franz Siemenroth, S. 80, Aussage von Kirdorf.
292
293
Die Sicherheit, die Herrschaft über den Markt zu behaupten,
kann verschieden groß sein. Sie wird dort am höchsten sein, wo es
gelingt, das ökonomische Monopol durch ein natürliches zu sichern.
Dabei hat die einmal bestehende monopolistische Vereinigung
großen Vorsprung wegen ihrer großen Kapitalskraft, die ihr er-
laubt, auch außerordentlich bedeutende Mittel auf längere Zeit fest-
zulegen. Die Festigkeit der Rohstoffsyndikate beruht wesentlich auf
ihrer Monopolisierung der Naturbedingungen der Produktion, die
ibnen zudem meist durch die Berggesetzgebung außerordentlich
erleichtert wird.
Ein gesetzliches Monopol als Stütze des ökonomischen gewährt
den monopolistischen Vereinigungen der Besitz von Patenten. Auch
hier sind sie wegen ihrer großen Kapitalkraft leichter in der Lage
als einzelne Konkurrenten, neue Patente zu erwerben und so ihre
monopolistische Stellung zu stärken.
Eine Zwischenstufe zwischen einem natürlichen und gesetzlichen
Monopol und einem nur ökonomischen Monopol bildet das Monopol
1 Anderseits kann wieder der Besitz von Patenten den Zusammenschluß
unter bestimmten Umständen erschweren, wenn der dadurch erzielte Extra-
profit hoch genug ist, um die Aufrechterhaltung der Konkurrenz vorteilhaft
erscheinen zu lassen.
„Jeder Zweig der Textilmaschinenindustrie umfaßt nur wenige Namen.
Acht große Firmen in Lancashire fabrizieren Baumwollmaschinerie und
monopolisieren nicht nur den heimischen Markt, sondern exportieren darüber
hinaus über 4% Millionen Pfund jährlich. Wiederholt wurden Anregungen
für eine Verschmelzung der Interessen gemacht, aber sie sind stets geschei-
tert. Mechanische Industrien führen von selbst zu Erfindungen, die, wenn
patentiert, ein Monopol für eine Reihe von Jahren schaffen, und solange es
in Kraft ist, ist ein Patent ein Argument gegen Zusammenschluß. Die Ab-
neigung, einen weltberühmten Namen, namentlich wenn er durch individuelle
Unternehmungslust und Erfindungsgeist geschaffen worden, einer unpersön-
lichen anonymen Vereinigung zu opfern, muß gleichfalls als ein wirksames
Abschreckungsmittel gelten." (Macrosty, 1. c, S. 48.)
Hier ist das kleine Monopol der Feind des größeren. Doch kann auch
gerade der Wunsch, die Patente auszutauschen, den Anlaß zu Interessen-
gemeinschaften geben. Hierher gehören Vereinbarungen in der deutschen
chemischen Industrie und die der deutschen Allgemeinen Elektrizitätsgesell-
schaft mit der amerikanischen Westinghouse Co.
294
an den Verkehrsmitteln. Daher das Streben der Trusts, die Herr-
schaft über die Verkehrswege zu Wasser und zu Lande zu erhalten.
Die Verstaatlichung der Verkehrsmittel verringert die Monopol -
festigkeit und bewirkt so bis zu einem gewissen Grade eine Ver-
langsamung der Konzentration der Unternehmungen und des
Eigentums.
Das ökonomische Monopol selbst wird um so gefestigter sein, je
größer das Kapital, nötig, um ein neues Unternehmen ins Leben
zu rufen, und je inniger die Verbindung der Banken mit der mono-
polistischen Vereinigung, da ohne die Hilfe einer Bank oder gar
gegen den Willen der Banken ein großes industrielles Unternehmen
heute kaum noch existenzfähig ist.
295
Xll. Kapitel
KARTELLE UND TRUSTS
Die Einteilung der Art und Weise, wie sich Vereinigungen
kapitalistischer Unternehmungen bilden, ist nach drei Gesichts-
punkten getroffen worden.
Die Unterscheidung zwischen homogenen und kombinierten Ver-
einigungen betrifft die technische Eigenart der Vereinigung. Wir
haben gesehen, wie die Entstehung dieser Vereinigungen ver-
schiedene Ursachen hat, verschiedenen technischen und ökonomi-
schen Ursachen entspringt.
Die Unterscheidung zwischen partiellen und monopolistischen
Vereinigungen beruht in ihrer verschiedenen Stellung auf dem
Markte, darauf, ob sie die Preise beherrschen oder umgekehrt von
den Preisen beherrscht werden. Die Preisbeherrschung ist dabei
nicht abhängig davon, daß alle Unternehmungen derselben Art ver-
einigt sind. Es genügt die Beherrschung jenes Teiles der Produk-
tion, der in allen Phasen der Konjunktur für die Marktzufuhr un-
entbehrlich ist, wobei die Kosten dieser Produktion geringer sein
müssen als die Kosten der Outsider. Nur dann wird die während
einer Krise notwendige Einschränkung auf die Outsider entfallen,
und die Preise brauchen bloß bis zum Produktionspreis des Kartells
herabgesetzt zu werden.
Die Unterscheidung zwischen Interessengemeinschaft und Fusion
schließlich beruht auf der Verschiedenheit der formalen Organi-
sation. Die Interessengemeinschaft beruht auf Vertrag zweier oder
mehrerer bisher voneinander unabhängiger Unternehmen; bei der
Fusion gehen zwei oder mehrere Unternehmen in ein neues Unter-
296
nehmen auf. Dieser Gegensatz ist aber nur ein solcher der Organi-
sationsform; er sagt aber nichts über den inhaltlichen Unterschied
aus; dieser selbst hängt vielmehr ab von dem Inhalt des Vertrages,
auf dem die Interessengemeinschaft beruht. Jedenfalls beschränkt
der Vertrag in irgendwelchen Punkten die Selbständigkeit der
Unternehmungen; die Fusion hebt die Selbständigkeit auf. Aber
zwischen Beschränkung und Aufhebung ist nur ein gradueller
Unterschied. Je mehr der Vertrag die Selbständigkeit der in Inter-
essengemeinschaft befindlichen Unternehmungen einschränkt, desto
mehr nähern sie sich in ihren ökonomischen Wirkungen der Fusion.
Die Einschränkung der Selbständigkeit einer Unternehmung kann
aber wieder in verschiedener Weise vor sich gehen. Zunächst kann
die Organisation des Unternehmens vertraglich festgesetzt werden,
indem etwa die Unternehmungsleitung sich der Aufsicht eines ge-
meinsamen Organs unterwerfen muß, das gewisse Arten der Kon-
kurrenz auf dem Gebiete der Zirkulation einschränkt, indem es
gemeinsame Zahlungstermine und -bedingungen usw. festsetzt, also
die sogenannten „Konditionen" vereinheitlicht. Dann können Ein-
schränkungen festgelegt werden, die sich auf das ökonomische und
betriebliche Verhalten beziehen.
Der Inhalt des Vertrages der monopolistischen Interessengemein-
schaft ist aber schon durch ihren Zweck bestimmt. Dieser ist Profit-
erhöhung durch Preiserhöhung. In einfachster Form wird diese er-
reicht durch eine Preisvereinbarung. Aber die Preise sind nichts
Willkürliches. Sie hängen zunächst ab von Angebot und Nachfrage.
Die bloße Preisvereinbarung wird sich nur durchführen lassen zur
Zeit der Prosperität, wo die Preise steigende Tendenz haben, und
nur in einem beschränkten Umfang. Aber auch dann ist die reine
Preisvereinbarung ungenügend. Der erhöhte Preis reizt zu Produk-
tionserweiterungen. Das Angebot steigt, und schließlich läßt sich
die Preisvereinbarung nicht aufrechterhalten, spätestens bei Ein-
tritt der Depression wird ein solches Kartell gesprengt.
1 Es ist diese Form der Kartelle, die Engels im Auge gehabt hat, wenn
or schreibt: „Die Tatsache, daß die rasch und riesig anschwellenden mo-
dernen Produktivkräfte den Gesetzen des kapitalistischen Warenaustausches,
29/
Soll also das Kartell Bestand haben, so muß der Vertrag weiter-
gehen, er muß ein solches Verhältnis des Angebots zur Nachfrage
bewirken, daß der festgesetzte Preis auf dem Markte auch eingehal-
ten bleibt. Er muß also das Angebot regeln, die Produktion kontin-
gentieren. Die Einhaltung dieser Bestimmungen ist nun zwar im
Interesse des Gesamlkartells, nicht immer aber in dem der einzelnen
Mitglieder, die durch Erweiterung ihrer Produktion ihre Produk-
tionskosten herabsetzen können und daher oft das Bestreben haben,
die Kartellbestimmungen zu umgehen. Die sicherste Gewähr gegen
Umgehung der Bestimmungen aber ist dann gegeben, wenn der
Verkauf der Produkte nicht mehr durch die Mitglieder selbst, son-
dern durch ein zentrales Verkaufsbüro des Kartells besorgt wird.
Aber die Sicherheit der Kontrolle ist nicht die einzige Wirkung
dieser Maßregel. Die direkten Beziehungen des einzelnen Unter-
nehmens zu seinen Kunden sind jetzt für die Dauer der Kartellie-
rung aufgehoben, die kommerzielle Selbständigkeit des Einzelunter-
nehmens damit beseitigt. Das Kartell bindet jetzt seine Mitglieder
nicht mehr durch bloßen Vertrag, dessen Bestimmungen jederzeit
leicht gebrochen oder umgangen werden können, sondern durch eine
gemeinsame ökonomische Einrichtung. Der Austritt aus einem sol-
imierhalb deren sie sich bewegen sollen, täglich mehr über den Kopf
wachsen - diese Tatsache drängt sich heute auch dem Bewußtsein der Kapi-
talisten selbst mehr und mehr auf. Dies zeigt sich namentlich in zwei Sym-
ptomen. Erstens in der neuen allgemeinen Schutzzollmanie, die sich von der
alten Schutzzöllnerei besonders dadurch unterscheidet, daß sie gerade die
exportfähigen Artikel am meisten schützt." (Die Tatsache ist sehr richtig,
aber ihre Erklärung findet sie nur, wenn man den modernen Schutzzoll in
Zusammenhang mit den Kartellen betrachtet.) „Zweitens in den Kartellen
(Trusts) der Fabrikanten ganzer großer Produktionssphären zur Regulierung
der Produktion und damit der Preise und Profite. Es ist selbstredend, daß
diese Experimente nur bei relativ günstigem ökonomischen Wetter durch-
führbar sind. Der erste Sturm muß sie über den Haufen werfen und be-
weisen, daß, wenn auch die Produktion einer Regulierung bedarf, es sicher
nicht die Kapitalistenklasse ist, die dazu berufen ist. Inzwischen haben diese
Kartelle nur den Zweck, dafür zu sorgen, daß die Kleinen noch rascher von
den Großen verspeist werden als bisher." (Marx, „Kapital", III., 1., S. 97,
Anm. 16. [Neuausgabe S. 142. Die Red.J)
298
chen Kartell erfordert erst neue Anknüpfung von Beziehungen zu
den Kunden, Wiederherstellung der alten Absatzwege, Versuche,
die vielleicht auch fehlschlagen können, jedenfalls nur mit Opfern
erkauft werden können. Damit ist zugleich eine größere Festigkeit,
eine längere Dauer des Kartells gewährleistet. Das Kartell, das so
aus einem rein vertragsmäßigen Gebilde durch Aufhebung der
kommerziellen Selbständigkeit der Unternehmungen zu einer kom-
merziellen Einheit wird, nennt man ein Syndikat. Soll aber das
Syndikat möglich sein, so muß es den Abnehmern gleich sein, von
welchem der kartellierten Werke sie kaufen. Das setzt wieder eine
gewisse Gleichartigkeit der Produktion voraus. Diese ist somit Vor-
aussetzung für das Zustandekommen der engeren, dauernden und
strafferen Organisation, wie sie das Syndikat darstellt. Es ist dabei
zu bemerken, daß die Kartellierung von Spezialartikeln überhaupt
schwieriger ist, da die Erzeuger Extraprofit aus der Verwendung
ihrer Spezialmarken, Patente und dergleichen erzielen, der Aus-
schluß der Konkurrenz für sie zunächst weniger wichtig ist. Das ist
erst dann der Fall, wenn die Kartellierung in den Industrien, die
ihnen Rohmaterial liefern, sie gleichfalls zur Kartellierung oder
zur Kombination zwingt. Anderseits sorgt die Kartellierung zu-
gleich für größere Vereinfachung der Produktion.
1 „Das Kartell will Massengut; dessen Qualität, Form, Material usw.
keine erheblichen Differenzen mehr aufweist. Allerdings kann hier ebenso
künstlich nachgeholfen werden, wie dies bei den Warenbörsen geschieht, die
ebenfalls eine gewisse Vertretbarkeit der Waren voraussetzen und deshalb
durch spezielle Usancen festsetzen, welche Eigenschaft eine Ware aufweisen
muß, wenn sie im Börsengeschäft lieferbar sein soll. Die Kartelle erreichen
das gleiche Ziel dadurch, daß sie entweder nur gewisse Standardartikel her-
ausgreifen, von denen der Geschäftsgang in der Branche hauptsächlich ab-
hängt, oder indem sie bestimmte Typen aufstellen, nach denen alle Fabri-
kanten ihre Erzeugnisse anfertigen müssen, so daß dann die Qualitäts-
unterschiede wegfallen. Das internationale Spiegelglaskartell unterwarf bei-
spielsweise der Vereinbarung nur Spiegelglas in der Dicke von 10 bis 15 Milli-
meter.
Das österreichisch-ungarische Bindfadenkartell wiederum hat von allen
/u erzeugenden Sorten Qualitätsmuster aufgelegt und alle Teilnehmer ver-
pflichtet, ihre Waren nur nach diesen Mustern zu erzeugen. Desgleichen hat
29D
Etwas vereinfacht und schematisiert ergähe sich also folgende
Entwicklung des Vertragsinhalts monopolistischer Interessen-
gemeinschaften, wobei natürlich auch die eine oder andere Ent-
wicklungsstufe übersprungen werden kann. Zunächst als loseste
Form, als Vorstufe gleichsam das „Konditionenkartell" (Grunzel).
Darauf folgt die gemeinsame Regelung der Preise; um aber die
Preise einhalten zu können, muß das Angebot entsprechend fest-
gesetzt werden. Die Preisregelung, soll sie nicht etwa unbeständig
und vorübergehend sein, fordert also Festsetzung der Produktion.
Sollen aber keine Umgehungen des Vertrages möglich sein, so wird
dies am sichersten verhindert, wenn der Absatz nicht dem Einzel-
unternehmen überlassen bleibt, sondern von einem gemeinsamen
Organ der Unternehmungen, einem Verkaufsbüro, besorgt wird.
Damit verliert das Unternehmen seine kommerzielle Selbständig-
keit, die direkte Beziehung zu seinen Kunden. Die Einhaltung des
Vertrages ist auch gesichert, wenn die Profite nicht dem Unter-
nehmen, das sie wirklich gemacht hat, zufallen, sondern nach einem
vorher festgesetzten Schlüssel auf die Gesamtheit der Beteiligten
aufgeteilt wird. Ebenso kann der Einkauf der Rohmaterialien ge-
meinsam erfolgen. Schließlich können auch Eingriffe in die tech-
nische Selbständigkeit des Einzelbetriebes erfolgen. Schlecht aus-
gestattete Betriebe können stillgelegt werden, Betriebe für
bestimmte Produkte spezialisiert werden 1 , für die sie, sei es durch
das österreichisch-ungarische Jutekartell für die zu erzeugenden Jutesäcke
bestimmte Typen aufgestellt." Grunzel, „Über Kartelle", Leipzig 1902,
S. 32 ff.
1 Daß- auch Kartelle einen gewissen Einfluß auf die Produktion und
Technik der Betriebe ausüben, beweist zum Beispiel folgende Äußerung von
Schaltenbrand, dem Vorsitzenden des Direktoriums des Deutschen Stahlwerk-
verbandes: „"Wir haben weiter zu prüfen: Wie werden wir bei dauerndem
Bestehen des Verbandes den Absatz leiten können, um ihn möglichst vorteil-
haft zu placieren, welche Arbeitsteilung können wir einführen, um billiger
zu produzieren in der Richtung, daß nicht jedes Werk alle Erzeugnisse zu
produzieren hat?" (Kontrad. Verh., 10. Heft, S. 236.) Weitgehende Arbeits-
teilung in den einzelnen Unternehmungen hat auch das österreichische
Maschinenkartell durchgeführt. Die Profite fließen in die gemeinsame Kasse
und werden quotenmäßig aufgeteilt.
300
ihre technische Einrichtung, sei es durch ihre günstige Lage zu den
Absatzgebieten besonders bevorzugt sind. All dies kann durch Ver-
tragsabschließungen, also in Interessengemeinschaften erfolgen.
Aber eine solche Interessengemeinschaft ist nur mehr durch eine
gewisse Schwerfälligkeit ihrer Organisation unterschieden von der
Fusion. Die Frage Kartell oder Trust als sich ausschließende Gegen-
sätze ist also falsch gestellt. Die Selbständigkeit der Unternehmun-
gen kann auch in Kartellform so sehr eingeschränkt werden, daß
der Unterschied gegenüber dem Trust verschwindet. Die Frage ist
vielmehr, welche Vorteile die Einschränkung der Selbständigkeit
bietet. Insofern die Einschränkung der Selbständigkeit Vorteile
bietet, besitzt sie der Trust von vornherein, während es beim Kar-
tell von der Natur und den Wirkungen des Vertrages abhängt, auf
dem es beruht. 1
Die monopolistische Vereinigung ist ökonomische Herrschafts-
organisation, und die Analogie mit den staatlichen Herrschafts-
organisationen liegt daher nahe. Das Verhältnis von Kartell, Syn-
dikat und Trust findet dann sein Gleichnis in dem Verhältnis von
Staatenbund, Bundesstaat und Einheitsstaat. Die Redeweise, die
das Kartell als „demokratisch" im Gegensatz zum Trust anpreist,
erscheint in ihrer vollen Lächerlichkeit, wenn man sie sich auf den
seligen Deutschen Bund angewendet denkt.
Bei der Preisfestsetzung ist der Trust dem Kartell überlegen. Das
1 Wenn also Grunzel meint (1. c, S. 14), „Kartell und Trust sind nicht
dem Grade, sondern dem Wesen nach sehr verschieden; es ist mir noch kein
Fall bekannt, daß in den drei Dezennien der so lebhaften Kartellbewegung in
Europa die eine Form in die andere übergegangen wäre", so nimmt er eben
die juristische Form für das Wesen. Daß der Übergang vom Kartell zum
Trust nicht häufig ist, beweist eben nur, daß beide Formen denselben Inhalt
haben. Dabei darf nicht übersehen werden, daß die fortschreitende Ein-
schränkung der Selbständigkeit der kartellierten Unternehmungen sie ständig
den Trusts nähert. Die Verschiedenheit der Form hängt aber mit anderen
Umständen zusammen, vor allem mit der Entwicklung des Bankwesens und
seinem Verhältnis zur Industrie und zum Teil mit Eingriffen der Gesetz-
gebung. Die Förderung der Trustform durch die amerikanische Antikartell-
gesetzgebung ist bekannt.
22 Hilferding, Das Finanzkapital
301
Kartell ist gezwungen, bei der Preisfestsetzung auszugehen von dem
Produktionspreis des am teuersten produzierenden Werkes, wäh-
rend für den Trust nur ein einheitlicher Produktionspreis existiert,
in dessen Produktionskosten sich die Kosten besser und schlechter
eingerichteter Betriebe ausgleichen. Der Trustpreis kann so fest-
gesetzt werden, daß die erzeugte Produktenmenge möglichst groß
ist; die Größe des Umsatzes gleicht den geringen Profit auf das
einzelne Stück aus. Der Trust kann ferner die Stillegung minder
rentabler Betriebe viel leichter durchführen als das Kartell. Er kann
bei Einschränkung der Produktion diese nur in den am teuersten
arbeitenden Unternehmungen eintreten lassen und so die Produk-
tionskosten senken und umgekehrt bei Erweiterung die Produk-
tion der technisch vollkommensten Betriebe steigern; das Kartell
muß in der Regel die vergrößerte Produktion gleichmäßig auf seine
Unternehmungen verteilen. So entstehen durch die Preisfestsetzun-
gen des Kartells Extraprofite für die technisch besser eingerichteten
Unternehmungen, die nicht durch die Konkurrenz ausgeglichen
werden, da das Kartell diese ja ausschließt, und die daher den
Charakter einer Differentialrente anzunehmen scheinen. Der
Unterschied gegen die Bodenrente besteht aber darin, daß das
schlechteste Werk keineswegs wie der schlechteste Boden zur Befrie-
digung des Marktes notwendig ist. Es kann ausgeschaltet werden,
wenn seine Produktion an besser eingerichtete Werke übertragen
wird. Da der Kartellpreis aber zunächst aufrechterhalten wird, be-
deutet die Vergrößerung der Produktion für die billiger produ-
zierenden Werke Extraprofit. So wird es profitabel, die Produktion
der teurer produzierenden Werke abzulösen. Die „Differential-
rente" ist aber dann verschwunden, und es existiert nur der hohe
Kartellprofit.
Gerade bei dem Rohstoffkartell ist die Verschiedenheit zwischen
den Produktionskosten bedeutend, weil hier bestimmend in den
Produktionspreis eingeht die Höhe der Boden- (Bergwerks-)rente.
Daher ist hier einerseits die Tendenz zur Stillegung minder ren-
tabler (im spezifischen Sinne des Wortes: geringere Bodenrente ab-
werfender) Betriebe am stärksten, anderseits die Neigung, die Preise
302
hochzuhalten, was wieder relativ stärkere Produktionseinschrän-
kung bedeutet. Das natürliche Monopol erlaubt zugleich, diese
Tendenz durchzusetzen. Die hohen Rohmaterialpreise wirken zu-
rück auf die Preise, damit aber auch auf die Quantität der Produk-
tion der weiterverarbeitenden Industrie.
22'
303
X1I1. Kapitel
DIE KAPITALISTISCHEN MONOPOLE
UND DER HANDEL
Die kapitalistischen Vereinigungen in der Industrie haben auch
eine Rückwirkung auf die Zirkulation und ihre Vermittlung durch
den Handel. Wir sprechen hier vom Handel als spezifischer ökono-
mischer Kategorie, betrachten ihn also losgelöst von den Funktionen
des Wagens und Teilens sowohl als von der Funktion des Trans-
portes. Die Warenproduktion macht den allseitigen Stellenwechsel
der Ware nötig, und dieser vollzieht sich durch Kauf und Verkauf.
Werden diese zu selbständigen Funktionen eines Kapitals, so ist
dieses Kapital Handels- oder kommerzielles Kapital. Es ist klar,
daß durch die Verselbständigung dieser Operationen, die sonst
vom Produzenten selbst vollzogen werden müßten, die Handels-
operationen nicht zu Wert erzeugenden Operationen werden, der
Händler nicht zum Produzenten wird. Die Verselbständigung des
Handels bewirkt aber Konzentration von Kauf und Verkauf, Er-
sparnis an Aufbewahrungs- und Erhaltungskosten usw. Der Handel
bedeutet somit eine Verringerung der sonst nötigen Zirkulation -
kosten und damit eine Verringerung der Unkosten der Produktion.
Aber um den Handel betreiben zu können, ist eine Geldsumme not-
wendig, die in Waren verwandelt werden muß. In der kapitalisti-
schen Gesellschaft nimmt nun jede Geldsumme Kapitalcharakter an.
Sollen die Handelsfunktionen verselbständigt werden, so muß das
im Handel angelegte Geld Kapital werden, also Profit bringen. Es
ist aber klar, daß dieser Profit nicht durch den Handel, durch den
bloßen Prozeß des Kaufens, um zu verkaufen, entsteht, er wird im
Handel nur angeeignet. Die Größe des Profits ist gegeben durch die
304
Größe des Kapitals. Denn in entwickelter kapitalistischer Gesell-
schaft bringt gleichgroßes Kapital gleichen Profit. Dieser Profit
selbst aber ist Abzug von dem in der Produktion erzeugten Profit.
Die Industriellen müssen von dem Profit, den sie in erster Hand
vereinigen, den Kommerziellen einen solchen Teil abtreten, der
genügt, um das für den Handel notwendige Kapital dem Handel
wirklich zuzuführen.
Der Handel, der vor Verallgemeinerung der Warenproduktion,
also vor der kapitalistischen Entwicklung da ist, also — ebenso wie
das Wucher- und Geldhandlungskapital — älter ist als das indu-
strielle Kapital, ist selbst Ausgangspunkt der kapitalistischen Ent-
wicklung. Er vereinigt in sich den größten Teil des Geldreichtums
der Gesellschaft. Er bringt durch den Kredit, immer ein wichtiges
Mittel zur Herstellung kapitalistischer Abhängigkeitsverhältnisse —
vielfach noch in Form von Warenkredit — , die alte handwerksmäßige
Produktion von sich in Abhängigkeit, schafft die ersten Anfänge der
kapitalistischen Hausindustrie auf der einen Seite, die Anfänge der
Manufaktur auf der anderen Seite. Die Entwicklung des industriel-
len Kapitals löst diese Abhängigkeit der Produktion vom Handel
und verselbständigt beide, indem es den Handel isoliert, von der
Produktion loslöst.
Die Entwicklung des Handels selbst wird durch zwei Momente
bestimmt. Einerseits durch die handelstechnischen Bedingungen
selbst. Der Handel sammelt und konzentriert einmal die Produkte
aus den verschiedenen Produktionsstätten und verkauft sie schließ-
lich an den letzten Konsumenten. Je zerstreuter sie wohnen, desto
mehr müssen sich die Verkäufe schließlich zersplittern, nicht nur
quantitativ, sondern auch der Zeit und dem Orte nach. Der Charak-
ter der letzten Verkäufe hängt ab von den Einkommensverhältnissen
der letzten Käufer und von ihrer örtlichen Konzentration, beides
Momente, die von der sozialen Entwicklung und Struktur des Lan-
des abhängen. Gerade handelstechnisch ist die Überlegenheit des
großen gegenüber dem kleinen Betrieb evident. Die Kosten eines
Kaufes und Verkaufes, die Buchführung darüber, wachsen nicht
entfernt mit der Größe der umgesetzten Wertsummen. Die Tendenz
305
zur Konzentration ist damit gegeben. Aber anderseits liegt es in der
Natur des Handels, daß, je näher er dem Konsumenten kommt, sich
die Verkäufe desto mehr örtlich und zeitlich zersplittern. Je nach
dem Stadium der Annäherung an die Konsumtion finden sich so
gewisse Grenzen für die Größe des Betriebes, Grenzen, die durch-
aus elastisch sind, mit dem Grad der Entwicklung eines Landes sich
erweitern, aber immerhin verschiedene Größe des Geschäfts-
umfanges bedingen. In jedem dieser Stadien setzt sich die Tendenz
zum größeren Betrieb durch, aber mit verschiedener Stärke und
Schnelligkeit. Die Notwendigkeit der örtlichen Dezentralisation
wird überwunden durch Filialenbildung eines und desselben großen
Geschäftes. Anderseits erlaubt die Konzentration der Bevölkerung
in den Städten, auch den Detailhandel in großen Warenhäusern zu
konzentrieren. Dies ist jedoch nur die erste Stufe der Konzentration.
Das handelstechnische Bedürfnis verbindet die Warenhäuser selbst
zu großen Einkaufsorganisationen, die große Gruppen von Waren-
häusern vereinigen und sie zum größeren oder geringeren Teil
finanziell beherrschen, während anderseits die enormen finanziellen
Bedürfnisse großer Warenhäuser sie wieder in enge Beziehungen
zu den Banken drängen.
1 Anfang Juli 1908 ging folgende Notiz durch verschiedene Blätter:
Jüngst wurde hekannt, daß die Schweizer Warenhausgruppe Braun in Zürich
unter Beteiligung eines deutschen Konsortiums in eine Kommanditgesell-
schaft umgewandelt worden ist. Daß Warenhäuser „gegründet" werden, ge-
hört nicht mehr zu den seltenen Erscheinungen, die Schweizer Gründung
verdient aus anderen Ursachen allgemeine Beachtung. Die Führung des
deutschen Konsortiums hat die Firma Hecht, Pfeiffer u. Komp. in Berlin,
die zu den bedeutendsten deutschen Exportfirmen zu zählen ist. Dieses Haus
hat sich zu einem Einkauf skonzem für viele Warenhäuser in verschiedenen
Ländern entwickelt. Das Ankommen mit dem Schweizer Warenhaus Braun
geht dahin, daß die Firma Hecht, Pfeiffer u. Komp. ihren gesamten Einkauf
in Zukunft besorgt und auch die Zahlungen für Ankäufe von Braun direkt
leistet. Die Firma unterhält eine weitverzweigte Einkaufsorganisation und
ist im Anfang vorigen Jahres in Interessengemeinschaft mit der Hamburger
Firma M. I. Emdens Söhne getreten, die so eng ist, daß die Firma Hecht,
Pfeiffer u. Komp. auch im Inland jetzt den Einkauf für die an die Emdensche
Zentrale angeschlossenen 200 Geschäfte leitet. Darüber hinaus unterhält die-
506
Zugleich aber mit der Konzentration geht auch im Detailhandel
die Tendenz zur Aufhebung seiner Selbständigkeit vor sich, indem
die Produzenten der Konsumtionsmittelindustrien selbst den Ab-
satz ihrer Produkte besorgen. Diese Entwicklung ist am fort-
geschrittensten dort, wo ein Trust den selbständigen Handel völlig
ausgeschaltet hat, wie zum Beispiel der amerikanische Tabaktrust. 1
ser Konzern auch Beziehungen zu einem New- Yorker Warenhaus, für das
nach Angabe des „Konfektionär" in Deutschland jährlich für etwa 60 Mil-
lionen Mark eingekauft wird. Die wirtschaftliche Überlegenheit der Groß-
warenhäuser, die nicht zuletzt in den Vorteilen besteht, die der Massen-
einkauf ermöglicht, hat zur Gründung von Einkaufszentralen geführt, die
die meisten von ihnen versorgten Geschäfte wohl auch in finanzieller Ab-
hängigkeit erhalten.
1 Siehe die interessante Zusammenstellung bei Algemon Lee, „Die Ver-
trustung des Kleinhandels in den Vereinigten Staaten" ; „Neue Zeit", 27. Jahr-
gang, Bd. 2, S. 654 ff. Die Zigarrenhändler hatten sich, um ihre Unabhängig-
keit zu wahren, in einer Independent Cigar Stores Company genannten
Händlervereinigung organisiert. Der Tabaktrust gründete dagegen die United
Cigar Stores Company mit zwei Millionen Dollar Kapital. „Diese Gesell-
schaft kaufte viele bestehende Detailgeschäfte auf und etablierte viele andere
mit besseren Waren, reicherer Auswahl und entsprechenderem Äußern als
irgendein Konkurrenzgeschäft. Die Preise wurden reduziert und zuletzt ein
Prämiensystem eingeführt, das der Gesellschaft dauernde Kundschaft
sicherte. Der Kampf währte nicht lange. Innerhalb eines Jahres war die
Independent Cigar Stores Company gezwungen, zu den vom Trust diktierten
Bedingungen an die United Cigar Stores Company auszuverkaufen. Mit ihrer
Opposition hatten die Kleinhändler nur ihr Schicksal beschleunigt . . . Auch
besteht nicht der geringste Zweifel, daß der Trust auf dem eingeschlagenen
Wege bleiben wird, wahrscheinlich sogar mit beschleunigterem Tempo, bis
er alles im Detailhandel dieses Industriezweiges Besiegenswerte besiegt hat."
Lee berichtet dann über die Konzentration im Detailhandel mit Kaffee,
Tee, Milch, Eis, Brennmaterialien, Spezereien usw. und faßt die Konzen-
trationstendenzen schließlich treffend folgendermaßen zusammen: „Die Kon-
zentration geht vor sich und die Klasse der unabhängigen Kleinhändler ver-
liert festen Boden nach folgenden fünf verschiedenen, jedoch zum selben
Ziele führenden Bichtungen hin:
1. Einige der industriellen Trusts dehnen, nachdem sie die Oberherr-
schaft in der Produktion erlangt haben, ihre Operationen auf das Gebiet des
Kleinhandels aus, verdrängen den kleinen Kaufmann vollständig und setzen
ihre Produkte direkt an die Konsumenten ab.
307
Anderseits findet diese Konzentrationsbewegung auch Hinder-
nisse, die sie verlangsamen. Ein Handelsbetrieb kleineren Umfanges
ist leicht zu eröffnen, je kleiner, desto leichter, zumal hier die Kredit-
gewährung, da es sich nur um Kredit für Warenkapital handelt, ver-
hältnismäßig ausgedehnt ist, namentlich dann, wenn diese Kredit-
gewährung von Seiten des Produzenten erfolgt, für den sie ein Kon-
kurrenzmittel im Kampf um den Absatzmarkt ist. In diesen Kleinbe-
trieben herrscht eine niedrige Profitrate, die diesenHändler zu einem
bloßen Agenten des Kapitalisten macht, dessen Produkte er absetzt.
An seiner Verdrängung besteht kein starkes ökonomisches Interesse.
2. Einige der großen Produktionsgesellschaften benutzen zwar noch den
Kleinhändler, um ihre Waren an die Konsumenten zu bringen, behandeln ihn
aber eher als Agenten denn als unabhängigen Kaufmann.
3. In den Großstädten haben die Warenhäuser schon einen großen Teil
des Kleinhandels den Weinen Kaufleuten entzogen, und dieser Prozeß macht
immer größere Fortschritte; manche dieser Läden repräsentieren ein Kapital
von Hunderttausendeu oder selbst Millionen Dollar, vielfach gehören mehrere
einer einzigen Gesellschaft, und der Anfang ist bereits gemacht, um das Prin-
zip der Konzentration auf dem Gebiete der Warenhäuser in noch verstärk-
terem Maße zum Ausdruck zu bringen. Sie werden dadurch in engere Be-
rührung mit den einzelnen Gruppen der Hochfinanz, des Großhandels und
der industriellen Trusts gebracht.
4. Die großen Geschäftshäuser, welche ihre Aufträge ausschließlich oder
fast ausschließlich per Post empfangen, schädigen in den Landdistrikten das
Gebiet des Kleinhändlers in demselben Maße, wie die Filialen dies in den
Slädten tun; die enorme Entwicklung des Telefons und der Straßenbahnen
sowie die Ausdehnung der freien Poslablieferung auf dem Lande haben die-
sem Handelsgebiet ein weites Feld geöffnet, und in vielen Fällen gehören
diese Postversandgeschäfte derselben Gesellschaft, die in der Stadt eine oder
mehrere Filialen hat.
5. Innerhalb der Reihen der Kleinhändler selbst arbeitet die Konkurrenz
darauf hin, daß das Konzentrationsprinzip in verschärftem Maße zur Geltung
kommt, genau wie sie es zu Beginn der kapitalistischen Ära auf industriellem
Gebiet getan hat. Manche Kaufleute wissen sich irgendeinen Vorteil vor ihren
Konkurrenten zu sichern, werden dadurch in den Stand gesetzt, ihr Geschäft
zu vergrößern, wodurch ihnen neue Vorteile erwachsen, und verkleinern so-
mit das Geschäftsgebiet ihrer Konkurrenten."
Vgl. auch Werner Sombart, „Der moderne Kapitalismus", II. Bd., 22. Ka-
pitel: „Die Bestrebungen zur Ausschaltung des Detailhandels".
308
Neben diesen handelstechnischen Momenten, die eine Rolle spie-
len, wo es sich um Produkte handelt, die an den letzten Konsumen-
ten direkt abzusetzen sind - also in dem Detailhandel -, spielt aber
die Rückwirkung der industriellen Verhältnisse dort eine Haupt-
rolle, wo es sich um den Warenumsatz zwischen den industriellen
Kapitalisten selbst und zwischen diesen und den Großhändlern
handelt. Und hier wirkt die industrielle Konzentration zurück auf
die Entwicklung des Handels, der sich ihr anpassen muß. Je konzen-
trierter die industriellen Betriebe, desto größer ihre Produktion,
desto kapitalkräftiger müssen auch die Händler sein, die diese Pro-
duktion umsetzen. Ferner: je geringer mit wachsender Konzen-
tration die Zahl der industriellen Betriebe, desto überflüssiger
werden überhaupt die Händler, desto einfacher muß es erscheinen,
daß die großen konzentrierten Produktionsstätten direkt mitein-
ander in Verbindung treten, olme Dazwischenkunft eines selb-
ständigen Händlers. Die Konzentration in der Industrie bewirkt
so nicht nur Konzentration, sondern auch Überfiüssigmachung des
Handels. Es geschehen weniger Umsätze, da der Einzelumsatz
großer wird, und bei diesen Umsätzen wird die Dazwischenkam ft
eines selbständigen Kapitalisten immer häufiger ausgeschaltet. Da-
mit wird aber auch ein Teil des im Handel befindlichen Kapitals
überflüssig und kann aus der Zirkulationssphäre verschwinden.
Das im Handel befindliche Kapital ist zunächst gleich dem Wert
des gesellschaftlichen Jahresprodukts, gebrochen durch die Um-
schlagszahl des kommerziellen Kapitals, multipliziert mit der An-
zahl von Zwischenstadien, die es durchläuft, bis es zum letzten Kon-
sumenten kommt. Aber dieses Kapital ist nur rechnungsmäßig so
groß. Der größte Teil dieses Kapitals besieht nur in Kredit. Das
Kaufmannskapital dient ja nur zur Warenzirkulation; wir wissen
;,ber bereits, daß diese zum größten Teil vollführt werden kann
olme Zuhilfenahme von wirklichem Geld. Es ist gegenseitiger
Kredit, der von den produktiven Kapitalisten einander gegeben wird
und sich gegenseitig ausgleicht. Das wirkliche Kaufmannskapttal
ist viel geringer, und nur davon erhält der Kaufmann Profit. Der
Profit des Industriellen isL abhängig von dem gesamten Kapital,
309
ganz gleich, ob es dem Industriellen gehört oder ob es ihm kreditiert
ist, denn es ist Produktionskapital. Der Profit des Kaufmanns hängt
nur ab von dem wirklich verwandten Kapital, denn dieses ist nicht
Produktionskapital, sondern vollzieht nur die Funktionen von Geld-
und Warenkapital. Der Kredit bedeutet hier nicht eine bloße Eigen-
tumsscheidung und damit eine Teilung des Profits, sondern eine
absolute Verringerung des Kapitals und damit des auf die kommer-
zielle Klasse entfallenden, von den industriellen Kapitalisten an
diese zu zahlenden Profits. Der Kredit vermindert hier direkt die
Unkosten der Zirkulation ebenso wie etwa das Papiergeld.
Der Handelsprofit ist aber ein Teil des in der Produktion erzeug-
ten gesamten Mehrwertes. Je größer der Teil ist, der dem Handels-
kapital zufällt, desto geringer unter sonst gleichen Umständen der
Anteil der Industriellen. Es besteht also ein Interessengegensatz
zwischen Industrie- und Handelskapital.
Aus diesen entgegengesetzten Interessen entspringt ein Kampf,
der schließlich mit der Überwindung des einen Teiles endet durch
Entstehung kapitalistischer Abhängigkeitsverhältnisse. In diesen
Interessenkämpfen des Kapitals entscheidet die größere oder gerin-
gere Kapitalsmacht. Diese ist jedoch nicht bloß quantitativ zu
fassen. Wir sehen in der ganzen bisherigen Darstellung, daß auch
die Form des Kapitals von Bedeutung ist. Verfügung über Geld-
kapital gibt unter sonst gleichen Verhältnissen die größte Über-
macht, weil die Industriellen sowohl als die Kommerziellen mit der
Entwicklung des Kreditwesens immer mehr auf das Geldkapital an-
gewiesen sind. So vollzieht sich auch das Abhängigwerden von Indu-
strie und Handel in verschiedenen Formen.
Solange freie Konkurrenz herrschte, konnte der Handel den
Konkurrenzkampf unter den Industriellen zu seinem Vorteil aus-
nützen. Dies besonders in jenen Industriezweigen, wo die Produk-
tion noch verhältnismäßig stark zersplittert, die Konzentration im.
Handel bereits stärker fortgeschritten war. In demselben Sinne
wirkten auch die Kreditverhältnisse. Solange der Kredit noch vor-
wiegend Zahlungskredit war, die Banken vor allem für das Kauf-
mannskapital Kredit zur Verfügung stellten, war auch die fman-
310
zielle Überlegenheit öfter auf Seite der Händler. Sie benützten diese
Überlegenheit, um beim Einkauf auf die Preise der Produzenten
zu drücken und ihnen Lieferungs- und Zahlungsbedingungen auf-
zuerlegen, die ihnen erlaubten, von den Vorteilen der Hochkonjunk-
tur den Rahm abzuschöpfen und die Verluste der Depression zum
Teil auf die Produzenten abzuwälzen. Es ist die Zeit, in der
die Klagen der Industriellen über die Diktatur der Kaufleute
immer aufs neue laut werden. Das Vorgehen der Händler dient
den Industriellen dann später als einer der Rechtfertigungs-
gründe für den Abschluß von Kartellen. Dies ändert sich gründlich
mit der Änderung des Verhältnisses der Banken zur Industrie
und dem Entstehen der kapitalistischen Vereinigungen in der
Industrie.
Die partiellen industriellen Vereinigungen vermindern zunächst
denHandel. Die kombinierten direkt, indem sie Handelsoperationen
überhaupt überflüssig machen. Die homogenen wirken wie die
Konzentration in der Industrie überhaupt. Die monopolistischen
Vereinigungen aber haben die Tendenz, die Selbständigkeit des
Handels völlig aufzuheben. Wir haben gesehen, daß eine wirkliche
Kontrolle über den Markt erst dann möglich ist, wenn die Waren
von einer Zentralstelle aus verkauft werden. Aber diese muß, um
die Produktion in ihrem Industriezweig regeln zu können, die
jeweilige Größe des Absatzes beurteilen können. Zudem ist die
Größe der Konsumtion immer abhängig von der Höhe der Preise.
Die Preisfestsetzung muß also bis zum letzten Stadium von der
monopolistischen Vereinigung aus geschehen, sie darf nicht von ihr
unabhängigen Faktoren überlassen werden. Dies sind aber zunächst
die Händler. Die Ausnutzung der Marktlage, der Hauptvorteil des
Kartells, würde zu einem großen Teil den Händlern zufallen, wenn
ihnen die spezifischen Handelsoperationen überlassen würden, wozu
ja auch die Preisfestsetzung gehört. Sie könnten spekulativ die Pro-
dukte aufhäufen und — namentlich bei günstiger Konjunktur — zu
höheren Preisen verkaufen. Dies hätte einerseits Einschränkung der
Produktion zur Folge, für die das Kartell nicht durch den höheren
Profit entschädigt würde, anderseits aber würde die Kartelleitung
311
auch den Markt falsch beurteilen, wenn sie diese spekulative, viel-
leicht irrige Händlernachfrage allein zum Maßstab ihrer Produk-
tion machen müßte. Die monopolistische Vereinigung wird also die
Tendenz verfolgen, die Selbständigkeit des Handels aufzuheben.
Nur dann wird das Kartell seinen Einfluß auf die Preisfestsetzung
voll ausnützen können.
Wir haben aber gesehen, daß die Kartellierung bereits eine innige
Verbindung von Industrie und Bankkapital darstellt; in der Regel
wird das Kartell über die größere Macht verfügen. Es wird dann
dem Handel seine Gesetze diktieren können. Der Inhalt dieser Ge-
setze wird aber dahin gehen, dem Handel seine Selbständigkeit zu
nehmen, ihm die Preisfestsetzung zu entziehen. Die Kartellierung
wird also den Handel als Anlagesphäre des Kapitals aufheben. Sie
schränkt die Handelsoperationen ein, beseitigt einen Teil derselben
und vollzieht den übrigen Teil durch eigene Lohnarbeiter, Verkaufs-
agenten des Kartells. Dabei kann sehr wohl ein Teil der bisherigen
Händler zu solchen Verkaufsagenten gemacht werden. Das Kartell
schreibt ihnen dann genau die Einkaufs- und Verkaufspreise vor,
deren Differenz die Provision dieser „Händler" bildet. Die Höhe
dieser Provision ist aber nicht mehr bestimmt durch die Höhe des
Durchschnittsprofits, sie ist ein Lohn, den das Kartell festsetzt.
Wenn aber die kapitalistischen Machtverhältnisse anders liegen, so
wird sich auch das Verhältnis von Handel und Kartell etwas anders
gestalten können. Es ist möglich, daß die Bedingungen für die Kon-
zentration im Handel günstiger waren als in der Industrie. Dann
steht einigen wenigen Händlern eine Anzahl verhältnismäßig
kapitalschwacher Unternehmungen gegenüber, die für den Absatz
ihrer Produkte auf diese Händler angewiesen sind. Die Händler
können dann ihre Kapitalskraft benutzen, um durch finanzielle Be-
teiligung an diesen Unternehmungen einen Teil ihres Kapitals als
industrielles Kapital anzuwenden. Die Abhängigkeit der Industrie
können sie dazu benutzen, um diese Unternehmungen zu zwingen,
billiger an sie zu verkaufen. Sie erhöhen so ihren kommerziellen
Profit auf Kosten des industriellen. Solche Abhängigkeitsverhält-
nisse entwickeln sich in neuester Zeit ziemlich rasch in gewissen
Konsumtionsmittelindustrien, die an ein großes kapitalistisches
Warenhaus verkaufen.
Es sind Abhängigkeitsverhältnisse, die auf höherer kapitalisti-
scher Stufenleiter den Vorgang widerspiegeln, der zur Entstehung
kapitalistischer Hausindustrie geführt hat, wobei der Kaufmann
den Handwerker verlegte. Aber ähnliche Verhältnisse können sich
auch mitunter vorfinden in Industrien, die kartellfähig sind. Hier
kann das Handelskapital, das vielleicht an einer ganzen Reihe sol-
cher Unternehmungen beteiligt ist, dann eine analoge Rolle spielen
wie sonst das Bankkapital.
In diesen Fällen nehmen dann die Händler direkt teil an dem
Kartell. Sie tun dies aber, weil sie in der Tat schon vorher in Form
von finanziellen Beteiligungen auch an der Produktion beteiligt
waren. 1 Sachlich wird dadurch nichts geändert. Auch hier verliert
der Handel den Einfluß auf die Preisfestsetzung, er hört auf, der
1 Für die Organisation des böhmischen Braunkohlenhandels ist es charak-
teristisch, daß der Verkaufskommissionär zugleich Bergwerksbesitzer und
Anteilseigner der von ihm vertretenen Gesellschaften ist. Die beiden Kohlen-
kommissionsfirmen J. Petschek und Ed. J. Weinmann haben in Aussig Or-
ganisationen gebildet, „welche den Vertrieb der Braunkohle für die großen
höhmischen Gesellschaften besorgen . . . Auch in Aussig waren die beiden
Kohlenfirmen ursprünglich nur die Zwischenhändler. In diesem Verhältnisse
griff am Beginne der neunziger Jahre eine Änderung Platz, welche von der
mächtigen Entwicklung der Brüxer Bergbaugesellschaft ihren Ausgang
nahm. Den Verschleiß für diese Gesellschaft hatte seit alters her die Firma
Weinmann. Die Brüxer Gewerkschaft erwarb zu sehr billigen Preisen die
mundierten Ossegger Schächte und schwang sich hierdurch zum ersten "Unter-
nehmen der böhmischen Braunkohlenindustrie auf. Inzwischen hatte sich ein
Besitawechsel in den Brüxer Aktien vollzogen; die Majorität war an ein
Syndikat unter Führung der Firma Petschek übergegangen, und als Ausdruck
der geänderten Machtverhältnisse wurde der Kohlenverschleiß an diese Firma
übertragen. So war ein neues Verhältnis geschaffen; der Kohlenkommissionär
war auch Großaktionär des Unternehmens, er schloß die Verkaufsverträge
gleichsam mit sich selbst ab und hatte auf Geschäftsführung und Produktion
den entscheidenden Einfluß. Den gleichen Weg mußte auch die Konkurrenz-
firma einschlagen; auch sie wußte sich durch Aktienbesitz einen maßgeben-
den Einfluß und ein dauerndes Interesse an den von ihr vertretenen Unter-
nehmungen zu schaffen." („Neue Freie Presse" vom 25. Februar 1906.)
312
313
Markt für die Industriellen zu sein, die jetzt direkt mit den Kon-
sumenten in Verbindung treten.
Die monopolistische Vereinigung bewirkt so eine Ausschaltung
des selbständigen Handels. Sie macht einen Teil der Handels-
operationen vollständig überflüssig und verringert die Unkosten für
den Rest.
In derselben Richtung wirkt auch die Verringerung jener Zirku-
lationskosten, die aufgewendet werden, um den Konsumenten
speziell für das Produkt eines bestimmten Unternehmens zu ge-
winnen auf Kosten des Absatzes anderer Unternehmungen. Diesem
Zweck dienen vor allem die Ausgaben für Reisende, soweit ihre
Zahl durch Zersplitterung der Produktion in die einzelnen Unter-
nehmungen bedingt ist, und die Ausgaben für Reklame. Diese Aus-
gaben stellen Unkosten der Zirkulation dar. Für den einzelnen
Unternehmer bringen sie Profit, sofern es ihm gelingt, seinen Um-
satz über das sonst mögliche Maß hinaus zu steigern. Aber dieser
Profit ist der Verlust der anderen Unternehmer, auf deren Kosten
er seinen Umsatz vergrößert hat. Für die Produktionssphäre stellen
sie einen Abzug von dem sonst auf sie entfallenen Profit dar. Die
Kartellierung verringert diese Kosten ganz außerordentlich, be-
schränkt die Reklame auf die bloße Bekanntmachung und die
Reisenden auf jene Zahl, die zur Bewegung der überdies verringer-
ten, vereinfachten und beschleunigten Handelsoperationen nötig
Sind.
Eine eigentümliche Entwicklung zeigt sich in Österreich. Hier
hat sich der eigentliche kapitalistische Großhandel aus historischen
Ursachen nur unvollkommen entwickelt. In Sphären, die Massen-
güter produzieren, und besonders dort, wo auch die Spekulation eine
Rolle spielt, wie zum Beispiel im Zuckerhandel, hat die Bank die
Funktionen des Großhandels übernommen. Das Bankkapital konnte
das um so leichter, als ja dadurch nur geringe Mengen von Kapital
festgelegt wurden. Das Bankkapital ist dann sowohl als Händler wie
als Kreditgeber an der Kartellierung interessiert. In Österreich ist
daher der direkte und bewußte Einfluß des Bankkapitals auf die
Kartellierung am leichtesten nachzuweisen. Die Bank behält dann
auch weiter die Verkaufsfunktionen für das Kartell und bezieht
dafür eine feste Provision. In neuerer Zeit zeigen sich auch in
Deutschland ähnliche Tendenzen. So hat der Schaaffhausensche
Bankverein eine eigene Warenabteilung für den Verkauf kartellier-
ter Produkte errichtet. 1
Resultat des ganzen Prozesses ist also eine Verminderung des
1 So bezeichnet die „Neue Freie Presse" (18. Juni 1905) die Übernahme
einer großen Prager Zuckerfirma durch die Kreditanstalt als symptomatisch
und fährt dann fort:
Der Zuckerhandel ist diesen Bestrebungen fast gänzlich zum Opfer ge-
fallen. Noch zu Beginn der neunziger Jahre war der Vertrieb der meisten
böhmischen Zuckerfabriken die Domäne der reichen Prager Zuckerkaufleute,
die aus der Vermittlung des Absatzes für die Rechnung der Erzeuger einen
ansehnlichen Nutzen zogen, vielfach auch das Geschäft für eigene Rechnung
pflegten und durch ihre großen Abschlüsse sowie durch die Verbindung mit
den ausländischen Märkten eine spezifische Erscheinung des Platzes bildeten.
Das Zuckergeschäft der Banken beschränkte sich auf den kommissionsweisen
Verkauf für die eigenen Fabriken und auf die Kreditgewährung im Rahmen
der normalen Banktätigkeit. Im Laufe des letzten Jahrzehnts sind manche
dieser privaten Zuckerfirmen ganz zurückgetreten oder an die Banken über-
tragen worden, andere haben ihr Geschäft notgedrungen sehr eingeschränkt,
und von den früheren Magnaten des Zuckerhandels ist nur eine einzige große
Handelsfirma in Prag zurückgeblieben, die jetzt noch dreizehn Zucker-
fabriken vertritt und jährlich viele Hunderttausend Meterzentner der weißen
Ware umsetzt. Die allergrößten privaten Zuckerfabriken, die ihre Produktion
auf beide Reichshälften ausdehnen, nehmen die Vermittlung beim Absatz
gar nicht in Anspruch, sondern besorgen sich den Großverkauf selbst. Die
mittleren und kleineren Unternehmungen sind in mehr oder minder innige
Verbindung mit den Banken getreten, welche ihnen die nötigen Kredite ge-
währen, die Ware für sie an den Export sowie den Kleinhandel im Inlande
verkaufen, vielfach aber selbst das volle Risiko des Zuckerabsatzes über-
nehmen. So ist der ehemals große und reiche Zwischenhandel in Zucker ganz
aus seiner Stellung hinausgedrängt worden, und zwei Dritteile des Absatzes
der böhmischen Zuckerfabriken nehmen ihren Weg durch die Zucker-
abteilungen der Prager Institute (die aber meist nur Füialen der Wiener
Banken sind).
Ihren Ausgang hat diese Umbildung des Zuckerhandels von der Kredit-
gewährung und von der Errichtung neuer Zuckerfabriken gefunden. In den
achtziger und neunziger Jahren sind in Böhmen und Mähren zahlreiche
neue Fabriken, darunter die großen Exportraffinerien an der Elbe, ent-
314
315
kommerziellen Kapitals. Ist aber das Kapital verringert, so auch
der darauf entfallende Profit, der, ■wie wir wissen, ein Abzug des indu-
striellen Profits ist. Diese Verringerung des Handelskapitals ist
eine Verringerung von Unkosten. Wie wirkt das auf die Preise?
Der Preis des Produkts ist bestimmt durch den Kostpreis plus dem
Gesamtprofit. Die Teilung dieses Profits in Unternehmergewinn,
standen; sie wurden zumeist mit fremdem Kapital gebaut, und die Banken,
welche die nötigen Mittel aufbrachten, bedangen sich die Übertragung des
kommissionsweisen Verkaufs des Produkts der neuen Erzeugungsstätten aus.
Namentlich waren die kleinen und mittleren Rohzuckerfabriken, die seit dem
Abschluß des Kartells wie Pilze aus dem Boden emporschössen, vielfach mit
ungenügendem Kapital fundiert und deshalb ganz auf ihre Kreditgeber an-
gewiesen. Aber auch bestehende Etablissements bedurften zu ihrer Moderni-
sierung und Erweiterung großer Mittel und traten zu den Geldquellen in
ein näheres Verhältnis, das zumeist auch auf die Übertragung des ganzen
Vertriebes hinauslief. So haben die Prager Filialen der Wiener Banken, aber
auch einzelne Lokalinstitute im Zuckergeschäft festen Fuß gefaßt und dort-
hin den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit verlegt. Die Länderbank vertritt fünf-
zehn Fabriken . . . Die Anglobank besorgt den kommissionsweisen Verkauf
von elf Rohzuckerfabriken; bei der Kreditanstalt ist die geschäftliche Ab-
wicklung für fünf große Unternehmungen konzentriert; die Zivnostenska
Banka ist die Verkaufsstelle für zahlreiche ländliche Zuckerfabriken. Die
Banken kaufen den Rohzuckerfabriken ihre Erzeugung ab und übertragen
sie an die Raffinerien; sie übernehmen ferner von den Raffinerien die weiße
Ware zur Placierung an den inländischen und ausländischen Verkaufsstellen.
Als im Laufe der Jahre der Export eine immer größere Bedeutung für die
österreichischen Fabriken gewann, nahm auch die Tätigkeit der Banken
einen anderen Charakter an. Die Ausfuhr bedang ein fortwährendes Ope-
rieren auf den verschiedenen auswärtigen Märkten, die bescheidene Provision
aus dem Kommissionsgeschäfte trat mehr in den Hintergrund gegenüber den
großen Gewinnen aus den Arbitragen und spekulativen Transaktionen . . .
Mit dem internationalen Geschäft war aber der Handel auf eigene Rechnung
eng verbunden, da die wenigsten inländischen Fabrikanten in der Lage waren,
solche oft notwendigerweise auf längere Zeit ausgedehnte Operationen auf
sich zu nehmen. So trat als letztes Glied in den Zuckerhandel die feste Über-
nahme durch die Banken; die Fabriken verkauften ihr Produkt an ihre Bank-
verbindung, die ihrerseits den Nutzen durch die möglichst günstige Ver-
wertung auf den Märkten des Inlandes und Auslandes suchte. Der Handel für
eigene Rechnung ist gewiß noch nicht die allgemeine Regel, und einzelne
ängstliche Institute halten sich von ihm prinzipiell zurück; neben dem
316
Zins, Handelsprofit und Rente läßt den Preis vollständig unberührt.
Daß das Kartell jetzt an Stelle des Händlers getreten, daß ein Teil
der Handelsoperationen fortgefallen ist, bedeutet nur, daß der
Industrielle jetzt keinen Teil seines Profits mehr an die Kommer-
ziellen abzutreten hat. Der Preis des Gesamtprodukts bleibt für den
Konsumenten derselbe. 1 Die Zirkulationsunkosten bildeten einen
kommissionsweisen Verkaufe nimmt er aber bereits einen großen Raum ein,
und es ist nicht zu leugnen, daß sich die geschäftliche Entwicklung in dieser
Richtung bewegt.
Ein größeres Warengeschäft haben noch jene Banken, welche mit Kar-
tellen in inniger Verbindung stehen und den Vertrieb für die von ihnen
kontrollierten Industrien leiten. So hat die Länderbank den Verkauf für
das Kartell der Zündhölzchenfabriken, der Sirupfabriken, der Emailgeschirr-
fabriken, der Buntpapierfabriken, der Stärkefabriken und einzelner chemi-
scher Industrien, der Bankverein steht zu den Pappendeckelfabriken in ähn-
lichen Beziehungen, auch die Kreditanstalt hat den Verkauf für die ver-
einigten Messingwerke inne. Es sind dies durchwegs nur Kommissions-
beziehungen, die keinen engeren Handel bergen: durch die Kartellierung und
Konzentrierung des Absatzes im Zentralverkaufsbüro ist aber doch der
Zwischenhandel aus diesen Positionen verdrängt worden. Der Nutzen im
Warenkommissionsgeschäft ist durch die Konkurrenz der Banken geringer
geworden und erreicht nur mehr eine mäßige Quote der früheren ansehn-
lichen Provisionen. Die Schmälerung der Gewinne aus dem regulären Bank-
geschäft hat bei einzelnen Instituten, die Warenabteilungen besitzen, den
Gedanken angeregt, den Proprehandel in Waren in stärkerem Maße zu
pflegen, und manche Anzeichen deuten darauf hin, daß in dieser Richtung
neuerliche Versuche zur Ausgestaltung des Geschäftes unternommen werden
dürften.
Im einzelnen können Preisverschiebungen erfolgen je nach dem ver-
schiedenen Verhältnis von Industrie- und Handelskapital in den einzelnen
Sphären. Gesetzt, in einer Sphäre, zum Beispiel im Maschinenbau, sei das
Produktionskapital gleich 1000, das Handelskapital gleich 200. Bei einer
Durchschnittsprofitrate von 20 Prozent werden 40 Handelsprofit gemacht.
Der Preis für den Konsumenten ist gleich 1000 + 200 (der Preis, um den die
Industriellen ihr Produkt an den Kaufmann absetzen) plus 240 (die dem
Kaufmann sein Kapital plus Profit ersetzen), also im ganzen gleich 1440. In
der Textilindustrie entfalle aber auf ein Produktionskapital von 1000 ein
Kaufmannskapital von 400. Der Preis des Produkts wäre dann 1680, Gesetzt
den Fall, es gelänge dem Kartell, in beiden Fällen das Handelskapital aus-
zuschalten und die Handelsunkosten auf die Hälfte zu reduzieren, so würden
23 Hilferding, Das Finanzkapital
317
Abzug vom Profit, die Verringerung dieser Kosten bedeutet, daß
der industrielle Profit, der Unternehmergewinn, um den Betrag
steigt, der durch die Verminderung der Handelskosten frei geworden
ist. Es ist nur der Aberglaube an den Veräußerungsprofit, der
Glaube, daß der Händler Profit macht einfach durch einen Auf-
schlag auf seinen Kostpreis, der bei manchen Schriftstellern die
Hoffnung weckt, die Verringerung der Handelskosten könnte
irgendwie den Preis der Produkte für den Konsumenten senken.
Die Verringerung der Handelsoperationen bedeutet auch das
Freiwerden von bisher in der kommerziellen Sphäre beschäftigtem
Kapital, das nun nach neuer Verwertung sucht. Unter Umständen
kann dies den Drang nach Kapitalexport verstärken.
die Maschinenbauer auf das Kapital von 1100 einen Profit von 540, die
Textilfabrikanten auf ihr Kapital von 1200 einen solchen von 480 machen.
Die Ungleichheit der Profitraten kann zu Ausgleichsvorgängen führen, die
dann in Preisveränderungen erscheinen. Was aber die Konsumenten der
Textilprodukte gewännen, würden die Maschinenkäufer verlieren. Im all-
gemeinen wird aber diese Ausgleichung infolge der Kartellierung nur
schwierig und unvollständig erfolgen.
Anders steht die Sache, wenn der selbständige Handel durch Konsum-
vereine, Großeinkaufsgesellschaften, landwirtschaftliche Einkaufsgenossen-
schaften usw. ersetzt wird. Dies bedeutet nur, daß an die Stelle der Aktion
der Handelskapitalisten die der organisierten Konsumenten selbst tritt,
denen daher auch der Handelsprofit zufällt. Zugleich bedeutet die vermehrte
Konzentration Ersparung von Zirkulationsunkosten.
1 Der Großhändler Engel sagt ganz richtig: „Das Streben des Syndikats
geht dahin, zu monopolisieren und den Großhandel einfach auszuschließen.
Der Verleger kauft natürlich dadurch nicht billiger; denn wenn nicht so
gerechnet würde: den Nutzen, den der Großhandel hat, will ich als Fabrik,
als Syndikat selbst hahen — dann hätte die ganze Bewegung keinen Zweck."
„Kontradiktorische Verhandlungen über den Verband deutscher Druckpapier-
fabriken", Heft IV, S. 114.
Dasselbe gilt zum Beispiel auch vom Kohlensyndikat. Es „benützt diese
Monopolisierung des Speditions- und Großhandelsgeschäftes auch, um ohne
eine ausdrückliche Erhöhung der Kohlenpreise durch Steigerung der Schlepp-
und Transportlöhne die kleinen Konsumenten zu besteuern beziehungsweise
dafür zu sorgen, daß die höheren Preise, die diese bezahlen müssen, nicht wie
bisher dem Handel, sondern den Produzenten zugute kommen". Liefmann,
„Kartelle und Trusts", S. 98.
318
Daß die Kartelle aber der Form nach den Handel beibehalten
hegt in ihrem eigenen Interesse. Kirdorf, der Gebieter des Kohlen-
syndikats, sagt darüber: „. ..Will man zu den untersten Quellen
des Verbrauchs gehen, bis zum einzelnen Abnehmer, so muß man
einen gewaltigen Apparat haben; dann kommen die erhöhten Ver-
waltungskosten, die den Vorteil des Preises durch direkte Lieferung
entschieden übersteigen, und man bekommt einen so teuren Be-
tneb, daß er nicht zu ertragen ist, und ein so umfangreiches
heamtenpersonal, daß man es nicht mehr übersehen und kontrol-
lieren kann. Deshalb ist und bleibt der solide Zwischenhandel in
einem gewissen Umfange eine absolute Notwendigkeit und kann
niemals ausgeschaltet werden." 1
In der Tat aber handelt es sich nicht mehr um Händler, Kauf-
leute, sondern um Agenten der Syndikate, deren Selbständigkeit
ebenso fiktiv ist wie die des Hausindustriellen, der selbständiger
Meister tituliert wird. Nur daß, während die Hausindustrie durch
technische Änderung der Produktion von einem gewissen Punkte an
unrentabel wird, dies beim Handel weniger in Betracht kommt.
Ob fix entlohnter Agent oder „selbständiger" Kaufmann, der in
Wirklichkeit auf eine Provision gesetzt ist, deren Schwankungen
durch territoriale Abgrenzung des Verkaufsgebietes und die Fest.
Setzung der vom Syndikat beherrschten Preisdivergenzen so gering
«md, daß im Effekt das Einkommen des Händlers ziemlich das-
selbe ist wie das eines Agenten, macht ökonomisch keinen Unter-
schied. Die Fiktion der Selbständigkeit, die durch die andere Ent-
ohnungsart - und in diesem Falle handelt es sich um Lohn, das
Einkommen des „Kaufmannes" besteht aus dem Profit auf sein
Kapital und dem Lohn, den das Syndikat einem Agenten zahlen
mußte - geschaffen wird, erspart aber dem Syndikat Überwachungs-
kosten oder Kontrollausgaben, etwa wie der Akkordlohn gegenüber
dem Zeitlohn. Im übrigen wird bei solchem Handel das nötige
kapital außerordentlich reduziert; das Eigenkapital des Händlers
-raucht nur gering zu sein, da die Stetigkeit der Kartellpreise und
das_ortliche Monopol jedes Risiko vermindern. Diese Umsätze
„Kontradiktorische Verhandlungen", I. S. 236.
319
können also hauptsächlich mit Kredit erledigt werden, indem der
Händler das Geld für die Bezahlung zum größten Teil kreditiert
bekommen kann; für diesen Teil des Kapitals ist nur Zins zu ent-
richten. Das Syndikat hat nur das Interesse, die Zahl der Händler
zu verringern, da sein eigener Absatz.dadurch vereinfacht wird, und
die Provision in der Tat dem Arbeitslohn für die kaufmännische
Tätigkeit, die als hochqualifiziert gewertet wird, anzunähern. Wie
weit diese Fiktion der Selbständigkeit dabei aufrechterhalten wird,
ist ökonomisch gleichgültig. Daß das momentane Ausmaß der Ver-
drängung des Zwischenhandels nichts Definitives ist, sondern nur
„mit Rücksicht auf die historische Entwicklung des Kohlenhandels"
geboten war, sagt Kirdorf selbst 1 , wie er selbst auch betont, daß es
vollständig zutage liege, „daß der Kohlenhandel, wie er sich bei
der früheren Zersplitterung des Bergbaus in dieser großen Zahl
entwickelt hat, nicht nötig ist".
Diese Verhältnisse sind von den großen Kohlenhändlern trotz
aller sichtbaren Zurückhaltung auch offen dargelegt worden; für
unseren Zweck genügen einige Zitate. Großhändler Vowinkel
(Düsseldorf) führt aus 2 : „Wenn ich eben sage, eigentliche Kauf-
leute sind wir nicht mehr, so begründe ich das wie folgt. Das
Kohlensyndikat schreibt uns erstens vor, welche Sorten wir kaufen,
zweitens zu welchem Preise wir sie kaufen, drittens das Absatz-
revier, wohin wir verkaufen dürfen, viertens die Verkaufspreise, zu
welchen wir verkaufen dürfen. Da bleibt von der Freiheit des Han-
delns natürlich nicht viel mehr übrig. Aber ich glaube, daß das
Kohlensyndikat absolut den Verhältnissen nach nicht anders kann . . .
In Zukunft müssen wir Großkaufleute uns klarmachen, daß es
nicht anders geht und daß wir allmählich weniger werden. Diese
Tatsache besteht in einer so starken Weise, daß es heute unmöglich
ist, überhaupt ein Großhandelsgeschäft in größerem Maßstabe zu
beginnen, weil die Quanten dafür nicht vorhanden sind. Auch ist
das gegenwärtige Geschäft in der Weise beschränkt, daß es absolut
unmöglich ist, sich auszudehnen."
1 Ebenda, S. 235.
2 Ebenda, S. 228 ff.
Diese „Kaufleute" sind jeder Selbständigkeit beraubt. Denn wie
Kohlenhändler Bell winkel (Dortmund) sagt, hat „bei jeder Verkaufs -
Vereinigung das Syndikat durch einen Herrn seines Vorstandes Sitz
und Stimme im Aufsichtsrat" und ist „ferner berechtigt, die sämt-
lichen Bücher zu jeder Zeit einzusehen". Er sagt sehr richtig: „Die
Bewegungsfreiheit ist uns allerdings schließlich genommen; wir
sind mehr eine Art Vertreter geworden."
Und die Prognose für die Zukunft ist noch schlechter. Diese stellt
Herr Vowinkel folgendermaßen 1 : „Das Syndikat hat eine be-
wundernswerte Organisation geschaffen, von der ich mir denken
könnte, daß der Großhandel bis auf einen ganz kleinen Bruchteil
ausgeschaltet würde. Was berechtigt denn den Großhandel über-
haupt? Es wird schließlich für den Großkaufmann nur noch übrig-
bleiben, daß er seinen Absatz findet beim Kleinverbraucher, beim
Kreditbedürftigen, daß er für den Ausgleich durch große Lagerung
von Kohlen zu Zeiten schlechten Absatzganges sorgt. Das sind die
Punkte, die ihn in Zukunft überhaupt noch berechtigen, und es
würde wahrscheinlich sein, daß der Kohlenhandel von einer Ab-
nahme von 45 Prozent, wie wir heute morgen gehört haben, auf
mindestens 20 Prozent herunterginge."
Hier ist ganz richtig beschrieben, daß die spezifisch kommerzielle,
den Zirkulationsvorgang W— G— W vermittelnde Funktion über-
flüssig wird und nur erhalten bleibt die für die Vermittlung des
Konsums unter jeder Gesellschaftsordnung mit Massenproduktion
stets notwendige Funktion des Einteilens des Produkts, seiner Auf-
bewahrung und Lagerung. Der kaufmännische Vertrieb aber hat
als solcher aufgehört; er ist ganz automatisch geworden, klagt Herr
Vowinkel.
Wie aber allmählich der Großhändler durch den Agenten des
Syndikats ersetzt wird, legt Vowinkel gleichfalls ausführlich dar.
Richtig bezeichnet er die Teilhaberschaft an einer solchen Verkaufs-
vereinigung als „Sinekure". Diese hängt ganz von der Gnade des
Syndikats ab. Nach dem Tode der jetzigen Teilhaber wird schließ-
1 Ebenda, S. 230.
2 Ebenda, S. 229.
320
321
lieh ihr festgelegter Anteil am Absatz an das Syndikat zurück-
gehen; „das Syndikat wird der Beteiligte. Damit ist voll-
ständig klargemacht, daß eigentlich dieses Untersyndikat (gemeint
ist die Händlervereinigung) schließlich an das Hauptsyndikat über-
geht". 1
Das Monopol der großen Händler oder der Verkaufsvereinigun-
gen gibt diesen auch die Macht, die kleineren Händler von sich in
Abhängigkeit zu bringen, ihnen die Verkaufspreise vorzuschreiben,
kurz, sie wieder ihrerseits zu ihren Agenten zu machen. So sagt zum
Beispiel Kohlengroßhändler Heidmann (Hamburg): „Da ich in
meinen Büchern fand, daß die Schulden dieser Leute (seil, kleinerer
Händler, die von ihm die Kohlenbeziehen) immer mehr anschwollen,
habe ich ihnen gesagt: Ihr bekommt Kohlen nur noch, wenn ihr
mindestens den und den Preis nehmt."
Von den Großhändlern des oberschlesischen Gebietes sagt Stadt-
rat Dr. Rive: „Die Herren Großhändler, mit denen wir es hier zu
tun haben, also die ersten Ranges (die Firmen Cesar Wollheim und
Friedländer), haben selbstverständlich schon eine ganzeReihe Groß-
händler zweiten Ranges im Gefolge, die - dies darf man offen be-
haupten - ohne weiteres von ihnen abhängig sind; und die Groß-
händler zweiten Ranges haben die Händler ersten, zweiten und
letzten Ranges hinter sich. Einer hängt vom anderen ab, und die
ersten Großhändler stehen mit der Konvention (gemeint die ober-
schlesische Kohlenkonvention) wenn auch nicht vertragsmäßig, so
doch freiwillig im Einklang."
Es mag hier kurz darauf hingewiesen werden, daß sich die
selbständige Stellung der beiden Kohlenfirmen in Oberschlesien
daraus erklärt, daß diese den Handel mit den Zechen in ihren Hän-
den lange schon vor Abschluß der Konvention innegehabt hatten.
Die Zechen waren meist Privatbesitz, und die beiden Firmen waren
zum Teil finanziell an ihnen beteiligt. Sie hatten nicht nur die
Absatzorganisation in der Hand, sondern auch Anteile am Berg-
werkseigentum, sei es direkt, sei es als Gläubiger.
1 Ebenda, S. 230.
2 „Kontradiktorische Verhandlungen", II. Heft, S. 455.
Die Aktienform hat in Rheinland-Westfalen die Zechen vom
Handel im vorhinein unabhängig gemacht. Vielleicht war auch der
Handel im Westen deshalb weniger konzentriert, weil das un-
bestrittene Absatzgebiet dort größer, die Konkurrenz daher weniger
scharf war; wichtiger dürfte noch gewesen sein, daß die Zechen
im Westen jünger sind als die alten Privatzechen Oberschlesiens.
Daher behaupten in Oberschlesien zwar nicht der Handel, aber die
beiden mächtigsten Handelsfirmen ihre Stellung. Sie werden eben
zur Handelsorganisation des Kartells (nicht formell, da das eher
in der Form geschieht, daß das Kartell sich nicht um den Handel
kümmert, sondern den Absatz der Grube überläßt, aber doch in
der Tat). Sie werden dies nicht als „Händler", sondern wegen ihrer
Kapitalstärke, während der unbedeutendere, weil nicht so konzen-
trierte Handel des Westens seine Stellung verliert und auch der
Großhändler „mehr oder weniger Agent" wird, wie Oberbergrat
Dr. Wachler sagt.
Die Unterordnung des Handels unter das Syndikat erleichtert
diesem auch die Unterbindung der ausländischen Konkurrenz, die
in stärkerem Maße als die inländische Fabrikation auf die Vermitt-
lung des Handels angewiesen ist. So sagt der Kaufmann Klöckner
(Duisburg): „Die Handelsfirmen, die den Verkauf des Gießerei-
eisens vermitteln, müssen allerdings bei dem Roheisensyndikat Be-
dingungen unterschreiben, nach denen sie verpflichtet sind, kein
ausländisches Eisen zu führen respektive nach Deutschland herein-
zubringen."
Mit dieser Übermacht der kartellierten Industrie kontrastiert
umgekehrt die Abhängigkeit kleiner Fabrikanten in noch nicht
kartellfähigen Industrien vom kapitalstarken Händler, eine Ab-
1 Ebenda, S. 380.
2 Hübsch ist die heuchlerische Phraseologie des braven Syndikatsagenten:
„Wir haben das als Handelsfirmen auch für richtig gehalten; denn wir sind
in der Hauptsache dazu da, das inländische Geschäft zu fördern und zu
schützen." Die Ausplünderung des Inlandes, die Hinderung der Verarbeitung
durch Fabrikation von künstlicher Kohlen-, Koks- und Eisennot, die Hoch-
haltung der inländischen Preise durch Verschleuderung ins Ausland, das ist
die nationale Gesinnung der Profitsucht.
322
323
hängigkeit, die besonders drückend wird, wenn sie durch Kredit-
gewährung gesteigert wird.
„Viele kleine Fabrikanten sind auch geschäftlich vollständig in
den Händen der Händler; wir haben leider sehr viele Fabrikanten
in unserer Fertigwarenindustrie, die zu kapitalschwach sind und
eigentlich nicht auf eigenen Füßen stehen, sondern gezwungen sind,
um ihren Betrieb aufrechtzuerhalten, ihre Waren zu jedem Preis
loszuschlagen. Dann wird die Ware von einem Händler abgenom-
men oder gar Vorschuß darauf gegeben, und dieser hat den kleinen
Fabrikanten dann für absehbare Zeit in der Hand; er kann
ihm nachher seine ganze Geschäftsführung vorschreiben." 1 Herr
Gerstein spricht von der Kleineisenindustrie und sieht in dem
Widerstand der Händler einen wichtigen Grund, der die Kartellie-
rung erschwert.
Anderseits kann die Kartellierung der Fertigindustrien allein
diesen für die Preisausnützung nicht viel nützen. „Wenn die Fabri-
kanten der Fertigwarenindustrien sich zusammenschließen und
wenn sie die Preise so stellen, daß ihnen ein bescheidener Nutzen
bleibt, dann haben wir leider sehr oft die Erfahrung gemacht, daß
ihnen die Großindustrie einen Knüppel zwischen die Beine wirft
und die Artikel, die sie selbst benötigt, in ihren eigenen Werkstätten
anfertigt, wobei sie dann selbstverständlich mit ganz anderen Selbst-
kosten zu rechnen hat wie die Fabrikanten, die in bezug auf die
Beschaffung ihrer Rohmaterialien auf die Preise der Kartelle der
Großindustrie angewiesen sind. Diese Herstellung der benötigten
Artikel im eigenen Betriebe geht ja, wie wir gehört haben, sehr
weit. Herr Direktor Fuchs hat mir gestern noch gesagt, es treten
große Werke: Bochum, der Dortmunder Verein, die Königs- und
Laurahütte — Waggons gehören ja nicht zur Kleineisenindustrie,
aber doch zu den Fertigfabrikaten — als Konkurrenten der reinen
Waggonfabriken auf. Da habe ich geantwortet, daß nicht nur die
letzteren darunter leiden, sondern auch die Betriebe der Kleineisen-
industrie, die Fabrikanten von Waggonbeschlagteilen; denn die
1 Aussage des Handelskammersekretärs Gerstein (Hagen); „Kontradik-
torische Verhandlungen", 6. Sitzung, Halbzeugverband, S. 444.
großen Stahlwerke machen nicht nur die fertigen Waggons, son-
dern alles, was dazu gehört: Puffer, Kreuze, Kuppelungen, kurzum
alle Teile selber. Die Königs- und Laurahütte macht für ihre
Waggons alles, von den Rädern bis zu dem letzten Stück, vielleicht
ausgenommen Federn, Schrauben und Nieten. Auch die Dortmunder
Union verfertigt fast sämtliche Beschlagteile für ihre Waggon-
fabrik und auch andere Kleineisenindustrieartikel, zum Beispiel
Schrauben für Eisenbahnoberbau."
Wenn aber der Handel durch seinen Einfluß auf die kleineren
Kapitalisten die Kartellierung hemmt, sucht er auf der anderen
Seite diesen Einfluß zu verstärken, indem er selbst Ringe schließt.
Auch dafür führt Gerstein einige Beispiele an. Die großen Eisen-
warenhandlungen Berlins zum Beispiel sind zu einer Vereinigung
zusammengeschlossen, die auf die Preisbildung großen Einfluß hat.
Die Danziger Handlungen haben eine Firma gemeinsam aufgekauft
und sich dann zu einer Eisenhändlervereinigung, einer Gesellschaft
mit beschränkter Haftung, zusammengeschlossen. Der Verband
deutscher Eisenwarenhändler mit dem Sitz in Mainz hat Bestim-
mungen über den Einkauf von Waren getroffen. Die Mitglieder des
Verbandes lassen sich von ihren Lieferanten einen Revers unter-
schreiben, „nach welchem diese sich verpflichten, nicht an Basare
zu verkaufen". Die Mitglieder des Verbandes verpflichten sich,
nicht zu kaufen von solchen Fabrikanten, die selbst an Konsumenten
liefern, und das ist stellenweise schon so weit gegangen, daß man
die großen Staatsbahnen unter die Konsumenten gerechnet hat und
den Fabrikanten hat untersagen wollen, direkt an die Staatsbahnen
verschiedene Artikel zu liefern.
1 Aussage Gersteins, ebenda, S. 445.
2 Ebenda, S. 447.
Wie rigoros anderseits große Werke ihren Heineren Lieferanten gegen-
über bisweilen verfahren, zeigt die Aussage Gersteins (ebenda, S. 556). „Ein
großes Hüttenwerk mit Zechenbesitz hat gedruckte Bedingungen für den
Bezug ihrer Werkzeugmaterialien, in denen eine Offerte verlangt wird, und
da heißt es weiter: Menge: Unser Bedarf für das Kalenderjahr 1904 ohne
Verpflichtung für uns zur Abnahme eines bestimmten Quantums. Lieferung
auf unseren Abruf."
324
325
Ein gutes Beispiel dafür, daß größere Kapitalmacht leicht zu
Abhängigkeitsverhältnissen führt, etwa auch in der Form, daß der
Großhändler den Hahdelsprofit auf Kosten des industriellen ver-
größert und das auf ihn fallende, durch eigene Spekulation eventuell
erst selbst geschaffene Risiko abwälzt, ist das folgende: „Dagegen
steht die Spekulation in Druckpapier dem Streben des Syndikats
nach stabilen Preisen und Anpassung des Angebots an die Nach-
frage im Wege. Papier im allgemeinen und Druckpapier im beson-
deren ist kein Spekulationsartikel, und nach den Vorgängen, die
beobachtet wurden von fast allen Papierfabriken Deutschlands, sind
allemal diejenigen Großhändler, welche im Falle weichender Ten-
denz der Papierpreise in blanco und ohne Rücksicht auf die Her-
stellungskosten des Papiers dasselbe verkaufen, gerade die, welche
nachher beim Einkauf den um Bestellungen verlegenen Papier-
fabrikanten in der unwürdigsten Art im Preise drücken. Es ging
dies und geht dies heute noch so weit, daß derartige Händler mit
unwahren Behauptungen den im Gebirge sitzenden, vom Papier-
markt abgeschnittenen Papierfabrikanten zu einem weit unter dem
Marktpreis liegenden Verkaufspreis nötigen.
Umgekehrt sind aber dieselben Großhändler im Falle steigender
Tendenz auf dem Papiermarkte immer wieder diejenigen, die unter
Anwendung aller Künste und Überredungen den Papierfabrikanten
zu einem großen Abschluß beziehungsweise Verkauf großer Quan-
titäten Papier drängen, ohne daß sie selbst es bereits weiterverkauft
hätten. In diesem Fall sind dann in erster Linie die Drucker die
Geschädigten, die dem Händler seine geglückte Spekulation über
Gebühr zu bezahlen haben; in zweiter Linie sind aber regelmäßig
bei recht schnell vorübergehenden Hochkonjunkturen die Papier-
fabrikanten auch die Geschädigten, weil ohne weiteres der be-
treffende Händler nach eingetretener Abwärtsbewegung der Markt-
preise wiederum auf den Preis drückt oder aber, wenn er das Papier
selbst nicht abnehmen kann, den Papierfabrikanten ruhig auf der
Ware sitzen läßt. Nur in den allerseltensten Fällen entschließt sich
ein Papierfabrikant, eine Feststellungsklage oder überhaupt eine
gerichtliche Klage dieserhalb gegen den Händler zu richten, immer
326
in der Erwägung, daß er die Kundschaft des Händlers sich nicht
verscherzen will für späterhin." 1
Die Herstellung des Syndikats ändert die Situation mit einem
Schlage. Den zersplitterten Händlern tritt die vereinigte Industrie
entgegen. Die Kapitalsmacht ist jetzt auf Seiten der Industriellen.
Aber nicht nur dies. Es erscheint jetzt der Händler als das, was er
ist, als entbehrliches Hilfsmittel gegenüber der unentbehrlichen
Produktion; es erscheint gleichsam die Überlegenheit der Natur-
notwendigkeit der Produktion über die kapitalistische Notwendig-
keit der Distribution durch den Handel. Das Syndikat reduziert ihn
auf seine „legitimen Grenzen". „Als legitimer Handel wird an-
gesehen, wenn der Händler auf Grund sicherer Einkaufspreise unter
Zuschlag eines auskömmlichen Nutzens das Papier weiterverkauft
und dabei diejenigen Bedingungen einhält, die von den Papier-
machern als zulässige und für den Papierverkauf handelsübliche
hingestellt werden." So wird der Papierhändler zu dem auf feste
Provision gesetzten Agenten des Syndikats. Seine Freiheit wird ihm
genommen, und laut erschallen seine Klagen über unwürdige Be-
handlung; sehnsüchtig erzählt er von den guten alten Zeiten des
doux commerce. Unter den aufgelegten Bedingungen aber emp-
findet er als härteste, daß er von nun an ausschließlich vom Syndikat
beziehen muß und von niemand anderem. Die Ausnützung der Kon-
kurrenz unter den Produzenten ist ihm versagt, und er selbst wird
ein Werkzeug, das Syndikat zu befestigen, das Monopol, das ihn
einschnürt, zu verewigen. Er muß alle Hoffnung fahrenlassen,
denn über der Tür, die zur Verkaufsstelle des Syndikats führt, steht
mit Lettern, die ihm so fürchterlich sind wie dem Sünder die Worte
Dantes über der Höllenpforte: Kauft nur bei Syndikalisten, und
verkauft nur zu vom Syndikat bestimmten Preisen. Es ist das Ende
des kapitalistischen Kaufmanns. 2
1 „Kontradiktorische Verhandlungen über den Verband deutscher Druck-
papierfabriken", Heft IV, Aussage des Direktors Reuther, S. 110 ff.
2 „Das Syndikat hat sich also die Aufgabe gestellt, diesen so gearteten
Großhandel im Druckpapiergeschäft zu beseitigen. Nachdem es gelungen
war, durch den Zusammenschluß des Syndikats eine große Anzahl von Agen-
327
Ein Mittel, die Spekulation beim Handel auszuschließen, ist auch
der Abschluß langfristiger Verträge. So setzt das Kohlensyndikat
seine Preise stets für ein ganzes Jahr unabänderlich fest und weicht
von dieser „fundamentalen Regel" unter keinen Umständen ab.
Tempora mutantur! In der Börsenenquete des Jahres 1893 ist die
Spekulation die höchste Blüte und tiefste "Wurzel des Kapitalismus.
Alles ist Spekulation: Fabrikation, Handel, Differenzgeschäfte;
jeder Kapitalist ist Spekulant, ja der Proletarier, der überlegt, wo
er seine Arbeitskraft am besten verkaufen soll - ein Spekulant. In
der Kartellenquete ist die Heiligkeit der Spekulation vergessen. Sie
ist das Böse schlechtweg, aus dem Krisen, Überproduktion, kurz,
alle Schäden der kapitalistischen Gesellschaft folgen. Beseitigung
der Spekulation ist die Parole. An die Stelle des Ideals der Speku-
lation tritt die Spekulation auf das Ideal des „stabilen Preises", des
Todes der Spekulation. Börse und Handel sind jetzt spekulativ, ver-
teil, die sich neben anderen Papieren auch mit dem Vertrieb von Druckpapier
beschäftigten, auszuschalten, war immer noch eine große Anzahl vonHändlern
vorhanden, die sich mit Druckpapier beschäftigten, und so stellte sich das
Syndikat es auch zur Aufgabe, nicht allein den "sich mit Spekulation befassen-
den Firmen die Hergabe von Druckpapier zu weigern, sondern es auch zu
verhüten, daß neue Händler auf dem Plan im Druckgeschäft erschienen. Das
Syndikat weigerte daher schon in vielen Fällen jeden Verkauf von Druck-
papier an Papierhandlungsfirmen, die erst während des Bestehens des Sj'ndi-
kats ihren Handel auf Druckpapier ausdehnen wollen." (Ebenda, S. 111.)
1 „Kontradiktorische Verhandlungen", 1, S. 94 ff.
Das deutsche Kokssyndikat hat seine Abnehmer im Herbst 1899 gezwun-
gen, für die zwei Jahre 1900 und 1901 ihren Bedarf zu decken. Nebenbei sei
bemerkt, daß das Syndikat dabei seine Macht benutzte, um die Preise für
1900, die bereits im Februar 1899 auf 14 Mk. festgesetzt waren, auf 17 Mk.
für beide Jahre zu erhöhen. Unter der Drohung, daß sie sonst keinen Koks
bekämen, ließen sich die Hütten zum Abschluß bewegen.
Die Sache ist auch deshalb interessant, weil sie zeigt, wie wenig Syndikate
auf die Krisen Einfluß nehmen können. Die Abschlüsse wurden 1899 ge-
macht, also zirka 27 Monate früher. Mitte 1900 ließ die Konjunktur nach
und 1901 war ein Krisenjahr, aber die Höchstpreise für Koks waren gesichert.
Die Krise wurde dadurch in ihrer Wirkung für die weiterverarbeitende
Industrie außerordentlich verschärft. („Kontradiktorische Verhandlungen",
3. Sitzung, S. 638, 655, 664.)
werflich, werden beseitigt zugunsten des industriellen Monopols.
Der industrielle Profit aggregiert sich den Handelsprofit, wird selbst
kapitalisiert zum Gründergewinn, zur Beute der als Finanzkapital
zur höchsten Kapitalform gelangten Dreieinigkeit. Denn das indu-
strieUe Kapital ist Gott Vater, das das Handels- und Bankkapital
als Gott Sohn entlassen hat, das Geldkapital ist der Heilige Geist;
sie sind drei, aber doch eins im Finanzkapital.
Die Sicherheit des Kartellgewinnes im Gegensatz zur Unsicher-
heit des Spekulationsgewinnes spiegelt sich wider in der Verschieden-
heit der Psychologie ihrer Vertreter und in der Bestimmtheit ihres
Auftretens. Der Kartellmagnat fühlt sich als Herr der Produktion,
sein Wirken liegt klar am Tage. Seinen Erfolg verdankt er der
Organisation der Produktion, der Ersparung von Unkosten. Er fühlt
sich als Vertreter der gesellschaftlichen Notwendigkeit gegenüber
der individuellen Anarchie und betrachtet seinen Profit als ge-
bührenden Lohn für seine organisatorische Tätigkeit. Daß ihm die
Früchte einer Organisation zufallen, die nicht sein Werk allein ist,
erscheint seinem kapitalistischen Denken nur selbstverständlich. Er
ist Vertreter einer neuen Zeit. „The day of the individual", herrscht
Havemeyer die Verteidiger des Alten an, „has passed; if the mass
of the people profit at the expense of the individual, the individual
should and must go." 1 Es ist der Sozialismus, den er meint, und
siegestrunken merkt er nicht, daß zu den Individuen, die gehen
müssen, eines Tages auch er und seinesgleichen gehören könnten.
Der Kartellmagnat kennt keine Skrupel, und wenn Havemeyer mit
erfreulicher Offenheit erklärt, er kümmere sich nicht für zwei Cents
um die Ethik der anderen 2 , so betont Herr Kirdorf nicht minder
stolz das Recht des Herrn im eigenen Hause. Ihrer Ethik aber ist
das schlimmste Verbrechen: der Bruch der Solidarität, die freie
1 Industrial Commission, „Preliminary Report on Trusts and Industrial
Combinations", S. 223.
2 Industrial Commission, S. 63. „I do not care two cents for your ethics."
Er fügt hinzu, daß es richtiges Geschäftsprinzip sei, billige Preise zu erstellen,
um die Konkurrenz auszuschließen. Denn, wie er später meint, die Trusts
sind nicht ein Geschäft für die Gesundheit der Konkurrenten. „Trusts are
not in the business for their health." S. 223.
328
329
Konkurrenz, das Sichausschließen von der Bruderschaft des Mono-
polgewinnes. Gesellschaftliche Ächtung und wirtschaftliche Ver-
nichtung sind ihm gebührende Strafe. Es wurden Listen verschickt,
worin die nicht beitretenden Brenner durch fetten Druck hervor-
gehoben wurden.
Ganz anders das Auftreten des Spekulanten. Er erscheint be-
scheiden, schuldbewußt. Sein Gewinn ist nur Verlust der anderen.
Mag er auch notwendig sein, so ist seine Notwendigkeit doch nur
ein Beweis für die Unvollkommenheit der kapitalistischen Gesell-
schaft. Die Quelle seines Gewinnes bleibt unklar. Der Spekulant ist
ja kein Produzent, der Werte schafft. Übersteigt sein Gewinn ein
gewisses Maß, so kämpft die Bewunderung des Erfolges sofort mit
dem Verdacht; er fühlt sich der Öffentlichkeit gegenüber nie sicher
und fürchtet stets ein neues Börsengesetz. Er entschuldigt sich und
bittet, nicht allzu streng mit ihm ins Gericht zu gehen : „Es ist das
Erbteil aller menschlichen Einrichtungen : fehlerhaft und sündhaft
sind sie immer."
Und er ist glücklich, wenn er Gläubige findet, wie den Herrn
Professor van der Borght, der ihn also tröstet:
„Es liegt in der Natur des Menschen, daß die Spielsucht von Zeit
zu Zeit besonders lebhaft wird", und seine Angreifer mit der Ver-
sicherung zur Milde stimmt: „All diese ungünstigen Wirkungen
sind in letzter Linie auf die unausrottbaren Schwächen und Leiden-
schaften der menschlichen Natur zurückzuführen."
1 Man höre die Strafandrohung der Deutschen Agrarkorrespondenz (Nr. 8
vom Jahre 1899), die dem Bund der Landwirte nahesteht:
„Der deutsche Brenner, der den Beitritt zur Gesellschaft versagt, ver-
wirkt den Anspruch auf berufliche Achtung, man sollte diese Herren für
immer stigmatisieren. Wäre solch ein fairer Herr, wenn man später seinen
Geldbeutel recht derb angreift, nicht fühlbarer gestraft, als durch das sowieso
ihm gebührende Pfui."
2 „Kontradiktorische Verhandlungen", Aussage von Generalsekretär
Köpke.
* Deutsche Börsenenquete, I., S. 464. Worte des Generalkonsuls Rüssel
von der Diskontogesellschaft.
4 „Handwörterbuch der Staatswissenschaften", S. 181 ff.
350
Aber freilich, allzu hart darf man keinem Kapitalisten zusetzen.
Eben noch hatte er gestanden: „Geld hat eine moralisch zersetzende
Gewalt, und der moralische Charakter ändert sich sehr schnell mit
der Vergrößerung des Einkommens" 1 , da läuft ihm die Galle über.
Die ganze Zeit über hat er sich schon geärgert über das ganz kon-
fessionswidrige Unverständnis, das Herr Professor Cohn seiner
schönen Seele entgegenbringt. Er hat mit großer Geduld es hin-
genommen, daß die eingehendsten Erörterungen des Herrn Profes-
sors über die Funktion der Börse keine größere Klarheit brachten,
und mit gelassener Gutmütigkeit hört er dafür die interessanten
Eröffnungen an, die Professor Cohn über die Funktion der preußi-
schen Universitäten zu machen hat. Aber zu arg darf man es doch
nicht treiben. Er hat sicher nichts dagegen, wenn der Professor
proklamiert: Zweck der Universität ist, zwischen Börse und Sozial-
demokratie zu stehen, die ethische Berechtigung der Börse zu
erweisen und sie zu verteidigen. Wenn aber der gelehrte Herr fort-
fährt : „Wären die Universitäten nicht da, so würden diese Gegen-
sätze aufeinanderplatzen", so macht ihn dieser Casus von Größen-
und anderem Wahn doch lachen. An den Ernst des Professors mag
er doch nicht glauben, und so geht die Zunge mit ihm durch: „Daß
Börsen ethische Zwecke verfolgen, gebe ich zu (man merkt, er bleibt
auch jetzt noch Spekulant), aber dazu sind sie nicht gegründet wor-
den, sondern aus - Eigennutz. Soll der Kaufmann Börsen gründen,
um Wohltätigkeitsanstalten daraus zu machen?" 2 Die ethische
Nationalökonomie aber hat darauf keine Antwort, und Herr Pro-
fessor Cohn gleicht in diesem Moment einem begossenen Pudel, aber
einem, in dem kein Mephistopheles steckt.
1 Deutsche Börsenenquete, II. Bd., S. 2151. Aussage von Van Gülpen.
Und nicht nur dann: „Wenn sie ihm (dem Provinzialbankier) das Leben sauer
machen, so muß er mehr, als er es bisher vielleicht getan hat, schwindelhafte
Papiere vertreiben", versichert Herr v. Guaita. (Ebenda, S. 959.)
2 Deutsche Börsenenquete, II., S. 2169.
331
XIV. Kapitel
DIE KAPITALISTISCHEN MONOPOLE
UND DIE BANKEN
VERWANDLUNG DES KAPITALS IN FINANZKAPITAL
Die Entwicklung der kapitalistischen Industrie entwickelt die
Konzentration im Bankwesen. Das konzentrierte Banksystem ist
selbst ein wichtiger Motor zur Erreichung der höchsten Stufe kapi-
talistischer Konzentration in den Kartellen und Trusts. Wie wirken
nun diese wieder zurück auf das Banksystem. Das Kartell oder der
Trust ist ein Unternehmen von größter Kapitalkraft. In den gegen-
seitigen Abhängigkeitsbeziehungen kapitalistischer Unternehmun-
gen entscheidet vor allem die Kapitalstärke darüber, welches Unter-
nehmen von dem anderen in Abhängigkeit gerät. Eine weit fort-
geschrittene Kartellierung wirkt von vornherein dahin, daß auch
die Banken sich zusammenschließen und sich vergrößern, um dem
Kartell oder Trust gegenüber nicht in Abhängigkeit zu geraten. Die
Kartellierung selbst befördert so den Zusammenschluß der Banken,
wie umgekehrt der Zusammenschluß der Banken die Kartellierung.
An dem Zusammenschluß der Stahlwerke zum Beispiel ist eine
ganze Reihe von Banken interessiert, die zusammenwirken, um den
Zusammenschluß herbeizuführen, selbst gegen den Willen einzelner
Industrieller. Umgekehrt kann eine Interessengemeinschaft, die zu-
nächst von den Industriellen herbeigeführt wird, zur Folge haben,
daß auch zwei bisher konkurrierende Banken gemeinsame Inter-
essen bekommen und zunächst auf einem bestimmten Gebiet ge-
meinsam vorgehen. In ähnlicher Weise wirken industrielle Kombi-
nationen auf die Erweiterung der industriellen Sphäre einer Bank
hin, die bisher vielleicht bloß auf dem Gebiet der Rohmaterial -
industrie sich betätigt hat und durch die Kombination gezwungen
532
wird, diese Tätigkeit auch auf die weiterverarbeitende Industrie zu
erstrecken.
Das Kartell selbst aber setzt eine Großbank voraus, die imstande
ist, dem gewaltigen Zahlungs- und Produktionskredit einer ganzen
Industriesphäre stets zu genügen.
Aber das Kartell bewirkt auch eine weitere Intensivierung der
Beziehungen zwischen Bank und Industrie. Indem die freie Kon-
kurrenz in der Industrie aufgehoben wird, findet zunächst eine
Steigerung der Profitrate statt. Diese gesteigerte Profitrate spielt
eine wichtige Rolle. Wo der Ausschluß der Konkurrenz durch
Fusion zustande kommt, wird ein neues Unternehmen gegründet.
Dieses Unternehmen kann auf erhöhten Profit rechnen. Dieser
erhöhte Profit kann kapitalisiert werden und Gründergewinn bilden.
Dieser spielt beim Zustandekommen der Trusts in doppelter Hin-
sicht eine wichtige Rolle. Erstens ist seine Erlangung ein sehr
wichtiges Motiv für die Banken, die Monopolisierung zu fördern.
Zweitens aber kann ein Teil des Gründergewinnes dazu verwendet
werden, um widerstrebende, aber doch wichtige Elemente durch Be-
zahlung eines höheren Kaufpreises zum Verkauf ihrer Fabriken,
also zur Ermöglichung des Zustandekommens des Kartells zu be-
wegen. Man kann das vielleicht so ausdrücken: Das Kartell übt eine
1 Der amerikanische Zuckertrust wurde 1887 von Havemeyer durch Ver-
schmelzung von 15 kleinen Gesellschaften, die ihr Kapital auf zusammen
6'/a Millionen Dollar angahen, gegründet. Das Aktienkapital des Trusts wurde
auf 50 Millionen Dollar festgesetzt. Der Trust erhöhte sofort die Preise für
raffinierten und drückte die Preise für Rohzucker. Eine Untersuchung, die
1888 eingeleitet wurde, ergab, daß der Trust an einer Tonne raffinierten
Zuckers ungefähr 14 Dollar verdiente, was ihm die Auszahlung von 10 Prozent
Dividende auf das volle Aktienkapital, also ungefähr 70 Prozent auf das bei
Gründung der Gesellschaft wirklich einbezahlte, ermöglichte. Außerdem
konnte sich der Trust noch gelegentlich die Zahlung von Extradividenden und
die Rücklage enormer Reserven leisten. Heute hat der Trust 90 000 000
Dollar Aktienkapital. Die Hälfte sind Vorzugsaktien, berechtigt zu 7 Prozent
kumulativ, die andere Hälfte sind Stammaktien, die gegenwärtig ebenfalls
7 Prozent bringen. („Berliner Tageblatt" vom 1. Juli 1909.) Zahllose Bei-
spiele auch in den Reports der Industrial Commission onTrusts and Industrial
Combinations.
-L Hilferding, Das Finanzkapital
355
/
Nachfrage aus auf die Unternehmungen eines Industriezweiges-,
diese Nachfrage steigert bis zu einem gewissen Grad ihren Preis 1 ,
dieser erhöhte Preis wird mit einem Teil des Gründergewinns be-
zahlt.
Die Kartellierung bedeutet auch eine größere Sicherheit und
Gleichmäßigkeit des Ertrages der kartellierten Unternehmungen.
Die Gefahren der Konkurrenz, die dem Einzelunternehmen früher
so oft lebensgefährlich wurden, sind ausgeschaltet. Dadurch aber
steigen einmal die Aktien dieser Unternehmungen im Kurse, was
wieder bei Neuemissionen erhöhten Gründergewinn bedeutet.
Weiter aber ist die Sicherheit für das in diesen Unternehmungen
investierte Kapital eine bedeutend vermehrte. Dies erlaubt den
Banken, den industriellen Kredit weiter auszudehnen und so in
höherem Maße als bisher Anteil zu nehmen an dem industriellen
Profit. So verengern sich durch die Kartellierung die Beziehungen
zwischen Banken und Industrie noch weiter, während gleichzeitig
die Verfügung über das in der Industrie angelegte Kapital immer
mehr den Banken zufällt.
Wir haben gesehen, wie im Beginn der kapitalistischen Produk-
tion das Geld der Banken zwei Quellen entstammt. Einmal den
Geldern der nichtproduktiven Klassen, das zweitemal dem Reserve -
kapital der industriellen und kommerziellen Kapitalisten. Wir
haben weiter gesehen, wie die Entwicklung des Kredits dahin geht,
nicht nur das gesamte Reservekapital der Kapitalistenklasse, sondern
auch den größten Teil des Geldes der nichtproduktiven Klassen der
Industrie zur Verfügung zu stellen. Die heutige Industrie wird mit
anderen Worten mit einem Kapital betrieben, das weitaus größer
ist als das Gesamtkapital im Eigentum der industriellen Kapita-
listen. Mit der kapitalistischen Entwicklung wächst auch beständig
die Summe des Geldes, das von der nichtproduktiven Klasse den
Banken und durch diese den Industriellen zur Verfügung gestellt
wird. Die Verfügung über diese der Industrie unentbehrlichen
Gelder gehört den Banken. Mit der Entwicklung des Kapitalismus
1 Es handelt sich dabei um den „Preis des Kapitals", der gleich ist dem
kapitalisierten Profit.
und seiner Kreditorganisation wächst so die Abhängigkeit der Indu-
strie von den Banken. Anderseits können die Banken die Gelder der
nichtproduktiven Klassen nur heranziehen und den stets wachsenden
Grundstock derselben zu dauernder Verfügung behalten, wenn sie
diese Gelder verzinsen. Dies konnten sie, solange diese Gelder nicht
zu umfangreich waren, durch ihre Verwendung zu Spekulations-
kredit und Zirkulationskredit. Mit dem Wachstum dieser Gelder
einerseits, mit der abnehmenden Bedeutung der Spekulation und
des Handels anderseits mußten sie immer mehr in industrielles
Kapital verwandelt werden. Ohne die ständige Ausdehnung des
Produktionskredits wäre die Verwendbarkeit der Depositen, damit
aber auch die Verzinsung der Bankdepositen längst viel tiefer ge-
sunken. Dies ist in der Tat zum Teil in England der B'all, wo die
Depositenbanken nur Zirkulationskredit vermitteln, der Depositen-
zins daher minimal ist. Daher das beständige Abströmen der De-
positen in industrielle Anlagesphären durch Aktienkauf. Hier
macht das Publikum direkt, was bei der Verbindung von In-
dustrie- und Depositenbank die Bank tut. Für das Publikum ist
das Resultat dasselbe, da der Gründergewinn ihm auf keinen
Fall zufällt. Für die Industrie bedeutet es aber eine geringere
Abhängigkeit vom Bankkapital in England im Vergleich zu
Deutschland.
Die Abhängigkeit der Industrie von den Banken ist also die
Folge der Eigentumsverhältnisse. Ein immer wachsender Teil des
Kapitals der Industrie gehört nicht den Industriellen, die es an-
wenden. Sie erhalten die Verfügung über das Kapital nur durch die
Bank, die ihnen gegenüber den Eigentümer vertritt. Anderseits
muß die Bank einen immer wachsenden Teil ihrer Kapitalien in der
Industrie fixieren. Sie wird damit in immer größerem Umfang
industrieller Kapitalist. Ich nenne das Bankkapital, also Kapital in
Geldform, das auf diese Weise in Wirklichkeit in industrielles Kapi-
tal verwandelt ist, das Finanzkapital. Den Eigentümern gegenüber
behält es stets Geldform, ist von ihnen in Form von Geldkapital,
zinstragendem Kapital, angelegt und kann von ilmen stets in Geld-
form zurückgezogen werden. In Wirklichkeit aber ist der größte
534
24"
535
Teil des so bei den Banken angelegten Kapitals in industrielles,
produktives Kapital (Produktionsmittel und Arbeitskraft) verwan-
delt und im Produktionsprozeß fixiert. Ein immer größerer Teil
des in der Industrie verwendeten Kapitals ist Finanzkapital, Kapital
in der Verfügung der Banken und in der Verwendung der Indu-
striellen.
Das Finanzkapital entwickelt sich mit der Entwicklung der
Aktiengesellschaft und erreicht seinen Höhepunkt mit der Mono-
polisierung der Industrie. Der industrielle Ertrag gewinnt einen
sicheren und stetigeren Charakter, damit gewinnt die Anlagemög-
lichkeit von Bankkapital in der Industrie immer weitere Aus-
dehnung. Aber die Verfügung über das Bankkapital hat die Bank,
und die Herrschaft über die Bank haben die Besitzer der Majorität
der Bankaktien. Es ist klar, daß mit zunehmender Konzentration des
Eigentums die Besitzer des fiktiven Kapitals, das die Macht über
die Banken, und desjenigen, das die Macht über die Industrie gibt,
immer mehr identisch werden. Dies um so mehr, als wir gesehen
haben, wie die Großbank immer mehr auch die Verfügungsgewalt
über das fiktive Kapital gewinnt.
Haben wir gesehen, wie die Industrie immer mehr in Abhängig-
keit gerät vom Bankkapital, so bedeutet das durchaus nicht, daß
auch die Industriemagnaten abhängig werden von Bankmagnaten.
Wie vielmehr das Kapital selbst auf seiner höchsten Stufe zum
Finanzkapital wird, so vereinigt der Kapitalmagnat, der Finanz-
kapitalist, immer mehr die Verfügung über das gesamte nationale
Kapital in der Form der Beherrschung des Bankkapitals. Auch hier
spielt die Personalunion eine wichtige Bolle.
Mit der Kartellierung und Trustierung erreicht das Finanz-
kapital seine höchste Machtstufe, während das Handelskapital seine
tiefste Erniedrigung erlebt. Ein Kreislauf des Kapitalismus hat sich
vollendet. Bei Beginn der kapitalistischen Entwicklung spielt das
Geldkapital als Wucherkapital und als Handelskapital eine be-
deutende Bolle sowohl für die Akkumulation des Kapitals als auch
bei der Verwandlung der handwerksmäßigen Produktion in kapita-
listische. Dann aber beginnt der Widerstand der „produktiven", das
536
heißt der Profit ziehenden Kapitalisten, also der Kommerziellen und
Industriellen gegen die Zinskapitalisten.
Das Wucherkapital wird dem Industriekapital untergeordnet.
Als Geldhandlungskapital vollzieht es die Geldfunktionen, die sonst
die Industriellen und Kommerziellen bei der Metamorphose ihrer
Waren selbst hätten vollziehen müssen. Als Bankkapital vermittelt
es die Kreditoperationen unter den Produktiven. Die Mobilisierung
des Kapitals und die stets stärkere Ausdehnung des Kredits ändert
allmählich die Stellung der Geldkapitalisten vollständig. Die Macht
der Banken wächst, sie werden die Gründer und schließlich die Be-
herrscher der Industrie, deren Profite sie als Finanzkapital an sich
reißen, ganz wie einst der alte Wucherer in seinem „Zins" den
Arbeitsertrag des Bauern und die Bente des Grundherrn. Der Hege-
lianer könnte von Negation der Negation sprechen : Das Bankkapital
war die Negation des Wucherkapitals und wird selbst vom Finanz-
kapital negiert. Dieses ist die Synthese des Wucher- und Bank-
kapitals und eignet sich auf einer unendlich höheren Stufe der
ökonomischen Entwicklung die Früchte der gesellschaftlichen
Produktion an.
Ganz anders aber die Entwicklung des Handelskapitals. Die Ent-
wicklung der Industrie drängt es von der herrschenden Stellung über
die Produktion, die es in der Manufakturperiode innehatte, all-
mählich zurück. Aber dieser Bückgang bleibt definitiv, und die
Entwicklung des Finanzkapitals reduziert den Handel absolut und
relativ und verwandelt den einst so stolzen Kaufmann in einen
Agenten der vom Finanzkapital monopolisierten Industrie.
1 In der Tat war der „Wucher ein Hauptmittel für die Akkumulation des
Kapitals, das heißt seine Anteilnahme an den Revenuen des Grundbesitzes.
Aber das industrielle und kommerzielle Kapital gehen mehr oder minder
Hand in Hand mit den Grundbesitzern gegen diese altmodische Form des
Kapitals". Marx, „Theorien über den Mehrwert", I. Bd., S. 19.
557
XV. Kapitel
DIE PREISBESTIMMUNG
DER KAPITALISTISCHEN MONOPOLE
GESCHICHTLICHE TENDENZ DES FINANZKAPITALS
Die partiellen Vereinigungen bedeuten eine weitere Stufe der
Konzentration; sie unterscheiden sich von der früheren Form der
Konzentration durch Vernichtung des schwächeren Unternehmens
dadurch, daß hier nicht gleichzeitig mit der Betriebsvereinigung
und Unternehmungsvereinigung auch eine Eigentumsvereinigung
stattfinden muß; sie bedeuten aber keine prinzipielle Änderung in
den Konkurrenzverhältnissen. Insofern sie niedrigere Kosten haben
als die anderen Unternehmungen oder sie selbst vor ihrer Ver-
einigung, sind sie im Konkurrenzkampf stärker; sind die Ver-
einigungen genug zahlreich und ausgedehnt, so daß sie den größten
Teil der Produktion herstellen, so werden ihre Produktionskosten
ausschlaggebend für die Preise werden. Diese Vereinigungen haben
so die Tendenz, preissenkend zu wirken. Dies hindert nicht,
sondern dies ist sogar vorausgesetzt, daß die Vorteile der Ver-
einigung den vereinigten Unternehmungen Extraprofit abwerfen
können.
Anders die monopolistischen Vereinigungen, die Kartelle und
Trusts. Ihr Zweck ist die Erhöhung der Profitrate, und sie können
das erreichen zunächst durch Erhöhung der Preise, wenn sie im-
stande sind, die Konkurrenz auszuschalten. Hier entsteht nun die
Frage nach dem Kartellpreis. Man wirft gewöhnlich diese Frage
zusammen mit der nach dem Monopolpreis schlechthin und streitet
darüber, ob die monopolistische Vereinigung wirklich ein Monopol
sei oder wodurch dieses beschränkt, ob daher die Preise dieser Ver-
einigungen wirklich gleich oder niedriger sein müssen als Monopol-
338
preise. Diese selbst aber seien bestimmt durch das gegenseitige
Abhängigkeitsverhältnis der Produktionskosten und der Stufen-
leiter der Produktion einerseits, des Preises und der Größe des Ab-
satzes anderseits. Der Monopolpreis sei gleich jenem Preis, der
einen so großen Absatz zulasse, daß die Stufenleiter der Produktion
die Produktionskosten nicht so sehr verteuere, daß dadurch der
Profit auf die Einheit zu sehr abnähme. Ein höherer Preis senke
den Absatz und damit die Stufenleiter der Produktion, erhöhe daher
die Kosten und senke den Profit per Einheit; ein niederer senke den
Profit so stark, daß auch die Masse des Absatzes kein Äquivalent für
den erniedrigten Preis mehr biete.
Das Unbestimmte und Unmeßbare unter der Herrschaft von
Monopolpreisen ist die Nachfrage. Wie diese auf die Erhöhung
des Preises reagiere, kann nicht angegeben werden. Der Monopol-
preis läßt sich zwar empirisch festsetzen, seine Höhe aber nicht
objektiv theoretisch erkennen, sondern nur psychologisch, subjektiv
begreifen. Die klassische Ökonomie, wozu wir auch Marx rechnen,
hat daher den Monopolpreis, den Preis der Güter, die nicht beliebig
vermehrbar sind, aus ihren Deduktionen ausgeschaltet. Umgekehrt
ist es die Lieblingsbeschäftigung der psychologischen Schule,
Monopolpreise zu „erklären", wobei sie am liebsten, von einem
beschränkten Gütervorrat ausgehend, alle Preise als Monopolpreise
erklären möchte.
Die klassische Ökonomie faßt den Preis als Erscheinungsform
der anarchischen gesellschaftlichen Produktion, seine Höhe als ab-
hängig von der gesellschaftlichen Produktionskraft der Arbeit. Das
objektive Preisgesetz setzt sich aber nur durch die Konkurrenz durch.
Wenn die monopolistischen Vereinigungen die Konkurrenz auf-
heben, so heben sie damit das einzige Mittel auf, wodurch sich ein
objektives Preisgesetz verwirklichen kann. Der Preis hört auf,
eine objektiv bestimmte Größe zu sein, er wird ein Rechenexempel
derjenigen, die ihn mit Willen und Bewußtsein bestimmen, wird
an Stelle eines Resultats Voraussetzung, an Stelle eines Objektiven
ein Subjektives, an Stelle eines vom Willen und dem Bewußtsein
der Beteiligten Unabhängigen und Notwendigen ein Willkürliches
339
und Zufälliges. Die Verwirklichung der Marxschen Konzentrations-
lehre, die monopolistische Vereinigung, scheint damit zur Auf-
hebung der Marxschen Werttheorie zu werden.
Sehen wir näher zu ! Die Kartellierung ist ein historischer Prozeß,
und sie ergreift die kapitalistischen Produktionszweige in einer zeit-
lichen Reihenfolge je nach den Bedingungen, die für die Kartellie-
rung gegeben sind. Wir haben gesehen, wie die Entwicklung des
Kapitalismus dahin geht, diese Bedingungen immer mehr für alle
Produktionszweige zu verwirklichen. Unter sonst gleichen Um-
ständen - also bei gleichem Entwicklungsgrade des Einflusses der
Banken auf die Industrie, in gleicher Phase des industriellen Zyklus,
bei gleicher organischer Zusammensetzung des Kapitals - wird ein
Industriezweig desto geeigneter für die Kartellierung sein, je größer
der Kapitalumfang der Einzelunternehmung und je geringer die
Zahl der Unternehmungen in diesem Produktionszweig ist.
Gesetzt, diese Bedingungen seien zuerst in der Gewinnung der
Eisenerze erreicht. Der Eisenerzbergbau sei kartelliert und erhöhe
die Preise. Die nächste Folge ist die Erhöhung der Profitrate für
die Bergbauunternehmer. Aber die erhöhten Verkaufspreise des
Eisenerzes bedeuten für die Roheisenproduzenten Erhöhung ihrer
Kostpreise. Die Verkaufspreise des Roheisens werden aber dadurch
zimächst nicht berührt. Auf dem Roheisenmarkt hat sich durch
die Kartellierung der Erzgruben nichts geändert. Das Verhältnis
von Angebot und Nachfrage und damit die Preise bleiben die
gleichen. Die Erhöhung der Profitrate des Kartells hat also zur
Folge die Senkung der Profitrate der Roheisenproduzenten. Was
bedeutet das aber?
Theoretisch können folgende Folgen eintreten : Das Kapital fließt
aus der Sphäre niedrigerer Profitrate zu der höherer Profitrate.
Bisher in der Roheisenproduktion verwendetes Kapital wird jetzt
zum Betrieb von Erzbergwerken gebraucht. Für den Erzbergbau
würde so Konkurrenz entstehen, die um so fühlbarer wäre, da die
Eisenproduktion eingeschränkt worden wäre. Die Erzpreise würden
sinken, die Roheisenpreise steigen und nach einigen Schwankungen
der frühere Zustand wiederhergestellt sein, nachdem wahrscheinlich
340
inzwischen das Kartell gesprengt worden wäre. Wir wissen aber
bereits, daß die Aus- und Einwanderung von Kapital gerade in
solchen Produktionszweigen kaum übersteigbare Schranken finden
würde. Dieser Weg zur Ausgleichung der Profitrate ist also nicht
gangbar.
Die Kartellpreise sind nur für diejenigen Roheisenproduzenten
von Bedeutung, die das Erz auf dem Markte kaufen müssen. Um
den Wirkungen des Kartells zu entgehen, genügt es, daß die Boh-
eisenwerke selbst sich Erzgruben angliedern. Damit sind sie vom
Kartell unabhängig geworden, und ihre Profitrate wird die normale
Höhe einnehmen. Diejenigen Unternehmungen, die so zuerst zu
kombinierten Unternehmungen werden, werden zudem Extraprofit
machen gegenüber den anderen, die die teuren Rohmaterialien und
den Handelsprofit der Erzhändler zahlen müssen. Aber dasselbe gilt
auch von den Erzgruben, die zur Roheisenproduktion übergehen,
auch sie werden als kombinierte den reinen Werken in der Kon-
kurrenz überlegen sein. So erweist sich zunächst das Kartell als
stärkster Antrieb zur Kombination und damit zu einer weiteren
Konzentration. Diese wird sich besonders stark geltend machen in
den Industriezweigen, die die Abnehmer und Weiterverarbeiter der
Kartellprodukte sind.
Wir haben im früheren gesehen, wie die Tendenz zur Kombi-
nation durch gewisse Konjunkturerscheinungen hervorgerufen oder
verstärkt wird. Durch die Kartellierung wird diese Tendenz ge-
steigert und zugleich modifiziert. Eine monopolistische Vereinigung
mag während einer Krise ihre Preise hochhalten, während das ihren
nichtkartellierten Abnehmern unmöglich sei. Dann tritt für diese
zu den Wirkungen der Krise noch die Unmöglichkeit, ihre Produk-
tionskosten zu vermindern durch billigeren Einkauf des Roh-
materials. In solchen Zeiten wird einerseits bei den Nichtkartellier-
ten der Drang, sich aus eigenen Gruben billiges Rohmaterial zu
schaffen, besonders stark sein. Gelingt dies aber nicht, so werden
eine ganze Reihe von sonst lebensfähigen, technisch gut ausgestal-
teten Betrieben nicht weiterexistieren können. Sie müssen Bankrott
machen oder sich zu billigem Preis von einer Erzgrube ankaufen
341
lassen, für die die Erwerbung des Werkes zu dem niedrigen Preis
die Sicherheit künftiger Rentabilität bedeutet.
Noch ein anderer Weg steht den Roheisenindustriellen offen. Der
vereinigten Macht der Erzgrubenbesitzer standen die Roheisen-
produzenten vereinzelt gegenüber. Sie waren daher machtlos gegen-
über der Verteuerung des Rohmaterials. Aber ebenso machtlos
waren sie, als es galt, die Preiserhöhung ihres Rohmaterials in
dem Preis des Eisens zum Ausdruck zu bringen. Das ändert sich,
sobald sie sich selbst zum Kartell vereinigen. Dann sind sie im-
stande, dem Erzgrubenkartell geschlossen gegenüberzutreten und
ihre Macht als Abnehmer geltend zu machen. Anderseits aber
können sie beim Verkauf ihrer Produkte jetzt selbst preisbestim-
mend auftreten und die Profitrate über die Norm erhöhen. In
der Tat werden beide Wege eingeschlagen, sowohl die Kombina-
tion als die Kartellierung, und das Resultat des Prozesses wird die
kombinierte monopolistische Vereinigung von Erz- und Eisen-
produzenten sein.
Es ist klar, daß dieser Prozeß sich dann weiter fortpflanzen muß
auf die weiteren Abnehmer des Roheisens und eine kapitalistische
Produktionssphäre nach der anderen ergreifen wird. So entfalten
die Kartelle ihre propagandistische Kraft. Die Kartellierung be-
deutet zunächst eine Änderung der Profitrate. Diese Änderung ist
erfolgt auf Kosten der Profitrate der anderen kapitalistischen Indu-
strien. Die Ausgleichung dieser Profitraten auf ein gleiches Niveau
kann nicht erfolgen durch die Wanderung des Kapitals. Denn die
Kartellierung bedeutet ja, daß die Konkurrenz des Kapitals um
seine Anlagesphären gehemmt ist. Die Behinderung der Freizügig-
keit des Kapitals durch ökonomische Ursachen und durch Eigen-
tumsverhältnisse (Monopol an Rohstoffen) ist ja die Voraussetzung
der Aufhebung der Konkurrenz auf dem Markte zwischen den Ver-
käufern. Die Ausgleichung kann nur erfolgen durch Anteilnahme
an der erhöhten Profitrate durch Selbstkartellierung oder durch
Ausschaltung derselben durch Kombination. Beides bedeutet er-
höhte Konzentration und daher Erleichterung der Weiter-
kartellierung.
542
Ist aber die Weiterkartellierung aus irgendwelchen Gründen
ausgeschlossen: wie wirkt dann der Kartellpreis, und können wir
dann über seine Höhe etwas aussagen?
Wir haben gesehen, wie die durch Erhöhung des Kartellpreises
bewirkte Erhöhung der Profitrate durch nichts anderes bewirkt
werden kann als durch die Erniedrigung der Profitrate in anderen
Industriezweigen. Der Kartellprofit ist zunächst nichts anderes als
Anteilnahme, Aneignung des Profits anderer Industriezweige. Nun
besteht, wie wir bereits wissen, in Industriezweigen mit geringem
Kapital und starker Zersplitterung der Betriebe die Tendenz einer
Senkung der Profitrate unter ihren gesellschaftlichen Durchschnitt.
Die Kartellierung bedeutet eine Verstärkung dieser Tendenz, eine
weitere Herabdrückung der Profitrate in diesen Zweigen. Wie weit
diese Herabdrückung gehen kann, hängt ab von der Natur dieser
Produktionssphäre. Eine zu starke Herabdrückung wird beant-
wortet werden mit Auswanderung von Kapital aus diesen Sphären.
Diese Auswanderung ist wegen der technischen Natur des Kapitals
in diesen Sphären nicht allzu schwer.
Aber um so schwieriger wird die Frage, wohin dieses Kapital sich
wenden soll, da auch die anderen Sphären kleiner Kapitalanlage in
gleicher Weise von den kartellierten Industrien ausgebeutet wer-
den. Und so wird schließlich in diesen Industrien der Profit der
scheinbar noch selbständigen Kapitalisten zu reinem Aufsichtslohn,
diese Kapitalisten selbst zu Angestellten des Kartells, zu Zwischen-
kapitalisten oder Zwischenunternehmern, analog den Zwischen -
meistern des Handwerks.
Der Kartellpreis ist so in der Tat abhängig von der Nachfrage.
Aber diese selbst ist kapitalistische Nachfrage. Der Kartellpreis muß
also theoretisch schließlich gleich dem Produktionspreis sein plus
der Durchschnittsprofitrate. Aber diese selbst hat sich geändert. Sie
ist verschieden für die große kartellierte Industrie und für die
kleinen von ihr in Abhängigkeit geratenen Sphären der Klein-
1 Zugleich ändert sich der Charakter des Kartellprofits. Er hesteht aus
unbezahlter Arbeit, aus Mehrwert, aber zum Teil aus Mehrwert, den die
Arbeiter fremder Kapitalisten produziert haben.
345
Industrie, deren Kapitalisten sie eines Teiles des Mehrwerts beraubt,
um sie auf ein bloßes Gehalt zu beschränken.
Aber diese Preisbestimmung selbst ist — wie das isolierte oder
partielle Kartell selbst — nur provisorisch.
Die Kartellierung bedeutet eine Änderung in der Durchschnitts-
profitrate. Die Profitrate steigt in den kartellierten Industrien und
sinkt in den nichtkartellierten. Diese Verschiedenheit führt zur
Kombination und Weiterkartellierung. Für die außerhalb der Kar-
tellierung befindlichen Industrien sinkt die Profitrate. Der Kartell-
preis wird um den Betrag über den Produktionspreis der kartellier-
ten Industrien steigen, um den er in den nichtkartellierten unter
ihren Produktionspreis gefallen ist. Sofern in den nichtkartellierten
Industrien Aktiengesellschaften vorhanden sind, kann der Preis
nicht sinken unter k+z, Kostpreis plus Zins, da sonst keine Anlage
von Kapital möglich wäre. Die Erhöhung des Kartellpreises findet
also ihre Grenze an der Möglichkeit der Senkung der Profitrate in
nicht kartellfähigen Industrien. Innerhalb dieser findet eine Aus-
gleichung der Profitrate zu einem niedrigeren Niveau statt durch
die hier bestehende Konkurrenz des Kapitals um die verschiedenen
Anlagesphären.
Die Erhöhung des Kartellpreises läßt den Preis der nichtkartel-
lierten Produkte nicht unverändert. Diese Änderung rührt her von
der Ausgleichung der Profitrate innerhalb der nichtkartellierten
Industrien. Würde die nichtkartellierte Industrie eine Einheit bil-
den, so bliebe der Preis der nichtkartellierten Produkte unverändert.
Derselbe Preis würde nur eine geringere Profitrate als früher be-
deuten, da der Preis der Rohmaterialien, also der Kostpreis,
gestiegen ist. War der Preis früher 100, die Profitrate 20 Prozent,
so sinkt sie jetzt auf 10 Prozent, weil durch die Kartellierung der
Kostpreis, der früher 80 war, jetzt auf 90 gestiegen ist. Da aber in
den einzelnen nichtkartellierten Industrien je nach ihrer organi-
schen Zusammensetzung in verschiedener Weise durch die Kar-
tellierung der Kostpreis steigt, so muß eine Ausgleichung statt-
finden. Diejenigen Industrien, die größere Mengen von durch das
Kartell verteuertem Rohmaterial verbrauchen, müssen die Preise
ihrer Produkte erhöhen, diejenigen, die weniger verbrauchen, wer-
den eine Verminderung ihrer Preise erfahren. Mit anderen Worten:
Industrien mit überdurchschnittlicher organischer Zusammen-
setzung ihres Kapitals werden eine Erhöhung, Industrien mit unter-
durchschnittlicher Zusammensetzung des Kapitals eine Senkung des
Produktionspreises erfahren, während dieser in Industrien mit
durchschnittlicher Zusammensetzung unverändert bleibt. Gewöhn-
lich hat man nur die Preiserhöhung im Auge und bildet sich dann
sofort ein, jede Erhöhung der Produktionskosten sei ohne weiteres
auf die Konsumenten abwälzbar. Aber die Erhöhung der Produk-
tionskosten führt unter bestimmten Umständen sogar eine Senkung
des Preises herbei.
Aber die Preisgestaltung weist noch einige andere Eigentümlich-
keiten auf. Gesetzt, das Kapital der kartellierten Industrien
betrage 50 Milliarden. Bei einer Profitrate von 20 Prozent beträgt
der Produktionspreis 60 Milliarden. Davon würden die nicht-
kartellierten Industrien 50 Milliarden kaufen. Ihr Produktions-
preis betrüge dann bei gleicher Profitrate ebenfalls 60 Milliarden.
Der Wert des Gesamtprodukts also 120 Milliarden. Aber die kar-
tellierten Industrien haben ihre Profitrate erhöht und die der nicht-
kartellierten Industrien dadurch gesenkt. Die Profitrate der nicht-
kartellierten betrage so nur 10 Prozent. Ihr Profit ist reduziert,
weil sie für Rohmaterial nicht 50, sondern rund 55 Milliarden
zahlen müssen. (Ich vernachlässige hier das variable Kapital, das in
diesem Beispiel nichts zur Sache tut.) Wenn aber das Kartell für
50 Milliarden 55 bekommt, so muß es für 60 Milliarden 66 er-
halten. Die Preise müssen ja nicht nur für die kapitalistischen Kon-
sumenten, sondern für alle Konsumenten gleich sein. Nach unserer
Voraussetzung müssen also die letzten 10 Milliarden, die direkt an
die Konsumenten gehen, nicht um 10, sondern um 11 Milliarden
verkauft werden. Die Konsumenten kaufen also die Masse der nicht-
kartellierten Produkte zu den alten Preisen, die kartellierten Pro-
1 Hier ist nicht die durchschnittliche organische Zusammensetzung des
gesellschaftlichen Gesamtkapitals gemeint, sondern nur die der nichtkar-
tellierten Industrien.
344
345
dukte zu erhöhten Preisen. Ein Teil des Kartellprofits stammt also
von den Konsumenten, womit hier alle nichtkapitalistischen Kreise,
die abgeleitetes Einkommen beziehen, gemeint sind. Die Konsu-
menten werden aber vielleicht ihre Konsumtion bei den erhöhten
Preisen einschränken. Und hier kommen wir zur zweiten Schranke
des Kartellpreises. Die Preiserhöhung muß erstens den nichtkartel-
lierten Industrien eine Profitrate lassen, die die Fortführung der
Produktion ermöglicht. Sie darf aber zweitens auch die Konsumtion
nicht zu stark verringern. Die zweite Schranke selbst hängt wieder
ab von der Größe des Einkommens, über die die nicht direkt produk-
tiven Klassen verfügen. Da aber für die kartellierten Industrien in
ihrer Gesamtheit die produktive Konsumtion eine weit größere
Rolle spielt als die unproduktive, so ist die erste Schranke im all-
gemeinen die eigentlich bestimmende.
Die Verringerung des Profits in den nichtmonopolisierten Indu-
strien bedeutet aber eine Verlangsamung ihrer Entwicklung. Die
Senkung der Profitrate bedeutet, daß neues Kapital diesen Sphären
nur langsam zuströmen wird. Zugleich aber wird, da die Profitrate
gesunken ist,ein um so erbitterterer Kampf um denAbsatz stattfinden,
der hier um so gefährlicher wirkt, da schon eine relativ kleine Preis-
senkung den niedrigen Profit aufhebt. Gleichzeitig tritt noch eine
andere Wirkung ein: Wo es der Übermacht der kartellierten Indu-
strien gelingt, den Profit auf einen bloßen Aufsichtslohn zu redu-
zieren, da ist kein Raum mehr für die Bildung von Aktiengesell-
schaften, da sowohl Gründergewinn als Dividenden erst aus dem
Ertrag über den Aufsichtslohn hinaus gezahlt werden können.
So wirkt die Kartellierung hindernd auf die Entwicklung der
nichtkartellierten Industrien. Gleichzeitig verschärft sie in
ihnen die Konkurrenz und damit die Konzentrationstendenz,
bis diese Industrien schließlich selbst kartellfähig werden oder
fähig, von einer bereits kartellierten Industrie angegliedert zu
werden.
Die freie Konkurrenz erzwingt die ständige Erweiterung der
Produktion infolge Einführung verbesserter Technik. Für die Kar-
telle bedeutet die Einführung besserer Technik gleichfalls Erhöhung
546
des Profits. Sie müssen sie zudem einführen, weil sonst die Gefahr
besteht, daß der neuen Technik sich ein Outsider bemächtigte und
sie im neu entstehenden Konkurrenzkampf gegen das Kartell an-
wenden würde. Ob dies möglich, hängt von dem Charakter des
Monopols ab, das das Kartell sich geschaffen hat. Ein Kartell, das
auch die Naturbedingungen seiner Produktion monopolisiert hat -
wie zum Beispiel die Bergwerkssyndikate — oder dessen Produktion
höchste organische Zusammensetzung aufweist, so daß ein neues
Unternehmen außerordentlicher Kapitalskraft bedürfte, die nur die
Banken zur Verfügung stellen könnten, die aber gegen das Kartell
nichts unternehmen wollen — ein solches Kartell ist gegen neue
Konkurrenz in hohem Maße geschützt. Da bedeutet die Verbesse-
rung der Technik einen Extraprofit, der nicht durch die Konkurrenz
schließlich zum Verschwinden gebracht würde, so daß die Preise
der Ware sinken müßten. Die Einführung der verbesserten Technik
kommt dann den Konsumenten nicht zugute, sondern nur diesen
straff organisierten Kartellen und Trusts. Die verbesserte Technik
könnte aber größeres Ausmaß der Produktion bedingen und deren
Absatz wieder eine Senkung des Preises erfordern, ohne die Aus-
dehnung der Konsumtion nicht erfolgen würde. Dies kann der Fall
sein, muß es jedoch nicht; es wäre auch möglich, daß zum Beispiel
der Stahltrust diese verbesserte Technik in einigen Betrieben an-
wendete, deren Produktion dann ausreichte, um den ganzen Bedarf
zu den bisherigen Preisen zu decken, während er dafür andere Be-
triebe stillegte. Die Preise blieben dieselben, die Produktionskosten
wären gefallen und der Profit gestiegen. Eine Produktionsaus-
dehnung hätte nicht stattgefunden, die verbesserte Technik hätte
Arbeiter freigesetzt, die keine Aussicht auf Beschäftigung fänden.
Ein ähnliches Resultat könnte auch bei der Kartellorganisation ein-
treten. Die größten Werke führen die Verbesserung ein und dehnen
damit ihre Produktion aus; damit sie das innerhalb des Kartells tun
können, kaufen sie kleineren Werken ihre Beteiligung ab und legen
sie still. Die verbesserte Technik ist angewendet worden und hat
auch Konzentration bewirkt, dagegen keine Ausdehnung der
Produktion.
34/
Die Kartellierung bedeutet außergewöhnliche Extraprofile 1 , und
wir haben gesehen, wie diese Extraprofite kapitalisiert und als
konzentrierte Kapitalmassen den Banken zufließen. Gleichzeitig
aber bedeuten die Kartelle eine Verlangsamung der Kapitalsanlage.
In den kartellierten Industrien, weil die erste Maßregel des Kartells
die Einschränkung der Produktion ist, in den nichtkartellierten, weil
die Senkung der Profitrate zunächst von weiteren Kapitalanlagen
1 Eine interessante Form nimmt der Kartellextraprofit in folgendem Fall
an. Die Lieferung von Schuhmaschinen für die deutsche Industrie lag bis in
die neunziger Jahre fast ausschließlich in den Händen Amerikas. Die nach
Deutschland liefernden amerikanischen Schuhmaschinenfabriken haben sich
zu der „Deutschen Vereinigten Schuhmaschinengesellschaft (D. V. S. G.)"
zusammengeschlossen. Die Maschinen werden nicht käuflich abgegeben, son-
dern gegen eine bestimmte Pacht vermietet. Wünscht ein Schuhfabrikant eine
Maschine zu beziehen, so wird ein Vertrag auf 5 bis 20 Jahre abgeschlossen.
„In diesem verpflichtet sich die liefernde Firma zur Aufstellung der Maschine,
zur kostenlosen Ausführung von Reparaturen und Anbringung aller Neue-
rungen sowie zur Lieferung von Ersatzteilen zu mäßigen Preisen. Dagegen
zahlt der Schuhfabrikant eine einmalige Grundtaxe, die etwa dem Her-
stellungspreis der Maschine entspricht, und außerdem fortlaufend eine be-
stimmte Abgabe per 1000 Umdrehungen der Maschine . . . Die Abgaben . . .
bedeuten einen Betrag von 15 bis 25 Pf. per Paar Stiefel, die der Fabrikant
an die D. V. S. G. entrichtet, einen Tribut, von dessen Größe wir uns erst
einen Begriff machen, wenn wir erfahren, daß zum Beispiel für 1907 drei
Erfurter Schuhfabriken mit zusammen 885 Arbeitern, die vorwiegend jene
Maschinen benützen, 61 300 Mk. für die einjährige Benützung gezahlt
haben." Karl Rehe, „Die deutsche Schuhgroßindustrie", S. 32. Das Inter-
essante besteht hier darin: Die Benützung der Maschinen gewährt den deut-
schen Fabrikanten Extraprofit, weil sie ihren Konkurrenten dadurch über-
legen werden. Der amerikanische Trust zwingt sie, einen Teil dieses Extra-
profits (nicht den ganzen, sonst entfiele das Motiv zur Anwendung dieser
Maschinerie) an ihn abzutreten. Die Stipulierung einer jährlichen Rente
erleichtert einmal den Ankauf der Maschinerie und steigert die Abhängigkeit
des Fabrikanten vom Trust, da er an diese Maschine gebunden ist. Alle Ver-
besserungen dieser Maschinerie werden sofort angewandt und steigern den
Extraprofit, damit den Umsatz des Fabrikanten, damit aber auch die Abgabe
an den Trust, der so einen Teil des fremden Extraprofits in eigenen ver-
wandelt. Den Nutzen aus der verbesserten Technik heimsen so zum größten
Teil der Trust, zu einem geringeren die Anwender der Maschinen und nur
zum kleinsten Teil die Konsumenten ein.
348
zurückschreckt. So wächst einerseits rapid die Masse des zur Akku-
mulation bestimmten Kapitals, während sich anderseits seine An-
lagemöglichkeit kontrahiert. Dieser Widerspruch verlangt seine
Lösung und findet sie im Kapitalexport. Der Kapitalexport selbst
ist nicht eine Folge der Kartellierung. Er ist eine Erscheinung, die
von der kapitalistischen Entwicklung unzertrennlich ist. Aber die
Kartellierung steigert plötzlich den Widerspruch und schafft den
akuten Charakter des Kapitalexports. #
Es entsteht aber die Frage, wo die Grenze der Kartellierung
eigentlich gegeben ist. Und diese Frage muß dahin beantwortet
werden, daß es eine absolute Grenze für die Kartellierung nicht
gibt. Vielmehr ist eine Tendenz zu stetiger Ausbreitung der Kar-
tellierung vorhanden. Die unabhängigen Industrien geraten, wie
wir gesehen haben, immer mehr in Abhängigkeit von kartellierten,
um schließlich von ihnen annektiert zu werden. Als Resultat des
Prozesses ergäbe sich dann ein Generalkartell. Die ganze kapitali-
stische Produktion wird bewußt geregelt von einer Instanz, die das
Ausmaß der Produktion in allen ihren Sphären bestimmt. Dann
wird die Preisfestsetzung rein nominell und bedeutet nur mehr die
Verteilung des Gesamtprodukts auf die Kartellmagnaten einerseits,
auf die Masse aller anderen Gesellschaftsmitglieder anderseits. Der
Preis ist dann nicht Resultat einer sachlichen Beziehung, die die
Menschen eingegangen sind, sondern eine bloß rechnungsmäßige
Art der Zuteilung von Sachen durch Personen an Personen. Das
Geld spielt dann keine Rolle. Es kann völlig verschwinden, da es
sich ja um Zuteilung von Sachen handelt und nicht um Zuteilung
von Werten. Mit der Anarchie der Produktion schwindet der sach-
liche Schein, schwindet die Wertgegenständlichkeit der Ware,
schwindet also das Geld. Das Kartell verteilt das Produkt. Die sach-
lichen Produktionselemente sind wiederproduziert worden und wer-
den zu neuer Produktion verwendet. Von dem Neuprodukt wird ein
Teil auf die Arbeiterklasse und die Intellektuellen verteilt, der
andere fällt dem Kartell zu beliebiger Verwendung zu. Es ist die
bewußt geregelte Gesellschaft in antagonistischer Form. Aber dieser
Antagonismus ist Antagonismus der Verteilung. Die Verteilung
25 Hilferding, Das Finanzkapital
349
selbst ist bewußt geregelt und damit die Notwendigkeit des Geldes
vorüber. Das Finanzkapital in seiner Vollendung ist losgelöst von
dem Nährboden, auf dem es entstanden. Die Zirkulation des Geldes
ist unnötig geworden, der rastlose Umlauf des Geldes hat sein Ziel
erreicht, die geregelte Gesellschaft, und das Perpetuum mobile der
Zirkulation Findet seine Ruh'.
Die Tendenz zur Herstellung eines Generalkartells und die Ten-
denz zur Bildung einer Zentralbank treffen zusammen, und aus
ihrer Vereinigung erwächst die gewaltige Konzentrationsmacht des
Finanzkapitals. Im Finanzkapital erscheinen alle partiellen Kapital -
formen zur Totalität vereinigt. Das Finanzkapital erscheint als
Geldkapital und besitzt in der Tat dessen Bewegungsform G— G ,
geldtragendes Geld, die allgemeinste und begriffloseste Form der
Kapitalbewegung. Als Geldkapital wird es in den beiden Formen
des Leihkapitals und des fiktiven Kapitals den Produktiven zur Ver-
fügung gestellt. Die Vermittlung besorgen die Banken, die zugleich
einen immer größeren Teil in eigenes Kapital zu verwandeln suchen
und dem Finanzkapital damit die Form von Bankkapital geben.
Dieses Bankkapital wird immer mehr die bloße Form — Geldf orm —
des wirklich fungierenden Kapitals, das heißt des industriellen
Kapitals. Zugleich wird die Selbständigkeit des kommerziellen
Kapitals immer mehr beseitigt, während die Trennung des Bank-
kapitals und des produktiven Kapitals im Finanzkapital aufgehoben
wird. Innerhalb des industriellen Kapitals selbst werden die Schran-
ken der einzelnen Sphären durch fortschreitende Vereinigung früher
getrennter und selbständiger Produktionszweige aufgehoben, die
gesellschaftliche Arbeitsteilung — das heißt die Teilung in die ver-
schiedenen Sphären der Produktion, die nur durch die Tauschaktion
als Teile des ganzen gesellschaftlichen Organismus verbunden sind —
stetig verringert, während anderseits die technische Arbeitsteilung
innerhalb der vereinigten Betriebe immer weitergetrieben wird.
So erlischt im Finanzkapital der besondere Charakter des Kapitals.
Das Kapital erscheint als einheitliche Macht, die den Lebensprozeß
der Gesellschaft souverän beherrscht, als Macht, die unmittelbar
entspringt aus dem Eigentum an den Produktionsmitteln, den
550
Naturschätzen und der gesamten akkumulierten vergangenen
Arbeit, und die Verfügung Über die lebendige Arbeit als unmittel-
bar entspringend aus den Eigentumsverhältnissen. Zugleich er-
scheint das Eigentum, konzentriert und zentralisiert in der Hand
einiger größter Kapitabassoziationen, unmittelbar entgegengesetzt
der großen Masse der Kapitallosen. Die Fragenach den Eigentums-
verhältnissen erhält so ihren klarsten, unzweideutigsten, zugespitz-
tes^ Ausdruck, während die Frage nach der Organisation der
gesellschaftlichen Ökonomie durch die Entwicklung des Finanz-
kapitals selbst immer besser gelöst wird.
351
VIERTER ABSCHNITT
DAS FINANZKAPITAL UND DIE KRISEN
XVI. Kapitel
DIE ALLGEMEINEN BEDINGUNGEN DER KRISE
Es ist empirisches Gesetz, daß die kapitalistische Produktion in
einen Kreislauf von Prosperität und Depression gebannt ist. Der
Übergang von einer Phase zur anderen vollzieht sich kritisch. In
einem bestimmten Moment der Prosperität tritt in einer Reihe von
Produktionszweigen Absatzstockung ein, infolgedessen sinken die
Preise; Absatzstockung und Preissenkung verbreiten sich, die Pro-
duktion wird eingeschränkt; dieses Stadium dauert kürzere oder
längere Zeit; die Preise und Profite sind niedrig; allmählich beginnt
sich die Produktion auszudehnen, Preise und Profite steigen; der
Umfang der Produktion ist größer als je zuvor, bis die Wendung
aufs neue eintritt. Die periodische Wiederkehr dieses Vorganges
stellt die Frage nach seinen Ursachen, die eine Analyse des
Mechanismus der kapitalistischen Produktion ergeben muß.
Die allgemeine Möglichkeit der Krise ist gegeben mit der Ver-
doppelung der Ware in Ware und Geld. Dies schließt ein, daß der
Fluß der Warenzirkulation eine Unterbrechung erfahren kann, in-
dem das Geld, statt zur Zirkulation der Waren verwendet zu werden,
als Schatz gerinnt. Der Prozeß Wj— G-W 2 stockt, weil das G, das die
Ware W x realisiert hat, nicht selbst W 2 realisiert. W 2 bleibt unver-
käuflich, und damit ist die Absatzstockung gegeben.
Solange aber das Geld nur als Zirkulationsmittel fungiert, sich
die Ware unmittelbar gegen Geld und dieses gegen Ware umsetzt,
braucht die Verwandlung des Geldes in Schatz nur ein vereinzelter,
isolierter Vorgang zu sein, der die Unverkäuflichkeit einer Ware
bedeutet, aber nicht eine allgemeine Absatzstockung. Dies ändert
355
sich mit der Entwicklung der Funktion des Geldes als Zahlungs-
mittel, weiter mit der Entwicklung des Zirkulationskredits.
Stockung des Verkaufes bedeutet jetzt, daß die bereits versprochene
Zahlung nicht geleistet werden kann. Dieses Zahlungsversprechen
hat aber, wie wir gesehen haben, als Zirkulations- oder Zahlungs-
mittel für eine ganze Reihe anderer Umsätze gedient. Die Zahlungs-
unfähigkeit des einen macht auch die anderen zahlungsunfähig. Die
Verkettung der Zahlungspflichtigen, die das Geld als Zahlungs-
mittel bewirkt hat, ist gesprengt, und die Stockung auf dem einen
Punkt setzt sich auf alle anderen fort; sie wird allgemein. So ent-
wickelt der Zahlungskredit eine Solidarität der Produktionszweige
und gibt die Möglichkeit, daß die partielle Absatzstockung in eine
allgemeine umschlägt.
Aber diese allgemeine Möglichkeit der Krise ist nur ihre all-
gemeine Bedingung: Ohne Geldzirkulation und die Entwicklung
des Geldes in seiner Funktion als Zahlungsmittel ist auch die Krise
unmöglich. Aber Möglichkeit ist noch lange nicht Wirklichkeit. Die
einfache Warenproduktion oder, besser gesagt, die vorkapitalistische
Warenproduktion kennt überhaupt keine Krisen; die Störungen der
Wirtschaft sind keine ökonomisch- gesetzmäßigen Krisen, sondern
Katastrophen, die aus besonderen, natürlichen oder historischen,
also vom ökonomischen Standpunkt aus zufälligen Ursachen, wie
Mißwachs, Dürre, Seuchen, Kriegen, entspringen. Ihr Gemein-
sames ist, daß sie entspringen aus einem Defizit der Reproduktion,
aber durchaus nicht aus Überproduktion irgendwelcher Art. Es ist
dies selbstverständlich, wenn wir bedenken, daß diese Produktion
ja immer noch wesentlich Produktion für den Selbstbedarf ist, daß
Produktion und Konsumtion als Mittel und Zweck verbunden, die
Warenzirkulation eine verhältnismäßig geringe Rolle spielt. Denn
erst die kapitalistische Produktion verallgemeinert die Waren-
produktion, läßt möglichst alle Produkte die Form der Ware an-
nehmen und macht — das ist das Entscheidende — den Verkauf der
Ware zur Vorbedingung der Wiederaufnahme der Reproduktion.
1 Abgesehen von den Resten früherer Eigenproduttion, wie sie sich
namentlich in der bäuerlichen Wirtschaft erhalten, spielt Eigenproduktion
356
Diese Verwandlung der Produkte in Waren bewirkt aber die
Abhängigkeit der Produzenten vom Markt und macht aus der im
Prinzip schon in der einfachen Warenproduktion vorhandenen
Regellosigkeit der Produktion infolge der Selbständigkeit der
Privatwirtschaften erst jene Anarchie in der kapitalistischen Pro-
duktion, die mit der Verallgemeinerung der Warenproduktion, mit
der Ausweitung der lokalen und zersplitterten Märkte zum um-
fassenden Weltmarkt, die zweite allgemeine Bedingung der Krisen
herstellt.
Die dritte allgemeine Bedingung der Krisen stellt der Kapitalis-
mus her durch die Trennung der Produktion von der Konsumtion.
Er trennt einmal den Produzenten von seinem Produkt und redu-
ziert ihn auf jenen Teil des Wertprodukts, der ein Äquivalent für
den Wert der Arbeitskraft darstellt. Er schafft so in den Lohn-
arbeitern eine Klasse, deren Konsumtion in keinem unmittelbaren
Verhältnis zur Gesamtproduktion steht, sondern nur zu dem Teil
der Gesamtproduktion, der gleich ist dem Lohnkapital. Das Produkt,
das die Lohnarbeiter erzeugen, ist aber nicht ihr Eigentum. Ihre
Produktion dient daher nicht dem Zweck ihrer Konsumtion. Um-
gekehrt ist ihre Konsumtion und deren Ausmaß abhängig von der
Produktion, auf die sie keinen Einfluß haben. Die Produktion des
Kapitalisten dient aber nicht der Bedarfsdeckung, sondern dem
Profit. Die Realisierung und Vermehrung des Profits ist der
immanente Zweck kapitalistischer Produktion. Das bedeutet, daß
für das Geschick der Produktion, für ihr Ausmaß, ihre Verminde-
rung oder Vermehrung, nicht die Konsumtion und deren Wachstum
das Entscheidende ist, sondern die Realisierung des Profits. Es wird
auch in der kapitalistischen Gesellschaft eine Rolle, dort, wo das Produkt des
Unternehmens selbst wieder zu einem Element der Reproduktion wird; so
das Getreide zur Aussaat, die Kohle beim Kohlenbergwerk usw. Mit der Zu-
nahme der Kombination wächst der Umfang dieser Art Eigenproduktion. Sie
ist deshalb Eigenproduktion, weil die Ware nicht für den Markt bestimmt,
sondern als Element des konstanten Kapitals in demselben Betrieb verwendet
wird. Sie ist aber toto coelo verschieden von der auf Deckung des Bedarfs
gerichteten Eigenproduktion früherer Gesellschaftsformationen, da sie nicht
der Konsumtion, sondern der Warenproduktion dient.
357
produziert, um einen bestimmten Profit zu erzielen, einen bestimm-
ten Verwertungsgrad des Kapitals zu erhalten. Die Produktion wird
damit abhängig nicht von der Konsumtion, sondern von dem Ver-
wertungsbedürfnis des Kapitals, und eine Verschlechterung der Ver-
wertungsmöglichkeit bedeutet eine Einschränkung der Produktion.
Es bleibt auch in der kapitalistischen Produktionsweise ein all-
gemeiner Zusammenhang zwischen Produktion und Konsumtion,
der ja als natürliche Bedingung allen Gesellschaftsformationen ge-
meinsam ist. Während aber in der Bedarfdeckungswirtschaft die
Konsumtion die Ausdehnung der Produktion bestimmt, die unter
diesen Verhältnissen ihre Schranke nur findet an dem erreichten
Stand der Technik, wird in der kapitalistischen Produktion um-
gekehrt die Konsumtion bestimmt durch das Ausmaß der Produk-
tion. Dieses aber ist begrenzt durch die jeweilige Verwertungsmög-
lichkeit, durch den Verwertungsgrad des Kapitals, durch die Not-
wendigkeit, daß das Kapital und sein Zuwachs eine bestimmte
Profitrate abwerfen. Die Ausdehnung der Produktion stößt hier an
eine rein gesellschaftliche, nur aus dieser bestimmten Gesellschafts -
struktur entspringende und nur dieser eigentümliche Schranke. Die
Krisenmöglichkeit entspringt zwar schon aus der Möglichkeit der
ungeregelten Produktion, also der Warenproduktion überhaupt,
aber ihre Wirklichkeit nur aus einer ungeregelten Produktion, die
zugleich das unmittelbare Verhältnis von Produktion und Kon-
sumtion, das andere Gesellschaftsformationen auszeichnet, aufhebt
und zwischen Produktion und Konsumtion die Bedingung der Ver-
wertung des Kapitals zu jeweils bestimmter Bäte einschiebt.
Der Ausdruck „Überproduktion von Waren" ist überhaupt an
sich so nichtssagend wie der Ausdruck „Unterkonsumtion". Man
kann von einer Unterkonsumtion strenggenommen nur in physiolo-
gischem Sinne sprechen; der Ausdruck hat dagegen keinen Sinn in
der Ökonomie, wo er nur besagen könnte, daß die Gesellschaft
weniger konsumiert, als sie produziert hat. Es ist aber nicht ein-
zusehen, wieso das möglich, wenn nur in der richtigen Proportion
produziert worden. Da das Gesamtprodukt gleich ist dem konstanten
Kapital plus dem variablen plus dem Mehrwert (c + v + m), v ebenso
558
wie m konsumiert werden, die Elemente des verbrauchten konstan-
ten Kapitals sich gegenseitig ersetzen müssen, so kann die Produk-
tion ins Unendliche ausgedehnt werden, ohne zur Überproduktion
von Waren zu führen, das heißt dazu, daß mehr Waren, bei denen
in diesem Zusammenhang und für diese Auffassung nur der Ge-
brauchswert in Betracht käme, mehr Güter also produziert werden,
als konsumiert werden könnten.
Zudem ist eines klar: Da die Krisen in ihrer periodischen Auf-
einanderfolge Produkt der kapitalistischen Gesellschaft sind, so
muß ihre Ursache im Kapitalcharakter gelegen sein. Es muß sich
um eine Störung handeln, die aus dem spezifischen Charakter der
Gesellschaft entspringt. Die enge Basis, die die Konsumtionsver-
hältnisse der kapitalistischen Produktion bieten, ist aber deshalb
allgemeine Bedingung der Krise, weil die Unmöglichkeit, sie zu
erweitern, eine allgemeine Voraussetzung der Absatzstockung ist.
Wäre die Konsumtion beliebig ausdehnbar, so wäre Überproduktion
1 „Es ist eine reine Tautologie, zu sagen, daß die Krisen aus Mangel
an zahlungsfähiger Konsumtion oder an zahlungsfähigen Konsumenten her-
vorgehn. Andre Konsumarten als zahlende kennt das kapitalistische System
nicht, ausgenommen die sub forma pauperis oder die des , Spitzbuben'. Daß
Waren unverkäuflich sind, heißt nichts, als daß sich keine zahlungsfähigen
Käufer für sie fanden, also Konsumenten (sei es nun, daß die Waren in
letzter Instanz zum Behuf produktiver oder individueller Konsumtion gekauft
werden). Will man aber dieser Tautologie einen Schein tiefrer Begründung
dadurch geben, daß man sagt, die Arbeiterklasse erhalte einen zu geringen
Teil ihres eignen Produkts, und dem TIbelstand werde mithin abgeholfen,
sobald sie größern Anteil davon empfängt, ihr Arbeitslohn folglich wächst,
so ist nur zu bemerken, daß die Krisen jedesmal gerade vorbereitet werden
durch eine Periode, worin der Arbeitslohn allgemein steigt und die Arbeiter-
klasse realiter großem Anteil an dem für Konsumtion bestimmten Teil des
jährlichen Produkts erhält. Jene Periode müßte — von dem Gesichtspunkt
dieser Bitter vom gesunden und ,einfachen' (!) Menschenverstand — um-
gekehrt die Krise entfernen. Es scheint also, daß die kapitalistische Produktion
vom guten oder bösen Willen unabhängige Bedingungen einschließt, die
jene relative Prosperität der Arbeiterklasse nur momentan zulassen, und zwar
immer nur als Sturmvogel einer Krise." Dazu bemerkt Engels in der An-
merkung: „Ad notam für etwaige Anhänger der Bodbertusschen Krisen-
theorie." Marx, „Kapital", II., S. 406 ff. (Neuausgabe S. 414. Die Red.)
359
■
nicht möglich. Aher unter kapitalistischen Verhältnissen bedeutet
Ausdehnung der Konsumtion Verminderung der Profitrate. Denn
Ausdehnung der Konsumtion der breiten Massen ist gebunden an
die Steigerung des Arbeitslohnes. Diesebedeutet aber Verminderung
der Mehrwertsrate und daher Verminderung der Profitrate. Steigt
daher die Nachfrage nach Arbeitern durch die Akkumulation so
stark, daß eine Verminderung der Profitrate eintritt, so daß (als
äußerste Grenze) das vermehrte Kapital keinen größeren Profit ab-
werfen würde als das unvergrößerte, so muß die Akkumulation
unterbleiben, da ja der Zweck der Akkumulation, Vergrößerung
des Profits, nicht erreicht würde. An diesem Punkte tritt eben die
eine notwendige Voraussetzung der Akkumulation, die nach Er-
weiterung der Konsumtion, in "Widerspruch mit der anderen
Bedingung, der nach Realisierung des Profits. Die Verwertungs-
bedingungen rebellieren gegen die Konsumtionserweiterung, und
da sie die entscheidenden sind, steigert sich der Widerspruch bis
zur Krise. Aber deshalb ist die enge Basis der Konsumtion doch eben
nur eine allgemeine Bedingung der Krise, die aus der Konstatierung
der „Unterkonsumtion" durchaus nicht erklärt wird. Am wenigsten
ist daraus der periodische Charakter der Krise zu erklären, da eine
Periodizität aus einer ständigen Erscheinung überhaupt nicht er-
klärt werden kann. So steht es auch durchaus nicht im Widerspruch
zu der früher angeführten Stelle, wenn Marx meint:
„Die gesamte Warenmasse, das Gesamtprodukt, sowohl der Teil,
der das konstante und variable Kapital ersetzt, wie der den Mehr-
wert darstellt, muß verkauft werden. Geschieht das nicht, oder nur
zum Teil, oder nur zu Preisen, die unter den Produktionspreisen
stehn, so ist der Arbeiter zwar exploitiert, aber seine Exploitation
realisiert sich nicht als solche für den Kapitalisten, kann mit gar
keiner oder nur teilweiser Realisation des abgepreßten Mehrwerts,
ja mit teilweisem oder ganzem Verlust seines Kapitals verbunden
sein. Die Bedingungen der unmittelbaren Exploitation und die
ihrer Realisation sind nicht identisch. Sie fallen nicht nur nach Zeit
und Ort, sondern auch begrifflich auseinander. Die einen sind nur
beschränkt durch die Produktivkraft der Gesellschaft, die andren
durch die Proportionalität der verschiednen Produktionszweige und
durch die Konsumtionskraft der Gesellschaft. Diese letztre ist aber
bestimmt weder durch die absolute Produktivkraft noch durch
die absolute Konsumtionskraft, sondern durch die Konsumtionskraft
auf Basis antagonistischer Distributionsverhältnisse, welche die
Konsumtion der großen Masse der Gesellschaft auf ein nur inner-
halb mehr oder minder enger Grenzen veränderliches Minimum
reduziert. Sie ist ferner beschränkt durch den Akkumulationstrieb,
den Trieb nach Vergrößerung des Kapitals und nach Produktion
von Mehrwert auf erweiterter Stufenleiter. Dies ist Gesetz für die
kapitalistische Produktion, gegeben durch die beständigen Revo-
lutionen in den Produktionsmethoden selbst, die damit beständig
verknüpfte Entwertung von vorhandnem Kapital, den allgemeinen
Konkurrenzkampf und die Notwendigkeit, die Produktion zu ver-
bessern und ihre Stufenleiter auszudehnen, bloß als Erhaltungs-
mittel und bei Strafe des Untergangs. Der Markt muß daher be-
ständig ausgedehnt werden, so daß seine Zusammenhänge und die
sie regelnden Bedingungen immer mehr die Gestalt eines von den
Produzenten unabhängigen Naturgesetzes annehmen, immer un-
kontrollierbarer werden. Der innere Widerspruch sucht sich aus-
zugleichen durch Ausdehnung des äußern Feldes der Produktion.
Je mehr sich aber die Produktivkraft entwickelt, um so mehr gerät
sie in Widerspruch mit der engen Basis, worauf die Konsumtions-
verhältnisse beruhen. Es ist auf dieser widerspruchsvollen Basis
durchaus kein Widerspruch, daß Übermaß von Kapital verbunden
ist mit wachsendem Übermaß von Bevölkerung; denn obgleich,
beide zusammengebracht, die Masse des produzierten Mehrwerts
sich steigern würde, steigert sich eben damit der Widerspruch
zwischen den Bedingungen, worin dieser Mehrwert produziert, und
den Bedingungen, worin er realisiert wird." 1
Die periodische Krise ist dem Kapitalismus eigentümlich, sie
kann also nur abgeleitet werden aus besonderen kapitalistischen
Ei gentümlichkeiten. 2
1 Marx, „Kapital", III., 1., S. 225 fi. (Neuausgabe S. 272/273. Die Red.)
2 „Es handelt sich aber darum, die weitere Entwicklung der potentiellen
360
361
Die Krise ist ganz allgemein eine Zirkulationsstörung. Sie er-
scheint als massenhafte Unverkäuflichkeit der Ware, als Unmög-
lichkeit der Realisierbarkeit des Warenwertes (respektive ihres Pro-
duktionspreises) in Geld. Sie kann daher nur erklärt werden aus
den spezifisch kapitalistischen Bedingungen der Warenzirkulation,
nicht aus den Bedingungen einfacher Warenzirkulation. Das spezi-
fisch Kapitalistische aber an der Warenzirkulation ist dies, daß die
Waren als Produkt vom Kapital, als Warenkapital produziert sind
und als solche realisiert werden müssen. Diese Realisierung schließt
daher Bedingungen ein, die nur dem Kapital als solchem zukommen,
und das sind eben seine Verwertungsbedingungen.
Die Analyse dieser Verwertungsbedingungen sowohl vom Stand-
punkt des individuellen als — was hier vor allem wichtig — vom
Standpunkt des gesellschaftlichen Kapitals hat Marx im II. Band
des „Kapital" geliefert und damit einen Versuch durchgeführt, der
außer von Quesnay in der politischen Ökonomie nicht einmal be-
gonnen wurde. Wenn Marx einmal den „Tableau economique"
Quesnays den genialsten Einfall nennt, dessen sich die politische
Ökonomie bisher schuldig gemacht habe, so ist seine eigene Analyse
des gesellschaftlichen Produktionsprozesses sicher die genialste
Durchführung des genialen Einfalls, wie überhaupt die so unbeach-
teten Analysen des II. Bandes vom Standpunkt sozusagen der reinen
ökonomischen Vernunft die glänzendsten in dem erstaunlichen
Werke sind. Vor allem aber ist eine Erkenntnis der Krisenursachen
nur möglich, wenn man sich die Ergebnisse der Marxschen Analyse
vergegenwärtigt.
Krisis — die reale Kxisis kann nur aus der realen Bewegung der kapitalistischen
Produktion, Konkurrenz und Kredit dargestellt werden — zu verfolgen,
soweit sie aus den Formbestimmungen des Kapitals hervorgeht, die ihm
als Kapital eigentümlich und nicht in seinem bloßen Dasein als Ware und
Geld eingeschlossen sind." (Marx, „Theorien über den Mehrwert", IL, 2.,
S. 286.)
1 Es ist das Verdienst Tugan-Baranowskis, auf die Bedeutung dieser
Untersuchungen für das Krisenproblem in seinen bekannten „Studien zur
Theorie und Geschichte der Handelskrisen in England" hingewiesen zu
haben. Merkwürdig ist nur, daß es erst eines solchen Hinweises bedurfte.
562
Die Gleichgewichtsbedingungen
des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses
Wenn wir die wichtigsten Ergebnisse der Marxschen Analyse
kurz rekapitulieren, so ergibt sich folgendes:
Wir setzen bei dieser Betrachtung zunächst gleichbleibende
Stufenleiter der kapitalistischen Produktion, also einfache Repro-
duktion voraus und sehen ebenso ab von Wert- oder Preis-
veränderungen.
Das Gesamtprodukt, also auch die Gesamtproduktion der Gesell-
schaft, zerfällt in zwei große Abteilungen:
1. Produktionsmittel, Waren, welche eine Form besitzen, worin
sie in die produktive Konsumtion eingehen müssen oder wenigstens
eingehen können.
2. Konsumtionsmittel, Waren, welche eine Form besitzen, worin
sie in die individuelle Konsumtion der Kapitalisten- und Arbeiter-
klasse eingehen.
In jeder Abteilung zerfällt das Kapital in zwei Bestandteile:
variables (v) und konstantes (c) Kapital. Letzteres zerfällt wieder in
fixes und in zirkulierendes konstantes Kapital.
Der Wertteil c, der das in der Produktion verzehrte konstante
Kapital darstellt, deckt sich nicht mit dem Wert des in der Produk-
tion angewendeten konstanten Kapitals. Das fixe Kapital hat nur
einen Teil seines Wertes auf das Produkt übertragen. Im folgenden
sehen wir zunächst von dem fixen Kapital ab.
Das Gesamtwarenprodukt sei nun durch folgendes Schema ver-
körpert :
I 4000 c+ 1000 v+ 1000 m = 6000 Produktionsmittel
II 2000 c+ 500 v+ 500 m = 3000 Konsumtionsmittel
Gesamtwert = 9000, wovon das in seiner Naturalform fort-
fungierende fixe Kapital nach der Voraussetzung ausgeschlossen ist.
Wenn wir nun die auf Grundlage einfacher Reproduktion, wo
also der ganze Mehrwert unproduktiv konsumiert wird, notwendi-
gen Umsätze untersuchen und dabei zunächst die sie vermittelnde
363
Geldzirkulation unbeachtet lassen, so ergeben sich uns von vorn-
herein drei große Anhaltspunkte:
1. Die 500 v, Arbeitslohn der Arbeiter, und die 500 m, Mehr-
wert der Kapitalisten der Abteilung II, müssen in Konsumtions-
mittel verausgabt werden. Aber ihr Wert existiert in den Konsum-
tionsmitteln zum Wert von 1000, die in den Händen der Kapitali-
sten, Abteilung II, die vorgeschossenen 500 v ersetzen und die
500 m repräsentieren. Arbeitslohn und Mehrwert der Abteilung II
werden also innerhalb der Abteilung II gegen Produkt von II um-
gesetzt. Damit verschwinden aus dem Gesamtprodukt (500 v+
500 m) II = 1000 Konsumtionsmittel.
2. Die 1000 v+ 1000 m der Abteilung I müssen ebenfalls in
Konsumtionsmitteln verausgabt werden, also in Produkt von Ab-
teilung II. Sie müssen sich also austauschen gegen den von diesem
Produkt noch übrigen, dem Belauf nach gleichen, konstanten
Kapitalteil, 2000 c. Dafür erhält Abteilung II einen gleichen Be-
trag von Produktionsmitteln, Produkt von I, worin der Wert von
1000 v+ 1000 m von I verkörpert. Damit verschwinden aus der
Rechnung 2000 c II und (1000 v+ 1000 m) I.
3. Es bleiben noch 4000 c I. Diese bestehen in Produktions-
mitteln, die nur in Abteilung I vernutzt werden können, zum Ersatz
ihres verzehrten konstanten Kapitals dienen und daher durch gegen-
seitigen Austausch zwischen den einzelnen Kapitalisten von I eben-
so ihre Erledigung finden wie die (500 v+500 m) II durch Aus-
tausch zwischen den Arbeitern und Kapitalisten, respektive zwischen
den einzelnen Kapitalisten von II.
Eine besondere Rolle spielt der Ersatz des fixen Kapitals. Ein
Wertteil des konstanten Kapitals ist übertragen von den Arbeits-
mitteln auf das Arbeitsprodukt; diese Arbeitsmittel fahren fort, als
Elemente des produktiven Kapitals zu fungieren, und zwar in ihrer
alten Naturalform; es ist ihr Verschleiß, der Wertverlust, den sie
nach und nach erleiden während ihrer in bestimmter Periode fort-
dauernden Funktion, der als Wertelement der vermittels derselben
produzierten Waren wieder erscheint. Das Geld nun, soweit es den
Warenwertteil vergoldet, der gleich ist dem "Verschleiß von fixem
564
Kapital, wird nicht wieder rückverwandelt in den Bestandteil des
produktiven Kapitals, dessen Wertverlust es ersetzt. Es schlägt
nieder neben dem produktiven Kapital und verharrt in seiner Geld-
form.
Dieser Geldniedcrschlag wiederholt sich, bis die aus einer größe-
ren oder geringeren Anzahl von Jahren bestehende Reproduktions-
epoche abgelaufen ist, während deren das fixe Element des kon-
stanten Kapitals unter seiner alten Naturalform fortfährt im
Produktionsprozeß zu fungieren. Sobald das fixe Element, Baulich-
keiten, Maschinerie usw., ausgelebt hat, nicht länger im Produk-
tionsprozeß fungieren kann, existiert sein Wert neben ihm, voll-
ständig ersetzt in Geld — der Summe der Geldniederschläge, der
Werte, die vom fixen Kapital allmählich übertragen worden auf die
Waren, in deren Produktion es mitgewirkt und die durch den Ver-
kauf der Waren in Geldform übergegangen. Dies Geld dient dann
dazu, das fixe Kapital (oder Elemente desselben, da die verschiedenen
Elemente desselben verschiedene Lebensdauer haben) in natura zu
ersetzen und so diesen Bestandteil des produktiven Kapitals wirklich
zu erneuern. Dies Geld ist also Geldform eines Teiles des konstanten
Kapitalwerts, des fixen Teiles desselben.
Diese Schatzbildung ist also selbst ein Element des kapitalistischen
Reproduktionsprozesses, Reproduktion und Aufspeicherung — in
Geldform — des Wertes des fixen Kapitals oder seiner einzelnen
Elemente bis zu der Zeit, wo das fixe Kapital ausgelebt und folglich
seinen ganzen Wert an die produzierten Waren abgegeben hat und
nun in natura ersetzt werden muß. Dies Geld verliert aber nur seine
Schatzform und tritt daher erst aktiv wieder ein in den durch
die Zirkulation vermittelten Reproduktionsprozeß des Kapitals,
sobald es rückverwandelt wird in neue Elemente des fixen Kapi-
tals, um die abgestorbenen zu ersetzen. Damit aber keine Störung
der einfachen Reproduktion stattfinde, muß der Teil des fixen
Kapitals, der jährlich abstirbt, gleich sein dem, der jährlich zu
erneuern ist.
Betrachten wir zum Beispiel den Umsatz von (1000 v+ 1000 m) I
gegen 2000 c II. In diesen 2000 c sind 200 fixes Kapital zu ersetzen.
2(> Hilferding, Das Finanzkapital
56"
Es tauschen sich also 1800 c, die nur in zirkulierendes konstantes
Kapital zu verwandeln sind, um in 1800 (v+m) I; die 200, die
von I übrigbleiben und die Naturalform von fixem Kapital haben,
müssen nun ebenfalls von II bezogen werden; sie können aber nur
bezogen werden, wenn Kapitalisten von II 200 in Geld vorrätig
haben, um 200 fixes Kapital von I zu kaufen; denn 200 müssen in
Geld von anderen Kapitalisten II ersetzt und festgehalten werden
in Geldform als Verschleiß für ihr fixes Kapital. Es werden also
Kapitalisten, die aus früheren Jahren den Verschleiß ihres fixen
Kapitals sukzessive in Geld abgeschätzt haben, in diesem Jahre ihr
fixes Kapital in natura erneuem; sie kaufen um 200 Geld den Rest
von I (v + m) = 200. I kauft um andere 200 Geld den Rest der
Konsumtionsmittel von den anderen Kapitalisten II, die dies Geld,
das für sie Verschleiß ihres fixen Kapitals bedeutet, ihrerseits auf-
schatzen. Der Teil der Kapitalisten II also, der in diesem Jahre sein
fixes Kapital in natura erneuert, liefert das Geld, womit die anderen
Kapitalisten II ihren Verschleißteil vergolden und als Geld fest-
halten können. Es muß also eine konstante Proportion zwischen ab-
sterbendem und zu erneuerndem fixen Kapital angenommen wer-
den. Ferner aber muß auch angenommen werden, daß die Propor-
tion zwischen absterbendem (und daher zu erneuerndem) fixen
Kapital und dem in alter Naturalform fortwirkenden konstant
bleibt. Denn stiege das absterbende fixe Kapital auf 300, so hätte
das zirkulierende Kapital abgenommen. II c hätte jetzt weniger
zirkulierendes Kapital und könnte die Produktion nicht auf glei-
cher Stufenleiter fortsetzen. Ferner würde auch, wenn das fixe
Kapital auf 300 stiege, II aber nur 300 Geld für Erneuerung des
Kapitals in natura auszugeben hat, 100 fixes Kapital in I unver-
käuflich sein.
Es kann also Mißverhältnis in der Produktion von fixem und
zirkulierendem Kapital auftreten bei bloßer Erhaltung des fixen
Kapitals, wenn nur - was in Wirklichkeit auch stets der Fall - die
Proportion des jährlich absterbenden fixen Kapitals zu dem weiter-
fungierenden wechselt.
Ebenso sah man vorhin, daß zur Ermöglichung einfacher Repro-
366
duktion bestimmte Proportionsverhältnisse erfüllt sein müssen.
I (v+m) mußte gleich sein II c. Die Erfüllung dieser Proportion
wird infolge der Anarchie der kapitalistischen Gesellschaft stets
gestört. Um die Produktion ständig in Gang zu halten, ist ein ge-
wisses Maß von Überproduktion stets notwendig, um für plötzlich
auftretende Bedürfnisse sowie für die fortwährenden Schwankungen
des Bedarfes stets gerüstet zu sein. Beständig finden aber gewisse
Störungen und Unregelmäßigkeiten im Rückfluß des umschlagen-
den Kapitalwertes statt. Um diese Unregelmäßigkeiten zu über-
winden, müssen die Kapitalisten, wie einerseits über Warenvorrat,
so anderseits stets über Geldvorrat verfügen, um über diesen Waren-
vorrat immer entsprechend verfügen und Störungen ausgleichen zu
können. Dieser Ausgleich erfordert also zuschüssiges Geld, Reserve-
geldkapital; dieses muß notwendig in Geldform gehalten werden,
weil ja gerade der Umschlag des Warenkapitals es ist, der gestört
werden kann, andere Waren und zu einem früheren Zeitpunkt dem
Kapitalisten zur Verfügung stehen müssen. Nur in der Geldf orm aber
hat der Wert die Form des allgemeinen Äquivalents, kann er sich
jederzeit in beliebige andere Waren verwandeln. Auch hier ent-
springt die Notwendigkeit des Geldes aus der Anarchie der kapitali-
stischen Produktionsweise.
„Ist die kapitalistische Form der Reproduktion einmal beseitigt,
so kommt die Sache darauf hinaus, daß die Größe des absterbenden
und daher in natura zu ersetzenden Teils des fixen Kapitals (hier des
in der Erzeugung der Konsumtionsmittel fungierenden) in ver-
schiednen sukzessiven Jahren wechselt . . . Die zur jährlichen Pro-
duktion der Konsumtionsmittel nötige Masse von Rohstoffen, Halb-
fabrikaten und Hilfsstoffen — sonst gleichbleibende Umstände vor-
ausgesetzt — nimmt deswegen nicht ab; die Gesamtproduktion der
Produktionsmittel müßte also im einen Fall zunehmen, im andren
abnehmen. Diesem kann nur abgeholfen werden durch fort-
währende relative Überproduktion; einerseits ein gewisses Quantum
fixes Kapital, das mehr produziert, als direkt nötig ist, andrerseits
und namentlich Vorrat von Rohstoff usw., der über die unmittel-
baren jährlichen Bedürfnisse hinausgeht (dies gilt ganz besonders
w
367
von Lebensmitteln). Solche Art Überproduktion ist gleich mit Kon-
trolle der Gesellschaft über die gegenständlichen Mittel ihrer eignen
Reproduktion. Innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft aber ist
sie ein anarchisches Element."
Diese relative Überproduktion muß innerhalb gewisser Grenzen
auch in der kapitalistischen Gesellschaft beständig stattfinden und
findet ihren Ausdruck in einem stets vorhandenen Warenvorrat,
der zum Ausgleich von Störungen dient. Ihm entspricht auf der
anderen Seite eine Reserve von Geldkapital zur Verfügung der
industriellen Kapitalisten, die ihnen die Möglichkeit gibt, falls
Störungen eintreten, aus dem Warenvorrat die nötigen Elemente
zur Fortführung ihrer Produktion sich zu verschaffen. Dieses
Reservegeldkapital, das allen Kapitalisten zur Sicherung gegen
momentane Störungen auch in normalen Zeiten zur Verfügung
stehen muß, ist nicht zu verwechseln mit dem Rescrvegeldkapital,
das notwendig wird, wenn der Absatz der Waren stockt. Die Zeiten
der Prosperität sind einerseits solche, in denen die Produktion
stark und rasch erweitert wird, anderseits früheres Reservegeld-
kapital in produktives verwandelt wird ; das Reservegeldkapital ver-
mindert sich, und seine Verminderung bedeutet den Wegfall des die
Störungen ausgleichenden Moments; dies ist daher eine Ursache
der Krise.
Anderseits ist festzuhalten, daß die Notwendigkeit solcher rela-
tiver Überproduktion nicht auf der kapitalistischen Gesellschaft,
sondern auf der Natur des Reproduktionsprozesses beruht, sobald
jene Produktionselemente, die in der kapitalistischen Gesellschaft
als fixes Kapital erscheinen, einen größeren Umfang erreicht haben.
Diese aus technisch natürlichen Umständen notwendige „Über-
produktion" ist in Wirklichkeit bloße Vorratsbildung und als solche
auch einer geregelten Bedarfsdeckungswirtschaft eigen und nicht
zu verwechseln mit der allgemeinen Überproduktion während der
Krise. Innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft aber bildet auch
diese Überproduktion ein unter Umständen krisenverschärfendes
Moment.
1 Marx, „Kapital", IT., S. 465. (Neuausgabe S. 473. Die Red.)
368
Die Gleichgewichtsbedingungen
des kapitalistischen Akkumulationsprozesses
Verlangt schon die einfache Reproduktion, die in der kapitalisti-
schen Gesellschaft, für die die Akkumulation des Kapitals Lebens-
bedingung ist, in Wirklichkeit nicht vorkommt, was natürlich nicht
ausschließt, daß im Laufe des industriellen Zyklus ein lahr nicht,
nur gleichbleibende, sondern sogar verminderte Reproduktion auf-
weist, bestimmte komplizierte Proportionsverhältnisse, so werden
diese noch komplizierter, falls der Akkumulationsprozeß ungestört
vor sich gehen soll. Marx gibt folgendes Schema:
I Produktion der Produktionsmittel:
4000 c+ 1000 v+ 1000 m = 6000.
II Produktion der Konsumtionsmittel:
1500 c + 750 v+750 m = 3000.
Gesamtwert des gesellschaftlichen Produkts = 9000.
Angenommen nun, daß I die Hälfte seines Mehrwerts = 500
akkumuliert, die andere Hälfte als Revenue verzehrt.
Wir haben dann folgende Umsätze: 1 000 v+ 500 m, die als
Revenue verausgabt werden, werden von I umgesetzt gegen
1500 c IL II ersetzt sich so sein konstantes Kapital und liefert I
die von ihm zu verbrauchenden Konsumtionsmitte], ein Umsatz,
dem wir schon ganz analog in der Analyse der einfachen Reproduk-
tion begegnet sind. Von den 5001m, die noch übrig sind und in
Kapital verwandelt werden sollen, müssen bei gleichbleibender
organischer Zusammensetzung 400 in konstantes und 100 in
variables verwandelt werden. Die 500 existieren in Produktions-
mitteln, und zwar müssen 400 davon in solchen existieren, die I für
Vergrößerung seines konstanten Kapitals benötigt. I schlägt also
diese 400 zu seinem konstanten Kapital. Der Rest von 100 m ist in
variables Kapital, also in Lebensmittel zu verwandeln; es muß also
von II gekauft werden, und da er in Produktionsmitteln existiert,
muß II sie zur Vergrößerung seines eigenen konstanten Kapitals
benützen.
369
Wir haben dann für I ein Kapital von 4400 c+ 1 100 v = 5500.
II hat jetzt für konstantes Kapital 1600 c; es muß zu deren Be-
arbeitung weitere 50 v in Geld für Ankauf neuer Arbeitskraft zu-
schießen, so daß sein variables Kapital von 750 auf 800 wächst.
Diese Ausdehnung des konstanten wie variablen Kapitals von II
um zusammen 150 wird bestritten aus seinem Mehrwert; von den
750 II m bleiben also nur 600 m als Konsumtionsfonds der Kapi-
talisten II, deren Jahresprodukt sich nun verteilt wie folgt :
II 1600c + 800v+600m (Konsumtionsfonds) = 3000.
Wir haben nun folgendes Schema:
I 4400c+1100v+500 Konsumtionsfonds = 6000
II 1600 c+ 800v+600 Konsumtionsfonds =3000
Summe = 9000 wie oben.
Davon sind Kapital :
I 4400 c+1 100 v (Geld) = 5500
II 1600c+ 800 v (Geld) = 2400
während die Produktion begann mit
I 4000 c+ 1000 v= 5000
II 1500 c+ 750 v= 2250
Wir sehen hier eine Reihe neuer komplizierter Bedingungen.
Einmal müssen in I die 500 m, die zu akkumulieren sind, in solchen
Produktionsmitteln produziert sein, daß */* davon zu konstantem
Kapital für I, 1 /s zu konstantem Kapital für II geeignet sind. So-
dann hängt der Grad der Akkumulation in II ab von der Akku-
mulation in I. In I wird die Hälfte des Mehrwerts akkumuliert, in
II ist dies unmöglich;vondemMehrwertvon750 kann nur 150, also
nur 1 /b akkumuliert werden, während *(» konsumiert werden müssen.
Betrachten wir nun den Fortgang der Akkumulation :
Wird mit dem vermehrten Kapital nun wirklich produziert, so
erhalten wir am Ende des nächsten Jahres :
I 4400 c+ 1100 v+ 1100 m = 6600
II 1600 c+ 800 v+ 800 m = 3200
Wird in derselben Weise fortakkumuliert, so erhalten wir dann
im Jahre darauf:
= 7900,
= 7250.
= 9800.
570
= 10780.
I 4840c+1210v+1210m = 7260
II 1760 c+ 880 v+ 880 m = 3520
In diesem Beispiel war vorausgesetzt, daß die Hälfte des Mehr-
werts I akkumuliert, und I (v + Vs m) = II c.
I (v+m) muß, soll akkumuliert werden, immer größer sein als
II c, denn ein Teil von I m kann eben nicht in II c verwandelt wer-
den, sondern muß als Produktionsmittel dienen. Dagegen kann I
(v+Vs m) größer oder kleiner sein als II c. Nähere Ausführungen
sind für unseren Zweck unnötig. 1
Die gesteigerte Produktion erfordert eine gesteigerte Goldmenge
zu ihrem Umsatz. Diese gesteigerte Goldmenge muß, bei gleicher
Umlaufgeschwindigkeit und vom Kredit abgesehen, von der Gold-
produktion geliefert werden. Die kapitalistische Produktion würde
hier an eine natürliche Schranke stoßen. Das Kreditsystem schiebt
diese Schranke außerordentlich zurück, schafft sie aber nicht ganz
aus der Welt.
Betrachten wir nun noch einen Augenblick die notwendige Vor-
aussetzung, damit jene Zirkulationsprozesse, die die Akkumulation
in sich schließen, vor sich gehen können. Wir haben in unserem
Beispiel angenommen, daß I 500 m akkumuliert und davon 400 in
konstantes Kapital verwandelt werden. Durch welche Zirkulations-
prozesse wird dies möglich, mit welchem Geld kauft I die 400?
Betrachten wir zunächst die Akkumulation eines einzelnen Kapi-
talisten. Damit dieser den Mehrwert in Kapital verwandeln kann,
muß der Mehrwert zuvor eine bestimmte Größe erreicht haben.
Eine Reihe Jahre hindurch muß also der Mehrwert, der am Ende
des Jahres in Geld verwandelt wurde, in Geldform aufgeschatzt
werden. Sowohl die Kapitalien der verschiedenen Industriezweige
als auch innerhalb dieser die individuellen Kapitale befinden sich
auf verschiedenen Stufen des Prozesses der sukzessiven Verwand-
lung von Mehrwert in Kapital. Ein Teil der Kapitalisten verwandelt
daher beständig sein zu entsprechender Größe angewachsenes poten-
tielles Geldkapital in produktives Kapital, während ein anderer noch
1 Siehe weitere Beispiele bei Marx, „Kapital", IL, S. 512 ff. (Neuausgabe
S. 519-529. Die Red.)
371
beschäftigt ist mit der Aufschatzung seines potentiellen Geld-
kapitals. Kapitalisten, diesen beiden Kategorien angehörig, treten
sich also gegenüber, die einen als Käufer, die anderen als Verkäufer
und jeder der beiden in dieser exklusiven Rolle.
A verkaufe zum Beispiel 600 (= 400 c+ 100 v+ 100 m) an B
(der mehr als einen Käufer repräsentieren mag). Er hat für 600
"Waren verkauft, gegen 600 in Geld, wovon 100 Mehrwert dar-
stellen, die er der Zirkulation entzieht, sie auf schätzt als Geld; aber
diese 100 Geld sind nur die Geldform des Mehrprodukts, das der
Träger eines Wertes von 100 war.
Die Schatzbildung ist überhaupt keine Produktion, also von vorn-
herein auch kein Inkrement der Produktion. Die Aktion des Kapi-
talisten dabei besteht nur darin, daß er das durch Verkauf des Mehr-
produkts von 100 ergatterte Geld der Zirkulation entzieht, festhält
und mit Beschlag belegt. Diese Operation findet nicht nur statt auf
Seite des A, sondern auf zahlreichen Punkten der Zirkulations-
peripherie von anderen A , A , A , Kapitalisten, die alle ebenso
emsig an dieser Sorte Schatzbildung arbeiten. Diese zahlreichen
Punkte, wo Geld der Zirkulation entzogen wird und sich in zahl-
reichen individuellen Schätzen respektive potentiellen Geldkapita-
lien aufhäuft, scheinen ebenso viele Hindernisse der Zirkulation,
weil sie das Geld immobilisieren und es seiner Zirkulationsfähigkeit
für längere oder kürzere Zeit berauben.
A vollbringt aber diese Schatzbildung nur, sofern er — mit Bezug
auf sein Mehrprodukt — nur als Verkäufer, nicht hintennach als
Käufer auftritt. Seine sukzessive Produktion von Mehrprodukt -
dem Träger seines zu vergoldenden Mehrwerts — ist also die Vor-
aussetzung seiner Schatzbildung. Obgleich also A Geld für seinen
Mehrwert der Zirkulation entzieht und es aufschatzt, wirft er
anderseits Ware in sie hinein, ohne ihr andere Ware dafür zu ent-
ziehen, wodurch B, B , B usw. ihrerseits befähigt werden, Geld
hineinzuwerfen und dafür nur Ware ihr zu entziehen.
„Wie vorher, bei Betrachtung der einfachen Reproduktion, finden
wir hier wieder, daß der Umsatz der verschiednen Bestandteile des
jährlichen Produktes, d. h. ihre Zirkulation (die zugleich Reproduk-
tion des Kapitals, und zwar seine Wiederherstellung in seinen ver-
schiednen Bestimmtheiten, konstantes, variables, fixes, zirkulieren-
des Geldkapital, Warenkapital, umfassen muß) keineswegs bloßen
Kauf von Ware voraussetzt, der sich durch nachfolgenden Verkauf,
oder Verkauf, der sich durch nachfolgenden Kauf ergänzt, so daß
tatsächlich nur Umsatz von Ware gegen Ware stattfände (das Geld
also bloßes Zirkulationsmittel und damit relativ überflüssig wäre,
R. H.), wie die politische Ökonomie, namentlich die Freihandels-
schule seit den Physiokraten und Adam Smith annimmt (verführt
durch polemische Interessen im Kampfe gegen Monetär- und
Merkantilsystem, R. H.). Wir wissen, daß das fixe Kapital, nach-
dem die Auslage dafür einmal gemacht, während seiner ganzen
Funktionszeit nicht erneuert wird, sondern in der alten Form fort-
wirkt, während sein Wert sich allmählich in Geld niederschlägt."
Was hier das Geld überhaupt erst ermöglicht, ist diese Trennung und
Verselbständigung der Wertzirkulation gegenüber der Beständig-
keit der technischen Funktion im Produktionsprozeß. Gesellschaft-
lich ist diese Trennung nicht möglich, und es muß jedesmal soviel
fixes Kapital geliefert werden, als altes verschleißt. Individuell aber
wird der Verschleißwertteil Jahre hindurch in Geldform fest-
gehalten. „Wir sahen nun, daß die periodische Erneuerung des
fixen Kapitals II C (welcher gesamte Kapitalwert II e sich umsetzt in
Elemente zum Wert von I( v+m \) voraussetzt einerseits bloßen Kauf
des fixen Teils von II C , der sich aus Geldform in Naturalform rück-
verwandelt und welchem entspricht bloßerVerkaufvonI m ;andrerseits
voraussetzt bloßen Verkauf von Seiten II C , Verkauf des fixen (Ver-
schleiß-)Wertteils desselben, der sich in Geld niederschlägt und
welchem entspricht bloßer Kauf von I m . Damit sich hier der Um-
satz normal vollziehe, ist vorauszusetzen, daß bloßer Kauf seitens
II dem Wertumfang nach gleich sei dem bloßen Verkauf seitens
II C . . . Sonst wird die einfache Reproduktion gestört; bloßer Kauf
hier muß gedeckt werden durch bloßen Verkauf dort. Ebenso ist
hier vorauszusetzen, daß der bloße Verkauf des schatzbildenden
Teils A, A , A von I m im Gleichgewicht stehe mit dem bloßen
1 Marx, „Kapital", II., S. 495. (Neuausgabe S. 499/500. Die Red.)
57i
Kauf des Teils B, B\ B" in I m , der seinen Schatz in Elemente von
zusätzlichem produktivem Kapital verwandelt.
Soweit das Gleichgewicht dadurch hergestellt wird, daß der
Käufer nachher und für den gleichen Wertbetrag als Verkäufer auf-
tritt und umgekehrt, findet Rückfluß des Geldes statt an die Seite,
die es beim Kauf vorgeschossen, die zuerst verkauft hat, ehe sie
wieder kaufte. Das wirkliche Gleichgewicht, mit Bezug auf den
Warenumsatz selbst, den Umsatz der verschiednen Teile des jähr-
lichen Produkts, ist aber bedingt durch gleichen Wertbetrag der
gegeneinander umgesetzten Waren.
Soweit aber bloß einseitige Umsätze stattfinden, Masse bloßer
Käufe einerseits, Masse bloßer Verkäufe andrerseits - und wir
haben gesehn, daß der normale Umsatz des jährlichen Produkts auf
kapitalistischer Grundlage diese einseitigen Metamorphosen be-
dingt -, ist das Gleichgewicht nur vorhanden unter der Annahme,
daß der Wertbetrag der einseitigen Käufe und der Wertbetrag der
einseitigen Verkäufe sich decken." 1 In allen diesen einseitigen
Transaktionen wirkt aber das Geld nicht als bloßer Vermittler von
Warenaustausch, sondern als Initiator oder Beendiger eines Pro-
zesses, wo auf der einen Seite nur die Ware, auf der anderen Seite
nur der Warenwert in seiner verselbständigten Form - Geld - steht,
ist also das Geld notwendig, damit überhaupt diese einseitigen
Prozesse vor sich gehen können.
„Die Tatsache, daß die Warenproduktion die allgemeine Form
der kapitalistischen Produktion ist, schließt bereits die Rolle ein,
die das Geld nicht nur als Zirkulationsmittel, sondern als Geld-
kapital in derselben spielt, und erzeugt gewisse, dieser Produktions-
weise eigentümliche Bedingungen des normalen Umsatzes, also
des normalen Verlaufs der Reproduktion, sei es auf einfacher, sei
es auf erweiterter Stufenleiter, die in ebenso viele Bedingungen des
anormalen Verlaufs, Möglichkeiten von Krisen umschlagen, da das
Gleichgewicht - bei der naturwüchsigen Gestaltung dieser Produk-
tion — selbst ein Zufall ist."
1 Karl Marx, „Das Kapital", Bd. II, S. 500. Die Red.
5 Marx, „Kapital", IL, S. 496. (Neuausgabe S. 500/501. Die Red.)
Die Kapitalisten A, A , A bilden durch den Verkauf ihres Mehr-
produkts den Schatz, zuschüssiges potentielles Geldkapital. Dieses
Mehrprodukt besteht in unserem Fall aus Produktionsmitteln von
Produktionsmitteln, die in der Hand von B, B , B als solche fungie-
ren. Erst in ihrer Hand fungiert dies Mehrprodukt als zuschüssiges
konstantes Kapital; aber es ist dies virtualiter schon, bevor es ver-
kauft wird, in der Hand der Schatzbildner A, A , A (I). Betrachten
wir bloß den Wertumfang der Reproduktion seitens I, so befinden
wir uns noch innerhalb der Grenzen der einfachen Reproduktion.
Der Unterschied liegt nur in den anderen Gebrauchswerten, die
erzeugt wurden. Es wurden innerhalb des gleichen Wertumfanges
mehr Produktionsmittel für Produktionsmittel statt solcher für
Konsumtionsmittel produziert. Ein Teil von I m, der früher ganz
bei der einfachen Reproduktion gegen II c ausgetauscht wurde, also
aus Produktionsmitteln für Konsumtionsmittel bestehen mußte, be-
steht nun aus Produktionsmitteln für Produktionsmittel, um als
solche dem konstanten Kapital I einverleibt werden zu können. Es
folgt also, daß — bloß dem Wertumfang nach betrachtet — innerhalb
der einfachen Reproduktion das materielle Substrat der erweiterten
Reproduktion produziert wird.
Es ist einfach direkt in Produktion von Produktionsmitteln, in
Schöpfung von virtuellem zuschüssigen Kapital I verausgabte Mehr-
arbeit der Arbeiterklasse I.
Die Bildung von virtuellem zusätzlichen Geldkapital seitens A,
A , A (I) — durch sukzessiven Verkauf ihres Mehrprodukts, das
ohne alle kapitalistische Geldausgabe gebildet — ist also hier die
bloße Geldform von zuschüssigen produzierten Produktions-
mitteln I. „Produktion auf großer Stufenleiter von zuschüssigem
virtuellem Geldkapital — auf zahlreichen Punkten der Zirkulations-
peripherie — ist also nichts als Resultat und Ausdruck vielseitiger
Produktion von virtuell zusätzlichem produktivem Kapital, dessen
Entstehung selbst keine zusätzlichen Geldausgaben seitens der indu-
striellen Kapitalisten voraussetzt." 1
„Die sukzessive Verwandlung dieses virtuell zusätzlichen produk-
1 Marx, ..Kapital", IL. S. 499. (Neuausgabe S. 503. Die Red.)
374
375
tiven Kapitals in virtuelles Geldkapital (Schatz) seitens A, A', A
etc. (I), die durch den sukzessiven Verkauf ihres Mehrprodukts
bedingt ist - also durch wiederholten einseitigen Warenverkauf
ohne ergänzenden Kauf - vollzieht sich in wiederholter Entziehung
von Geld aus der Zirkulation und ihr entsprechende Schatzbildung.
Diese Schatzbildung - ausgenommen den Fall, wo der Goldproduzent
der Käufer - unterstellt in keiner Weise zusätzlichen Edelmetall-
reichtum, sondern nur veränderte Funktion vonbisher umlaufendem
Geld. Eben fungierte es als Zirkulationsmittel, jetzt fungiert es als
Schatz, als sich bildendes, virtuell neues Geldkapital. Bildung von
zusätzlichem Geldkapital und Masse des in einemLande befindlichen
edlen Metalls stehn also in keiner ursächlichen Verbindung mit-
einander.
Es folgt daher ferner: Je größer das bereits in einem Lande
fungierende produktive Kapital (eingerechnet die ihm inkorporierte
Arbeitskraft, die Erzeugerin des Mehrprodukts), je entwickelter die
Produktivkraft der Arbeit und damit auch die technischen Mittel
rascher Ausweitung der Produktion von Produktionsmitteln - je
größer daher auch die Masse des Mehrprodukts nach seinem Wert
wie nach der Masse der Gebrauchswerte, worin er sich darstellt -
desto größer ist
1. das virtuell zusätzliche produktive Kapital in der Form von
Mehrprodukt in der Hand von A, A', A' etc. und
2. die Masse dieses in Geld verwandelten Mehrprodukts, also des
virtuell zuschüssigen Geldkapitals in den Händen von A, A , A .
Wenn also Fullarton z. B. nichts von der Überproduktion im ge-
wöhnlichen Sinn wissen will, wohl aber von Überproduktion von
Kapital, nämlich Geldkapital, so beweist dies wieder, wie absolut
wenig selbst die besten bürgerlichen Ökonomen vom Mechanismus
ihres Systems verstehn." 1
„Wenn das Mehrprodukt, direkt produziert und angeeignet durch
die'Kapitalisten A, A, A" (D, die reale Basis der Kapitalakkumula-
tion, d. h. der erweiterten Beproduktion ist, obgleich es aktuell erst
in dieser Eigenschaft fungiert in den Händen von B, B', B etc. (I) -
~^~Marx, „Kapital", II, S. 499. (Neuausgabe S. 503/504. Die Red.)
376
so ist es dagegen in seiner Geldverpupp ung — als Schatz und bloß
sich nach und nach bildendes virtuelles Geldkapital — absolut un-
produktiv, läuft dem Produktionsprozeß in dieser Form parallel,
liegt aber außerhalb desselben. Es ist ein Bleigewicht (dead weight)
der kapitalistischen Produktion. Die Sucht, diesen als virtuelles
Geldkapital sich abschätzenden Mehrwert sowohl zum Profit wie
zur Bevenue brauchbar zu machen, findet im Kreditsystem und in
den ,Papierchens' das Ziel ihres Strebens. Das Geldkapital erhält
dadurch in einer andern Form den enormsten Einfluß auf den Ver-
lauf und die gewaltige Entwicklung des kapitalistischen Produk-
tionssystems.
Das in virtuelles Geldkapital umgesetzte Mehrprodukt wird
seiner Masse nach um so größer sein, je größer die Gesamtsumme
des bereits fungierenden Kapitals war, aus dessen Funktion es her-
vorgegangen. Bei der absoluten Vergrößerung des Unifangs des
jährlich reproduzierten virtuellen Geldkapitals ist aber auch dessen
Segmentation leichter, so daß es rascher in einem besondren Ge-
schäft angelegt wird, sei es in der Hand desselben Kapitalisten, sei
es in andren Händen (z. B. Familiengliedern, bei Erbteilungen etc.).
Segmentation von Geldkapital meint hier, daß es ganz von Stamm-
kapital losgetrennt wird, um als neues Geldkapital in einem neuen
selbständigen Geschäft angelegt zu werden."
Die Verkäufer des Mehrprodukts A, A , A (I) haben dasselbe als
direktes Ergebnis des Produktionsprozesses erhalten. Die B, B , B
müssen es erst durch einen Zirkulationsakt erwerben. Das dazu er-
forderliche Geld haben sie früher ebenso gebildet wie jetzt A, A , A
durch Verkauf ihrer respektiven Mehrprodukte; sie sind jetzt ans
Ziel gelangt. Ihr als Schatz aufgehäuftes, nur virtuelles Geldkapital
fungiert nun effektiv als zusätzliches Geldkapital.
Das Geld, das zu diesen Umsätzen des Mehrprodukts nötig ist,
muß sich in den Händen der Kapitalistenklasse befinden. Bei der
einfachen Beproduktion kehrte das Geld, das nur zur Verausgabung
als Bevenue in Konsumtionsmitteln diente, zu den Kapitalisten zu-
rück, im Maß, wie sie es vorgeschossen zum Umsatz ihrer respek-
1 Marx, „Kapital", II., S. 500. (Neuausgabe S. 504. Die Red)
377
tiven Waren; hier erscheint dasselbe Geld wieder, aber mit ver-
änderter Funktion. Die A's und die B's (I) liefern sich abwechselnd
das Geld zur Verwandlung von Mehrprodukt in zusätzliches
virtuelles Geldkapital und werfen abwechselnd das neugebildete
Geldkapital als Kaufmittel in die Zirkulation zurück.
Das einzige, was hierbei vorausgesetzt, ist, daß die im Lande
befindliche Geldmasse (Umlaufgeschwindigkeit usw. als gleich ge-
setzt) hinreicht sowohl für aktive Zirkulation - also dieselbe Voraus-
setzung, die, wie wir sahen, auch bei einfacher Warenzirkulation
erfüllt sein muß. Nur die Funktion der Schätze ist hier verschieden.
Die schematische Darstellung ist natürlich stark vereinfacht. Es
ist klar, daß Proportionsverhältnisse, wie sie zwischen den Produk-
tionsmittel- und Konsumtionsmittelindustrien in ihrer Gesamtheit
herrschen müssen, in analoger Weise für jeden einzelnen Produk-
tionszweig vorhanden sein müssen. Aber zugleich zeigen diese
Schemata, daß in der kapitalistischen Produktion sowohl Repro-
duktion auf einfacher als auf erweiterter Stufenleiter ungestört vor
sich gehen kann, wenn nur diese Proportionen erhalten bleiben.
Umgekehrt kann Krise auch bei einfacher Reproduktion eintreten
bei Verletzung der Proportion, zum Beispiel zwischen abgestorbe-
nem und neu anzulegendem Kapital. Es folgt also durchaus nicht,
daß die Krise in der der kapitalistischen Produktion immanenten
Unterkonsumtion der Massen ihre Ursache haben muß. Eine allzu
rasche Ausdehnung der Konsumtion würde an sich ebenso wie
Gleichbleiben oder Verringerung der Produktion der Produktions-
mittel zur Krise führen müssen. Ebensowenig folgt aus den Schema-
ten an sich die Möglichkeit einer allgemeinen Überproduktion von
Waren, vielmehr läßt sich jede Ausdehnung der Produktion als
möglich zeigen, die überhaupt bei den vorhandenen Produktiv-
kräften stattfinden kann.
378
XVII. Kapitel
DIE URSACHEN DER KRISE
Betrachtet man die Kompliziertheit der Proportionalitätsverhält-
nisse, die in der doch anarchischen Produktion erfüllt sein müssen,
so ist man zunächst versucht, die Frage aufzuwerfen, wer für die
Erhaltung dieser Verhältnisse Sorge trägt. Es ist klar, daß diese
Funktion das Preisgesetz erfüllen muß, da ja die Preise die kapita-
listische Produktion regulieren, Änderungen der Preise für Erweite-
rung oder Einschränkung, für Aufnahme einer neuen Produktion
usw. maßgebend sind. Auch daraus ergibt sich die Notwendigkeit
eines objektiven Wertgesetzes als einzig möglichen Regulators der
kapitalistischen Wirtschaft. Die Störung dieser Proportionen muß
sich also erklären lassen durch die Störung in der spezifischen Regu-
lierung dieser Produktion, also durch eine Störung in den Preis-
gestaltungen, so daß die Preise die Notwendigkeiten der Produk-
tion nicht mehr richtig erkennen lassen. Da diese Störung periodisch
ist, muß auch die Störung im Preisgesetz als periodisch auftretend
nachgewiesen werden.
Was den Kapitalisten interessiert, ist nicht die absolute Höhe des
Preises seines Produkts, sondern das Verhältnis des Marktpreises zu
dem Kostpreis, mit anderen Worten, die Höhe des Profits. Von
dieser Höhe hängt ab, in welchen Produktionszweigen er sein
Kapital anlegt. Sinkt der Profit beträchtlich, so werden Neuanlagen
ganz unterlassen. Dies besonders, wo es sich um ausgedehnte An-
lage von fixem Kapital handelt, da so angelegtes Kapital ja für lange
Zeit festgelegt ist und der Preis des fixen Kapitals für die Berech-
nung der Profitrate entscheidend ist.
379
Nun wissen wir, daß die organische Zusammensetzung des Kapi-
tals sich ändert. Aus technischen Ursachen wächst der konstante
Kapitalteil rascher als der variable. Es wächst ferner der fixe
Kapitalteil rascher als der zirkulierende. Die relative Verminderung
des variablen Kapitalteiles hat aber eine Senkung der Profitrate zur
Folge. Die Krise bedeutet Absatzmangel. Absatzmangel setzt in
der kapitalistischen Gesellschaft voraus: Aufhören von Neuanlage
von Kapital; dieses wieder setzt voraus Sinken der Profitrate; dieses
Sinken der Profitrate ist gegeben durch die Änderung der organi-
schen Zusammensetzung des Kapitals, die bei der Neuanlage dieses
Kapitals stattgefunden hat ; die Krise bedeutet nichts anderes als den
Moment, wo das Sinken der Profitrate eintritt. Aber der Krise geht
die Prosperitätsperiode voraus, in der die Preise und die Profite
hoch sind. Wie tritt diese kapitalistische Weltwende ein, dieser
Übergang von der Seligkeit fieberhaft angespannter Tätigkeit, hoher
Profite und gesteigerter Akkumulation zur Trostlosigkeit der Ab-
satzstockung, verschwundener Profite und massenhaft brachliegen-
den Kapitals ?
Jeder industrielle Zyklus beginnt mit einer Ausdehnung der
Produktion, deren Gründe je nach den konkreten historischen
Momenten im einzelnen variieren, im allgemeinen aber sich auf
Eröffnung neuer Märkte, Entstehen neuer Produktionszweige, Ein-
führung neuer Technik, steigenden Bedarf infolge Bevölkerungs-
vermehrung zurückführen lassen. Es entsteht vermehrte Nachfrage,
die zunächst in einzelnen Produktionszweigen Steigen der Preise
und Profite bewirkt. Infolgedessen wird die Produktion in diesen
Sphären ausgedehnt, und ihre gesteigerte Produktion bedeutet ge-
steigerte Nachfrage in den Sphären, die für diese Zweige die
Produktionsmittel liefern. Neuanlage von fixem Kapital, Ersatz der
alten und technisch überholten Anlagen findet in größerem Umfang
statt. Der Prozeß verallgemeinert sich, jeder Industriezweig schafft
durch seine Ausdehnung Nachfrage für die anderen, die Produk-
tionssphären alimentieren sich gegenseitig, die Industrie wird der
Industrie bester Kunde.
So beginnt der Zyklus mit der Erneuerung und dem Anwachsen
380
des fixen Kapitals, die den Hauptgrund bilden für die beginnende
Prosperität, während der die Erweiterungen 1 fortdauern zugleich
mit der größten Anspannung aller vorhandenen Produktivkräfte.
„In demselben Maße also, worin sich mit der Entwicklung der
kapitalistischen Produktionsweise der Wertumfang und die Lebens-
dauer des angewandten fixen Kapitals entwickelt, entwickelt sich
das Leben der Industrie und des industriellen Kapitals in jeder be-
sondren Anlage zu einem vieljährigen, sage im Durchschnitt zehn-
jährigen. Wenn einerseits die Entwicklung des fixen Kapitals dieses
Leben ausdehnt, so wird es andrerseits abgekürzt durch die beständige
Umwälzung der Produktionsmittel, die ebenfalls mit der Entwick-
lung der kapitalistischen Produktionsweise beständig zunimmt. Mit
ihr daher auch der Wechsel der Produktionsmittel und die Not-
wendigkeit ihres beständigen Ersatzes infolge des moralischen Ver-
schleißes, lange bevor sie physisch ausgelebt sind. Man kann an-
nehmen, daß für die entscheidendsten Zweige der großen Industrie
dieser Lebenszyklus jetzt im Durchschnitt ein zehnjähriger ist. Doch
kommt es hier nicht auf die bestimmte Zahl an. Soviel ergibt sich:
Durch diesen eine Reihe von Jahren umfassenden Zyklus von zu-
sammenhängenden Umschlägen, in welchen das Kapital durch
seinen fixen Bestandteil gebannt ist, ergibt sich eine materielle
Grundlage der periodischen Krisen, worin das Geschäft aufeinander-
folgende Perioden der Abspannung, mittleren Lebendigkeit, Über-
stürzung, Krise durchmacht. Es sind zwar die Perioden, worin
Kapital angelegt wird, sehr verschiedne und auseinanderfallende.
Indessen bildet die Krise immer den Ausgangspunkt einer großen
Neuanlage. Also auch — die ganze Gesellschaft betrachtet — mehr
oder minder eine neue materielle Grundlage für den nächsten Um-
schlagszyklus."
Das Steigen der Profitrate findet aber zu Beginn der Prosperität
noch aus einer anderen Ursache als dem eben geschilderten Steigen
der Nachfrage statt. Gleichzeitig und infolge des Steigens der Nach-
frage verkürzt sich zunächst die Umschlagszeit des Kapitals. Es ver-
kürzt sich die Arbeitsperiode, weil die Einführung technischer Ver-
1 Marx, „Kapital", II., S. 164 f. (Neuausgabe S. 180. Die Red.)
27 Hilfen! cnü, Das Finanzkapital
381
besserungen raschere Fertigstellung des Produkts erlaubt, die Hilfs-
arbeiter zum Beispiel im Bergbau auf das Minimum zugunsten der
eigentlichen Förderung beschränkt werden, die Maschinerie durch
Beschleunigung der Laufzeit, vor allem aber durch Verlängerung
der Arbeitszeit (Wegfall der Feierschichten, Überstunden, Ein-
stellung neuer Arbeiter) intensiver ausgenutzt wird usw. Ferner
verkürzt sich die Umlauf szeit; der Absatz geht flott vonstatten;
häufig wird die Zirkulationszeit gleich Null, da auf Bestellung ge-
arbeitet wird; für eine Reihe bedeutender Industriezweige nimmt
der Absatz auf den nahe gelegenen inländischen Märkten im Ver-
hältnis zu dem Absatz auf entfernteren ausländischen zu, was wie-
der Verkürzung der Zirkulationszeit bedeutet. Dies alles bewirkt
wieder eine Erhöhung der Jahresrate des Profits, da das produktive
Kapital und damit auch das Mehrwert produzierende variable Kapi-
tal rascher umschlägt.
Die Verkürzung der Umschlagszeit bedeutet zugleich eine relative
Verringerung des vom Industriellen vorzuschießenden Geldkapitals
im Verhältnis zum produktiven Kapital. Einmal wird das vor-
handene produktive Kapital ohne Mehrausgabe von Geldkapital
oder wenigstens ohne entsprechende Mehrausgabe besser ausgenützt
durch Verkürzung der Arbeitsperiode infolge Beschleunigung der
Laufzeit der Maschinerie, überhaupt durch intensivere Ausnützung
der vorhandenen Produktionselemente. Dann aber verkürzt sich die
Zirkulationszeit und damit der Umfang des Kapitals, das während
der Zirkulationszeit vom Kapitalisten neben dem eigentlichen in der
Produktion fungierenden Kapital gehalten werden muß. Es ver-
ringert sich so das nur zu Zirkulationszwecken, also unproduktiv
verwendete Kapital im Verhältnis zu dem Profit produzierenden, im
Produktionsprozeß fungierenden Kapital. Die Verkürzung der
Zirkulationszeit und der schnellere Umschlag verringert zugleich
den als Warenvorrat brachliegenden Teil des Kapitals, das nur Un-
kosten verursacht. So steigt die Jahresrate des Mehrwerts und Profits
und letztere noch stärker durch Verringerung des zu Zirkulations-
zwecken dienenden Kapitals. Zugleich steigt die Mehrwertmasse
und damit die Möglichkeit der Akkumulation.
582
So bedeutet die industrielle Prosperität nichts anderes als Ver-
besserung der Verwertungsbedingungen des Kapitals. Aber die-
selben Umstände, die zunächst zur Prosperität führen, schließen
Po